Rapunzel Naturkost Besucherzentrum, Legau
Für den Bioproduzenten Rapunzel Naturkost haben haascookzemmrich STUDIO2050 aus Stuttgart ein Gebäude konzipiert, das gleichermaßen funktionales Besucherzentrum und Erlebnisraum ist. Das Gebäude übersetzt die Werte der Marke in Architektur: nachhaltige Materialien, regionale Baukultur und märchenhafte Bezüge. Die Unternehmensphilosophie des „Hand-in Hand“ zieht sich ihrerseits durch die Realisierung des Projekts: So, wie das Unternehmen mit Bioproduzentinnen weltweit direkt handelt, wurde auch das Gebäude mit lokalen Partnerinnen und Ressourcen realisiert.
Seit über fünfzig Jahren produziert die Marke Rapunzel Bioprodukte und ist mittlerweile einer der größten europäischen Produzenten in Sachen Bio und Fairtrade. Seine enge Kooperation mit Landwirtschaftsbetrieben – vorzüglich in Südamerika und Zentralafrika – sowie die Vermeidung von Drittanbieterinnen in den Lieferketten machen seine Pionierarbeit aus. Der kleine Ort Legau im Unterallgäu mit etwa 3 000 Einwohnerinnen, ca. 25 km von der Kreisstadt Kempten entfernt, ist seit 1985 Firmensitz. Joseph Wilhelm, Gründer des Unternehmens, brachte damals die Produktion in die Hallen eines ehemaligen Milchwerks und die Marke zum Erfolg. 2019 hat die Unternehmensspitze, mittlerweile durch Töchter und Sohn vertreten, das Stuttgarter Büro haascookzemmrich STUDIO2050 ausgewählt, ein Besucherzentrum für die Marke zu planen.
Das 2022 fertiggestellte, dreiflügelige Gebäude bettet sich durch das schwebend wirkende Dach in die Umgebung ein und „soll nicht nur sich selbst und Rapunzel dienen, sondern darüber hinaus auch den Ort bereichern“, so Martin Haas, Architekt und Gründer des Stuttgarter Büros. Es eröffnet somit nicht nur Erlebnisräume, sondern ist auch eine Auseinandersetzung mit einem Ökologiegedanken, der allseitig bis ins Dämmmaterial umgesetzt wurde.
Dem Firmennamen „Rapunzel“ wollten haascookzemmrich STUDIO2050 in Legau in zweierlei Hinsicht gerecht werden: Zum einen das Märchenhafte hervorrufen und zum anderen das Firmenmotto „Wir machen Bio aus Liebe“ den Besucherinnen räumlich näherbringen. Der Name „Rapunzel“, der eigentlich nur ein anderes Wort für den herkömmlichen Feldsalat ist, verbindet so Landwirtschaft und Märchenfigur. Bereits die Gebäudeform ist vom Dreiklang in der ökologischen Landwirtschaft inspiriert: Wasser, Erde und Luft.
Das von haascookzemmrich STUDIO2050 geplante Gebäude reiht sich samt Dachlandschaft in das Corporate-Repertoire des Stuttgarter Büros ein: Auch den 2019 fertiggestellten und mehrfach prämierten Alnatura Campus (DBZ 09|2019) in Darmstadt haben sie konzipiert. Bei beiden Gebäuden ging es vor und während der Planung vor allem darum, den Ökologie- und Umweltgedanken der jeweiligen Firmen durch eine bedachte Materialwahl in die richtige Form zu bringen.
Maximal gemeinsam, maximal lokal
„Wir haben in einer Art Symbiose mit Rapunzel gearbeitet, viel ist dadurch im Prozess entstanden.“ Martin Haas erläutert, dass die Suche nach der bestmöglichen Lösung immer in Gemeinschaft erfolgte. So wurde die Unternehmensphilosophie des „Hand-in-Hand“-Arbeitens – ein Steckenpferd Rapunzels – auf das Besucherzentrum angewendet. „Das intensive Miteinander hat dazu geführt, dass sich alle Beteiligten mit dem Projekt identifizieren konnten und es als das eigene Haus wahrgenommen haben“, so Haas.
haascookzemmrich STUDIO2050 haben sich von Beginn des Entwurfsprozesses an die Frage nach der Regionalität der Ressourcen gestellt. Dabei ging es nicht nur um das eingesetzte Material, sondern auch um die technische Expertise und die lokale Baukultur, die im Entwurf und im Bauprozess gleichermaßen berücksichtigt wurden – von der Skizze bis zum Transport. Material und Arbeitskräfte wurden in einem Radius von 25 bis 30 km um die Baustelle herum gesucht – vom Recyclingbeton über das Holz für die Dachkonstruktion bis hin zu den Inneneinrichtungen. Für Farben und Beschichtungen wurde eine mineralische, ökologischere Variante gewählt. Bei der Dämmung entschieden sich die Architektinnen für einen natürlichen Baustoff: recycelten Schaumglasschotter.
