Verwoben mit der Stadt

Spore Initiative und Publix, Berlin

In Berlin Neukölln ist kürzlich ein Gebäudekomplex entstanden, der mit seiner Struktur das Narbengewebe gesellschaftlicher Bruchkanten zusammenfügen will: Die Spore Initiative richtet sich an die Nachbarschaft, das Haus Publix an die weite Welt. AFF Architekten aus Berlin haben hier im Sinne der Schöpflin Stiftung versucht, deren philanthropischen Anspruch eine architektonische Form zu geben.

Spore Initiative und Publix, Berlin
Foto: Tjark Spille

Spore Initiative und Publix, Berlin
Foto: Tjark Spille

Immer dort, wo große Wege sich kreuzen, betreten wir einen Transitraum, der neue Möglichkeiten eröffnet: Geht es nach rechts, links oder einfach geradeaus? Auch ein Zurück ist möglich. Oder – wie im Fall der Hermannstraße und der Einflugschneise des ehemaligen Flughafens Tempelhof in Berlin – auch ein Drüberhinweg.

Allerdings wurde der Flugbetrieb auf dem zentralsten und his­torisch bedeutsamsten Flughafen der Stadt bereits im Jahr 2008 eingestellt. Was bis heute jedoch erhalten geblieben ist, ist der mächtige Gebäudekomplex an der Nord-West-Spitze des Areals und – trotz immer wiederkehrender Begehrlichkeiten der Politik, die Stadtviertelgroße, innerstädtische Freifläche für den Wohnungsbau zu nutzen – das 355 ha große Flugfeld mit seinen beiden Startbahnen. Dazu haben sich in den vergangenen 16 Jahren aber auch Kioske und Cafés, Gemeinschaftsgärten, Hundeausläufe, Basketballfelder, Skateparks und vieles mehr gesellt. Denn die Bürgerinnen und Bürger der Stadt setzen sich seit der Schließung für den Erhalt des Flugfelds als öffentlichen Park ein. Bislang erfolgreich. Auch wenn der Senat aktuell einen Wettbewerb für die Randbebauung des Areals ausgeschrieben hat.

Städtebauliche Klammer: Das historische Friedhofstor bildet den Mittelpunkt und den Durchlass zwischen der Spore Initiative und Publix. Vor- und hinter den Gebäuden befinden sich Sitzgelegenheiten aus „Conrete Butter“
Foto: Tjark Spille

Städtebauliche Klammer: Das historische Friedhofstor bildet den Mittelpunkt und den Durchlass zwischen der Spore Initiative und Publix. Vor- und hinter den Gebäuden befinden sich Sitzgelegenheiten aus „Conrete Butter“
Foto: Tjark Spille

Im Dialog mit Friedhof, Flugfeld und Magistrale

Und dennoch: Diese Art der Graswurzelbewegung ist selbst für Berlin außergewöhnlich. Zumal sie im bürgerlichen Tempelhof beheimatet ist, dass hier an den Szene- und Problembezirk Neukölln grenzt. Für die Schöpflin Stiftung schien gerade diese städtebauliche und gesellschaftliche Gemengelage der ideale Standort für ihr neuestes Projekt: Ein Haus, dass der Vermittlung biokultureller Vielfalt gewidmet ist – derzeit mit einem Schwerpunkt auf Lateinamerika, dessen Wissen um Naturphänomene, Bodenkultivierung und Pflanzenanbau hier vermittelt werden soll. Sowie ein weiteres Gebäude, in dem unabhängige, investigativ arbeitende Journalistinnen und Journalisten eine Heimat finden und sich vernetzen können. Zwei sehr unterschiedliche Nutzungen, die im Stadtraum jedoch ein harmonisches Ensemble bilden sollten.

