Wir verstehen uns als weltoffene Institution
Im Gespräch mit … Hans-Dieter Hegner und Han Song Hiltmann, Stiftung Humboldt Forum Berlin
Das Berliner Schloss alias Humboldt Forum wird gerade wieder einmal medial angegangen. „Schloss-Aneigner“ haben zu einem Umdeutungs-, einem Interventionswettbewerb aufgerufen, es läuft eine Petition. Wieso jetzt und wie reagiert die Stiftung? Wir sprachen mit Hans-Dieter Hegner, Stiftungsvorstand, und Han Song Hiltmann, Abteilungsleiter Programm Stiftung Humboldt Forum, über die Barock-Hülle und die riesigen Chancen, die sich darunter verbergen.
Wir sitzen in einem Schlossneubau – über den Begriff „Schloss“ können wir gleich gerne streiten –, in dem das Humboldt Forum untergebracht ist, eine Kulturinstitution, die uns viel versprochen hat. Und wir schauen jetzt, was davon eingelöst wird. Nun kommen Schlossneubau/Humboldt-Forum gerade so ein bisschen unter die medialen Räder. Ein Grund mit, warum wir uns heute hier im Humboldt Forum treffen oder im Schlossneubau. Was meinen Sie, Herr Hegner, einer der drei Vorstände der Stiftung Humboldt Forum, woran liegt es?
Hans-Dieter Hegner (HDH): Also zunächst einmal hadere ich mit dem Begriff „Schlossneubau“. Wir sind ein hybrides Gebilde, ein durchaus zeitgenössisches Haus mit zeitgenössischer Architektur mit vorgeblendeter historischer Fassade. Die ist dem Aspekt der Stadtreparatur geschuldet. Stadtgeschichte soll wieder lesbar werden, eine Geschichte, die von vielen Bürgern herbeigesehnt wird. Eine Studie der Bundesstiftung Baukultur hat ergeben, dass etwa 80 % der Bevölkerung es befürworten, dass wir alte Stadtstrukturen erhalten und pflegen. In gewisser Weise bestehe ich auf den Begriff Humboldt Forum im Berliner Schloss, weil er sehr deutlich die Programmatik der Stiftung mit ins Boot holt.
Die Hülle des Hauses, die ein Schloss vorstellt, holt auch eine Programmatik herein, und gegen die wehren sich gerade die sich selbst so bezeichnenden „Schloss-Aneigner“. Können Sie das nachvollziehen oder ist Ihnen das zu polemisch?
HDH: Nein, diese Diskussionen gab es von Anfang an. Auch bereits, als im Bundestag darüber gesprochen, darüber verhandelt wurde. Das ist jetzt 15 Jahre her … Es gab die Expertenkommission, die der Bundestag vorher eingesetzt hat ...
... und die mit einer Stimme Mehrheit sehr knapp entschieden hat!
HDH: Die damalige Debatte im Bundestag zeigte eine klare Haltung. Ich erinnere mich an einen bemerkenswerten Beitrag der Grünen-Politikerin Antje Vollmer, damals Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, die, wie sie sagte, keinen direkten Zusammenhang zwischen Baustil und Demokratie erkenne. Sie sagte: „In der Kunst gilt, was gut ist. In der Kunst gilt, was Qualität ist.“ Ich sehe das genauso. Eigentlich bin ich ein Fan des Palasts der Republik gewesen, ich bin mit diesem Haus groß geworden, habe es im Betrieb erlebt, dieses Kulturhaus, das offen war, Transparenz hatte, Alltagsleben. Diese Haltung habe ich mir für ein neues Humboldt Forum gewünscht. Das Gebäude des Palasts, seine Architektur, hat aber im städtebaulichen Raum nicht das leisten können, was sein Vorgänger, das alte Schloss geleistet hat.