Auch das Programm hat sich im Zusammenschluss mit der Bauherrschaft entwickelt – Projektleiterin für die Rapunzel-Welt in Legau war die heutige Geschäftsführerin von Rapunzel und älteste Tochter des Gründers, Seraphine Wilhelm. Am Anfang sollte der Neubau nur ein Besucherzentrum werden und erst später, als teilweise der Entwurfsprozess schon weit fortgeschritten war, seien die weiteren Funktionen dazugekommen, erzählt Haas. Dazu gehören heute ein Restaurant, eine hauseigene Rösterei mit Schaucafé, eine Bar, eine Bio-Bäckerei sowie ein Yoga- und Kochstudio. Besonders anziehend für die Kleinsten ist vor allem der Ausstellungsbereich im 1. OG des östlichen Flügels, der nicht nur die Geschichte von Rapunzel (Märchen und Marke) erzählt, sondern auch den Besucherinnen auf spielerischer Art und Weise hilfreiche Hinweise zur besseren Verzehrung, Zubereitung und Konservierung von Lebensmitteln gibt.
Begehbare Skulptur
Das Erd- und die Obergeschosse sind so organisiert, dass die unterschiedlichen Bereiche sich stets zur Mitte ausrichten, also dort, wo sich die Gebäudeflügel treffen. Diese scheinen sich wiederum zentrifugal aus der mittig platzierten, freistehenden Wendeltreppe zu entwickeln, die sich gleichberechtigt zu den verschiedenen Ebenen und Funktionen des Gebäudes ausrichtet. Kneift man die Augen etwas zu, erinnert ihre Form an Rapunzels märchenhaftes Haar. Ihre Konstruktion, die auf Stahlverbindungen verzichtet und aus Vollholz realisiert wurde, spiegelt wiederum die Marke Rapunzel und ihren Ökologiegedanken wider.
Die Komplexität dieser Vollholzkonstruktion hätte einige Herausforderungen mit sich gebracht, erinnert sich Martin Haas, die zwar nicht an ihrer Gestalt, aber dennoch an ihrem puristischen konstruktiven Ansatz haben zweifeln lassen. So hätte sich niemand in der Umgebung von Legau getraut, diese stahlfreie Konstruktion durchzuführen, sodass dafür eine Firma aus Nordrhein-Westfalen aufgesucht wurde und der längere Transportweg in Kauf genommen wurde. „Das mit der Treppe hat uns gezeigt, dass man es nicht übertreiben sollte mit der Materialreinheit – dadurch hätten wir uns einige Ressourcen sparen können.“
Über das 1. Obergeschoss führt die Rapunzeltreppe dann hinauf auf das Dach, das in seiner gesamten Länge und Breite begangen werden kann und auch Zugang zum Staffelgeschoss und zur Aussichtsplattform bietet. Der sogenannte Rapunzelturm bildet mit 20 m den höchsten Punkt des Gebäudes und zitiert auch an dieser Stelle das Grimm’sche Märchen. „Durch das begehbare Dach wollten wir das Gebäude von allen Seiten erlebbar machen. So geht man nicht dieselben Wege aus dem Haus raus – beziehungsweise runter – die man genutzt hat, um hochzusteigen“, erklärt Martin Haas. Ob das wohl auch an die Wege, die im Märchen in und aus dem Turm führen, erinnern soll?
