Radikal mit Bestand

Thoravej 29, Kopenhagen/DK

Ein ehemaliges Lagerzentrum wurde im nördlichen Kopenhagen in seine Einzelteile zerlegt und neu konfiguriert. Somit wurden auch die unverwertbaren Bauteile zu wertvollen Ressourcen und ihre Inszenierung zu einer ästhetischen ­Geste. Mit ihrem radikalen Ansatz zeigen pihlmann architects erneut, dass architektonische Qualitäten im Bestand nicht nur historischen Gebäuden zuzuschreiben sind. In Thoravej 29 wird das Nebeneinander von Alt und Neu nicht zum Widerspruch, sondern zur Selbstverständlichkeit.

Der Kopenhagener Stadtteil Nordvest, unweit vom hippen Nørrebro-Viertel, ist für die dänische Hauptstadt erfrischend unaufgeräumt: Industrie- und Wohnbauten aus den 1960er-Jahren reihen sich an niedrige, manchmal eingeschossige Häuser aus dem späten 20. Jahrhundert. An manchen Ecken sind stattliche Mehrfamilienhäuser zu entdecken und an anderen gepflegte Neubauten der letzten Jahre. Allgemein bleibt die Bebauung hier heterogen und lückenhaft. In diesem ehemals stark gewerblichen urbanen Kontext wurde im Januar 2025 der „community hub“ Thoravej 29 in der gleichnamigen Straße eröffnet. Seine gelbe Fassade aus Mauerwerk leuchtet auch bei bedecktem Himmel und kontrastiert die sonst eher rötlichen Ziegel der Nachbargebäude.

Der Bestand

Das viergeschossige Gebäude in Skelettbauweise und gelben Vormauerziegeln wurde im Jahr 1967 fertiggestellt. Seine ca. 6 200 m2 großen Räumlichkeiten haben schon viele Nutzerinnen empfangen. Gebaut als Lager- und Logistikzentrum für eine Pelz-Manufaktur wurde es bereits als Sitz einer Gewerkschaft und zuletzt als Zentrum für Menschen mit Behinderung genutzt. Weitere Zwischennutzungen, wie Tanz- und Kunststudios, haben ebenfalls ihre Spuren hinterlassen.

Heute gehört das Gebäude der Bikuben Stiftung, die landesweit soziale und kulturelle Projekte fördert und auch den Umbau von Thoravej 29 initiiert und finanziell unterstützt hat. Den von ihnen ausgelobten Wettbewerb für eine Umnutzung zum Gemeinschaftszentrum hat 2021 das Kopenhagener Büro pihlmann architects gewonnen. Ihr Ansatz war einfach: Es sollte so viel wie möglich erhalten bleiben und wiederverwendet und gleichzeitig so viel Fläche für unterschiedliche Nutzungen wie möglich erzeugt werden. Die dadurch entstandene Patchwork-Ästhetik sei diesem Ansatz inhärent, denn „jedes Bauteil, das sonst ohne Nachdenken entsorgt wird, war für uns wertvoll und wurde entweder an seiner ursprünglichen Stelle gelassen oder an anderer eingesetzt“, so die Projektarchitektin Isabella Priddle. Das Erdgeschoss des Bestandsgebäudes differenziert sich auch in seiner ursprünglichen Form von den Obergeschossen: Die größere Grundfläche schmiegt sich an die benachbarten Gebäude und wurde in seiner Raumverteilung den jeweiligen Nutzungen angepasst. Die drei Obergeschosse mit identischem freien Grundriss dienten der Lagerung, während das Untergeschoss als Parkplatz genutzt wurde. Zwei Treppenhäuser rechts und links mit angrenzendem Sanitärkern erschlossen das Gebäude. Die über die gesamte Länge des Gebäudes angebrachten Bandfenster untermauerten die Funktionalität des Gebäudes.

Alt neben Neu

Thoravej 29 ist jedoch alles andere als nur ein „Patchwork“ alter und neuer Eingriffe. Die sorgfältige Herangehensweise, der eine Katalogisierung jedes Bauteils vorausging, wurde hier zum Gestaltungstreiber und sorgte oftmals für unerwartete bauliche Momente.

Im Wettbewerbsentwurf von pihlmann architects für Thoravej 29 waren bereits die größten Eingriffe geplant: die vertikale Öffnung des Gebäudes durch das Herausschneiden der Decke, die Erweiterung der Südfassade und die Öffnung des Erdgeschosses zur Straße hin. „Die weiteren Eingriffe waren zwar auch größtenteils geplant, ihre Umsetzung jedoch teilweise unklar, da wir oftmals nicht genau wussten, was wir vom Bestand behalten konnten und was entfernt werden musste bzw. welche unerwarteten Bauteile wir noch antreffen würden“, erzählt Isabella Priddle. Dafür haben pihlmann architects die rückgebauten Bauteile – dazu gehörten Leuchten, Bodenbeläge, Türen, Fenster, Abhang­decken, Türen, GK-Wände, Möbel, Sanitäreinrichtungen, usw. – erst im Erdgeschoss, später im Untergeschoss gelagert und sorgfältig katalogisiert. Diesem Materialdepot wurden dann über die Bauzeit hinweg diejenigen Elemente entnommen, die für den Ausbau der neuen Nutzung gebraucht wurden. Der Prozess des Rückbaus einzelner Elemente oder der Pflege jener, die bleiben konnten, ist im gesamten Gebäude durch gezielte Maßnahmen ablesbar: So behalten die alten Fliesen in den Sanitärkernen einen schmaleren Fugenmörtel als die neu angebrachten. Ebenfalls wurden die alten Türen in ihrem tiefen Violett belassen, während die neuen Türblätter aus geschreddertem Holz (teils Holz aus dem Rückbau, teils aus anderen Quellen stammend) und mit einfacher Kiefer­zarge realisiert wurden.