Das, was das Stichwort „Stadtreparatur“ betrifft, also die Wiedererrichtung der historischen Fassade, kann ich heute nur gutheißen. Jetzt hat beispielsweise der Lustgarten wieder ein Format bekommen, das sich aus dem Städtebau erklären lässt. Jetzt wird wieder offenbar, dass Schinkel auf die barocke Fassade mit einem griechischen Tempel reagiert hat!
Herr Hiltmann, Sie schauen unruhig …
Han Song Hiltmann (HSH): Ich würde an dieser Stelle noch hinzufügen, dass die Politik damals mit dem Beschluss zur Rekonstruktion auch unterschiedliche Debatten aufgegriffen hat, so die eine der zivilgesellschaftlichen Initiativen, die das Schloss wieder aufbauen wollte. Die Entscheidung, die Ethnologischen Sammlungen hier in die Mitte Berlins zu holen, ist damit nicht gleichzusetzen. Daraus ergibt sich der Widerspruch, den viele zu Recht empfinden. Ich interpretiere die Geschichte dieses Hauses auch so, dass damals bereits unterschiedliche Bedarfe von unterschiedlichen Teilen der Gesellschaft formuliert wurden, einige davon sind unbeantwortet geblieben. Eine Vorstellung war, mit dem Humboldt Forum in gewisser Weise eine Lücke zu schließen, nämlich die der außereuropäischen Kulturen, die in der Museumsinsel bisher so nicht präsent waren, eine Grundidee des damaligen Direktors der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Klaus-Dieter Lehmann. Diese Idee ging allerdings mit ganz anderen Leerstellen einher, wie die späteren Debatten um das Humboldt Forum gezeigt haben.
Es gibt also nicht die eine Debatte oder eine Perspektive, sondern unterschiedliche, auch stark divergierende. Ich sehe das als ein Kontinuum, ein Diskurs, der sich auch auf die Weiterentwicklung des Humboldt Forums bis heute auswirkt.
Kontinuum, Weiterentwicklung, Prozess … ich trauere ja immer wieder dem Wettbewerbsbeitrag von Kuehn Malvezzi nach, der – weil die Jury nicht mutig genug war – einen hochdotierten Sonderpreis erhielt. Dessen Grundidee vom Prozessualen, einer auch baulich und gestalterisch betrachtet offenen Perspektive, bietet der Debatte jetzt das, was sich aktuell die „Schloss-Aneigner“ vorstellen, eine hervorragende Grundlage, auch an dem Bild „Schloss“ weiterzuarbeiten, das, hier werden Sie mir zustimmen müssen, ein Bild aus vorvergangenen Zeiten ist. Langfris-tig betrachtet kann ich mir vorstellen, dass wir den Schlossneubau als fertiges Bild infrage stellen, es aufbrechen. Ich sehe häufig Touristen vor den barocken Fassaden, die hier leidenschaftlich fotografieren und immer frage ich mich: Wissen die eigentlich, dass dieses Schloss erst fünf Jahre alt ist?
HDH: Ja, ein Bild aus vergangenen Zeiten, aber eine barocke Fassade bietet mir immer auch ein schönes Bild.
Zeitgenössische Bildermacher, also Architekten, können keine schönen Bilder?
HDH: Sicherlich, aber vielleicht nicht für diesen Ort? Ich respektiere die Entscheidung des Souveräns, des Parlaments. Und ich respektiere auch die Entscheidung der Jury des internationalen Architektenwettbewerbs. Franco Stella hat den ersten Preis gewonnen, mit deutlichem Abstand zu den anderen Entwürfen, die eingereicht worden waren. Die Bundesregierung hatte beschlossen, Stellas Entwurf zu bauen. Das sind doch demokratisch legitimierte Prozesse! Natürlich können, müssen wir mit dem Bestand arbeiten, werden künftige Generationen weiterbauen, umbauen. Oder das Haus mit künstlerischen Interventionen neu aufladen, in andere Kontexte versetzen.
Diese Interventionen am Schloss finden ausschließlich innen, also außen unsichtbar statt. Damit wird wenig riskiert.
