Peter Kulka: Anecker und Architekt

Als am 5. Februar die Meldung kam, Peter Kulka sei gestorben, fühlte sich das falsch an, man hatte den mittlerweile in Dresden angekommenen Architekten mit „Ich habe noch so viel vor“ abgespeichert. Doch Gespeichertes hat den Nachteil, dass es sich nicht von allein aktualisiert. Und so ist die Gelegenheit für das letzte Gespräch unwiederbringlich verstrichen. Wir sprachen mit seiner Tochter, Katrin Leers-Kulka über den Architekten und was die Zukunft bringt.

Als am 5. Februar die Meldung kam, Peter Kulka sei gestorben, fühlte sich das falsch an. Man hatte den mittlerweile in Dresden angekommenen Architekten mit „Ich habe noch so viel vor“ abgespeichert. Doch Gespeichertes hat den Nachteil, dass es sich nicht von allein aktualisiert. Und so ist die Gelegenheit für das letzte Gespräch unwiederbringlich verstrichen. ­Wir sprachen mit seiner Tochter, Katrin Leers-Kulka, über den ­Architekten und was die Zukunft bringt.

Ist alles gesagt, alles geschrieben? Sind Nachrufe nicht immer eher auch Selbstdarstellung der Rufer, die dem Nachgerufenen mindestens irgendwie persönlich verbunden waren oder es gerne gewesen wären? Zum Tode – und ich kann schreiben zum überraschenden Tod des Architekten Peter Kulka (5. Februar) haben viele geschrieben. Die meisten dieser biografischen Kurzabrisse starten in Dresden und enden dort, mit Haltestationen in Westberlin, Köln und Aachen. Als erstes von drei Kindern kam er in Dresden-Friedrichstadt auf die Welt, „sehr, sehr arm“ sei die Familie gewesen, so der Architekt in einem Interview (moderne-regional.de). Am Ende baute er mit seiner Adop­tivtochter Katrin Leers-Kulka für sich, seinen Lebenspartner und andere ein eigenes Haus, nicht weit entfernt vom Geburtsort, dort, wo er das Gefühl hatte, dass Dresden an die Welt angedockt ist: „Wir gehen jetzt in die Bronx“, so in einem Gespräch mit ihm vor gut 10 Jahren, dort „[…] bauen [wir] ein Haus, das man sich als 76-jähriger nicht bauen sollte. Ich freue mich darauf, ich freue mich auf die Säufer, auf die Einbrecher und die Sprayer … Letztere sind eingeplant und müssen an diesem Ort eingeplant sein.“ Dieser Ort gegenüber dem Bahnhof Mitte ist längst gutbürgerlich, Neubauten reihen sich an Sanierungen. Auch Dresden ist eine Meisterin des Stadtraum­säuberns. Dass an dieser Stelle einmal „vielleicht die Wahrheit der Stadt“ zu finden wäre, kann noch stimmen, aber eine andere gewiss, als sie sich Peter Kulka vorstellte.

Dass niemand die Wahrheit wollte – eher möchte „die ganze Gesellschaft […] schlapp schlapp, am Neumarkt“ laufen, also an einem der Hochpunkte städtebaulicher Wunder- und Wundkosmetik, wird ihn nicht überrascht haben. Seine Blockrandarchitektur mit großer Brandwand (graffitifrei!) ist keine Provokation mehr, sondern die lässige Ergänzung des Vorhandenen durch einen, der das Vorhandene zu lesen verstand.