Die alte Friedhofsmauer wurde als Intarsie in die
Fassade der Spore Initiative integriert. Die historischen Lichtmasten des Flughafens bereichern den Ort des Ensembles
Foto: Tjark Spille

Die alte Friedhofsmauer wurde als Intarsie in die
Fassade der Spore Initiative integriert. Die historischen Lichtmasten des Flughafens bereichern den Ort des Ensembles
Foto: Tjark Spille

„Den Ort hat die Schöpflin Stiftung bereits selbst gefunden, bevor sie uns und andere Büros zu einem Wettbewerb eingeladen haben“, sagt Ulrike Dix, Partnerin im Büro AFF Architekten, das den Wettbewerb für sich entschied. „Wir fanden es jedoch von Beginn an spannend, den Grünraum des rückwärtigen ehemaligen Friedhofs, das belebte Umfeld der Hermannstraße und die denkmalgeschützten Lichtmasten der Einflugschneise baulich miteinander zu verbinden.“ Die Schöpflin Stiftung, 2001 von den Versandhauserben Heidi, Hans und Axel Schöpflin gegründet, hat eine philanthropische Ausrichtung. Entsprechend sollte das Ensemble den Menschen und seine Bedürfnisse in den Mittelpunkt stellen. Vernetzung, Transparenz und Zugänglichkeit waren Stichworte für die städtebauliche Aufgabe. In Material und Ausführung nachhaltig, warm und menschlich. Zunächst sei nur ein Entwurf für die Spore Initiative gefragt gewesen, das Haus Publix für Journalisten sollte lediglich in Kubatur und Ausrichtung mitgedacht werden. „In Austausch mit der Bauherrenschaft zeigte sich aber sehr bald, dass wir ähnliche Ansätze vertreten, so dass wir beide Gebäude zusammen entwickeln durften und ein spannungsvolles Ensemble schaffen konnten“, sagt Dix. Das Gebäude der Spore Initiative wurde 2023 fertiggestellt, das Haus Publix in diesem Jahr. „Auch wenn es sich um ein Neubauprojekt handelt, hat es sich im Prozess wie Bauen im Bestand angefühlt, da wir intensiv mit den vorhandenen, städtebaulichen Setzungen geplant haben.“

Das Forum mit der Caféteria bildet
den öffentlich zugänglichen Bereich im Publix Gebäude
Foto: Tjark Spille

Das Forum mit der Caféteria bildet
den öffentlich zugänglichen Bereich im Publix Gebäude
Foto: Tjark Spille

Auflockerung des Blockrands

Während das Haus Publix den Schulterschluss zur benachbarten Blockrandbebauung übt, schließt die Spore an die historische Friedhofsmauer an, die als Intarsie Teile der Fassade schmückt. Durch Vor- und Rücksprünge im Baukörper bildet das Ensemble einen Vorplatz. Zwischen den Gebäuden ist das historische, klassizistische Sandsteintor des ehemaligen Friedhofs die gestalterische Klammer für die ähnlichen, aber eben nicht gleichen Gebäude: Während sich die Fassade der Spore-Initiative in drei Zonen aufgliedert – roter, rauspund-geschalter Beton im EG, darüber geretteter Ziegelstein und an der Spitze neuer Klinker – zieht sich die rötliche Betonoptik beim Publix vom Erdgeschoss bis in die oberste Etage. Große, schwarz gerahmte Panoramafenster gliedern die monolithisch anmutenden Baukörper hier wie dort und erlauben vor allem im Gebäude der Spore Initiative tiefe Ein- und Ausblicke. Im Ergebnis lockert das Ensemble so die strenge Blockrandbebauung der Hermannstraße auf und ermuntert die Passanten, sich dem Gebäude zu nähern und es rundherum zu erkunden.

Die handwerklich gefertigte Treppe dient den Journalistinnen als Sitzgelegenheit bei Veranstaltungen und Versammlungen
Foto: Tjark Spille

Die handwerklich gefertigte Treppe dient den Journalistinnen als Sitzgelegenheit bei Veranstaltungen und Versammlungen
Foto: Tjark Spille

„Gewünscht war die Spore als multikultureller Ort, der die Nachbarschaft anspricht und einlädt, am vielfältigen Programm teilzunehmen“, erklärt Ulrike Dix. „Das spiegelt sich auch im Raumprogramm wider.“ Öffentlich zugänglich sind Teile des UG, das mit einem Lichtschacht beleuchtet wird, das EG und das 1. OG. Unter der Woche nutzen diese Räume vor allem Schulklassen für Workshops und Veranstaltungen unterschiedlichster Art – am Wochenende sind sie auch für Berlinerinnen und Berliner, die das Schulalter bereits hinter sich gelassen haben, geöffnet. In den beiden darüberliegenden Geschossen ist die Verwaltung der Stiftung angesiedelt, die aus einem vielfältigen Nutzungsprogramm aus Büroflächen, Besprechungs- und Seminarräumen wählen kann. Zudem finden sich hier Künstlerapartments, die nach dem Artist-in-Resident-Prinzip vergeben werden. Die Bibliothek im 2. Obergeschoss dient sowohl zur internen Nutzung als auch für öffentliche Workshops. Die großzügige Dachterrasse ist über das 2. OG und eine Außentreppe erschlossen und kann bei Bedarf dem öffentlichen Veranstaltungsraum der unteren Geschosse zugeschaltet werden.

