BUGA 2019

Mehr als nur Gartenpavillons? Blick auf die BUGA 2019, Heilbronn, mit Interview

Was einmal als Gartenbau-Ausstellung in der Weimarer Zeit begonnen hat, wurde nach dem Weltkrieg 1939-45 zur Bundesgartenschau, wie wir sie heute vermuten. Denn tatsächlich assozieren wir immer noch buntblühendes um langsam flanierende Senioren mit dieser Naturschau, die längst Ausdruck von Forschungsarbeit geworden ist und zwar Forschung auf allen Gebieten.

In der aktuellen Bundesgartenschau in Heilbronn, die Ende April eröffnet wurde und die noch bis in den Herbst zum Flanieren einlädt, werden über alles Florale hinaus aber bauliche und städtebauliche Themen angeschlagen, auf die zu schauen durchaus lohnenswert ist. Wir schauten auf zwei Pavillone, der eine aus Holz, der andere aus Kunstfasern. Beide sind wegweisend, aber längst nicht zuendegeforscht. Wir sprachen (s. Minivideo weiter unten) mit den verantwortlichen Architekten Jan Knippers und Achim Menges.

Bundesgartenschauen haben immer noch etwas von Tulpenwiesen, Wasserrosenteiche und Schnitzel und Kuchen am (inzwischen) als nachhaltig gebaut gelabelten Imbisstand. Und auch, das eine Buga nur etwas für die älteren Herrschaften sei, die sich an der blumenprachtprächtigen Kunstlandschaft am Rande einer Stadt erfreuen.

Dass das längst in dieser totalen Vorurteilsicht nicht mehr stimmt, das haben Bugas aus den letzten Jahren gezeigt und aktuell macht das die Gartenausstellung in Heilbronn, die sich –auch das ist neu – als integraler Bestandteil einer größeren Stadtplanung nicht nur versteht, sondern das auch mit der ersten Bebauung des „Neckarbogen“ genannten Planungsgebietes umgesetzt hat.

Aber diese Stadterweiterung ist gar nicht das Thema hier und sicherlich auch nicht das der Buga-Besucher. Die mit gewellter Rasen-/Blumen-/Wasser- und Wegelandschaft zum Spazierengehen eingeladen werden, dort, wo eben einst ein Spaziergang nicht möglich und auch gar nicht gedacht war. Neben Blumenbeeten und Imbis erwarten die Besucher Pavillonarchitektur, in Heilbronn sind davon auch jede Menge vorhanden. Ambitionierte, klassische und neuartige. Zwei davon kommen aus Stuttgart, vom Institut für Tragkonstruktionen und Konstruktives Entwerfen (ITKE) und vom Institut für computerbasiertes Entwerfen und Baufertigung (ICD). Der eine aus Holz, der andere aus Kunststoff. Digitalisierung, Leichtbau und Bionik sind die zentralen Stichworte, die die beiden Konstruktionen beschreiben, beide Pavillons gelten den jeweiligen Institutsleitern, Prof. Jan Knippers und Prof. Achim Menges als (vorläufiger) Höhepunkt ihrer bisherigen langjährigen Entwicklungsarbeit auf diesen Gebieten.


Bei beiden – scheinbar so gegensätzlichen – Arbeiten haben die Teams der Institute zusammen mit den ausführenden Betrieben daran gearbeitet, Prinzipien und Funktionen der Natur konstruktiv abzubilden und mit neu entwickelten Materialien als auch den dafür konstruierten Werkzeugen umzusetzen. „Wir haben dabei einen neuen Architekturprozess entwickelt, der Entwerfen und Fertigen von Beginn an zusammen denkt“, so Achim Menges. Das fängt bei der vorbereitenden Softwareentwicklung für neuartige Bausysteme an und reicht über die robotische Fertigung selbst und die Simulationen zur Erhöhung der Materialeffizienz bis hin zur Vorbereitung neuer gesetzlicher Normen und DIN-Vorschriften beispielsweise für Stabilitätsnachweise.