„Wir wollten die Schichten des Gebäudes nicht verstecken oder ihre Herkunft verheimlichen. So haben wir – außer im Ausstellungsraum, wo sie weiß gestrichen wurden – alle Wände in ihrem rohen Zustand gelassen. Dort, wo wir neue Wände ziehen musste, haben wir Gipskartonplatten genutzt, diese aber nicht verputzt und selbst die Schrauben sichtbar gelassen.“ Priddle erzählt weiter, dass letztere Maßnahme bei einem kurz nach Einzug vorgefallenen Rohrbruch das Ersetzen der beschädigten Bauteile deutlich vereinfacht hätte. „Der beste Beweis dafür, dass das die richtige Entscheidung war!“, so die Architektin.

Die Abdrücke alter Raumteilungen haben die Architektinnen von pihlmann architects bewusst sichtbar gelassen: kontrastvolle Fliesenübergänge oder Abdrücke entfernter Wände lassen den ehemaligen Grundriss erahnen. So findet man die für Toiletten genutzten Fliesen im großen Veranstaltungsraum oder schräge Wandabdrücke aus neuen Wänden austreten.

Aufgeklappte Fassade

Ein besonders anschaulicher Eingriff ist das „Aufklappen“ des Mauerwerks an der Fassade. An der straßenseitigen Nordfassade wurde das für die Öffnung des Erdgeschosses entfernte

Mauerwerk als Bodenbelag genutzt, sodass es scheint, als würde das Gebäude in die Straße „hineinschmelzen“. An der Südfassade wurden die Obergeschosse um ca. 1,5 m erweitert, um dem Lüftungssystem Platz zu machen, den Bewegungsraum um die neuen Treppen zu gewährleisten und um den notwendigen Sonnenschutz zu bieten. Auch hier wurden die gelben Ziegelsteine punktuell entfernt und in die Horizontale verlegt. Teilweise haben die Architektinnen jedoch die ehemalige Außenwand stehengelassen: So bleibt der Gang optisch getrennt vom restlichen Innenraum. Vom ersten Obergeschoss hat man Zugang zur umgestalteten Dachterrasse, die mit Douglasie aus Wäldern im Besitz der Bikuben Stiftung gedeckt wurde. Die Aluminiumprofile der ergänzten Pfosten-Riegel-Fassade wurden, um Material zu sparen und „um zu zeigen, wie sie gemacht sind“, so Isabella Priddle, ohne Deckelleisten angebracht.

Neue Treppe, alte Decke

Die größte konstruktive Herausforderung lag in der Entscheidung, die Haupterschließung in die Mitte des Gebäudes zu legen, die Geschosse vertikal aufzubrechen und visuell zu verbinden. Dafür haben pihlmann architects die Betondecke aus Doppel-T-Trägern an mehreren Stellen ausgespart und die herausgeschnittenen Teile als Auflager geneigt und für die neuen Treppen umstrukturiert. „Was einfach klingt, war tatsächlich ein enormer Aufwand“, erläutert Søren Pihlmann, Gründer von pihlmann architects. „Etwas für eine Funktion umzunutzen, wofür es als Bauteil nicht geschaffen wurde, ist schwerer als anfänglich gedacht.“ Zwar hätten die Ingenieurinnen zu Beginn diesen Eingriff als machbar eingeschätzt, doch letztendlich hätten die Träger ihre neue Kräfteverteilung nicht bestanden. Lösungsvorschläge, wie eine Stahlkonstruktion als Unterstützung zu bauen, hätten neue Fundamente benötigt. „Das wäre ein zu großer Ressourcen-Aufwand gewesen und hätte für uns als Planende keinen Sinn gemacht“, so der Architekt. Die Lösung kam letztendlich durch die Zusammenarbeit mit dem Unternehmen, das zu Bauzeiten des Gebäudes in den 1960er-Jahren die Doppel-T-Träger hergestellt hatte. „Glück­licherweise besaßen sie noch die ursprünglichen Pläne der Bauteile. Gemeinsam haben wir dann spezielle Stahlhalterungen entwickelt, sodass wir unsere Vision umsetzen konnten“, erzählt Pihlmann. Die Träger wurden noch vor dem Schneiden mit entsprechenden Befestigungen durchbohrt, sodass die Betonbewehrung ihre Spannung beim Abschneiden nicht verlieren und die Bauteile auch nach der Umnutzung noch ihre statischen Eigenschaften behalten würden.

