Wir wollen sagen: Es ist möglich

Es war gar nicht so leicht, einen Gesprächstermin am Deutschen Pavillon zu bekommen: Die Presse, TV sowie Radio und Print wollten alle mit den Kuratorinnen sprechen. Ich hatte also Zeit, mir den „STRESSTEST“ betitelten Beitrag Deutschlands in Ruhe anzusehen und meine vorbereiteten Fragen dann doch ganz anders zu stellen.

... Elisabeth Endres, Gabriele G. Kiefer und Daniele Santucci, „Team Stresstest“, Venedig
Foto: Benedikt Kraft
... Elisabeth Endres, Gabriele G. Kiefer und Daniele Santucci, „Team Stresstest“, Venedig
Foto: Benedikt Kraft

„Stresstest“ ist euer Thema auf dieser Architekturbiennale: Seid ihr gestresst? Wie fühlt es sich an im Trubel, der hier bereits am zweiten Previewtag herrscht?

Daniele Santucci (DS): Gestresst eher nicht, eher empfinde ich eine große Freude, zu sehen, wie sich unser Pavillon gerade mit so vielen Menschen füllt, die von Raum zu Raum gehen, innehalten, reagieren. Ich habe den Pavillon in der Aufbauphase erlebt, ich wusste natürlich, wo genau welche Elemente wie in den Räumen verteilt sind ... der Film im Zentralraum, die Bäume, die Skulptur … Wir haben das alles gesehen, im leeren Pavillon. Der wird nun belebt von so vielen Neugierigen und das ist sehr beeindruckend.

Und spazieren die Menschen eher oder bleiben sie auch mal länger stehen?

Elisabeth Endres (EE): Klar bleiben sie stehen, schauen sich den Film teilweise zweimal an, was uns sehr, sehr freut. Denn du weißt ja, die zentrale Frage ist immer, wie lang darf man einen Film machen, wie lange hält er die Zuschauer im Bann? Das Thema der Verweildauer im Pavillon haben wir lange diskutiert, aber am Ende kommt es einfach anders. So hätten wir nicht gedacht, dass viele in den Seitenräumen länger stehen und schauen, als die durchschnittliche Verweildauer in einem Biennalepavillon ist. Das nehmen wir als Kompliment. Wir erleben, dass wir gute Räume geschaffen haben, angenehme Räume, die unser Konzept erfüllen: Gerade im Destressraum sitzen die Menschen unter den Bäumen, genießen den leisen Luftzug, die schattige Atmosphäre. Hier ist das Konzept aufgegangen. Ich war mir nicht sicher, ob das Thema der Hitzebelastung des öffentlichen Raums die Menschen so begeistert. Es ist offenbar so und ich selbst bin auch begeistert. Weil wir uns bewusst nicht für ein Hochbauthema entschieden haben, sind wir vielleicht Grenzgänger … Aber es funktioniert!

Über Architektur und Stadtplanung sprechen wir gleich noch. Jetzt aber noch mal von der Landschaftsarchitektenseite. Was ist denn, liebe Gabriele, dein Lieblingsraum?

Gabriele G. Kiefer (GK): Ach, Lieblingsraum. Den gibt es vielleicht nicht, schließlich haben wir ein in sich geschlossenes Konzept, hier bedingt das eine das andere. Im Destressraum setzen sich die Leute hin, blättern im Katalog, erholen sich. Der Raum funktioniert auch deshalb gut, weil es den stickig warmen Stressraum gibt und beide sind untrennbar verbunden vom zentralen Raum, in dem unser Film läuft. Würde ein Teilchen fehlen, wäre es nicht so gut.

Wir kommen aus vier verschiedenen Richtungen und haben ein Gesamtwerk erstellt, das – und das geht nicht selten unter – neben dem Call to Action auch den Aufruf in sich trägt, das sektorale Denken aufzugeben, zusammenzuarbeiten als planende Disziplinen, die verantwortlich für den öffentlichen Raum sind.

Zusammenarbeit bedeutet aber auch, Kompromisse zu machen. Ich war überrascht, wie einfach eure Präsentation ist. Ihr wollt den Zugang zum Thema möglichst niederschwellig halten, um dann in die auch schwierigen Seitenthemen einzusteigen?

DS: Ja, definitiv. Unser Ziel ist es, das sehr komplexe Thema möglichst für jedermann verständlich zu machen. Und das vor allen Dingen durch das sinnliche Erleben. Die audiovisuelle Komponente soll dazu führen, das Ganze mit allen Sinnen zu erfassen, auch zu fühlen. Bilder, Temperaturen, Luft, Geräusche, das alles … Das kann dann zum Nachdenken anregen. Wir bieten auch jede Menge zum Nachlesen an. Es gibt ...

… euren Katalog, beispielsweise.