HDH: Vielleicht zu wenig riskiert, das aber mit sehr viel Engagement verwirklicht! 2016, als ich hier angefangen habe, war gar keine Kunst-am-Bau vorgesehen. Aber wenn 4/5 dieses Gebäudes zeitgenössische Architektur sind, dann greifen Regeln. Da gehört Kunst-am-Bau dazu. Die ist verpflichtend und das finde ich auch gut so. Schlussendlich hat der Vorstand das im Stiftungsrat auch durchgesetzt. Sechs Kunst-am-Bau-Projekte sind es geworden, schöne Interventionen, sowohl innen als auch oben auf der Dachlandschaft. Wir haben gut gewirtschaftet und werden noch ein siebtes Projekt machen, das wir außen an der Fassade präsentieren.
Die Schloss-Aneigner, die die Fassade mit deutscher Vergangenheitsgeschichte bespielen wollen, gehen aus meiner Sicht auch gegen das Fake des Originalen an.
HDH: Ich glaube, da müssen wir ein bisschen genauer hingucken. Am Portal Fünf beispielsweise gibt es zwei originale Hermen-Pilaster, die nicht mehr den Balkon halten können, weil ihre Arme weg sind. Die Figuren zeigen uns die große Kunst des Barocks, aber sie zeigen auch ihre Zerstörungen. Es gibt andere Stellen, an denen Sie Originale im verletzten Zustand sehen können. Diese Botschaften von Geschichte und ihren Prozessen sind also vielfach am Gebäude vorhanden. Andere zeigen wir in der Ausstellung zur Geschichte des Ortes: viele barocke Originale und Exponate aus dem Palast der Republik und dem Schloss. Wir erzählen diese Geschichte lebendig und auf sehr unterschiedliche und vielfältige Weise.
Gut, aber wir müssen, wollen wir zuhören, immer reinkommen. Herr Hiltmann, Sie sind nicht wie Herr Hegner mit dem Schloss großgeworden, Sie arbeiten hier seit wann?
HSH: Ich habe im März dieses Jahres die Verantwortung für das Programm übernommen, mit den drei Arbeitsbereichen: Ausstellungen, Programmveranstaltungen und Geschichte des Orts.
Was denken Sie, wenn Sie morgens zur Arbeit gehen: Gehe ich ins Schloss oder gehe ich ins Humboldt Forum?
HSH: Ganz eindeutig: Ich gehe ins Humboldt Forum. Das Schloss, von dem hier die Rede ist, gibt es nicht mehr, das wurde 1950 abgerissen. Was wir hier jetzt haben, ist eine Teilrekonstruktion der Barockfassaden. Eben auch nur eine Teilrekonstruktion. Zu Ihrer Eingangsfrage, warum es jetzt diese Debatten gibt: Die Debatten pro und contra gibt es seit Projektbeginn. Wir müssen diese Debatten ernst nehmen, weil sie direkt und indirekt die Wahrnehmungen über diesen Ort prägen und mitdefinieren. Für uns ist das eindeutig ein Ansporn, immer wieder zu hinterfragen, wie wir hier inhaltlich arbeiten. Und die Debatten um das Humboldt Forum haben ja auch schon manches bewirkt.
Sagen Sie mal ganz schnell für die Leser, was ein wichtiges Ding wäre, das die Debatten bewirkt haben.
HSH: Nicht nur, aber auch die Debatten um das Humboldt Forum haben das Thema der Aufarbeitung der deutschen Kolonialgeschichte mit befördert. Und ich denke, in der Museumsarbeit ist ein Paradigmenwechsel auszumachen, z. B. wenn es um das Thema Restitution geht und bei der Zusammenarbeit mit den sogenannten Herkunftsgesellschaften. Auch da hat die Debatte um das Humboldt Forum viel ausgelöst, ohne die Kritik, die stark von der Zivilgesellschaft ausging, jetzt vereinahmen zu wollen. Ja, die kritischen Diskussionen haben etwas bewegt und ich hoffe dass sie das auch in Zukunft tun werden.