Die Stahlbetonrippendecke in der Spore Initiative wurde in einem aufwendigen parametrischen ­Simulationsprozess entwickelt
Foto: Tjark Spille

Die Stahlbetonrippendecke in der Spore Initiative wurde in einem aufwendigen parametrischen ­Simulationsprozess entwickelt
Foto: Tjark Spille

Öffentlichkeit und Verantwortung

„Die Anforderungen für das Journalistengebäude Publix waren gänzlich andere“, sagt Sven Fröhlich, Gründungspartner von AFF. „Aber genau so vielfältig.“ Co-working-, Büro-, Veranstaltungsflächen gehören ebenso dazu wie Studioinfrastruktur und wohnlich eingerichtete Arbeitsateliers mit eigener Badbox und Gemeinschaftsküche im obersten Geschoss. Die Veranstaltungsflächen, Meetingräume sowie Studios im Haus stehen auch Externen zur Buchung zur Verfügung und richten sich an Journalisten, Gründerinnen und gemeinnützige Initiativen. Mit regelmäßigen Veranstaltungsformaten, etwa zu Polarisierung und Desinformation, richtet sich die Institution auch an die breite Öffentlichkeit. „Das Management der öffentlichen und der geschützten Räume im Haus war für uns die eigentlich anspruchsvolle Aufgabe bei diesem Projekt, da zum Beispiel journalistische Vereinigungen wie das Correctiv ein erhöhtes Sicherheits- und Diskretionsbedürfnis haben“, erzählt Sven Fröhlich. Die investigativ arbeitende, gemeinnützige Redak­tion mache sich bei ihren Recherchen nicht nur Freunde. Auf fünf Büroetagen bietet das Haus für Journalisten und Organisa­tionen flexibel nutzbare Arbeitsbereiche. Sogenannte Raummodule unterschiedlicher Größe ermöglichen kleinen wie großen Organisationen im Haus anzudocken. Den zugänglichen, öffentlichkeitswirksamen Teil des Gebäudes bildet in erster Linie das Forum im EG, welches durch ineinanderfließende Raumfunktionen – wie Empfang, Kantine, Box, Konferenzraum und Audio-Videostudios – bespielt wird. Es bietet Raum für Aktionen, spontane Aufnahmen und Settings und ist ein Ort für Kommunikation und Interaktion. Dank mobiler und faltbarer Wandelemente lässt sich das Forum in seiner Fläche verändern und flexibel bespielen. Eine handwerklich gefertigte Sitzstu­fentreppe aus massiven Douglasienholzbohlen markiert das Herzstück des Forums und dient gleichermaßen als Podium wie Tribüne.

Lageplan, M 1 : 6 000

Lageplan, M 1 : 6 000

Handwerkliche und digitale Strategien

„Die Idee des handwerklichen zieht sich ohnehin durch beide Projekte und ist oft eine Inspirationsquelle für neue Lösungsansätze“, sagt Sven Fröhlich. Ein Beispiel dafür seien etwa die „Concrete-Butter“ genannten Sitzgelegenheiten im rückwärtigen Grünraum. „Dabei handelt es sich um Betonreste aus Schläuchen und Mischern, welche die Handwerker in simplen Folienbehältnissen auffangen. Wir fanden die Strukturen, die sich daraus ergeben haben sehr interessant, und haben daher über eine Möglichkeit zur Wiederverwendung nachgedacht.“ Ähnlich handwerklich-pragmatisch war die Wiederverwendung der Schalungslatten vom Betonsockel der Fassade zum Bau eines Wetterschutzdaches auf der Terrasse der Spore Initiative. „Aber auch aktuelle Themen wie die Kreislaufwirtschaft – siehe die wiederverwerteten Backsteine an der Fassade, zahlreiche Sanitärobjekte oder die Pagholzstühle als Tribünen-Sitzschalen im Auditorium – oder das digitale Entwerfen kamen beim Bau des Ensembles zum Einsatz.“