DS: Ja, im Katalog haben wir Beiträge aus verschiedensten Disziplinen versammelt, das war uns zentral. Beiträge von Meteorologen, Ärzten, Stadt- und Landschaftsplanern, Architekten … Aber zunächst ist es uns sehr wichtig, dass die Besucherinnen ein Bewusstsein für das Thema Hitzebelastung entwickeln.

Ein Stichwort, das überall auftaucht zu eurem Beitrag ist „das Immersive“.

GK: Genau. Wir wollen vor allem und zuerst einmal berühren, vielleicht gar anrühren?! Ich kam ja recht spät nach Venedig, bin aber gleich hierhergekommen und habe mich vor den Film gesetzt. Lange habe ich davor gesessen und mir kamen die Tränen, so sehr hatten mich die Bilder bewegt … Obwohl ich den Film ja kannte! Ich glaube, das meint das Immersive.

Mit dem Läuten einer Glocke, die aus dem Eingang in die Giardini tönt beispielsweise?

EE: Das funktioniert super. Viele reagieren auf dieses Geläut … zögern, treten dann ein. Das ist auch nichts Neues, mit dem Läuten einer Glocke Menschen zu versammeln.

Wer ist eigentlich auf diese Idee gekommen?

EE: Das waren wir zusammen, wer genau zuerst die Idee hatte, weiß ich nicht. Ausformuliert, umgesetzt hat diese Idee der Künstler Christoph Brech. Ja, so ist es, wie du sagst, dieses Zusammenläuten, das gibt es doch schon seit Jahrhunderten.

Zusammenläuten zum Gebet oder für die Not oder Jesus? Für alles?

EE: Für alles. Das Glockengeläut ist ein Aufruf und ein Alarm.

DS: Es ist ein Alarm. Aber auch der Ruf, zusammenzukommen, weil in Notsituationen das Zusammenhalten sehr wichtig ist. Aus unserer Sicht ist das sehr passend, dieses Bild. Aber der tiefe Klang der Glocke, das hat etwas Beunruhigendes. Als Gesellschaft sind wir für Antworten und das Handeln daraus verantwortlich. Und damit haben wir auch eine gute Verbindung zum Biennale-Thema geschaffen, dem Motto des Kurators Carlo Ratti: „Intelligens. Natural. Artificial. Collective“. Kollektive Intelligenz ist nötig, um eine Klimaanpassung oder die Herausforderungen, die mit Klimawandel auf uns zukommen, zu meistern.

Aber ...

EE: Um noch einmal auf deinen Hinweis zu kommen, unsere Präsentation wäre einfach. Vielleicht ist sie das, aber wenn im Bauen etwas einfach ist, ist es nicht unbedingt schlicht! Wir haben so viele komplexe Texte vorliegen. Wir haben super Studien auch unserer Bundesministerien dabei. Aber getan wird in der Praxis sehr wenig. In Wettbewerben ist alles heilbar, wo wir doch wissen müssten, dass die Dinge nicht heilbar sind in den späteren Prozessen. Und so war es unser Antrieb zu sagen: Wenn wir alle Erkenntnis nicht ernst nehmen, dann müssen die Zahlenwerke jetzt spürbar gemacht werden. Was sehr, sehr schwierig ist. Wir hätten natürlich eine große Klimaanlage auf das Dach stellen können, um innen unterschiedliche Temperaturen zu machen. Aber wie das Immersive in einem Film hinbekommen? Wie in den Nebenräumen? Uns war es wichtig, physikalische Vorgänge spürbar zu machen, sie in eine einfache Sprache zu übersetzen. Und so ist deine Anmerkung, es wäre sehr einfach, auch ein Kompliment für uns. Das wollten wir und haben wir offenbar erreicht.

Ist daran gedacht, das Immersive nach Venedig nach Frankfurt, in die Schirn beispielsweise zu bringen oder sonst wohin?

EE: Wir haben tatsächlich gestern erste Anfragen von Museen bekommen.

Daraus könnte eine Art Kampagne werden.

GK: Eine Kampagne. Wir wünschen uns ausdrücklich, dass sich unserem Call to Action ganz viele anschließen. Wir bräuchten vielleicht gar ein Volksbegehren, das einen breiten gesellschaftlichen Konsens herstellen könnte für die nächsten Schritte. Wir sollten diejenigen, die durch ihr unbedachtes oder auch vorsätzliches Verhalten den Klimawandel mitverursachen, dafür verantwortlich machen und weniger die Volkswirtschaft mit immer weiter steigenden
Kosten belasten. Auch die Überwindung des Sektoralen sollte eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe werden ... Wie das im Kleinen geht, haben wir hier gelernt. Das hat ehrlicherweise auch ein bisschen gedauert. Aber am Ende haben wir alles demokratisch und gemeinsam entschieden.

EE: Absolut.

Und niemand war traurig, dass er irgendetwas nicht hat durchsetzen können?

EE: Doch. Ich. (lacht)

Was war es denn?

