Im Gespräch mit … Jürgen Resch, RKW Architektur+, Düsseldorf www.rkw.plus/de

Innerstädtischen Bestand wieder auf Stand bringen

Jürgen Resch
Foto: Benedikt Kraft / DBZ
Jürgen Resch
Foto: Benedikt Kraft / DBZ
Kaufhäuser – Horten, Karstadt und Co. – haben ihre Glanzjahre als Vollsortimen-ter nach knapp 100 Jahren verloren. Was aber machen mit den Immobilien, die in bester Innenstadtlage gar nicht mehr oder nur noch rudimentär genutzt werden? Abriss? Wohnungsneubau? Wohnen/Büro/Gewerbe ohne Abriss? Oder anknüpfen ans Verkaufen, nur ganz anders? In Essen wird zurzeit das ehemalige „Galeria Kaufhof“ umgebaut. Wir trafen uns mit Planer Jürgen Resch im Rohbau.

Lieber Jürgen Resch, wie ist Ihr Büro RKW Architektur + an dieses Projekt gekommen?

Wir haben für die Familie Koerfer, die hier Bauherrn sind, bereits in Düsseldorf auf der Berliner Allee ein Horten-Gebäude umgebaut, das Crown. Da haben wir auf einem Lebensmittelversorger im EG ein Hotel mit 200 Zimmern, darunter ein Parkhaus mit 550 Stellplätzen. Das war auch ein Bestandsgebäude, bei dem wir allerdings drei Geschosse abgerissen und wieder neu aufbetoniert haben. Das hat gut funktioniert und wohl deshalb und weil es schnell gehen musste – die Insolvenz des Betreibers dieses Hauses hier in Essen war dann doch wohl überraschend – da kam Oliver Berief, Mitglied der Geschäftsleitung bei der Koerfer Group, auf mich zu: „Pass mal auf, Jürgen, den gleichen Auftrag noch einmal!“ Also haben wir uns hier im noch laufenden Betrieb das Kaufhaus angeschaut.

Da wussten die Mitarbeiter:innen aber schon, dass ihre Zeit in diesem Haus abgelaufen war?!

Ja, ich erinnere mich an dramatische Szenen mit weinenden Mitarbeiterinnen. Das war nicht schön.

Was war nach den ersten Besuchen klar?

Grundsätzlich war für mich schnell klar, dass ein Abriss nicht infrage kommt. Aus verschiedenen Gründen. Auch, weil der Bestand hier den Unterbau unter der benachbarten ehemaligen Reichsbank bildet. Dieses Gebäude hatte die ­Koerfer Group 2001 ebenfalls erworben. Also schieben sich Erdgeschoss und Basement unter die Reichsbank. Das heißt, diese beiden Gebäude sind räumlich verschmolzen. Abriss wäre da also Unsinn gewesen. Jetzt hätte man sich noch überlegen können, ob es etwas nutzen würde, die oberen Geschosse abzureißen. Nein, es hätte nichts gebracht, die vorhandene Struktur ist leistungsfähig und wir hätten sie wahrscheinlich nachbauen müssen. Auch die Geschosshöhe wäre nicht so zu verändern gewesen, dass wir bei gleicher Höhe ein Geschoss gewonnen hätten.

Und dann kam die Anfrage der Hochschule der Bildenden Künste …

Für eine Interimsnutzung oder tatsächlich für langfristig?

Ja, für länger. Hier hatte die Hochschule die Möglichkeit gesehen, aus dem Rand der Stadt direkt an den Hauptbahnhof, also mitten ins Zentrum zu ziehen. Für die Student:innen wäre das ideal gewesen. Und darum zielte unser erster Entwurf auf eine Hochschulnutzung aller fünf Geschosse über dem Einkauf. Leider ist die Hochschule abgesprungen.

Gab es seitens der Koerfer Group Vorgaben? Hatten die eigene Ideen?

Der Bauherr war für alles offen. Klar mussten wir ihn überzeugen, den Bestand zu halten, mit ihm den Neustart zu machen.

Haben Sie gegen den Abriss wirtschaftlich argumentiert?