Ein wichtiger Punkt. Was meinen Sie, hätten wir – was mein Traum gewesen wäre – ein zweites Centré Pompidou hier auf diesem Ort gehabt, wären andere Debatten in Gang gesetzt worden? Das ist aber Spekulation. Eine ganz andere Sache: Wie ist eigentlich Ihr Verhältnis zum Förderverein Berliner Schloss?
HDH: Ganz klar: Wir haben weder ein rechtliches noch ein inhaltliches Verhältnis zum Förderverein. Der Förderverein hat die nicht leichte Aufgabe übernommen, Spendengelder bereitzustellen für die historischen Elemente der Rekonstruktion. Der Verein hat die größte Spendensammlung für ein Gebäude in Deutschland organisiert und hat bis heute über 110 Mio. Euro zusammenbekommen, von mehr als 40 000 Spendern. Das ist eine große Leistung! Natürlich haben wir den Förderverein bei seiner Arbeit unterstützt: zum Beispiel mit unseren Tagen der offenen Baustelle, die viele zum Spenden bewegt haben, wie ich weiß. Der Förderverein hat keinerlei Bauherrnaufgaben. Maßgeblich für den Bau sind der Architekt und der Bauherr, die Stiftung Humboldt Forum.
Aber ohne die Fassadenspenden hätten wir heute einen nackten Betonbau.
HDH: Das ist eine Finanzierungsfrage, da haben Sie recht. Aber: Spenden sind erst einmal uneigennützig. Sie dienen einer Sache, die man gut findet, die man unterstützen will. Aber ich kann für mein Geld nichts verlangen. So kann auch der Förderverein nicht verlangen, dass wir etwas nach seinen Wünschen bauen, sondern er kann nur sagen: „Das, was der Architekt entworfen hat und was der Bauherr umsetzen will, das finden wir gut und dafür geben wir Geld“. Und wenn sie es nicht gut finden, sollen sie kein Geld geben. Das muss ich hier deutlich machen, weil immer wieder kolportiert wird, dass der Förderverein hier seine Interessen durchsetzen könne. Er hätte gern bestimmte Dinge noch gebaut, wie zum Beispiel das Giganten-Treppenhaus. Und da haben wir als Bauherr gesagt: „Das machen wir nicht.“
Dort, wo die Giganten-Treppe war, da ist der Ausstellungssaal für Mesoamerika, da ist unser Skulpturensaal. Eine Rekonstruktion an dieser Stelle passt nicht in unser Konzept. Der Förderverein kann Vorschläge machen, Ideen haben, aber wir bauen. Deshalb hat auch der Stiftungsrat beschlossen, wie die Rekonstruktion zu beenden ist.
Kuppel? Sinnspruch? Kartusche mit Adler?
HDH: Die Kuppel war immer schon Teil von Stellas Wettbewerbsentwurf, einschließlich Kreuz und allem Drum und Dran. Stellas Prinzip: Bei den his-torischen Bauelementen wird nichts verändert, sondern 1 : 1 gebaut. Dem Sinnspruch haben wir auf der Dachterrasse eine große, erklärende Tafel gewidmet. Wir stellen ihn in einen geschichtlichen Kontext und stellen klar heraus, dass wir uns als eine weltoffene Institution verstehen und nicht an diesem Spruch hängen.
Aber dann hätten Sie ihn wahrscheinlich einfach weglassen sollen?
HDH: Diese Debatte kann man jetzt im Nachhinein …
… endlos führen. Was ist mit der Kartusche?
HDH: Die gehört zur Fassade. Die ganze Fassade ist mit preußischen Adlern, Wappenkartuschen, Insignien …
... gepflastert ...
