Koordinierungs- und Überwachungspflicht von Architekten im Rahmen der Bauüberwachung

Dass Architekten nicht für jeden Vorgang auf der Baustelle Experten sind, entbindet sie oftmals nicht, wichtige Bauabschnitte auf ihre fachgerechte Ausführung zu prüfen oder prüfen zu lassen. Im Zweifel schulden sie dem Auftraggeber sogar den Nachweis darüber, in welcher Form sie dieser Verpflichtung nachgekommen sind. Können sie den nicht vorlegen, drohen bei Baumängeln harsche Konsequenzen.

Der Architekt ist im Rahmen der geschuldeten Baukoordination über die zeitlich und fachliche Abstimmung der Gewerke in ökonomischer Hinsicht hinaus verpflichtet nachzuprüfen, ob der Fachplaner seinen Pflichten zur Bauüberwachung nachkommt bzw. nachgekommen ist, und ggf. auch, die entsprechenden Maßnahmen zu veranlassen. Insbesondere in sensiblen Bereichen hat der Architekt die Bauabläufe so zu koordinieren, dass die dort tätigen Handwerker durch Sonderfachleute überwacht werden und die handwerkliche Leistung in technischer Hinsicht überprüft wird. Bei der Bewehrung handelt es sich allgemein um eine schwierige bzw. gefährliche Arbeit, also um einen sensiblen Bereich. Wenn sich in dem zutage getretenen Mangel des Bauwerks ein typischer Geschehensablauf zeigt, der auf einen Mangel der Objektüberwachung schließen lässt, kann der Nachweis der Verletzung der Bauaufsichtspflicht des Architekten durch einen Anscheinsbeweis erleichtert sein. Liegt ein solcher Fall vor, braucht der Bauherr nicht anzugeben, inwieweit es der Architekt im Einzelnen an der erforderlichen Überwachung hat fehlen lassen. Vielmehr ist es dann Sache des Architekten, den Beweis des ersten Anscheins dadurch auszuräumen, dass er seinerseits darlegt, was er oder seine Erfüllungsgehilfen an Überwachungsmaßnahmen geleistet haben.

Problemstellung:

Das Oberlandesgericht (OLG) Oldenburg hatte hauptsächlich zu klären (OLG Oldenburg 14. Zivilsenat, Urteil vom 24.03.2022 – 14 U 50/17), ob der Architekt seinen vertraglich geschuldeten Baukoordinationspflichten nachgekommen war. Auch bei der Einbeziehung von Sonderfachleuten und Handwerkern muss im Einzelfall festgestellt werden, ob Bauwerksschäden auf mangelhafte Bauüberwachung zurückzuführen sind. Falls typische Abläufe vorliegen, kann die Anwendung des Anscheinsbeweises dazu führen, dass der Architekt nachweisen muss, welche Überwachungsmaßnahmen er oder seine Erfüllungsgehilfen ergriffen haben. Damit verbunden ist die Frage, inwiefern der Architekt darauf vertrauen darf, dass die anderen am Bau beteiligten Parteien ihrerseits die ihnen übertragenen Aufgaben fachgerecht erfüllen.

Die Entscheidung:

Im Jahr 2003 beauftragte der Kläger den Architekten und Beklagten zu 2) mit der Planung und Leitung eines Neubaus gemäß den Leistungsphasen 1 bis 8 der HOAI 1996 für ein Wohnhaus. Zusätzlich wurde der Bauunternehmer und Beklagte zu 1) mit der Durchführung von Erd-, Beton- und Stahlbetonarbeiten betraut. Die Tragwerksplanung wurde vom Beklagten zu 3) (Tragwerksplaner) im Auftrag des Klägers erbracht. Der Kläger hatte die Schlussrechnung des Bauunternehmers nicht beglichen und stattdessen die Beklagten zu 1) bis 3) als Gesamtschuldner auf Schadensersatz in Höhe von 50 000 Euro sowie den Bauunternehmer auf weitere 20 000 Euro verklagt. Er argumentierte, dass die erbrachten Leistungen der Beklagten mangelhaft seien. Insbesondere sei die Garagendecke der freistehenden Pergola und des Carports aufgrund unzureichender Bewehrung nicht tragfähig und daher müsse dieser Teil des Gebäudes vollständig abgerissen werden. Die Beklagten seien als Gesamtschuldner für diese Maßnahme verantwortlich.