Die Heimatstadt Dresden hasste und liebte er

Er war der Sohn eines Architekten, doch der Vater kam aus dem Krieg nicht zurück und somit wird man hier eine Fortsetzung von familiärer Architekturgeschichte vergeblich suchen. Aber ein höchst kreativer Kopf war der junge Peter Kulka, er zeichnete und malte mehr, als er Interesse für die Schulausbildung aufbrachte, so die Adoptivtochter Katrin Leers-Kulka, Vertraute und langjährige Kollegin im Büro Kulka im Gespräch mit mir Anfang März. Die Maurerlehre und ein kurzer Einsatz als Bauführer im Braunkohleabbau „Schwarze Pumpe“ waren offenbar nur die Stationen eines um die Familie sich kümmern müssenden, jungen Erwachsenen, der sich zudem noch seiner Homosexualität bewusst wurde, die er lange schon in sich spürte im Anderssein den Mitschülern gegenüber. Dass Peter Kulka seine Homosexualität schon mit 18 Jahren kundtat, passt zu dem Mann, der Offenheit schätzte und diese selbst lebte, manchmal eckte er damit an.

Die erfolgreiche Bewerbung an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee (damals noch Ost-Berlin) mag auch eine Flucht gewesen sein aus der für Peter Kulka bis zuletzt piefigen Residenzstadt der sächsischen Kurfürsten, die er hasste und liebte, der er sich verbunden fühlte und von ihr vereinahmt. In Berlin traf er auf den bosnisch-deutschen Architekten und Lehrer, Selman Selmanagić, der sich selbst als Sohn Mies van der Rohes bezeichnete, woraus konsequenterweise Peter Kulka den „Mies-Enkel“ für sich ableitete.

Nach dem Studium ging es gleich zu Hermann Henselmann, u. a. Chefarchitekt von Ost-Berlin. Hier hätte er, wie Katrin Leers-Kulka erzählte, „eine steile Karriere machen können“, für die er allerdings ein Parteibuch benötigte. Eine Anforderung, dem der Freigeist nicht folgen konnte.

Vor diesem Hintergrund, dem Erkennen einer Sackgasse, heuerte Peter Kulka 1965 Fluchthelfer an, die ihn nach West-Berlin brachten. Hier ging er zu Scharoun, mit dem sein damaliger Lehrer Selman Selmanagić über den „Kollektivplan“ verbunden war, welcher die Stadt zonenübergreifend neu anschauen wollte. Scharoun plante gerade an der Philharmonie, vis-à-vis der Nationalgalerie Mies van der Rohes. Bei Scharoun, so Katrin Leers-Kulka, habe er gelernt, dass das Bauen nicht nur in Typen zu denken ist (Henselmann), sondern auch als individuelle Form, die auf den Ort reagiert. Und Mies, an dessen Baustelle er täglich vorbeikam, habe er „noch einmal besser kennengelernt.“

In Berlin lernte Peter Kulka Teile des Bauteams  kennen, mit denen er sich bereits kurz nach seiner Flucht um den Neubau der Campus Universität Bielefeld bewarb. Diese war von Helmut Schelsky konzipiert und wurde 1969 als „Reformuniversität“ gegründet, wobei interdisziplinäres Arbeiten ein erklärtes Ziel war. Das wiederum findet sich im Entwurf und der Realisierung wieder, die von der Arge Helmut Herzog, Klaus Köpke, Wolf Siepmann, Katte Töpper und eben Peter Kulka verantwortet wurden. Der Lehrbetrieb begann im November 1969 mit drei Fakultäten – Mathematik, Rechtswissenschaft, Soziologie. Was in heutigen Zeiten offenbar für den wirtschaftlichen Betrieb einer solchen Lehr- und Lernmaschine nicht mehr reicht, denn zurzeit wird auf dem Campus-Gelände für gut eine Milliarde € gebaut, erweitert, saniert und verändert, ohne dass mit dem einen der Urheber, Peter Kulka, gesprochen worden war. „Das hat ihn unheimlich geärgert!“, so Katrin Leers-Kulka. Er sei vor einigen Jahren persönlich nach Bielefeld gefahren und habe mit dem Bau- und Liegenschaftsbetrieb NRW gesprochen, ohne jeden Erfolg.