HDH: … der Preußischen Monarchie angefüllt. Das war Franco Stella, wie schon gesagt, sehr wichtig: „Wir machen es nicht, wie die DDR es am Staatsratsgebäude gemacht hat. Dort wurde beim Einbau des historischen Portals alles, was auf Preußen Rückschlüsse erlaubt, weggelassen. Eine 1 : 1-Rekonstruktion verlangt, dass genauso zu bauen ist, wie es damals von Schlüter gebaut worden war“. Also man muss diese preußischen Insignien an dieser barocken Fassade …
… aushalten?
HDH: Wenn Sie es so wollen, aushalten, ja. Man kann sie aber auch als große Kunst erleben. Aus unserer Sicht kommt die Rekonstruktion jetzt zum Abschluss. Es kommen noch die barocke Balus-traden-Figuren. Das hat der Stiftungsrat beschlossen. Die Originale sind verloren, wir werden sie nicht kopieren, sondern interpretieren mittels barocker Idealfiguren, die zur barocken Fassade passen. Sie sollen das Bild abrunden, das der Architekt vor Augen hatte.
Um es klar zu sagen, wir werden keine Rekonstruktionen im Inneren des Gebäudes umsetzen. Die Fassade wurde in hoher Präzision und mit bester Qualität hergestellt. Damit ist für uns die Rekonstruktion abgeschlossen. Ob Generationen später, in 100 oder 200 Jahren, sich das noch anders überlegen, lasse ich dahingestellt.
Architektur spiegelt den Zeitgeist ...
HDH: Gebautes wird sich, muss sich immer weiter verändern. Stadträume werden sich verändern, die Ansprüche werden sich verändern. Man wird sicherlich auch an diesem Gebäude – ich will jetzt nicht sagen „weiterbauen“ – Dinge zumindest ändern. Wir sind im Außenbereich im Übrigen schon dabei.
Lassen wir das Schloss Schloss sein und wenden uns dem Humboldt Forum zu. Ursprünglich als große Kulturmaschine aufgesetzt, hat das Forum im Verlauf seiner kurzen Geschichte viele Wege genommen, die von vielen Fragezeichen gerahmt waren. Es hat – wir hatten es schon genannt – Veränderungen gegeben, beispielsweise mit dem Thema der Restitution, in der Zusammenarbeit mit Leihgebern, Stichwort „Cultural Belongings“ … Herr Hiltmann, erzählen Sie doch mal.
HDH: Vielleicht darf ich ganz kurz? Als dieses Projekt aufgesetzt wurde, 2009, hatte es schon eine enorme Entwicklung im Projekt gegeben, teils haben wir uns ganz neu ausgerichtet. Denn eigentlich sollte dieses Projekt die Stiftung Preußischer Kulturbesitz betreiben. Jetzt gibt es die Stiftung Humboldt Forum im Berliner Schloss, die das nicht nur technisch betreibt, sondern eben auch kulturell. Das ist schon mal ein Punkt, der während des Planens Relevanz hatte! So haben wir unseren Vermittlungsstrang mit der von uns sogenannten „Akademie“ eingefügt. Die dafür benötigen Werkräume haben eine Bibliothek der SPK verdrängt. Auch haben wir neue Konzepte eingefügt wie zum Beispiel eine Kinder- und Familienspur in der Ausstellung, für deren Implementierung Vitrinen aus den Plänen gestrichen wurden. Es hat also in der Zeit der Bauphase starke Eingriffe gegeben, das Haus inhaltlich neu aufzustellen für die neuen Konzepte, so dass wir am Ende ein lebendiges Kulturhaus bekommen, in dem vier Akteure gleichberechtigt ihr Programm anbieten.
Ganz kurz: Sind Sie auch Eigentümer?
HDH: Wir sind Eigentümer.