Des Weiteren habe der Bauunternehmer die Sichtbetonarbeiten an der Fassade, Außentreppe und Terrasse unsachgemäß ausgeführt. Kragplatten seien nicht bündig erstellt worden und im Bereich der Pergola seien keine Tropfkanten angebracht worden. Die Vordächer seien so gestaltet, dass Wasser ins Haus eindringe. Der Kläger strebte die Feststellung an, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, ihm sämtliche Kosten der Mangelbeseitigung zu erstatten.

Zudem behauptet er, dass dem Bauunternehmer erhebliche Ausführungsfehler unterlaufen seien, insbesondere in Bezug auf die zu tief angebrachte Bewehrung des Garagendachs. Bei ordnungsgemäßer Bauüberwachung hätte der Architekt diese fehlerhafte Ausführung erkennen müssen. Sowohl der Architekt als auch der Tragwerksplaner hätten es versäumt, die Bewehrung vor dem Betonieren zu überprüfen. Darüber hinaus sei die Tragwerksplanung selbst fehlerhaft gewesen. Der Architekt argumentierte, dass ausschließlich die Ausführungsfehler des Bauunternehmers und die Planungsfehler des Tragwerksplaners für die aufgetretenen Mängel verantwortlich seien. Er selbst sei nicht dazu verpflichtet, die Statik zu überprüfen oder eine Bewehrungsabnahme persönlich durchzuführen. Der Architekt betonte, dass er bereits alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen habe und ihm daher keine Pflichtverletzung vorgeworfen werden könne. Nach seiner Darstellung sind die Ausführungsfehler der Beklagten zu 1) sowie die fehlerhafte Tragwerksplanung der Beklagten zu 3) die eigentlichen Ursachen für die entstandenen Schäden.

Im Verfahren in erster Instanz vor dem Landgericht wurde mittels Sachverständigengutachten festgestellt, dass der Bauunternehmer die Bewehrungen bei der Pergola und dem Carport zu tief eingebaut hatte. Das OLG stellte fest, dass dem Kläger gegen den Beklagten zu 1) ein Anspruch gemäß § 13 Nr. 5 Abs. 2 VOB/B, § 13 Nr. 7 Abs. 2, 3 VOB/B a.F. zusteht. Die VOB/B wurde wirksam vereinbart. Gegen den Architekten ergibt sich die Rechtsgrundlage aus den §§ 280 Abs. 1, 634 Nr. 4 BGB. Bezüglich des Beklagten zu 3) bleiben die rechtskräftig festgestellten Ansprüche des Landgerichts unverändert bestehen.

Einordnung der Entscheidung:

Die Entscheidung entspricht den bisherigen Rechtsprechungen bezüglich der Haftung des bauleitenden Architekten in Bezug auf seine Pflichten zur Überwachung und Kontrolle der beauftragten Bauunternehmer, Handwerker und Sonderfachleute. Im vorliegenden Fall verwendet das Gericht den Anscheinsbeweis und begründet darauf basierend die Haftung des Architekten. Der Architekt schuldet die planungsgerechte und mangelfreie Ausführung des Bauwerks. Im vorliegenden Fall, in dem Mängel am Bauwerk festgestellt wurden, stellt sich zwangsläufig die Frage nach möglichen Pflichtverletzungen des Architekten in seiner Überwachungsfunktion. Der Architekt wurde gemäß HOAI mit den Leistungsphasen 1-8 beauftragt, was bedeutet, dass er nicht nur für die technisch und wirtschaftlich fehlerfreie Planung verantwortlich ist, sondern auch für die Objektüberwachung. Bauüberwachung und Dokumentation sind wesentliche Bestandteile seiner Vertragspflichten. Dies beinhaltet zunächst die Verpflichtung, einen störungsfreien Bauablauf sicherzustellen, sowohl zeitlich als auch technisch und wirtschaftlich. Der Architekt, der die Objektüberwachung durchführt, muss durch geeignete organisatorische Maßnahmen sicherstellen, dass eine angemessene Überprüfung und Kontrolle stattfindet, die der Bedeutung des Bauabschnitts oder der jeweiligen Tätigkeit entspricht. Er ist daher verpflichtet zu prüfen, ob die ausführenden Firmen oder Fachplaner ihrerseits ihren Verpflichtungen nachkommen. Insbesondere bei sensiblen Bereichen muss der Architekt die Bauabläufe so koordinieren und überwachen, dass eine fehlerfreie Errichtung des Bauwerks gewährleistet ist.