„Formal religiös war er nicht. Er hat schon geglaubt … aber in erster Linie an sich.“

Bielefeld war dann zu klein für einen Architekten, der weiter und mehr wollte. Er ging mit dem Malerfreund Klaus Singhoff nach Köln, zu keinem Geringeren als Hans Schilling, mit dem er 1980 gemeinsame Projekte und ein gemeinsames Büro hatte, das Peter Kulka schließlich übernahm. Durch Hans Schilling öffnete sich dem evangelisch Getauften, katholisch Konvertierten und schließlich aus der Kirche ausgetretenen Dresdner die Tür zum Kirchenbau. Insbesondere seine Arbeiten an der Abteikirche Königsmünster (von Hans Schilling 1956 fertiggestellt) mit dem sehr eigenwillig gesetzten Gästehaus und besonders dem 2001 eröffneten „Haus der Stille“ – letzteres sieht Katrin Leers-Kulka zusammen mit dem Sächsischen Landtag als zentral für seine Arbeit an – sind der Zusammenarbeit mit dem Kölner Hans Schilling zu verdanken. Auf die Frage, ob Peter Kulka ein gläubiger Mensch war, antwortet seine Tochter: „Formal religiös war er nicht. Er hat schon geglaubt … aber in erster Linie an sich.“

Mit der Wiedervereinigung Deutschlands 1989 und dem damit verbundenen Erlöschen der DDR als Staatsgebilde, kehrte der Architekt zurück in die als bis zum Schluss sehr ambivalent wahrgenommene Heimatstadt. Hier gewann er 1991 den Wettbewerb zum Bau des neuen Sächsischen Landtags am Elbufer in historischer Baulandschaft mit einem Entwurf, der zwischen Behnisch und Kulka zu pendeln scheint: transparent, kantig klare Silhouette und noble Eleganz. Dass er 2019 den Auftrag erhielt, dieses für ihn zentrale Projekt sanieren und erweitern zu können, war ihm enorm wichtig. Hier hat er bis zum Schluss an den Plänen gearbeitet.

Apropos Behnisch: Katrin Leers-Kulka sieht Günter Behnisch zusammen mit Luigi Snozzi als die beiden Architekten, denen der Architekt Peter Kulka am stärksten verbunden war. Dem ersten formal, dem zweiten in der Klarheit seiner in zahllose Büchern niedergeschriebenen Haltung. Übrigens wurde Behnisch 1996 Gründungsmitglied der Sächsischen Akademie der Künste, deren Klasse Baukunst er bis 2000 leitete.

Wie Bonny und Clyde

Es folgten Jahre des Pendelns zwischen Köln und Dresden, erst ab etwa 2020 wurde Dresden der primäre Arbeitsort. Hier sind heute 15 Architektinnen und Architekten beschäftigt. Viele Arbeiten, die Peter Kulka noch mitangeschoben hat,  werden in den kommenden Jahren realisiert werden, städtebauliche Planungen, Einzelarbeiten wie Sanierungen, Erweiterungen oder komplette Neubauten für die Kultur, das Wohnen, die Verwaltung, für eigentlich alles.

Wohin wird sich „Peter Kulka Architektur“ entwickeln ohne Peter Kulka? Hier ist Katrin Leers-Kulka – als Urheberrechtsinhaberin – ganz klar: „Peter Kulka und ich haben lange darüber gesprochen, wie es einmal ohne ihn weitergeht. Damals war dann schnell klar, was heute und morgen gilt: Der Büroname bleibt, er spiegelt ja auch neben einer Marke die persönliche Geschichte im Werk wider … Ich werde das Büro in seinem Sinne auf meine Art weiterführen. Wir waren doch einmal wie Bonny und Clyde, wie Pat & Patachon, wie Peter Kulka oft zu sagen pflegte. Wohin wir irgendwann einmal gehen?! Das hätte Peter Kulka ja auch nicht beantworten können! Wir begeben uns auf den Weg ...“ Benedikt Kraft/DBZ

www.peterkulka.de
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