HSH: Eigentümer und Betreiber. Wir sind, Herr Hegner sagte es gerade, vier Akteure: Einmal die Staatlichen Museen zu Berlin mit dem Ethnologischen Museum und dem Museum für Asiatische Kunst, die hier mit ihren Dauerausstellungen im Humboldt Forum präsent sind. Dann die Humboldt Universität mit dem Humboldt Lab. Dann das Berliner Stadtmuseum mit seiner Dauerausstellung „Berlin Global“. Und wir, die Stiftung Humboldt Forum als Eigentümerin und Betreiberin des Gebäudes, aber eben auch als programmatische und kuratorische Betreiberin. Wir machen Sonder- und Wechselausstellungen in enger Zusammenarbeit mit unseren Akteuren und wir gestalten hier ein ganzjährig laufendes Programm in den unterschiedlichsten Kultursparten wie Tanz, Theater, Performance und anderen Disziplinen.
Das Humboldt Forum ist ein vielstimmiges Haus mit unterschiedlichen Akteuren. Die unterschiedlichen Perspektiven und Expertisen sehe ich als Stärke, da sie echte Interdisziplinarität bedeuten kann. Das ist einerseits eine Herausforderung, andererseits eine riesige Chance, diese unterschiedlichen Expertisen unter der Grundidee des Humboldt Forums zusammenzuführen. Und zu dieser Vielstimmigkeit gehören definitiv auch die internationalen Partner. Denn auch das ist in den letzten Jahren klar geworden: Die Inhalte, die in den Sammlungsbeständen angelegt sind, sollten wir mit Expertinnen und Kulturakteuren behandeln, die selber in einem lebensweltlichen, kulturellen oder biografischen Bezug zu diesen Inhalten stehen. Nach diesem Grundkonzept arbeiten wir hier.
Nun wird in letzter Zeit häufiger behauptet, dass das Mitdenken fremder Kulturzusammenhänge das Arbeiten zur Kulturpräsentation erschwere, ja vielleicht unmöglich mache.
HSH: Dem kann ich nicht zustimmen. Gerade die lebensweltlichen, kulturellen Bezüge bringen eben Erkenntnisse, die überraschen können und die auch für unsere Besucher einen absoluten Mehrwert bedeuten. Und letztendlich geht es dabei auch um die Frage, wie wir mit der Welt in Verbindung treten wollen. Das ist das Eine. Was aber nochmal das Besondere hier bei uns ist, dass unser Programm die Möglichkeit hat, Inhalte programmatisch neu zu kontextualisieren und für ein breites Publikum lebendig werden zu lassen – mit Bezügen zu aktuellen Fragestellungen der Gegenwart. Wir wissen nach zwei Jahren Betrieb, dass ein Großteil der Besucherinnen vor allem wegen des Programms ins Humboldt Forum kommt.
Nichts Ungewöhnliches, denke ich, dass alles, was eine auf den Tag zugeschnittene Programmatik hat, der Publikumsmagnet ist und nicht die Vitrinen.
HSH: Ja, wobei ich glaube, dass es eine Besonderheit ist, dass wir hier im Haus mit den Museen, die Humboldt Universität als Forschungseinrichtung haben und dass wir hier mit der Stiftung Humboldt Forum ein interdisziplinäres Zusammenspiel gewährleisten, das in dieser Form weltweit nicht häufig anzutreffen ist.
Das Humboldt Forum unter barockem Tarnmantel als internationaler Impulsgeber für die Kulturvermittlung?
HSH: Die finale Eröffnung des Humboldt Forums haben wir mit ca. 100 internationalen Partnern vorgenommen, schon weil uns klar ist, dass wir die Inhalte nur mit diesen Partnern zusammen adäquat bespielen können. Wir hatten eine große Eröffnungskonferenz, auf der wir gemeinsam über die konzeptionelle und programmatische Zukunft des Humboldt Forums gesprochen haben. Da haben unsere Partner deutliche Erwartungen zur Zukunft des Humboldt Forums und seiner Ausrichtung formuliert und was sie von uns erwarten.
Wir müssen zum Schluss kommen. Was schätzen Sie beide an der historischen Figur Alexander von Humboldts? Und glauben Sie, dass er dieses Haus als ein öffentliches Forum verstehen würde?