Die Abnahme spielt bei bestimmten Ausführungsarbeiten nicht nur aufgrund ihrer recht­lichen Konsequenzen eine herausragende Rolle, sondern auch, weil unter bestimmten Umständen eine nachträgliche Überprüfung der ordnungsgemäßen Ausführung nicht mehr möglich ist. Dies tritt ein, wenn durch den Baufortschritt die zuvor ausgeführten Arbeiten nicht mehr leicht zugänglich sind und ohne Zerstörung der Bausubstanz nicht mehr überprüft werden können. Insbesondere im Bereich der Bewehrungs­arbeiten ist in der Rechtsprechung seit langem anerkannt, dass das Gießen von Betondecken und die Bewehrung entscheidende Bauabschnitte darstellen, von denen der Erfolg des gesamten Projekts wesentlich abhängt. Die umfassenden Koordinations- und Überwachungspflichten des Architekten während eines bestimmten Bauabschnitts hängen von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab. Grundsätzlich darf der Architekt darauf vertrauen, dass die beauftragten Unternehmen und Fachleute die fachlichen Vorgaben einhalten und ihre Arbeit fehlerfrei ausführen. Es ist nicht zu erwarten, dass der Architekt ständig auf der Baustelle präsent ist und jede einzelne Tätigkeit überwacht. Allerdings ist eine rein bürogestützte Objektüberwachung nicht ausreichend. Der Architekt in der Überwachungsfunktion muss sich durch angemessene und ausreichende Kontrollen vor Ort vergewissern, dass seine Pläne und Anweisungen sachgerecht umgesetzt werden. Dies erfordert zumindest Stichprobenkontrollen vor Ort. Bei einfachen, standardmäßigen Ausführungsarbeiten, die im Bereich alltäglichen Handwerks liegen und erfahrungsgemäß von jedem Handwerker oder Bauunternehmer fehlerfrei durchgeführt werden können, sind regelmäßige Kontrollen ausreichend. Die Überwachungspflicht erfordert eine unmittelbare Reaktion des Architekten, wenn Abweichungen vom geplanten Ablauf oder Zweifel an der ordnungsgemäßen Ausführung auftreten.

Vorsicht: Es genügt nicht, Stichproben durchzuführen, wenn bedeutende oder kritische Baumaßnahmen für das gesamte Bauwerk ausgeführt werden und die Erfahrung zeigt, dass ein erhöhtes Mängelrisiko besteht. In dieser Phase sind gesteigerte Anforderungen an die Überwachungs- und Kontrollpflicht erforderlich. Insbesondere bei Bewehrungsarbeiten betrachtet die Rechtsprechung diesen Bereich als sensibel. Um möglichen Gefahrenquellen rechtzeitig zu begegnen, muss der Architekt persönlich vor Ort sein, um sich von der ordnungsgemäßen Ausführung der Arbeiten zu überzeugen.

Im vorliegenden Fall hat der Architekt weder die Bewehrungsarbeiten beaufsichtigt noch abgenommen. Die Konstruktion war zudem so komplex und anspruchsvoll, dass eine Abnahme durch einen spezialisierten Fachmann (Statiker) vor Ort erforderlich gewesen wäre. Der Beklagte zu 3) war für diese Aufgabe nachweislich nicht beauftragt. Um seinen Koordinations- und Überwachungspflichten nachzukommen, hätte der Architekt entweder selbst einen Statiker hinzuziehen oder zumindest den Kläger auf die Notwendigkeit einer solchen Maßnahme hinweisen müssen. Dies ist jedoch nicht erfolgt, weshalb dem Architekten die Verletzung seiner vertraglichen Pflichten angelastet wird.