Publix/Spore EG, M 1 : 750

Publix/Spore EG, M 1 : 750

Publix/Spore 3.OG, M 1 : 750

Publix/Spore 3.OG, M 1 : 750

Schönstes Beispiel für den Einsatz digitaler Planungstools ist die Decke im EG der Spore Initiative: Wie die Äderchen eines Mycels folgen die 15 cm breiten und 38 cm hohen Stahlbetonrippen den Kraftlinien der Lasten, die auf der Decke ruhen. So spannt die extrem materialoptimierte, lediglich 14 cm starke Sichtbetonrippendecke, stolze 12 m – das trägt viel zur offenen, transparenten Atmosphäre im Gebäude bei. „Die Form haben wir in einem anspruchsvollem parametrischen Simulationsprozess in Zusammenarbeit mit den Tragwerksingenieuren von Schnetzer Puskas entwickelt und sie ist nicht nur materialschonend, sondern auch Identitätsstiftend. Mit einer Spore pflanzen sich unter anderem Pilze fort, an die erinnert eben auch das Betongeflecht der Decke“, so Sven Fröhlich. Netzwerke, die Stabilität schaffen und verbinden sind das architektonische, gesellschaftliche und städtebauliche Leitmotiv des Ensembles. Und zwar ein sehr passendes, im brüchigen Transitraum der Gegenwart.

Publix/Spore Schnitt, M 1 : 750

Publix/Spore Schnitt, M 1 : 750

Jan Ahrenberg/DBZ

Die Neubauten von AFF in Berlin Neukölln überzeugen sowohl auf städtebaulicher als auch auf gestalterischer Ebene. Einerseits leiten die Architekten aus den vielfältigen innerstädtischen Randbedingungen eine selbstbewusste Figur ab, die den Ort interpretiert und bereichert. Zugleich erfrischen die Gebäude mit der Lust, Fundstücke und gebrauchte Baumaterialien wiederzuverwenden und beeindrucken durch die Qualität, mit der diese Elemente in eine übergeordnete gestalterische Ästhetik eingebunden werden.«
DBZ-Heftpartner Staab Architekten, Berlin

Projektdaten

Objekt: Spore Initiative/ Publix

Bauherr: Schöpflin Stiftung

Architektur: AFF Architekten Berlin

Nutzer: Spore Initiative/ Publix gGmbH

Fertigstellung Spore/Publix: 03/2023, 06/2024

Spore:

BGF: 4 116,57 m²

BRI: 16 674,56 m³

NUF: 2 233 m² (NUF 1-7)

Grundstücksgröße: ca. 1 556 m²

Jahresprimärenergiebedarf: 92,2 kWh/m²a

Publix:

BGF: 6 230 m²

BRI: 23 750 m3

NUF: 3 764   m² (NUF 1-7)

Grundstücksgröße: ca. 1 722 m²

GRZ: 0,75

GFZ: 2,93

Fachplanung:

Bauphysik: BBS Ingenieurbüro Weimar, www.bbs-international.com

Brandschutz: Peter Stanek

Landschaftsarchitektur: POLA Landschaftsarchitekten GmbH, www.pola-berlin.de

Lichtplanung Spore: LichtKunstLicht AG, www.lichtkunstlicht.com

Objektplanung: LP 1-5 und LP 6-8, künstlerische Oberleitung: AFF Architekten,

www.aff-architekten.com

Produktdesign: Auditorium,Sanitärbereiche, Sitzsteine - Ilja Oelschlägel, www.iljaoelschlaegel.com

Projektsteuerung: SMV Projektsteuerung Berlin, www.smv.com

TGA: Ingenieurgesellschaft W33 mbH,

www.w33-berlin.de

Tragwerksplanung: Schnetzer Puskas International, www.schnetzerpuskas.com

Bauleitung Spore + Publix: Sedeño Bauplanung,
www.sedeno-bauplanung.de

Innenarchitektur Büros Publix: studio karhard

www.karhard.de

Medienplanung Publix: Macom, www.macom.de

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