EE: Im Vergleich zur Größe des Projekts nur eine winzige Kleinigkeit: „Stresstest“ ist auf dem Katalog kursiv gesetzt, das gefällt mir überhaupt nicht (lacht). Demokratie hat manchmal Verlierer, womit ich in diesem Fall aber sehr gut leben kann.

Der letzte Pavillon hatte die Stadtbevölkerung Venedigs miteinbezogen, das sehe ich bei euch nicht.

EE: Wir sind da noch dran, es gibt Überlegungen.

Weil Venedig auch mit Hitzebewältigung zu tun hat, neben dem Problem des zukünftigen Aqua alta maxima …

EE: Ja, genau, wir haben die Stadt als Ort erlebt, der sich mit Hitze auseinandersetzt. So werden wir demnächst Stadtspaziergänge durch die Gassen machen, Klimastadtspaziergänge nennen wir die. Da zeigen wir ausgewählte Plätze, die wir zuvor auf ihre Klimageschichte untersucht haben, sodass wir ziemlich genau sagen können, welche Temperaturen und warum und wann hier vorherrschen.

Schlagt ihr eigentlich hier im Pavillon konkret etwas vor, bietet ihr Lösungen? Mir scheint eher nicht …

GK: Aber ja! Gerade umgekehrt. Wir zeigen vielleicht nicht einzelne, ausgewählte Projekte, sondern eine Vielfalt und die Einzelnen auch nur in Anrissen. Wir wollen sagen: Es ist möglich. Es kommt nicht darauf an, ob es quadratisch, rund, aus Holz oder bunt ist. Es gibt so viele Lösungen und die gibt es seit langem. Gut gebaute Beispiele. Also, wir zeigen exakt 220 Projekte, die sich aber im Ganzen auflösen.

220 Bauten, die in dem Film gezeigt werden?

GK: Der Film ist in Strecken gegliedert, die Stressstrecke und die Lösungsstrecke. 220 Lösungsvorschläge, die wir nicht formal, sondern inhaltlich bewertet haben.

Letzte Frage: Würdet ihr rückblickend etwas grundsätzlich anders machen?

DS: Nein. Ich habe zwar noch nie eine Ausstellung gemacht und für mich war es sehr schwer, mir vorzustellen, wie das am Ende wird. Jetzt sehe ich – und ich bin glücklich überrascht – dass unsere Ausstellung sehr gelungen ist, gerade auch in der Abstimmung der verschiedenen Elemente. Meine Erwartungen sind übertroffen. Deswegen würde ich jetzt sagen, dass ich nichts anders machen würde.

GK: Ich hatte es schon gesagt, sie berührt, spricht Herz und Seele und auch den Kopf an, auch wenn du hier das Intellektuelle zu vermissen scheinst. Es ist einfach schön!

Das liegt an der hier im Film singenden Maria Callas, vermute ich mal!

GK: Nicht nur. Aber eine schöne Stimme gehört zum Fühlen dazu. Mit allen Sinnen.

EE: Ich bin ein sehr pragmatischer Mensch, jedenfalls, was das Bauen angeht. Ich sehe auf vielen meiner Baustellen mehr Fehler als in diesem Ausstellungskonzept. Das finde ich extrem beruhigend. Ich wüsste nicht, an welcher Stelle wir gesagt haben: „Das war jetzt der Kompromiss.“ Wir haben immer um die beste Lösung gerungen und am Ende ist das sehr stimmig umgesetzt worden. Klar, das war auch ein schwieriger Prozess, alle immer zufriedenzustellen. Aber diese Art von Projektentwicklung ist wohl die beste. Wir hatten das Thema ja schon vielfach: Hätte ich das Konzept allein gemacht, würde es anders aussehen. Hätte Gabriele es allein gemacht, würde es anders aussehen.

So. Und jetzt wirklich meine letzte Frage. Ihr habt ja vielleicht schon den einen oder anderen Pavillon hier gesehen. Gibt es eine Empfehlung? Gibt es etwas, was neben dem Deutschen Pavillon noch angeschaut werden muss?

GK/EE: Dänemark. Dänemark.

GK: Aber ich war noch nicht dort.

DS: Mir haben gefallen: der dänische Pavillon, der belgische … Den serbischen fand ich sehr interessant. Sollte ich einen nennen – ich habe noch längst nicht alle gesehen – wäre es wohl das Konzept des belgischen Pavillons. Hier wurde, irgendwie verwandt mit unserem Konzept, mit Pflanzen gearbeitet, aber wie gesagt, auf eine ganz andere Art und Weise.

Zu den Belgiern gehe ich also gleich einmal, hier machen wir jetzt Schluss. Es beginnt zu regnen. Das Foto machen wir drinnen.

Mit Elisabeth Endres, Gabriele G. Kiefer und Daniele Santucci unterhielt sich DBZ-Redakteur Benedikt Kraft am 9. Mai 2025 am Deutschen Pavillon in den Giardini Venedigs.

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