Nein, geometrisch. Noch einmal: Es macht überhaupt keinen Sinn, dieses Gebäude abzureißen. Aus den schon genannten Gründen. Und dann kam bei mir vielleicht noch hinzu, dass ich den Bestand immer besser verstanden, seine Geschichte gelesen habe. Zum Beispiel: Beim Studium der alten Pläne konnte man hier hinten im Erdgeschoss einen Lkw-Drehtisch identifizieren! Eine Idee von Friedel Kellermann … Mir war tatsächlich am Anfang nicht bewusst gewesen, dass dieses Haus von uns, also den Gründervätern von RKW geplant war! Mit diesem Drehtisch wurden die eingefahrenen Lkw nach ihrer Entladung für ihre Ausfahrt um 180 Grad gedreht. Diese Apparatur ist längst zubetoniert worden.

Überraschenderweise hatten wir selbst keine Pläne von dem Haus, obwohl es doch ein RKW-Projekt ist. Aber hätten wir noch sämtliche Unterlagen von den Gründerjahren bis heute, bräuchten wir für deren Archivierung ganze Lagerhallen. Natürlich haben wir die originalen Bestandspläne gesucht und schließlich beim Düsseldorfer Büro KKK gefunden. Die hatten damals die Statik, die Schalpläne etc. gemacht und tatsächlich 440 Pläne in großen Rollen im Keller liegen gehabt. Der Bauherr hat das Konvolut – Schalpläne vom gesamten Rohbau – gekauft. Die Tuschezeichnungen wurden eingescannt und so konnte mein Team den Rohbau komplett nachmodellieren, Basis für unsere Werkplanung. 

Also auch für die nötigen Ertüchtigungen?

Ganz genau. Denn wir haben von KKK nicht nur die Schalpläne bekommen, sondern auch die Statik. In die sind wir mit AWD aus Köln reingegangen und konnten schnell sehen, was dieser Rohbau kann, wo sein Potenzial liegt.

Da kommen wir sicher gleich zu der neuen Fassade und der markanten, noch so wenig runden Gebäudeecke.

Die Ecke – jetzt die „appe Ecke“, wie man hier sagt – ist entwurflich eine Reminiszenz an das alte DeFaKa-Haus [Deutsches Familien Kaufhaus, 1930er-Jahre; Be. K.], das sich auch zum Platz hin rundete. Und diese Fassade von Horten, die Hortensteine …

Egon Eiermann!?

Nein, wir sagen, das ist nicht Egon Eiermann, sondern Helmut Rhode. Dafür gibt es Belege, aber das müssen wir jetzt und hier nicht ausfechten.

Horten-Stein und -Kachel also von RKW …

Der Stein war einer aus Keramik, etwa 0,5 x 1,0 m. Nur wenn Gewicht eingespart werden musste, wurde dieses Element aus Aluminium gefertigt. So wie bei diesem Gebäude mit seiner Auskragung von 3 m. Konstruktion und Fassade waren damals, 1977, mit ganz spitzem Bleistift gerechnet. Hinter der Leichtbaufassade kam noch eine Porenbetonwand und das war‘s. So können wir die Fassade heute nicht mehr machen, wir müssen massiver werden. Der Statiker hat aber abgewunken: Geht nicht!

Obwohl Sie die Natursteinfassade, die an diesem Platzensemble vom Denkmalschutz gewünscht war, durch Aluminium-Platten ersetzt hatten?

Ja. Die Auskragung, auch mit der Blechfassade, ging nicht. Wir mussten die Konstruktion ertüchtigen. Mit Wasserhochdruckstrahlern wurden die Betonlagen der Träger bis auf die Bewehrung entfernt, etwa 8 cm tief in den Bewehrungskorb. Hier wurde eine Zusatzbewehrung eingeflochten, neu betoniert. Um die auskragende Rundung auf der Gebäudeecke realisieren zu können, werden die vorhandenen Unterzüge durch 16 unterschiedlich lange Stahlträger je Ebene ergänzt, so, dass wir die gerundete Fassade an ihnen aufbauen können. Die gesamte Konstruktion muss F90 sein.