Die tonnenschweren Doppel-T-Träger, die nicht für die Erschließung verwendet wurden, wurden zu Möbeln. Dabei haben die Planerinnen mit Blick auf die Statik des Gebäudes darauf geachtet, dass die zu Tischen und Bänken umgenutzten Träger geschossweise etwas an ihrer Masse verlieren: Wo im Erdgeschoss noch zwei ganze Doppel-T-Träger übereinander zur Bar umfunktioniert wurden, bleiben im obersten Geschoss nur Teile von ihnen übrig und die Tischplatten wurden durch andere recyclte Materialien ergänzt.

Programm und Paradigma

Das Gebäude selbst ist programmatisch so strukturiert, dass sich die öffentlichen Bereiche nach oben hin verringern und im obersten Geschoss der Zugang nur noch denjenigen erlaubt ist, die dort ihren Arbeitsplatz haben. Das Erdgeschoss bleibt dabei die Visitenkarte von Thoravej 29: Hier können Besucherinnen und Nutzerinnen die Ausstellungen besichtigen, Veranstaltungen im Auditorium besuchen, im Café entspannen sowie den Trubel kreativer Menschen wahrnehmen. Vor allem aber können sie, mehr oder weniger bewusst, die Transformation des Gebäudes betrachten. „Es geht bei diesem Projekt vor allem darum, die Menschen dafür zu sensibilisieren, was Material und Bestand eigentlich wert ist.“ Priddle merkt an, dass das Gebäude, nicht zuletzt durch die Aufmerksam, die es zurzeit bekäme, das Potential hat, auch weniger experimentierfreudige Bauherrinnen für diese Art des Umbaus zu begeistern und sie dem Abriss und Neubau zu bevorzugen. Denn, das sei nicht zu leugnen, die Zusammenarbeit mit der Bikuben Stiftung und ihre Bereitschaft, die Risiken einzugehen und die besondere Ästhetik anzunehmen, habe eine große Rolle gespielt. Wo sich also andere schneller auf Kompromisse einlassen, zeigt Thoravej 29, dass Transformation die Lebensspanne eines – auch unaufgeregten Gebäudes – deutlich verlängern kann und dabei sichtbar Material und Energie spart. Auch wenn der Ansatz von pihlmann architects in seiner Radikalität nicht sofort und nicht überall so anwendbar ist, wäre der Baubranche schon sehr geholfen, wenn nur Teile übernommen würden. Dafür muss der Wert des Bestehenden vor allem in der Menge an Ressourcen, die es bis ins Detail zur Verfügung stellt, gemessen werden. Es braucht „nur“ einen Paradigmenwechsel.

Amina Ghisu/DBZ

Die Transformation eines ehemaligen Industriegebäudes ist ein radikales Projekt in Bezug auf Re-Use und Recycling von Materialien.«
DBZ-Heftpartner gmp Architekten, Berlin

Projektdaten

Objekt: Thoravej 29

Standort: Nordvest, Kopenhagen/DK

Typologie: Gemeinschaftliches Kulturzentrum

Bauherrin: Bikuben Stiftung

Nutzerin: Bikuben Stiftung, Art Hub Copenhagen,

The Thoravej 29 Community

Architektur: pihlmann architects, Kopenhagen/DK

www.pihlmann.dk

Projektteam: Anna Wisborg, Carsten Buur Udbye, Isabella Priddle, Jakob Rabe Petersen, Mathilde Labajewska Madsen, Selin Kocaerol, Stine Müller, Søren Pihlmann

Generalunternehmer: Hoffmann A/S, Kopenhagen/DK

www.hoffmann.dk

Rückbau: Søndergaard A/, Kopenhagen/DK, www.soendergaard.dk

Bauzeit: 02.2023 – 01.2025

Bruttogeschossfläche: 6 224 m²

Brutto-Grundfläche: 1 715 m²

Baukosten gesamt: 16 Mio. €

Fachplanung

Tragwerksplanung: ABC Consulting Engineers A/S,

Kopenhagen/DK, www.abc.dk

TGA-Planung: Cowi A/S, www.cowi.com

Elektroinstallation: Cowi A/S

Innenarchitektur: pihlmann architects (Möbel aus wiederwendetem Material), Archival Studies, Christian+Jade, Anna Søgaard, Anne Skaarup (neue Möbel)

Energieplanung und -beratung: Cowi A/S

Hersteller (Auswahl)

Fassade: HUECK by Hydro, www.hueck.com

Türen: Hörmann, www.hoermann.com, Swedoor, www.swedoor.dk

Dämmung: Rockfon, www.rockfon.de

Leuchten: Fischer Lighting ApS, www.fischer-lighting.com

Sanitäreinrichtungen: Duravit, www.duravit.com; Ideal Standard, www.idealstandard.dk

Aufzüge: Kone, www.kone.com

Vorhänge: Kvadrat, www.kvadrat.dk; Fischer Danmark A/S,

www.fischergardiner.dk

Mobile Wände: Habila A/S, www.habila.dk

Fliesen: Evers, Tiles: Evers,  www.evers.dk

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