Kreislaufwirtschaft in der Praxis
Die Baubranche muss umdenken: Als einer der größten Ressourcenverbraucher ist sie weltweit verantwortlich für Millionen Tonnen schwer zu recycelndem Bauabfall jährlich. Demgegenüber steht ein wachsender Bedarf an Infrastruktur- und Schulbauten, Kindergärten und bezahlbarem Wohnraum. Es muss weiter neu gebaut werden, aber auch zukunftsfähig saniert. Andreas Pohl, ZRS Architekten Ingenieure Berlin, erklärt, wie das dank digitaler Prozesse gelingen kann - vor allem im Holzbau.
Altes Holz mit neuer Tragkraft: Vorschläge für zirkuläre Konstruktionen von ZRS Architekten
Gebäude nachhaltig und resilient zu planen, zu bauen und zu betreiben, sie umzunutzen und bereits eingebaute Bauteile, Rohstoffe und Materialien nach dem Rückbau wiederzuverwenden, sind drängende Aufgaben für die Baubranche. Zukunftsweisende Denk-, Arbeits- und Handlungsstrategien, die die daraus resultierende ganzheitliche Betrachtung des Lebenszyklus von Gebäuden in den Mittelpunkt stellen, werden unter dem Begriff „Circular Economy“, „Zirkuläres Bauen“ oder auch „Cradle to Cradle“ zusammengefasst. Ihre Etablierung ist jedoch nur im Zusammenspiel mit der voranschreitenden Digitalisierung des Bauens möglich. Der Fachjournalist und Diplomingenieur Tim Westphal sprach deshalb mit dem Architekten Andreas Pohl von ZRS Architekten Ingenieure aus Berlin über zirkuläres Bauen, ganzheitliche Architektur und die Zukunft in einer sich weiter digitalisierenden Baubranche. Das Büro ZRS hat sich in den vergangenen Jahren in Deutschland und weit darüber hinaus einen Namen gemacht, weil es in seinen Projekten konsequent nachhaltige Konzepte verfolgt. Andreas Pohl ist seit 2012 unter anderem als Projektleiter in dem Büro tätig und spezialisiert auf Sanierungs- und Neubauprojekte mit nachhaltigen Materialien.
Herr Pohl, was zeichnet Ihre Arbeit bei ZRS aus, vor allem mit Blick auf den in Ihrem Büro stark favorisierten Holzbau?
Der Kreislaufgedanke ist grundlegender Bestandteil unserer Arbeit. Wir sehen in der Verwendung von Holz mit dem Blick auf historische Baukonstruktionen die Basis für viele unserer Projekte. Der Werkstoff spielte immer eine große Rolle in der Architektur, sowohl als Konstruktionsholz, lastabtragende Elemente oder als Bekleidung und Witterungsschutz von Gebäuden. Unser Fokus liegt aber mehr in der Betrachtung des Gesamtkreislaufs und auf der Materialebene selbst. Wir stellen uns Fragen wie: Ist dieses bereits verwendete Holz erneut im Gebäude einsetzbar und welche Aufgaben kann es jetzt erfüllen? Und zwar auch in Hinblick auf die Wiederverwendung, den „Re-Use“ des Materials – zum Beispiel als neue, tragende Konstruktion. Das ist nichts Neues. Schauen wir uns zum Beispiel Fachwerkhäuser an: Das Fachwerk ist über die Jahrhunderte immer wieder in alten Gebäuden abgebaut und für neue Häuser genutzt worden. Ganz ähnlich verhält es sich mit dem Naturbaustoff Lehm, der sich beliebig oft wiederverwenden lässt und darüber hinaus noch außergewöhnliche bauphysikalische Qualitäten bietet.
Andreas Pohl ist einer der Geschäftsführer und
Projektleiter bei ZRS Architekten in Berlin
Foto: ZRS Architekten
Wo sehen Sie die größten Herausforderungen für die Baubranche, sowohl auf technologischer als auch auf gesellschaftlicher Ebene, um den Kreislaufgedanken stärker zu verankern?
