Kaleidoskopisch

Manchmal ist es nicht von Vorteil, wenn ein Verlag ein Buch ankündigt und es will einfach nicht auf den Markt kommen. Im frühen Frühjahr dieses Jahres wurde „Jan Kaplický – For the Future and For Beauty“ durch Axel Menges angekündigt, dann sollte es Wochen, später schließlich Monate dauern. Das Warten auf ein Buch, von dem allein der Protagonist Jan Kaplický bekannt war, ließ andere hintanstehen, die dann doch vorgezogen werden mussten. Und dann, Anfang September, war es da, kommentarlos, ein Standardblatt der Distribution dabei, fertig.

Warum aber diese Einleitung? Vielleicht soll sie erklären, dass diese erste Monografie über Leben und Werk des in der damaligen Tschechoslowakei geborenen britischen Architekten Kaplický (1937–2009) vom Rezensenten herbeigewünscht war, der also voreingenommen das Buch aufschlägt. Und vielleicht soll die Vorgeschichte erklären, dass die Produktion des Buches, das eine englischsprache Ausgabe des im letzten Jahr in Tschechien erschienen Originals ist unter den Kriegsbedingungen im Osten Europas zu leiden hatte– wie so vieles andere zur Zeit. Nun ist es da.

„For the Future and Beauty“ lautet programmatisch der Titel, Kategorien menschlichen Lebens, die gerade in der jüngsten Zeit weltweit einen ganz neuen Bedeutungszusammenhang erfahren. Schon insofern, weil Zukunft und Schönheit so gar nicht mehr zusammenpassen wollen. Jan Kaplickýs Büro Future Systems (mit David Nixon), London, hatte in den 1990er-Jahren und bis zum Anfang des neuen Jahrtausends die internationale Architektur beeinflusst, stärker, als wir das damals schon erkennen konnten. Er war in zentralen Projekten von Richard Rogers der Treiber zu neuen, noch nicht gesehenen Formen und Kombinationen von Formen (Lloyds-Building), sein Zeichentalent, seine im Architekturentwurf ungewohnte Kollagenarbeiten stellten die traditionelle Entwurfsarbeit infrage oder auf neue Beine. Er war in Kontakt mit Zaha Hadid, Norman Foster, Daniel Libeskind (im Buch überraschenderweise Liebeskind), Peter Cook, dem Büro Arup oder Will Alsop, brachte Kunst und Design zu Hightec-Performances in Modelle, Visualisierungen, Vorträge, Vorlesungen, Diskussionen um das, was ihm die Zukunft des Bauens war.

Dass er so agieren konnte, war auch der Tatsache geschuldet, dass er, wie manche(r) andere(r) seiner Kolleg:innen, wenig gebaut hatte. Eigentlich waren es nur zwei große Projekte, die ihn und seine Arbeit auch für die große Menge bekannt machten: das NatWest Media Centre, Lord´s Cricket Ground, London 1994–99 und Selfridges Birmingham 1999–2003. Dann wäre vielleicht die Nationalgalerie in Prag (Wettbewerbsgewinn, Projekt 2006–07) noch gekommen, gegen die sich aus der Politik und Kulturkreisen scharfer Widerstand formierte, der das Projekt insgesamt schließlich einschlafen ließ. Es gibt zudem ein paar Villen oder villenähnliche Bauten, die Future Systems für Freunde oder Freunde von Freunden realisierte, teils derart konzipiert, dass das Wohnen zur alltäglichen Aufgabe geriet. Dennoch sind alle diese Bauten auch heute noch vorhanden. Jan Kaplický und sein Büro konzipierten Ausstellungen und Bücher, es gibt einen Caravan und Corporate Design, Fashion und den Grabstein für sein und das seiner Eltern Grab in Prag.

Über das alles hinaus gibt es jede Menge Projekte, Visionen von Visionen für das Gebaute und das, was im Gebauten ist: Möbel, Kleidung, Schmuck, andere Gebrauchsgegenstände. Skizzen, jede Menge Texte. Jan Kaplický war – so jedenfalls am Ende der Lektüre dieses aus teils intimer Freundschaftsperspektive geschriebenen Buches, ein komplizierter Mensch, sehr sensibel, mit Stimmungsschwankungen, ein Schreibender, ein Nachdenker, der einem Stararchitektendasein nicht gewachsen war. Kaum eine Baustelle hat er betreten, Hörsäle waren ihm, der auch im Schatten von Ron Herron auf dem Podium stand, ein Graus (insbesondere dann, wenn kaum jemand kam, ihm zuzuhören).

Das alles finden wir in diesem reichbebilderten Buch, das eine Sammlung von Ausrissen einer Biografie darstellt, die fast durchgehend mit Arbeit und Werk verwoben war. Dabei hat der Autor viele Stimmen neben seine eigene gestellt, es gibt Interviews und Widmungstexte, es gibt Erinnerungen und zeitgenössische Dokumente. Damit hat das Buch – wie der Verlag schreibt – „viele Stimmen und ein kaleidoskopisches Format, das Kaplickýs komplexe Persönlichkeit und seine Krea­tivität wirklich erforscht.“ Eine stille, konzentrierte und doch auch lebendige Darstellung dessen, was vor Jahren noch über die Zukunft – auch die des Bauens – gedacht wurde. Dass da Schönheit eine Rolle spielte, werden die Leser:innen erfahren oder nicht. Im letzteren Fall bleibt dieses Buch auch geöffnet verschlossen. Mit Werkverzeichnis, Literatur und Register. Be. K.

Ivan Margolius, Jan Kaplický – For the Future and For Beauty. Edition Axel Menges, o. O. 2022, 376 S., 420 Farb- u. 100 sw-Abb.78 €, ISBN 978-3-86905-025-6
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