Richtig punkten

Lästige Pflicht oder Chance, die eigene Kompetenz zu stärken? Kammerpunkte geben gerade jungen Architektinnen und Architekten sowie Inge­nieuren und Ingenieurinnen oftmals Rätsel auf – auch, weil sie je nach Bundesland bzw. Kammer unterschiedlichen Anforderungen unterliegen. Gerade in Zeiten, da den Beschäftigten ein hohes Maß an Mobilität abverlangt wird, kann das zu Verwirrung führen. Der Versuch einer Klärung.

Freiberuflichkeit ist so eine Sache. Denn im Prinzip kann jeder beschließen, ab morgen Zauberer zu sein und über die Kleinkunstbühnen des Landes zu tingeln – ob er oder sie nun Tauben in Luft auflösen kann oder nicht. Im Falle eines Zauberers riskiert man dabei meist nur enttäuschte Kinderaugen. Im Falle einer Bauingenieurin aber, die ohne entsprechende Qualifikation zu Werke geht, sind im Zweifel Leib und Leben in Gefahr. Deshalb entwickelten sich schon in den 1920er-Jahren in Deutschland zunächst Berufsverbände wie der BDB Bund Deutscher Baumeister, Architekten und Ingenieure, die über die Qualität der Lehre und Berufsausübung wachten und im Zusammenspiel mit den Ländern, Bauschulen und Universitäten Maßgaben und Richtlinien entwickelten. Der erste geschützte „planende Beruf“ war ab dem Jahr 1931 der Baumeister. Ab den 1950-er bis in die 1970er-Jahren hinein erließen die Länder dann Architekten- und Ingenieurgesetze, denen die Gründung der Landeskammern folgte. Saarland macht im Jahr 1948 den Auftakt, Niedersachsen war das letzte westdeutsche Bundesland, in dem die Gründung einer Architektenkammer 1970 erfolgte. Nach der Wiedervereinigung folgten die ostdeutschen Bundesländer 1991 mit eigenen Kammern.

Aufgaben der Kammern

Ihr Auftrag: Der Schutz der Berufsbezeichnung und die Selbstverwaltung des Berufsstandes, die Sicherung der Qualität in Ausbildung und Berufsausübung, der Erlass von Berufsordnungen und Standesregeln, die Vertretung des Berufsstands gegenüber Politik, Verwaltung und Öffentlichkeit, die Mitwirkung an Gesetzgebungsverfahren im Bau- und Planungswesen, Öffentlichkeitsarbeit, die Beratung der Mitglieder in fachlichen und rechtlichen Fragen sowie die Schlichtung bei Streitigkeiten zwischen Architekt-/Ingenieurinnen und Bauherren oder zwischen Kammerangehörigen. Nicht zuletzt prüfen und überwachen sie auch die Aufnahme in die Kammerlisten: die Grundvoraussetzung dafür, dass sich jemand Architektin oder Architekt nennen darf. Und selbst um so weit zu kommen, muss man zunächst mindestens zwei Jahre Berufserfahrung in einem Architekturbüro sammeln – erst dann kann man den (kostenpflichtigen) Eintrag in das Kammerverzeichnis bean­tragen. Je nach Bundesland kommen noch ­Versicherungsnachweise, Uni-Abschlüsse, Führungszeugnis, Projektlisten etc. hinzu – und eben die Kammer- oder Fort- und Weiterbildungspunkte. Die sind aber auch für langjährige Kammermitglieder von Bedeutung. Denn die Mitgliedschaft setzt voraus, dass die Mitglieder ihrer Fortbildungspflicht nachkommen, die sie anhand dieser Punkte gegenüber der Kammer belegen.

Neue Spielregeln zur Vereinheitlichung

Bislang war die Lage unübersichtlich. Je nach Landesverband mussten die Mitglieder zwischen zehn Punkten in einem Jahr und 30 Punkten in zwei Jahren nachweisen. Kommende Genera­tionen dürfen jedoch aufatmen. Denn die Bundesarchitektenkammer (BAK) hat am 19. Feb­ruar 2025 eine neue Musterfortbildungsordnung verabschiedet. Sie soll in den kommenden zwei ­Jahren von den Landesverbänden übernommen werden und sieht folgende Punkte zur Harmonisierung der Fortbildungspflicht vor:

- Die jährliche Mindestanforderung an Fortbildungspunkte wurde auf 16 Punkte angehoben. Dabei entspricht ein Fortbildungspunkt einer Lerneinheit von 45 Minuten.

- Exkursionen, Kongresse und Tagungen können künftig vollumfänglich angerechnet werden. Die bisherige Unterscheidung zwischen Seminaren (volle Punktzahl) und Vorträgen (halbe Punktzahl) entfällt.