Hier geht es vor allem um ein neu zu entwickelndes Selbstverständnis. Der Kreislaufgedanke muss erst einmal in den Köpfen ankommen – nicht zuletzt durch die Ziele, die wir uns selbst stecken. Im Bewusstsein vieler ist verankert, dass Gebäude sehr individuell, modern und langlebig sein müssen und sich das nur mit vermeintlich modernen Materialien und Bautechniken realisieren lässt. Schauen wir uns die Möglichkeiten an, industrielle Bauprodukte, Verbundwerkstoffe und viele der verwendeten Materialien später wiederzuverwenden, merken wir, dass das oftmals kaum möglich ist. Oder plakativ gesagt: Da wurde viel Abfall verbaut. Parallel dazu scheuen sich Bauherren oft, im Bestand zu bauen, da der Neubau im momentanen Selbstverständnis etwas Wertigeres und Solideres darstellt, weil er mit aktueller Bautechnik und komplett nach den eigenen Wünschen realisiert wird. Diese Denkweise ist aber weder nachhaltig noch resilient. Das Ziel muss es daher sein, auf sich verändernde Lebenssituationen reagieren zu können, Gebäude langfristig zu planen und sich ernsthaft Gedanken darüber zu machen: Wie baue ich? Und welche Konstruktionen verwende ich? Für unsere Projekte ist dann oft die Konsequenz, Holzbaukonstruktionen umzusetzen. Denn ein Holztragwerk ist sehr flexibel in der Anpassung und lässt sich komplett demontieren. Der moderne Holzbau erlaubt sehr viel Flexibilität. Sowohl statisch, wenn ich zum Beispiel mit leichten Konstruktionen nachverdichten oder aufstocken möchte, als auch bei der nötigen Anpassbarkeit der Grundrisslayouts oder für ein späteres Recycling oder die Weiternutzung.
Warum hat zirkuläres Bauen so lange keine oder kaum eine Rolle gespielt?
Wir haben es einfach verlernt. Es hatte bereits eine viel größere Relevanz als heute. Warum ist das so? Ich denke, das liegt an den technischen Möglichkeiten und den effizienten Produktionsabläufen, denen das Bauen unterworfen ist – beides Phänomene, die dem gewachsenen wirtschaftlichen Wohlstand geschuldet sind. Zeit ist ein weiterer Faktor, also enge Zeitkorsetts in Planung und Umsetzung. Und hinzu kommt das aktuelle Verhältnis zu den Baukosten: Nach wie vor wird mit möglichst günstigen Materialien möglichst groß und schnell gebaut. In dieser Situation interessieren sich nur wenige Bauherren für zirkuläres Bauen. Trotzdem gibt es sie und wir überlegen gemeinsam mit ihnen, welche Materialien wir im Projekt verwenden und welche Bauelemente und Systeme wir einbauen, die bei einer späteren Sanierung oder nach dem Ende der Gebäudelebenszeit weitergenutzt werden können. Auftraggeber müssen zukünftig flexibler im Denken und Handeln werden und andere, neue Wege gehen. Wir arbeiten daran, das nötige Vertrauen dafür zu schaffen und vor allem ein größeres Interesse für das zirkuläre Bauen zu erzeugen.
Wo liegen die größten Herausforderungen, wo die größten Potenziale beim kreislauffähigen Planen und Bauen?
