Kleiner wohnen im zirkulären Tiny House

An der Hochschule Coburg bauten Architektur- und Innenarchitekturstudent:innen ein Tiny House, das nicht nur eine Antwort auf den steigenden Wohnflächenverbrauch darstellen sollte. Dabei analysierten sie die Wohnform kritisch. Über mehrere Jahre arbeiteten wechselnde Student:innen an dem Projekt. Teamleiter Prof. Dr. Rainer Hirth berichtet vom Prozess und den Erkenntnissen.


Das Circular Tiny House ist komplett aus nachwachsenden Baumaterialien gebaut, unter anderem Holz und Stroh. Außerdem sind alle baukonstruktiven Bindungen wieder lösbar
Foto: Sebastian Kolm

Das Circular Tiny House ist komplett aus nachwachsenden Baumaterialien gebaut, unter anderem Holz und Stroh. Außerdem sind alle baukonstruktiven Bindungen wieder lösbar
Foto: Sebastian Kolm


Nach einem UN Report von 2020 ist der Bausektor global für 38 % aller CO₂-Emissionen verantwortlich, für einen immensen und ständig wachsenden Ressourcenverbrauch und eine enorme Abfallproduktion – in Deutschland etwa sind es rund 55 % des Abfalls. Die durchschnittliche Wohnfläche pro Person wächst permanent und liegt inzwischen bei 49 m². Gleichzeitig gibt es einen Mangel an bezahlbarem Wohnraum und explodierende Preise auf dem Wohnungsmarkt. Aus dieser Problemlage entwickelten wir das Circular Tiny House (CTH*1). 

Projektziel war ein energieautarkes, raumoptimiertes und umweltfreundliches  Tiny House – aus nachwachsenden Baumaterialien und ohne Treibhausgase emittierende Bindemittel errichtet. Es sollte den Prinzipien des zirkulären Bauens entsprechen und daher wieder vollständig zerlegbar sein, um restlos in den Stoffkreislauf rückgeführt werden zu können – eben zirkulär. Das im Juli fertiggestellte CTH*1 beweist nun, dass dies möglich ist.


Prozess

Der organisatorische Aufwand war groß und begann im November 2020 mit der Spendenakquise und den Genehmigungsverfahren. Wir starteten mit einer Reihe von Seminaren zu den oben genannten Problemen des Bausektors. Teil davon war eine städtebauliche Voruntersuchung, bei der die Student:innen Nutzen und Gefahren von Tiny Houses kritisch untersuchten. Hier stellten wir zunächst die Frage:  Was ist ein Tiny House? Was brauchen wir, um auf einem nachhaltigen, noch akzeptablen Komfortniveau zu leben? Eine Frage der Definition. Die vom Kurs selbst definierte Annahme: ein Bett für zwei, ein Kleiderschrank, ein Laptop-Arbeitsplatz, ein Mikro-Bad und eine kleine optimierte Küche in einem hellen, offenen und architektonisch anspruchsvollen Gebäude. Und natürlich ein Sofa zum Entspannen sowie „intelligente“ und flexible Möbel, um mindestens vier Gäste zu beherbergen. Das Forschungsgebäude hat 19 m² Nutzfläche auf zwei Ebenen und einen Luftraum.

Das kleine Haus bietet eine Wohnfläche von 19 m², weniger als die Hälfte des pro Person durchschnittlichen Wohnflächenverbrauchs in Deutschland. Eine Erkenntnis des Teams war jedoch, dass Tiny Houses nur für besondere Situationen die richtige Lösung sind
Foto: Sebastian Kolm

Das kleine Haus bietet eine Wohnfläche von 19 m², weniger als die Hälfte des pro Person durchschnittlichen Wohnflächenverbrauchs in Deutschland. Eine Erkenntnis des Teams war jedoch, dass Tiny Houses nur für besondere Situationen die richtige Lösung sind
Foto: Sebastian Kolm