Das Gericht konstatiert, dass der Beweis des ers­ten Anscheins bereits darauf hindeutet, dass der aufgetretene Mangel auf eine Pflichtverletzung zurückzuführen ist. Ein typischer Schadensverlauf lässt darauf schließen, dass eine unzureichende Bauüberwachung stattgefunden hat. Gemäß den üblichen Beweislastregeln wäre es die Aufgabe des Bauherrn gewesen, zu erläutern, wann und in welcher Weise der Architekt seinen Verpflichtungen nicht nachgekommen ist. Der Beweis des ersten Anscheins kann jedoch dazu führen, dass es nunmehr die Verantwortung des Architekten ist, diesen zu entkräften und konkret darzulegen, welche Überwachungsmaßnahmen er ergriffen hat oder durch seine Erfüllungsgehilfen veranlasst wurden. Das Oberlandesgericht betont ausdrücklich, dass die zuvor genannten Grundsätze nicht ausschließlich auf ausführende Arbeiten, sondern auch auf die Koordinations- und Überwachungspflichten von Sonderfachleuten anwendbar sind. Es wird dem Architekten zwar nicht abverlangt, über vertiefte Fachkenntnisse in jedem Bereich zu verfügen. Jedoch obliegt es ihm, zu erkennen, wann derart anspruchsvolle und schadensträchtige Arbeiten ausgeführt werden, die die Einbeziehung von Sonderfachleuten erforderlich machen. In solchen Fällen muss er den Auftraggeber entsprechend informieren und beraten.

Praxishinweis:

Die Entscheidung unterstreicht erneut, wie umfassend die Haftung eines Architekten sein kann. Gegenüber dem Bauherrn ist der Architekt verantwortlich für die fehlerfreie Umsetzung des Bauwerks gemäß den Planungen und den Vorstellungen des Auftraggebers. Dabei geht es nicht nur um die fehlerfreie eigene Planung in technischer, zeitlicher und wirtschaftlicher Hinsicht. Wenn der Architekt mit der Vollplanung beauftragt ist, also zumindest mit den Leistungsphasen 1-8 der HOAI, obliegen ihm Beratungs-, Hinweis- und Aufklärungspflichten. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Bauherr Entscheidungen treffen muss, die mit Risiken verbunden sind. Darüber hinaus bestehen Verpflichtungen zur Koordination, Überwachung und Prüfung der Leistungen der am Bau Beteiligten. Verfügt der Architekt, wie vorliegend, nicht über vertiefte Kenntnisse in der Tragwerksplanung und den dazugehörigen Ausführungsarbeiten, verlangt die Rechtsprechung von ihm, den Bauherrn dazu aufzufordern, entsprechende Fachleute einzuschalten. Dieser Vorgang muss angemessen dokumentiert werden, um sich abzusichern und im Bestreitensfalle nachweisen zu können, dass die erforderlichen Schritte unternommen wurden. Dabei stellt sich die Frage, wo die Grenze des dem Architekten zumut-baren Verantwortungsbereiches liegt. Die Bestimmung dieser Grenze ist jedoch nur durch eine Einzelfallbetrachtung unter Berücksichtigung aller Umstände möglich. In der Rechtsprechung wird eine Pflichtverletzung des Architekten dann angenommen, wenn Ausführungsarbeiten in besonders sensiblen und schadensträchtigen Bereichen durchgeführt werden. Solche Bereiche erfordern stets eine persönliche Überwachung vor Ort. Wenn Fachplaner in den Prozess eingebunden sind, obliegt es dem Architekten zwar nicht, spezifische Fachdetails zu kennen oder zu überprüfen. Allerdings erfordert seine Kontrollfunktion die Überprüfung, ob der Fachplaner die richtigen Grundlagen und tatsächlichen rechtlichen Verhältnisse berücksichtigt hat. Zudem ist er dazu verpflichtet, offensichtliche Mängel zu beanstanden, die jedem Architekten bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt auffallen würden.
 
Drei Dinge, deren jeder Architekt stets bewusst sein muss, macht diese Entscheidung einmal mehr deutlich: Bauprozesse dauern zeitlich sehr lang, Architekten haften umfänglich und sie müssen ihre eigene Tätigkeit sorgfältig dokumentieren!

Die Nutzung der männlichen Form in Fällen der Allgemeingültigkeit dient ausschließlich der Lesbarkeit juristischer Texte.

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