Also kein Naturstein, aber eine Anmutung davon. Ich bin damals mit einem RAL-Farbenfächer an den Fassaden hier ringsherum entlanggelaufen und habe die Farbtonnummern der Steine untereinandergeschrieben. Wir wollten das Ensemble, eine Harmonie am Platz, darum geht es. Der Horten-Bau aus den 1970er-Jahren war da mehr auf Krawall gebürstet, was ich aber auch nicht schlecht gefunden habe.

An welcher Stelle konnte sich RKW besonders einbringen, also über alles Entwurfliche hinaus?

Das lässt sich jetzt nicht in einzelne Punkte aufschlüsseln. Neben dem Planungsaufwand mit dem Bestand gab es die Themen Verkaufslandschaften, Licht, Sondernutzungen etc. Tageslicht gab es in Kaufhäusern dieser Zeit eher nicht, wir haben es zurückgeholt. Verkauf in Obergeschossen? Geht heute nicht mehr. Wir waren mit der Hochschule im Gespräch, natürlich wurde auch an klassische Büronutzung gedacht. Dafür wären die Flächen jedoch zu tief, doch wir haben ja hier das Rolltreppenauge in der Mitte, das wir erweitert haben über eine Achsbreite. Das ist nun unser Atrium, durch das man aus dem Basement bis in den Himmel schauen kann. Ab dem 1. OG ist ein umlaufender Flur geplant und der ermöglicht die Realisierung von Büroräumen mit funktionaler Raumtiefe.

Gab es Probleme? Oder dürfen Sie hier nichts dazu sagen?

Ach, ich würde sagen, das Übliche. Zunächst einmal: Zeitverlust. Wir mussten das Haus ein halbes Jahr lang entrümpeln, hunderte Container waren das. Baugenehmigung in Einzeletappen, auch Teilabrisse mussten genehmigt werden. Im Augenblick hängt die Hauptbaugenehmigung an den Fahrradstellplätzen vor der Tür. Beim Brandschutz hakt es wegen der Fluchtwegebreiten … Alles Formalien, die aber aufhalten. Und klar: Die Preise sind explodiert. Steigende Energiepreise lassen die Stahlpreise unter die Decke gehen.

Was nicht schön ist, aber schlimmer ist wohl, wenn bestimmte Materialien nicht mehr verfügbar sind?

Das ist das Allerschlimmste. Bei hohen Preisen kann man weinen, aber wenn Dinge ganz wegfallen, dann wird es haarig. So müssen wir die vom Statiker vorgesehene Stahlmattenbewehrung – die nicht mehr zu bekommen ist – ersetzen durch Einzelstäbe, die per Hand zu Matten geflochten werden. Das kostet natürlich wahnsinnig viel Geld. Was Zeit gekostet hat, sind die zahlreichen Planungen für Mieterfavoriten, die dann am Ende nicht mehr dabei waren. Hier haben wir viele Runden gedreht.

Was sind die nächsten Meilensteine?

Die Fassade schließen, vor dem Winter. Das gläserne Atriumdach bauen, damit es innen trocken bleibt. Ein Pultdach mit beidseitig an der Traufe angeordneten RWA-Klappen.

Wieviel Bestand bleibt sichtbar? Sie sprachen gerade von dem massiven Einsatz von Leichtbauelementen im Bestand …

Keine Abhangdecken ... Aber die werden in Bauten dieser Art auch schon seit zig Jahren nicht mehr gebaut, schon aus Kostengründen. Damit bleibt die Technik sichtbar. Das hat man sich damals auch schön geredet mit, das stehe für die Modernität, wenn man die Haustechnik sichtbar lässt. Material sparen, Fertigungszeiten verkürzen, ja, aber Haustechnik sichtbar zu haben, ist zudem sehr sinnvoll. Leichter kann man Technik nicht überwachen, man sieht sofort, wenn irgendwo etwas nicht stimmt. Es wird auch kein Schind­luder getrieben, indem jeder sein Zeug in die Decken reinschmeißt. Oder auch drin lässt, eines der größten Themen vor vielen Jahren beim Brand am Düsseldorf Flughafen.