Die Sache mit dem Dach
Das Dach legt sich wie eine Schuppenhaut aus Ziegeln über das Haus und hebt sich an seinen niedrigsten Stellen leicht vom Boden ab, als würde es schweben. Die gebrannten Ziegel erinnern an Holzschindeln. Dass es keine sind, wird erst auf dem zweiten Blick erkennbar. Die Dachdeckung selbst wollten die Planerinnen erst lokal beschaffen, wurden jedoch erst etwas weiter entfernt in der Schweiz fündig. „Wir wollten alte gebrannte Ziegel mit einer ganz speziellen Engobierung“, erzählt Martin Haas. Da aber nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland die alten entsprechenden Öfen nicht mehr vorhanden waren, müssten sie diese woanders suchen. „Das wirklich Ärgerliche war,“ so Haas weiter, „dass die 300-Jahre alte Lizenz des Ziegelunternehmens während der Produktion abgelaufen ist. Wir mussten dann an den Wochenenden extra Runden drehen, um es noch rechtzeitig zu schaffen.“
Um die heterogene, schindelhafte Optik zu erzeugen, wurden die Ziegel durch ad-hoc-Lösungen so gelegt, dass sie in regelmäßigen Abständen aus der Reihe springen. Die Patina, durch Witterung und Schmutz verursacht, legt sich durch die Dachform an unterschiedlichen Stellen der Oberfläche verschieden intensiv ab und schafft einen plastischen, bei Schnee sicherlich auch verwunschenen Eindruck.
Im Einklang mit Natur und Produktion
In der Planung des Besucherzentrums spielte auch das Erleben des Außenraums eine wichtige Rolle. Dafür haben haascookzemmrich STUDIO2050 mit dem Landschaftsarchitekturbüro Ramboll Studio Dreiseitl (das seit 2023 Teil von Henning Larsen Architects aus Kopenhagen ist) zusammengearbeitet. „Die richtige Einbettung des Projekts in die Landschaft“, erklärt Martin Haas, „hat uns geholfen, die Gebäudeform so zu entwickeln, dass wir so viel unversiegelte Fläche wie möglich auf dem Grundstück beibehalten konnten. Auch den Erhalt der bestehenden Bäume haben wir uns zu Herzen genommen und die Form des Gebäudes daran orientiert.“ So kam die Entscheidung, einen Teil des Gartens auf dem Dach des Gebäudes weiterzuführen auch aus dem Gedanken heraus, nicht nur das Gebäude in die Landschaft, sondern auch die Landschaft in das Gebäude zu integrieren.
An die Rapunzel-Produktion ist das Gebäude auch energetisch gebunden. „Das Energiekonzept für den Neubau war somit einfach für uns, wir konnten viel von der Energie schöpfen, die Rapunzel bereits produziert“, erklärt Haas. Die Dächer der nur wenige Meter entfernten Produktionshallen waren bereits großflächig mit PV-Anlagen bestückt und Nahwärme konnte zudem aus dem Rapunzel-Heizwerk mit einem Nahwärmeversorgungssystem geschöpft werden.
Innerhalb des Besucherzentrums wird die von der Rösterei und Bäckerei erzeugte Wärme durch Wärmerückgewinnung in den Kreislauf gebracht. Überschüssige Wärme wird wiederum ins außenliegende Gewächshaus gespeist, wo bei tropischen Temperaturen die lokale Kaffeebohne wächst.
Bauliche Maßnahmen, wie der Verzicht auf Doppelböden, um thermische Masse zu erhalten, der schattenspendende Dachüberstand und die natürliche Belüftung (nur die Rösterei wird künstlich be- und entlüftet) gewährleisten ein angenehmes Innenklima.
Zurückhaltend offensichtlich
Die Marke trägt das Besucherzentrum nicht in Worten oder als Firmenzeichen an der Fassade. Um das CI von Rapunzel, das mehr vom Märchen als vom Feldsalat geprägt ist, bildhaft werden zu lassen, haben haascookzemmrich STUDIO2050 mit dem Rapunzelturm und der Rapunzeltreppe plakativ anschauliche, aber subtil wirksame Elemente entworfen und platziert. Rapunzels Unternehmensphilosophie ist jedoch vor allem an den Stellen ablesbar, die von der Entstehungsgeschichte des Gebäudes und seinen Intentionen erzählen: Die enge Zusammenarbeit unterschiedlicher Gewerke und Planungsteams, der Regional- und Lokalbezug sowie die formale wie programmatische Offenheit zeichnen die Rapunzel-Welt aus.
Dass das so gekommen ist, lag auch daran, dass selbst eine Nach- oder Umnutzung des Besucherzentrums gemeinsam mit Rapunzel gedacht wurde: „Es bestand von Anfang an die Möglichkeit, dass das Gebäude kein Erfolg wird“, erinnert sich Martin Haas. „So stand noch während der Planung offen, ob das Gebäude eine andere Nutzung bekommt, z. B. als weiterer Produktionsstandort.“ Entscheidend war für diese Überlegungen vor allem, dass der Baubeginn inmitten der Corona-Pandemie lag.
