Natur verbiegen fürs ganz Eigene




„Ein wachsendes, lebendes Haus, ein Gebäude aus einer Pflanze scheint ein Widerspruch in sich zu sein.“ So der Verlag in der Ankündigung des Buches und man möchte das „scheint“ durch ein „ist“ ersetzen. Es ist ein Widerspruch, der auch nicht aufzulösen ist. Natürlich gibt es Architekturen (keine Häuser in dem Sinne, wie wir sie verstehen) aus lebendem Holz, doch diese Bauten sind entweder dem baukulturellen Erbe der Waldbewohner:innen geschuldet oder dem bis heute anhaltenden Wunsch, Natur bändigen, ja, sie nach Menschenlaune formen zu können.

Und so geht es in dem vorliegenden, höchst informativen Buch auch weniger um die Baumhäuser der Kinder, denen wir Erwachsene längst auch der Natur abgeschaute Technologien aufzwingen, es geht um den prinzipiellen Versuch, die wachsende Natur in unsere Welt des Immobilen einzubinden. Nicht mit allen Mitteln, eher mit denen, die die Baubotanik natürlichen Wachstums- und Heilungsprozessen abgeschaut hat, aber dennoch: Wenn wir auf junge Bäume eine künstliche Haube legen, um das Blätterdach tatsächlilch regendicht zu machen, dann ist das eben mehr, als mit der Natur zu leben, dann sind wir in der Landschaft.

Doch abgesehen von allem hier formulierten Wachstumszwang ist diese Einführung in die Baubotanik ein Horizontöffner, der vielleicht nicht zum Bauen mit lebendem Holz verleitet, sondern eher im Gegenteil zu einem neuen Bewusstsein für das Wunder, das uns millionenjahrelange Entwicklung heute schenkt. Ob wir das nun für die Zwecke unseres jahrtausendealten Kulturverständnis verbiegen müssen, das soll am Ende jede und jeder selbst entscheiden. Be. K.

Ferdinand Ludwig und Daniel Schönle, Wachs-ende Architektur. Einführung in die Baubotanik. Birkhäuser, Basel 2023, 224 S., zahlr. sw- u. Farbabb.52 €, ISBN 978-3-0356-0331-6
x

Thematisch passende Artikel:

Buchrezension: Begegnungen. Von Natur und Natur

„Begegnungen“ steht vorne auf dem schön gemachten Buch, dessen offener Rücken die Fadenbindung zeigt. Das Papier, auf welchem die Begegnungen notiert oder auch inszeniert sind, ist ausreichend...

mehr
Ausgabe 03/2013

Fettes Buch

Als ich fast schon dachte, da kommt nichts mehr … also keines von diesen fetten Büchern, die den ganzen Architekten und sein Werk im Blick haben ... da kommt noch eines. Quadratisch,...

mehr
Ausgabe 12/2009

Bauhandwerksedition 2 Eine Dokumentation zum Bauen im Bestand; und viele weitere Bücher in der Ankündigung

Manchmal müssen diejenigen, die etwas besonders gut von einer Sache verstehen, für diese Sache werben. Architekten, Handwerker, Historiker, Künstler, Ingenieure und Hersteller, und nicht zuletzt...

mehr
Ausgabe 11/2023

Hinweisgeber

Ich gebe es zu: Es hat mich überrascht, dass Vittorio Lampugnani sein Buch bei Klaus Wagenbach herausbrachte. Zugleich fiel mir ein, dass es vor Jahren dort schon ein Buch von ihm gab: „Bedeutsame...

mehr
Ausgabe 8/9/2017

Professionell körnig

Peter Märkli ist ein Verborgener. Vor zwanzig Jahren war er gar ein Geheimtipp, erst seine „La Congiunta” von 1992 brachte den Schweizer Architekten an die Oberfläche der Wahrnehmung aller...

mehr