Uns fehlen leider oft die passenden Materialien oder Bauteile zum richtigen Zeitpunkt im Projektverlauf. Das ist eine der größten Herausforderungen. Ich muss parallel zum Projektfortschritt sehr viel recherchieren, Materialien für ein Projekt sichern, sie bis zum Einbau vorhalten und ihre Qualitäten für die gewünschte Nutzung prüfen. Wir bewerten die Einsatzfähigkeit durch Statiker, nehmen zusätzlich Materialproben und prüfen auf Schadstoffbelastung oder Schädlingsbefall. Trotz aufwändiger Bewertungsverfahren agieren wir damit aber dennoch in der Regel abseits der bestehenden Normen und meist ohne bauaufsichtliche Zulassung – anders als bei industriell erzeugten Baustoffen am Markt. Und wir bekommen wiederzuverwendende Materialien auch nicht, weil das ein Wagnis für die Bauenden bedeutet. Natürlich, wir können mit Sicherheiten arbeiten, mit Zulagen in der Statik. Aber trotzdem bewegen wir uns auf einem Terrain, das aktuell nicht normativ geregelt ist. Ein weiterer Punkt ist der richtige Einsatzort im Bauwerk. So können bestimmte Hölzer vielleicht nicht mehr für die Tragkonstruktion verwendet werden, aber trotzdem als Fassadenbekleidung und Witterungsschutz. Was früher ein großer Mangel war, also eine mindere Holzqualität, die als Ausschuss deklariert und nicht verwendet wurde, ist heute ein aktiver Beitrag zur Materialeinsparung und zum Ressourcenschutz.
Welche Bedeutung hat die fortschreitende Digitalisierung der Baubranche für das zirkuläre Bauen insgesamt?
Digitale Tools, Software und Datenbanken sind in unserem Arbeitsalltag fest verankert. Ich sehe den Nutzen digitaler Werkzeuge vor allem in einer besseren interdisziplinären Arbeit, jedoch weniger bei der Entwurfsarbeit des Architekten in frühen Leistungsphasen. Der Einsatz von BIM ist in jedem Fall sinnvoll in unseren Projekten, aber eher vor dem Hintergrund, dass wir Gebäudemodelle mit Datenbanken kombinieren und künftig Rückschlüsse daraus ziehen, wie schon die Planung das zirkuläre Bauen verankern kann.
An welchen Stellen kommen in den Projekten Datenbanken zum Einsatz?
Im Entwurfsprozess nutzen wir sie noch nicht. Für die Ökobilanzierung, die Energienachweise und die Prüfung der Bauteilaufbauten haben wir die gängigen Programmlösungen im Einsatz. Es ist also nicht so, dass wir direkt aus dem BIM-Modell die Ökobilanz erstellen. Hier setzen wir auf Materialdatenbanken, die in die Bilanzierungssoftware einfließen. Ich weiß aber, dass verschiedene Anbieter daran arbeiten, digitale Materialinformationen so zur Verfügung zu stellen, dass sie direkt in die Planung eingebunden werden können. Ich verstehe das umgekehrt als Anstoß für uns, ein interdisziplinäres Netzwerk aufzubauen: Ich glaube, wenn wir gemeinsam die Standards setzen, können sie in die Software und Materialdatenbanken einfließen, als Add-ons für bestehende Programme zum Beispiel. Der Weg dahin ist aber noch lang. Aktuell haben wir nicht einmal für jedes Projekt einen BIM-Koordinator. Hinzu kommt, dass die Abstimmungen und die Projektkoordination beim kreislaufgerechten Bauen noch intensiver sind als in einem konventionellen Projekt.
Was kann man tun, um trotzdem schon kreislaufgerecht zu planen?
Hierfür sehe ich einen Hauptbeitrag bei unseren Bauherren, den Städten und Gemeinden in der digitalen Bereitstellung von Informationen und vorhandenen Plandaten. Denn es geht an dieser Stelle immer um die zukünftige Wiederverwendung bei jedem Neubauprojekt – und vor allem auch um die Revitalisierung des Gebäudebestands. Die Datenlage ist dort oft sehr dünn. Bestandsdaten müssen wir dann mühselig aus alten Planrollen herauslesen und wir wissen kaum etwas darüber, welche Schadstoffe sich im Gebäude befinden. Auf der Basis verwertbarer Pläne kann ich aber sehr detaillierte Annahmen ableiten, bestätigen und qualifizieren lassen. Also ist es vorab wichtig, den Bestand zu erfassen. Dabei geht es nicht allein um eine mögliche Asbestbelastung. Auch aktuell schwer zu recycelnde Bauprodukte, Mineralwolle, erdölbasierte Dämmsysteme oder verklebte Verbundmaterialien werden erfasst und bewertet. Die öffentliche Diskussion sollte aber parallel auf einen weiteren Aspekt gelenkt werden: Die Kosten, die bei der Entsorgung von Bauteilen entsteht. Ein Beispiel, das dies erklärt: Heute ist es ohne Probleme möglich, mit einer Holzfaserdämmung eine Fassade sehr gut zu dämmen. Diese kann ich später wiederverwenden und muss sie nicht aufwendig und energieintensiv aufarbeiten oder sogar teuer entsorgen. Die Kosten, die viele Baustoffe erneut beim Recycling oder der Deponierung verursachen, werden in aktuellen Debatten nicht qualifiziert hinterfragt! Viele Baumaterialien würden ganz anders dastehen, wenn man diese Aufwände einbezieht.
