Labor der Zukunft morgen: 18. Architekturbiennale in Venedig

Die Architekturbiennale in Venedig ist in diesem Jahr in ihrer 18. Auflage mit Ausstellungen, Workshops und Vorträgen, mit Feiern und zahllosen Publikationen in der Lagunenstadt und drumherum präsent. Aber ist sie das auch in der Welt? Dem Anspruch nach ja, der Realität nach … eher nicht. Oder haben Sie schon von Gabriela de Matos und Paulo Tavares gelesen? Die Brasilianer und Kuratoren des brasilianischen Pavillons wurden als bester Nationenbeitrag ausgezeichnet. „Terra“, also Erde ist sein Thema. Größer geht es wohl nicht, wenn wir über unsere Zukunft spektulieren, aber kleiner wohl auch gerade nicht.

Nicht bloss daran, dass seit der Corona-Pandemie die Architekturbiennale in einem Jahr mit ungrader Zahl stattfindet, müssen sich diejenigen gewöhnen, die immer schon nach Venedig zur Architekturausstellung reisen. Auch die zunehmende Öffnung der Ausstellung für scheinbare Randthemen, für Randlagen unseres Bewusstseins wird zum neuen Normal werden. Zwar ist die Zukunftsschau der internationalen Architektur in den letzten Versionen bereits vielfältiger geworden, man könnte aber auch sagen „unübersichtlicher“.

Doch wenn nach David Chipperfield und Rem Kool­haas der chilenische Architekt Alejandro Aravena die Gesamtleitung übernahm, darauf die beiden Irinnen Yvonne Farrell und Shelley McNamara (Grafton) – die zwei Jahre später den Pritzker Preis erhielten – und in der Corona-Ausgabe der gebürtige Libanese Hashim Sarkis, kommt in diesem Jahr mit Lesley Lokko wieder eine Außensicht ins Spiel. Die ghanaisch-schottische Architektin, Hochschullehrerin und Romanautorin schaut von Afrika aus auf das Bauen, auf das Leben mit dem Bauen.

Ihren Blick beschreibt sie mit dem Ausstellungsmotto „The Laboratory of the Future“ als beweglichem Werkzeug, auch als eine Mutmaßung, denn was die Zukunft ist, kann man nur ahnen. Und auch mal falsch liegen. Womit man nicht falsch liegt , war die Ahnung vor der Architekturbiennale, dass mit dieser 18. Ausgabe der Kontinent Afrika ins Zentrum gestellt wird. Mit seinen Protagonist:innen, mit seinen so ganz anderen wie zugleich so sehr vertrauten Vorstellungen davon, wie wir zusammenleben können, müssen, werden?!

So finden sich im Rundgang über die beiden gro­ßen Ausstellungsgelände Arsenale und Giardini – hier konzentriert in dem von der Kuratorin Lesley Lokko komplett verantworteten zentralen, ehemals italienischen Pavillon – Statements afrikanischer Kolleg:innen. Wobei die Tendenz, das rein Architektonische zu erweitern, noch einmal angezogen hat: Wir sehen Konzepte, Interventionen, Installationen, sehr viele Filme, dokumentarische, künstlerisch-dokumentarische. Stilles neben Schrillem, so der sehr feine, künstlerisch wirkende Beitrag der Republik Kosovo (Migration) neben dem sehr lauten und bunten Litauens, einem Supermarkt ähnlichen Ort, in dem die Thesen der vergangenen Architekturbiennalen als fein säuberlich aufgereihte, schick verpackte Produkte im Regal auf ihre Abnehmer:innen warten.

Der russische Pavillon bleibt leer

Selbst wer gut vorbereitet ist durch die Lektüre der Kataloge (des zweibändigen und wie immer nur schwer erschließbaren Biennale Katalogs, in diesem Jahr im Eigenverlag der Biennale-Stiftung) oder Webpräsentationen durch die Kurator:innen, braucht sehr viel Zeit, die als Labor verstandene Architekturbiennale als etwas aufzunehmen, das mehr wäre als reine Unterhaltung. Fokussieren könnte helfen, aber worauf? Die Themen sind wie immer: Zukunft der Architektur – sogar in den Retrospektiven. So wie in der von Rem Koolhaas 2014 betitelten „Absorbing Modernity: 1914–2014“ und natürlich in der legendären „La Presenza del Passato“ (Die Gegenwart der Vergangenheit) unter der Leitung des gerade verstorbenen Paolo Porto­ghesis 1980. Doch die Zukunft wird auf der diesjährigen nicht von Europa, sondern von Afrika aus betrachtet, dem – gemessen am Durchschnittsalter seiner Bevölkerung – jüngsten Kontinent. Ob das neue Erkenntnisse bringt für die Weiterentwicklung der gebauten Welt?