HSH: Er würde sich aufgehoben fühlen, weil er hier in persona auf die unterschiedlichen internationalen Partner aus den unterschiedlichsten Regionen der Welt treffen könnte.
Humboldt stand mit Menschen in Kontakt, er ist ja nicht alleine herumgereist. Der Fokus auf den Menschen ist ein zentrales Grundprinzip unserer Programmarbeit. Ich habe die Hoffnung, dass
internationale Perspektiven hier nicht nur abgebildet werden, sondern integraler Bestandteil unserer Institutionen und unseres Selbstverständnisses werden. Weil wir nur so tatsächlich eine fortlaufende Zusammenarbeit mit Partnern hier im Hause sicherstellen können, die keine temporäre Zusammenarbeit ist, sondern eine dauerhafte. Ich glaube, Alexander von Humboldt wäre nicht nur angetan von den unterschiedlichen Projekten und von den Programmen, er wäre aktiver Mitgestalter. Ein Beispiel: Wir haben seit diesem Jahr einen Raum, der von unseren internationalen Partnern selbst gestaltet wird, wo sie als persönlich identifizierbare Stimmen sichtbar werden können.
Ein Risiko, das Sie eingehen?
HSH: Richtig. Aber sagen Sie mir, wie sonst?! „Participation is risky“, aber nur so ist echte Teilhabe möglich – und die brauchen wir.
HDH: Ich glaube, Alexander von Humboldt wäre sehr erfreut über unser Herangehen, das dem seinen sehr verwandt ist. Unvoreingenommen zu sein gegenüber den anderen Kulturen und Menschen, in Kontakt zu treten, von ihnen zu lernen, ihre Eigenarten zu analysieren, weg von eurozentrischen Blickrichtungen. Das ist das Eine. Und dann habe ich Alexander von Humboldt als großen Kommunikator gesehen, weshalb es mir wichtig war, unsere Kulturvermittlung aufzubauen, dafür Räume zu schaffen. Für Kinder etwas zu schaffen, dass die sich hier wohlfühlen. Wir müssen als Gesellschaft Wissen weitergeben, das war Alexander von Humboldt auch wichtig, und deshalb, glaube ich, wäre er mit unserer Arbeit wohl ganz zufrieden.
HSH: Noch einmal zur Architektur des Forums: Die inhaltliche Arbeit in diesem Haus wird sich meines Erachtens darauf auswirken, wie dieser Ort in Zukunft gelesen wird. Darum brauchen wir diese Spannungen, die wir aushalten und transformieren. Denn Spannungen und Widersprüche können Impulse geben, produktiv wirken. Und wir müssen anerkennen, dass die Architektur und insbesondere die Fassade eben nicht neutral sind und ihnen Bedeutung zugeschrieben wird. Damit sollten wir kritisch und geschichtsbewusst umgehen. In diesem Sinne begrüße ich jede Debatte dazu und ich finde, wir sollten in Zukunft einen offeneren Umgang entwickeln, was die Teilrekonstruktion angeht.
Da bleibt mir, Ihnen beiden zu wünschen, dass Sie aus dieser schönen sowie immer noch falschen Hülle mit Ihrer engagierten Arbeit auch nach draußen dringen.
HDH: Also dieser Ort wird natürlich auch ein Ort bleiben, zu dem die Besucher kommen und einen Tisch nahe am Herkules bestellen, um einfach diesen Barock zu genießen. Aber es kommen viele auch hierher, um einen Blick in die ganze Welt zu nehmen und dazu zu lernen. Beides bieten wir.
Mit Hans-Dieter Hegner, Vorstand Technik Stiftung Humboldt Forum, und Han Song Hiltmann, Abteilungsleiter Programm Stiftung Humboldt Forum, unterhielt sich DBZ-Redakteur Benedikt Kraft am 7. November im Humboldt Forum Berlin.