Wir zeigen also gerne diese tolle Konstruktion und bieten Räume, die 5 m hoch sind. Das ist doch mal was! Nein, wir hängen natürlich nicht alles auf 2,70 m oder 2,80 m ab, verschenken nicht die 2 m, die den Raum vom Gefühl so besonders machen, mit Luft zum Atmen.

Was stimmt vor allem am Konzept des Könighofs?

Ich glaube, dass eine Markthalle, ein Markt, ein so genannter Nahversorger, ins Zentrum jeder Stadt gehört. Wir bringen einen solchen Versorger zurück, witterungsunabhängig in einer Halle. Das ist zwar kein neuer, aber das ist ein super Ansatz. Und ich glaube auch, dass wir hier ein Modell mit Langfristperspektive haben, vielleicht gar, wie heute in den Reden angesprochen, eine Art von Blaupause für jedes Handelsgebäude, für jedes Karstadt-/Horten-Gebäude, von denen noch einige auf ein Wachküssen warten.

Die wachzuküssen sich anbietet, weil sie von ihrer Struktur her sehr flexibel gedacht wurden?

Ja, natürlich. Diese Gebäude sind für den Handel konzipiert gewesen, wenig Stützen, freie Flächen. Die Treppenhäuser sind ideal angelegt, die Fluchtwegeplanung routiniert, das ist alles auf den Punkt gebracht. Hier in Essen sieht man, dass die Kollegen Rohde und Kellermann schon Könner ihres Fachs waren.

Wenn Sie noch mal ein solches Projekt machen, würden Sie etwas anders machen?

Nein.

Gibt es also ein Kontinuum vom Crown zum Königshof und zum nächsten Projekt XY? Gibt es eine Blaupause?

Innerstädtischen Bestand wieder auf Stand bringen. Wenn wir heute durch die Städte gehen, sehen wir viele Nachkriegsbauten, die es zwingend nötig haben, dass wir uns kümmern. In den letzten Jahrzehnten sind doch alle Unternehmen vor die Stadttore gegangen. Mit den großen Parkplätzen, weil alle umsonst parken wollten, ohne längere Fußwege zum Einkaufen. Am Samstag sind dann alle rausgefahren und haben ihren Wocheneinkauf gemacht. Das ist heute, das ist morgen ganz sicher anders. Die jungen Leute wollen alles in der Stadt. Wenn sie etwas essen wollen, wollen sie das sofort kaufen, nicht erst am Samstag. Sie wollen keine Wocheneinkaufsliste machen, nicht mit dem Auto rausfahren und dann zu Hause Gefrierschränke befüllen. Andere Einkäufe werden online von Zuhause aus abgewickelt. Und wenn wir schon alle mehr und mehr alleine wohnen, nutzen viele das Essen doch als Gruppenerlebnis, man trifft sich, tauscht sich aus.

Der Markt ist seit der Antike das Zentrum einer Stadt. Der Markt ist Kommunikation, ist Handel, ist Austausch. Und ist auch Entertainment.

Aber noch einmal zur Blaupause: Natürlich muss ein solches Haus der Stadt angepasst sein. Wir können das Konzept Düsseldorf nicht für Essen adaptieren. Wir hatten Heinz Zurheide (Edeka Megamarkt Düsseldorf) angesprochen und ihn gefragt, ob er sein Konzept nicht auch in Essen unterbringen wollte? Nein, hat er gesagt, das Konzept Düsseldorf funktioniert nur in Düsseldorf. Da kann ich eine Champagnerbar mit 290 verschiedenen Champagnersorten machen. Das kannst du in Essen am Hauptbahnhof nicht.

Wir machen hier also eine eine Markthalle für alle. So, wie das Kaufhaus, das hier lange in unterschiedlichen Kleidern stand, auch immer ein Ort für alle gewesen ist.

Mit Jürgen Resch, Assoziierter Partner bei RKW Architektur + und Projektleiter „Königshof“, unterhielt sich DBZ-Redakteur Benedikt Kraft am 03.09.2022 auf der Baustelle „Königshof“ in Essen.

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