Das eigentliche Entwurfsstudio führten wir im Sommersemester 2021 – unter Corona-Bedingungen – durch, begleitet von zahlreichen Seminarveranstaltungen und Recherchen. Unter der Leitung von Anders Macht und mir entstanden 14 Tiny House-Entwürfe – der von Til-Oliver Frank und Christopher Nguyen wurde zum Versuchsbau weiterentwickelt. Insgesamt waren mehr als 50 Student:innen aus Architektur und Innenarchitektur beteiligt. Auch den Bau des Forschungshauses schließlich führten die Student:innen selbst zwischen September 2021 und Juli 2022 durch – Handwerker:innen waren nur bei den Schraubfundamenten und der Photovoltaik beteiligt. Das Projekt wurde komplett durch Spenden finanziert.



Ziele

Mit dem Projekt sollten mehrere Ziele erreicht werden:

– Ein flächenoptimiertes und daher kostengünstiges, dabei architektonisch anspruchsvolles Gebäude für ein bis zwei Bewohner:innen

– Vermeidung von Baustoffen, bei deren Herstellung Treibhausgase entstehen und viel Energie verbraucht wird – wie z. B. Zement, Kalk oder Gips

– Verwendung nachhaltig erzeugter bzw. nachwachsender Baustoffe – insbesondere Stroh, Lehm und Holz (in diesem Falle durch Trockenheit und Borkenkäfer geschädigtes Käferholz)

– Einsatz regional erzeugter Baustoffe und die Vermeidung langer Transportwege

– Anwendung des Cradle-to-Cradle Prinzips: Alle baukonstruktiven Verbindungen sind grundsätzlich wieder lösbar ausgeführt. Das Gebäude wird nach Ablauf der Nutzungsdauer „zerlegt“ und nicht „abgebrochen“ – die Bauteile werden in den Stoffkreislauf zurückgeführt, sodass kein Bauschutt entsteht

– Einsatz von gebrauchten, wiederverwendeten Bauteilen wo immer möglich

– Energetisch autark, nutzbar als Gästehaus

– Monitoring der Annahmen über fünf Jahre, danach Rückbau


Über zwei Jahre arbeiteten wechselnde Student:innen an dem Tiny House. Am Ende übernahm auch eine Gruppe den Bau
Foto: HS Coburg
Über zwei Jahre arbeiteten wechselnde Student:innen an dem Tiny House. Am Ende übernahm auch eine Gruppe den Bau
Foto: HS Coburg


Ergebnis

Das ganze Bauprojekt hat allen Beteiligten viel Spaß gemacht und die Student:innen haben viel gelernt; insbesondere auch, was eine Gruppe gemeinsam in kurzer Zeit erreichen kann, wenn alle an einem Strang ziehen. Aus der städtebaulichen Diskussion wurde aber auch ganz klar: Tiny Houses sind nur für besondere Situationen die richtige Lösung. Für die Nachverdichtung von Städten können sie eine sinnvolle Möglichkeit sein – also für Rest- und Zwickelfächen, sehr schmale Baulücken, auf tragfähigen Flachdächern. Der gebaute Prototyp belegt einen Parkplatz und ist damit auch ein Statement für die Verkehrswende. Keinesfalls sind „Tiny House-Gebiete“ begründbar, die bisher unbebaute Fläche besetzen und noch mehr Straßen und Infrastuktur benötigen als andere Bauformen. Hierin liegt durchaus eine Gefahr bei Tiny Haus-Konzepten. Aber: Gelungene Fallbeispiele zum „Kleiner Wohnen“, die die gesellschaftliche Akzeptanz der o. g. Ziele verstärken und eine „Konzentration auf das Wesentliche“ erproben, kann es gar nicht genug geben.

Prof. Dr. Rainer Hirth ist Prodekan der Fakultät Design der Hochschule Coburg. Zusammen mit Anders Macht leitete er das Circular Tiny House-Projekt.
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