Ob die Versprechen einer fairen und gemeinsamen Bio- und Anbaukultur seitens des Unternehmens immer eingehalten werden können, soll an anderer Stelle untersucht werden. Sicher ist, dass es haascookzemmrich STUDIO2050 mit dem Rapunzel-Besucherzentrum gelungen ist, trotz der Herausforderungen und der daraus folgenden Lernkurven ein Haus zu realisieren, das die Marke in Bild und Detail ausstrahlt. Und wer von den Besucherinnen (klein wie groß) Rapunzels langes Haar sucht, wird mit etwas Fantasie auch fündig.
Amina Ghisu/DBZ
Baudaten
Objekt: Rapunzel Welt
Standort: Rapunzelstraße 2, 87764, Legau
Typologie: Gewerbebau (Büro, Einzelhandel, etc.) mit Ausstellung und Produktion sowie Versammlungsflächen
Bauherrin: Rapunzel Naturkost GmbH
Nutzerin: Rapunzel Naturkost GmbH
Architektur: haascookzemmrich STUDIO2050, www.haascookzemmrich.com/de/
Projektteam: Sinan Tiryaki und Lisa Ruiu (Projektleitung), Lena Lang, Yohhei Kawasaki, Ariane Prevedel, Katharina Hoppenstedt, Elisabeth Wiest, Xun Li, Felix Wolf, Sabrina Carrico (Planungsteam)
Bauleitung und Generalunternehmer: Gebr. Filgis GmbH & Co. KG, Alexander Saab, www.filgis.de
Bauzeit: 10.2019 – 10.2022
Grundstücksgröße: 26 345 m²
Grundflächenzahl (GRZ): 0,08
Geschossflächenzahl (GFZ): 0,16
Nutzfläche gesamt: 5 198 m²
Nutzfläche: 3 760 m²
Technikfläche: 213 m²
Verkehrsfläche: 1 225 m²
Brutto-Grundfläche: 7 560 m²
Brutto-Rauminhalt: 31 400 m³
Baukosten (nach DIN 276):
Gesamt: 21,3 Mio. € netto (Kostengruppe 300&400)
Hauptnutzfläche: 5 665 €/m²
Brutto-Rauminhalt: 678 €/m³
Fachplanung
Tragwerksplanung: Ecoplan Ing. GmbH, Fleischwangen,
www.ecoplan-ing.de
TGA-Planung: Transplan Technik – Bauplanung GmbH, Stuttgart (HLS), www.transplan-technik.de, g+h projektplan GmbH, Eislingen (Elektro)
Innenarchitektur: Ausstellungskonzept Atelier Markgraph, Frankfurt/Main, www.markgraph.de, Rapunzel Welt (Möbel, etc.) haascookzemmrich STUDIO2050
Bauphysik: UMT Umweltingenieure GmbH, Ulm,
www.umt-ing.de
Landschaftsarchitektur: Ramboll Studio Dreiseitl - Überlingen
Energieplanung und -beratung: Transsolar, Stuttgart,
www.transsolar.com/de
Brandschutz: Tichelmann & Barillas, Darmstadt, www.tsb-ing.de
Energie
Primärenergiebedarf: 69,26 kWh/m²a nach EnEV
Endenergiebedarf Jahreskältebedarf: 1,65 kWh/m²a nach EnEV
Jahresheizwärmebedarf (inkl. Trinkwarmwasser):
96,29 kWh/m²a nach PHPP/EnEV
Energiekonzept: Pellet/Holzhackschnitzel, Nahwärme und Wärmerückgewinnung aus dem Abgas der Rösterei; Photovoltaik auf dem Dach, kontrollierte Be- und Entlüftung mit WRG in Teilbereichen
U-Werte Gebäudehülle:
Außenwand: 0,18 W/(m²K)
Bodenplatte (erdberührend): 0,48 W/(m²K)
Dach: 0,19 W/(m²K)
Fenster (Uw): 0,83 W/(m²K)
Hersteller (Auswahl)
Möbel: Möslang Sitzmöbel, Winterstetten, www.moeslang.de
Tondachziegel: Gasser Ceramic, Rapperswil/CH, www.gasserceramic.ch
Glas: (Fassade) Glas Trösch, Memmingen, www.glastroesch.com