Seit rund zehn Jahren arbeiten die beiden Institute der Universität Stuttgart auf den Gebieten der Bionik, des Leichtbaus und der Digitalisierung von Fertigungsprozessen im Sinne nachhaltiger Bauten. Das an der Universität Stuttgart 2019 neu eingerichtete Exzellenzcluster „Integratives Computerbasiertes Planen und Bauen für die Architektur“ bietet die nötigen Voraussetzungen für diese Forschung. Da das Bauen für mehr als die Hälfte des globalen Ressourcen - und Energieverbrauchs verantwortlich ist, sei Forschung auf diesem Feld dringend nötig, so die Teams auf der Pressekonferenz am Pavillon.

Der Holzpavillon

Im Vergleich zu technischen Systemen weisen biologische Strukturen in der Architektur in der Regel eine wesentlich höhere Leistungsfähigkeit und Materialeffizienz auf. Plattenstrukturen sind dabei eine besonders interessante Art der Konstruktion. Biologisches Vorbild des Holzpavillons ist dafür der Sanddollar, eine Unterart des Seeigels. Der Pavillon aus einer – gegenüber dem ersten Entwurf eines Holzpavillons vor einigen Jahren in Schwäbisch Gmünd – ganz neuartigen Holzleichtbauweise hat eine Spannweite von rund 30 m und eine Höhe von 7 m. Er ist ein Schalentragwerk aus 376 unterschiedlichen, hohlen Holzkassetten konstruiert, die in einem eigens hierfür entwickelten robotischen Vorfertigungsprozess vollautomatisiert aus zwei Platten und bis zu sieben einzelnen Balken entstanden. Auf der Baustelle wurden die fertigen Holzkassetten wie ein dreidimensionales Puzzle mit Toleranzen von weniger als einem Millimeter in nur 12 Tagen zu einer 550 m² großen Schalenkonstruktion zusammengefügt. Die setzt auf drei Punkten auf und spannt stützenfrei über eine Grundfläche von rund 500 m².

Der Faserpavillon

Mit einer Spannweite von rund 23 m und einer Höhe von rund 7 m hat der Faserpavillon zehn Auflagerpunkte, die eine rund 400 m² große Fläche fassen. Die tragende Konstruktion des Faserpavillons besteht ausschließlich aus Faserverbundkomponenten (Glasfasern und Kohlestofffasern), die in einem additiven, robotischen Fertigungsprozess hergestellt werden. Dies ermöglicht es, die 60 Bauteile den jeweiligen statischen Anforderungen anzupassen, ohne dass dafür besondere Formen benötigt werden oder Abfall verursacht wird. Eine besondere Herausforderung war, dass das völlig neue Bausystem den strengen Anforderungen der deutschen Bauaufsicht genügen muss. Der Pavillon steht, offenbar konnte die Bauaufsicht überzeugt werden!

Das Flächengewicht der Faserverbundkonstruktion liegt bei nur 7,6 kg/qm (etwa fünfmal weniger als eine vergleichbare Stahlkonstruktion). Im Durchschnitt wurden 1000 m Glasfaser und 1600 m Kohlefaser pro Element verwendet, wobei die Gesamtlänge der Glasfaser für den Pavillon 60 km und die der Kohlefaser 95 km betrug. Insbesondere die Kohlefaserverstärkung, die aus acht übereinander gewickelten Schichten mit einer Bautiefe von rund 20 mm besteht, ermöglichte es den Bauteilen, eine Tragfähigkeit unter Druck von 25 Tonnen zu erreichen.
Ein weiteres wichtiges Element des Bausystems ist die große, nur mechanisch vorgespannte, transparente ETFE-Membran. Dies zeigt die Kompatibilität von experimentellen Verbundkonstruktionen mit konventionellen Bausystemen und dient dem Wetterschutz der Ausstellungsfläche im Inneren.

Was mit den beiden Pavillons am Ende der Buga passiert, ist noch nicht klar. Sie können leicht demontiert werden und stehen für weitere Nutzungen an anderen Orten zur Verfügung. Sie sind vorallem aber das eine: die sichtbare Umsetzung von Bauprojekten mit neuen Planungs- und Herstellungsmethoden. Und damit sind sie möglicherweise dann doch viel mehr, als nur zwei aufregend schöne Buga-Pavillons, die dem Rahmenprogramm der s. o.-Veranstaltung einen temporären Rahmen geben müssen. Das aber eben auch. Be. K.


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