Der russische Pavillon in den Giardini steht leer und eigenartig im Abseits. Ganz anders bei den Schweizer:innen nebenan, die eine lebendige Nachbarschaft thematisieren: Der Mauerdurchbruch zum anschließenden Pavillon Venezuelas ist offensichtliches Statement, das zugleich mit der vordergründigen Konzeptionierung berühmter Architektennamen verwässert erscheint und weniger „Neighbours“ thematisieren will (hier Bruno Ciacometti, dort Carlo Scarpa). Die Österreicher:innen versuchten ebenfalls ein Vernachbarschaften, konsequenter und leider erfolglos. Sie (das Team Kollektiv AKT und Hermann Czech) wollten ihren Pavillon aus der Insellage der Giardini befreien: So sollte eine Brücke die das Ausstellungsgelände abschließende Mauer queren, Besucher:innen hätten zum Pavillon und nur zu diesem Zugang gehabt und wären so ein Teil der Ausstellung geworden. Das wurde jedoch seitens der Biennale nicht genehmigt. Der für die Besucher:innen im Pavillon abgesperrte Raum bleibt abgesperrt, die Frage nach Raum und der Kontrolle von Raum wird damit unfreiwillig noch mehr zugespitzt.

Eine Beteiligung der Stadtgesellschaft Venedigs in die Konzepte der Kurator:innen ist bei dieser Biennale so deutlich wie nie. Tatsächlich geht auch der deutsche Beitrag in die Richtung von Teilhabe/Kollaboration. Das im Pavillon präsentierte Materiallager soll in erster Linie Initiativen zugänglich sein, die in Venedig leben und hier mit dem Bestand arbeiten. Meist im Rahmen kleinerer Arbeiten dient das gesammelte Material Reparaturen oder der Anfertigung von Stadt- oder anderem Mobiliar (s. auch „Im Gespräch mit …“, S. 10f.). Dass das deutsche Team das Laborhafte wortwörtlich mit Versuchsinstallationen (öffentliche Toilette, Werk- und Denkraum) umgesetzt hat, macht es irgendwie auch deutsch, didaktisch gradlinig und erwartbar fachlich sachlich in der Präsentation. Allein die Profanierung des Hauptraums des immer schon umstrittenen, heroischen Kunsttempels durch die Einlagerung von schnödem Baumaterial, das eigentlich gar keins ist, ergibt die nötige Irritation, die die drängend notwendige Beschäftigung mit dem Thema des Weiterbauens, Wiederverwendens, Sammelns und Lagerns mit Energie aufladen und vorantreiben könnte.

Goldene Löwen

Dass das deutsche Konzept nicht den Goldenen Löwen für den besten Nationen Pavillon erhalten hat – den erhielt Brasilien mit dem Thema „Terra“ – konnte vermutet werden. Aber vielleicht hatte die Jury das „Nachbarschaftsfest“ nicht mitgenommen in die gesamte Bewertung der Pavillonarbeit? Zu diesem Fest hatte das Kurator:innenteam eingeladen anstelle der traditionellen Party zur Eröffnung des Deutschen Pavillons. Die Nachbarschaftsfeier wurde ein italienisches Kirchweihfest, eine „Sagra minima“ mit lokalen Initiativen und Anwohner:innen eines instandbesetzten sozialen Wohnungsbaukomplexes auf Giudecca, leider spielte das Wetter nicht ganz mit.

Den Goldenen Löwen für sein Lebenswerk erhielt der nigerianische Künstler, Designer und Architekt Baba (ein nigerianischer Ehrentitel) Demas Nwoko (geb. 1935 in Idumuje-Ugboko, Nigeria). Den Goldenen Löwen für den besten Beitrag der diesjährigen Architekturbiennale erhielt DAAR (Alessandro Petti und Sandi Hilal, Arsenale), eine spezielle Erwähnung für einen Nationalen Pavillon bekam Großbritanniens Beitrag „Dancing Before the Moon“ (Sevra Davis, Director of Architecture Design Fashion at the British Council, Giardini), ein Silberner Löwe für einen jungen Teilnehmer ging an Olalekan Jeyifous für seine Arbeit ACE/AAP (Zentraler Pavillon, Giardini).

Noch bis zum 26. November 2023 geöffnet

„Labor der Zukunft“ klingt überambitioniert und zugleich sehr abstrakt, auch ein wenig unverbindlich. In einem Labor ist doch immer Bewegung, es gibt Prozesse, deren Ergebnisse laborgemäß skizziert, aber noch nicht beschreibbar sind. Ein wenig scheint das Konzept der Biennale – die, und das darf man nicht vergessen, auch ein Geschäft ist – gerade zu kippen. Weg von den Einzelsichten, den Protagonist:innen einer internationalen Architektengemeinde, hin zum Kollaborativen, zu kreativen, international vernetzten jungen Teams. Warum nach Venedig reisen? Wegen der Stadt selbst, wegen Mestre oder Triest. Wegen des Labors Venezia, das uns im Augenblick ein wenig mehr fürs Auge bietet und für das Nachdenken über das Bauen in der Welt. Das uns Orte zeigt, an denen über das Bauen nachgedacht wird, ganz anders. Ohne eine Reise dorthin ist das alles nicht zu haben, eigener Augenschein ist Voraussetzung für tiefere Erkenntnis. Und nicht zuletzt: Man sollte dem Hinweis nachgehen, dass die Geschichte der Architektur bislang nicht komplett erzählt ist (Lesley Lokko), dass wesentliche Teile am „Wir“ bisher gefehlt haben. Wie aber die bisher fehlenden Geschichten, die nun offenbar wurden, unsere Sicht auf das Bauen verändern, muss jede, muss jeder für sich selbst entdecken. In Venedig, noch bis zum 26. November 2023. Be. K.

www.labiennale.org/en/architecture/2023
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