Viele, vor allem größere Projekte werden heute von international agierenden Konzernen realisiert. Welche Rolle kann der Mittelstand hier in Zukunft noch spielen?
Ich bin mir sicher, dass ein regionaler Bezug wie ihn der Mittelstand transportiert, ebenfalls wichtig ist. Wir sehen es an unseren Projekten: Große Unternehmen bestellen ihre Leimholzbinder zum Beispiel oft bei den großen Holzverarbeitern in Skandinavien oder Mittel- und Osteuropa. Wir setzen eher auf kleine Betriebe und Mittelständler, die vor allem auf der Baustelle eine wichtige Rolle spielen. Trotzdem: Leistungsfähige Holzbaubetriebe, die den Bedarf ab einer bestimmten Größenordnung noch bedienen, gibt es nicht direkt vor der Haustür. Sie kommen aus dem Süden Deutschlands oder aus Österreich und sind hochspezialisiert. Es ist also ein verzweigtes Netzwerk verschiedener Akteure und ebenso deren Expertise, auf die wir setzen. Der Holzbau hat außerdem den entscheidenden Vorteil, dass ein hoher Grad der Vorfertigung möglich ist. Auf der Baustelle wird dann nur noch montiert, was regionale mittelständische Unternehmen sehr gut leisten können.
Ihr Netzwerk von Projekt- und Planungsbeteiligten, allen voran die verschiedenen Fachplanungen, ist für integrale Planung und zirkuläres Bauen sensibilisiert. Wie sieht es aber mit den Fachhandwerkern aus, welche Erfahrungen haben Sie in der Zusammenarbeit mit ihnen gemacht?
Das Verständnis für diese Themen ist bisher eher gering. Es besteht vor allem die Herausforderung, aus unseren Wünschen nach möglichst kompletter Rückbaubarkeit und hoher Wiederverwendung die passenden Konstruktionsprinzipien abzuleiten. Abseits davon, bei den auf Denkmalschutz spezialisierten Firmen zum Beispiel, ist das etwas anderes. Traditionelle Bauweisen und Konstruktionen sind hier seit jeher stärker verankert. Im Neubaubereich, aber auch bei Sanierungen, ist das Fachhandwerk aktuell aber leider noch nicht so sensibilisiert, wie wir es uns wünschen.
Stellt das ein Problem dar?
Nein. Es ist allenfalls eine notwendige Entwicklung, die auch dort erst langsam angestoßen wird. Das kreislaufgerechte Bauen muss sich etablieren. Also der „Re-use“-Ansatz. Und an dieser Stelle haben selbst wir noch keine 20 oder mehr umgesetzte Projekte, auf die wir zurückgreifen könnten. Wir bauen immer wieder Unikate, Pilotprojekte, die Aufmerksamkeit erzeugen sollen. Im nächsten Schritt brauchen wir die notwendigen Standards und Sicherheiten. Und erst danach kommt die Bauindustrie mit ihren Produkten. Der Holzbau ist für dieses Übungsfeld, auf dem wir uns aktuell noch bewegen, einfach ein gutes Exempel. Denn er ist über Jahrhunderte erprobt. Wir können viel aus seiner langen Tradition lernen und übernehmen, in unsere Ideen einflechten, in neue Konstruktionen überführen und für die Zukunft mitnehmen.
Autor:
Tim Westphal leitet
seine eigene PR- und Kommunikationsagentur und ist Berater im
Architektursektor
Foto: privat