Die Innenstadt ist tot, es lebe die Innenstadt

DBZ Heftpartner Caspar Schmitz-Morkramer, caspar., Köln

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Caspar Schmitz-Morkramer,
caspar., Köln
Foto: Benedikt Kraft / DBZ

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Hören wir nicht andauernd, dass unsere Innenstädte tot sind, nicht mehr funktionieren? Dass der Handel sich zurückzieht und wir leblose Innenstädte mit leeren Schaufenstern sehen werden? Und wir Deutsche sind natürlich gleich auch dazu übergegangen, den Abgesang des Handels zu feiern. Jetzt muss er, der für all das Übel verantwortlich ist, auch am besten ganz verschwinden. Träume von einer anthroposophisch geprägten Innenstadt mit vorwiegend sozialen Nutzungen im Erdgeschoss und sozialem Wohnungsbau darüber wurden wach. Am liebsten gleich enteignen und am besten die Kommune alles selbst machen lassen. Der Ruf nach dem Staat wurde laut.

Aber genau das Gegenteil ist die europäische Stadt. Die europäische Stadt ist als kulturelles, soziales, religiöses und politisches Zentrum entstanden, in dem die Menschen vor allem Handel getrieben haben. Es war der Handel, der Menschen aus unterschiedlichen Kulturen und Regionen zusammengebracht hat und es waren die Bürger:innen, die mit wachsendem Wohlstand und Bildung für ihr Leben und Wirken selbst verantwortlich sein wollten. Und Handel hat auch immer unterschiedliche soziale Gruppen zusammengebracht.

Insofern sollten wir die Veränderungen, in denen sich der Handel befindet und die unsere Städte prägen werden, als große Chance verstehen. Es ist richtig, dass der Handel nicht mehr jeden Raum in den sogenannten 1a-Lagen einnimmt. Und es ist unverantwortlich, dass Nutzungen in den Obergeschossen unserer Städte nicht belebt werden können, nur weil sich in den Geschossen darunter Handel befindet und dort derart hohe Mieten erwirtschaftet werden, dass das Treppenhaus zur Erschließung der Obergeschosse zu viel wertvolle Fläche frisst. Es ist auch gut, wenn der filialisierte Einzelhandel, der weltweit gleich ausschaut und überall die gleichen Waren verkauft, nicht unsere Städte prägt. Wir wollen Städte mit einer eigenen DNA, Städte mit Charakter, aber vor allem Städte für Menschen. Für die Menschen, die dort wohnen und auch die Menschen, die neugierig sind, diese Städte zu besuchen. Aber eben auch Städte, in denen Handel getrieben wird und vor allem Städte, die von ihren Bürger:innen und nicht von Handelsketten geprägt werden.

Unsere europäischen Städte verfügen über eine so wunderbar vielfältige Geschichte und Baukultur, über soziales, kulturelles, politisches und religiöses Erbe als auch Lebendigkeit, dass wir in dem anstehenden Wandel der Innenstädte die große Chance des 21. Jahrhunderts wittern müssten. Die Innenstädte machen sich auf, wieder vielfältiger, resilienter, klimagerechter und somit auch lebenswerter zu werden. Wir entwerfen keine Städte für Autos, keine Städte für Wohnungen, keine Städte für Büros und auch keine für den Handel. Wir wollen Städte für Menschen, so vielfältig, wie wir nun eben einmal sind. Die Städte sind auch ein Spiegelbild unserer Gesellschaft. Insofern sollte es uns ein Herzensanliegen sein, unsere Stadt auch mitzuprägen. Handel kann und wird ein wichtiger Baustein dieser Entwicklung sein. Wir wollen in dieser Ausgabe der DBZ an einigen Beispielen aufzeigen, wie dieser Wandel hin und zurück zur „europäischen“ Stadt gelingen kann.

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