- Künftig soll die gesamte Fortbildungspflicht mit einer anerkennungsfähigen Exkursion erfüllt werden können (bisher limitiert).

- Auch Video-on-Demand-Angebote können anerkannt werden, sofern Interaktionsmöglichkeiten zwischen Referierenden und Teilnehmenden bestehen.

- Mitglieder, die als Professorinnen oder Professoren an Universitäten oder Fachhochschulen mit mindestens 50 % Lehrverpflichtung tätig sind, sind von der Fortbildungspflicht befreit.

Bereits angepasst haben ihre Fortbildungsordnung die Kammern der Länder Bremen, Schleswig-Holstein, Saarland, Rheinland-Pfalz und Brandenburg.

Generell gilt: Nur, wer in eine Kammer aufgenommen werden will, muss die Punkte aktiv nachweisen. Bei Mitgliedern werden die Nachweise nur stichpunktartig bei 10 % der Mitglieder erhoben. Sie haben allerdings eine Dokumentationspflicht und müssen der Kammer ihre Nachweise auf Verlangen vorlegen. Können sie das nicht, drohen Abmahnungen, Bußgelder oder sogar der Ausschluss aus der Kammer – auf die leichte Schulter nehmen sollte man seine Fortbildungspflicht daher nicht. Gleiches gilt in vielen Bundesländern auch für die Fortbildungspflichten in den Ingenieurgesetzen. Allerdings sind diese bislang nicht in gleicher Weise harmonisiert.

Es bringt also wenig, mit dieser Pflicht zu hadern. Besser, man arrangiert sich und macht das Beste draus. Denn ohnehin entwickeln sich Technologien, Normen und gesetzliche Rahmenbedingungen in der Architektur so schnell weiter, dass das Jahrzehnte zurückliegende Studium kaum mehr dazu befähigt, eine Klinik, Schule oder ein Mehrparteienhaus nach den aktuellen Regeln der Technik und Gesetzeslage zu planen. Wer dazu noch bei sich rasant entwickelnden Zukunftsthemen wie BIM, KI in der Architektur, Nachhaltigkeitsplanung und -zertifizierung auf dem Laufenden bleiben will, hat ohnehin fortlaufenden Schulungsbedarf – warum sich dann nicht gleich so informieren, dass die zuständige Kammer ihren Segen gibt?

Dabei können Architekten und Ingenieurinnen aus einer Vielzahl von Angeboten wählen: Die Landeskammern, aber auch Berufsverbände wie der BDB, bieten Seminare, Workshops, Fachvorträge, Konferenzen und zunehmend auch Onlineformate an, die ein breites Themenspektrum abbilden. Einen kleinen Vorteil haben die Fortbildungsprogramme der Berufsverbände ­gegenüber denen der Kammern: Die Verbände können ihr Portfolio oft schneller an aktuelle Branchenentwicklungen anpassen. Ein gutes Beispiel dafür ist der BDB Nordrhein-Westfalen, der als einer der ersten Anbieter von Fort- und Weiterbildungen für Architekten und Ingenieurinnen spezielle Schulungen für den Einsatz von Künstlicher Intelligenz, das neue GEG und andere Fälle angeboten hat. Der BDB Bundesverband reagiert ergänzend dazu auch auf langfristige Entwicklungen beim Planen und Bauen. So bietet er seinen Mitgliedern zu besonders günstigen Konditionen mit den fünf BDB Nachhaltigkeitsbausteinen eine Fortbildungsreihe zum klimagerechten Bauantragsverfahren der Zukunft an. Als 2023/24 das VgV-Vergabeverfahren europaweit neu geregelt wurde, half der Verband seinen Mitgliedern schnell und zuverlässig mit einer Online-Schulung weiter – Kammerpunkte inklusive. Denn viele Fortbildungsordnungen der Länder sehen vor, dass Fortbildungen von Berufsverbänden automatisch als „kammertauglich“ anerkannt sind.

Vorsicht bei kostenlosen Angeboten

Selbst einige Messen sind Kammerpunktefähig. Es lohnt sich in jedem Fall, sich vor Besuch einer Veranstaltung über eine mögliche Anrechenbarkeit zu informieren, auch, weil nicht jeder Veranstalter Nachweise vor Ort parat hat, sondern eventuell nur nach vorherigem Verlangen für die jeweilige Teilnehmerin ausdruckt.

Neben den üblichen Verdächtigen haben sich in den vergangenen Jahren zunehmend weitere Player am Fortbildungsmarkt etabliert, die eine Akkreditierung bei einigen oder allen Landeskammern erhalten haben. Hier lohnt es sich genau hinzuschauen, wer am Ende die Rechnung zahlt. Denn die zumeist kostenlosen oder sehr günstigen Angebote werden oftmals von der Industrie gesponsort. Was nicht zwingend bedeutet, dass diese Veranstaltungen weniger informativ sein müssen – allerdings rücken sie schon eher Inhalte in den Fokus, die den jeweiligen Partnern besonders am Herzen liegen. Wer auf Objektivität Wert legt, ist bei Kammern und Verbänden sicher besser aufgehoben. Zumal die Kos­ten mit ca. 50 bis 500 Euro (je nach Format und Dauer) meist im Rahmen bleiben. Da ohnehin Mitgliedsbeiträge für Kammer und evtl. Berufsverband anfallen, sollte man das für Mitglieder zumeist vergünstigte Fortbildungsangebot der klassischen Institutionen im Blick behalten. Zumal diese auch gerne mit Rat und Tat bei der Fortbildungsplanung unterstützen.

Kostenbeteiligung vorab klären

Konferenzen und Messen sind oft deutlich teurer, mehrere hundert Euro oder auch über 1 000 Euro sind nicht unüblich. Hier kann es sich lohnen, die Arbeitgeberin anzusprechen, ob sie sich an den Kosten beteiligt. Insbesondere bei Themen, von denen auch das Büro profitiert, sind manche Arbeitgeber dafür offen. Das gleiche gilt auch bei der Planung von Abwesenheiten, denn nicht in jedem Bundesland und bei jedem Thema sind Fortbildungen als Arbeitszeit anrechenbar. Je nützlicher sie jedoch für das Büro sind, desto kompromissbereiter zeigen sich Arbeitgeberinnen in der Regel.

Klassische Fortbildungsthemen sind Bau- und Planungsrecht, Normen und Regeln, Projektmanagement, Ausschreibungen und Vergabe oder auch der allgemeine Brandschutz. Gerade Berufseinsteiger tun gut daran, sich auch diesen vermeintlich langweiligen Brot-und-Butter-Themen zu widmen, die im Hochschulstudium oft zu kurz gekommen, für den Arbeitsalltag jedoch meist essenziell sind. Zugleich sollten sie jedoch nicht den Nutzen von Weiterbildungsmaßnahmen für die eigene Spezialisierung vergessen. Haben sie vor, länger in dem aktuellen Büro zu bleiben, kann auch dabei ein Gespräch mit dem oder der Vorgesetzten sinnvoll sein: Wo benö­­tigt das Büro noch Kompetenzen? Welche Zukunftsthemen bearbeitet das Büro? Und wo ergeben sich eventuell Schnittmengen mit den eigenen Interessen und der eigenen Karriereplanung? Eine aufwändigere, kostenintensivere Schulung, die mit einem Zertifikat oder Qualifizierung als BIM-Manager, Energieberaterin oder Brandschutzexperte abschließt, ist oftmals eine sinnvollere Investition als ein Zwei-Stunden Onlineseminar zur Farbwahl bei Fassadenelementen, um damit lediglich die Anforderungen der Kammer zu befriedigen. Solche Qualifizierungen benötigen jedoch auch meist mehr Vorplanung, weshalb man das Thema Kammerpunkte lieber nicht auf die lange Bank schieben sollte. Schlimmstenfalls drohen dann qualvolle last-minute-Sitzungen vor dem Laptop in einem jener kostenlosen Webinare, in denen für die Vorzüge bestimmter Fassadenmaterialien geworben wird.

Apropos Webinare: Wer sicher gehen will, dass die hier erworbenen Punkte auch anerkannt werden, sollte sich vorab bei der jeweiligen Kammer informieren. Denn ohne abschließende Prüfung oder zumindest einem aussagekräftigem Teilnahmenachweis akzeptieren längst nicht alle Kammern alle Angebote aller Anbieter. Der BDB kennzeichnet seine Fortbildungen dahingehend, das gilt für Architektenkammer und Ingenieurkammer gleichermaßen.

Was noch für Präsenzangebote spricht: Hier ergeben sich immer gute Gelegenheiten zum Netzwerken und zum Austausch mit Kolleginnen in ähnlicher beruflicher Position. Wer neu in der Branche ist, erfährt so ganz nebenbei viel über Trends und Themen am Arbeitsmarkt und in den Büros. Möglicherweise ergeben sich daraus auch Perspektiven, das neu erworbene Wissen in einer anderen Position oder in einem anderen Büro besser zur Anwendung zu bringen. Denn neben den Fortbildungen sind natürlich auch Positions- und Bürowechsel eine gute Gelegenheit, die eigene Karriereplanung und eine mögliche Selbständigkeit voranzutreiben.

Autor:
Martin Wittjen ist Hauptgeschäftsführer des BDB Bund Deutscher Baumeister,
Architekten und Ingenieure
Foto: BDB

Autor:
Martin Wittjen ist Hauptgeschäftsführer des BDB Bund Deutscher Baumeister,
Architekten und Ingenieure
Foto: BDB


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