Dicke Luft im Krankenhaus

Text: Jochen Mittenzwey, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht,
Gesellschafter bei MO45LEGAL Rechtsanwälte und Notare

Krankenhäuser sind ja ganz besondere Orte. So richtig wohl fühlen wir uns dort wahrscheinlich alle nicht. Die Unterbringung und Verpflegung ist oft noch unter dem Niveau einer Jugendherberge. Meist sind wir auch nicht freiwillig dort. Der Vergleich zu einer Justizvollzugsanstalt liegt nahe. Auf der anderen Seite sind Krankenhäuser essentiell für unsere Gesundheit, für die Aufrechterhaltung sowie auch für die Wiederherstellung.

Eine elementar wichtige Rolle in einem Krankenhaus spielt das Thema Luft. Luft ist nicht nur zum Atmen lebenswichtig; sie kann als Überträger von Keimen krankmachen oder sogar zum Tod eines Patienten führen. Etwa seit den 1980er-Jahren wird intensiv an der Lufthygiene geforscht und werden fortlaufend spezielle Anforderungen für die Planung von Lüftungsanlagen definiert. Die Luft in OP-Sälen wurde in verschiedenen Studien schnell als Hauptüberträger von Erregern für z. B. Wundinfektionen ermittelt. Ferner fanden Forscher in Studien heraus, dass diese Erreger nach dem Einsatz von spezieller Belüftungstechnik spürbar reduziert werden konnten. Die heutige Lüftungstechnik (konkret Raumlufttechnik, kurz RLT) muss in einem OP-Saal verschiedenste Anforderungen erfüllen. Neben der Versorgung des OP-Saals mit keimfreier Luft muss sie auch für angenehme klimatische Verhältnisse für die sich dort aufhaltenden Personen sorgen sowie die durch die Operation oder der Anästhesie belastete Luft wirkungsvoll abführen.

Fachplanungen für RLT-Anlagen müssen neben den Wünschen des Auftraggebers, eine Vielzahl von speziellen Anforderungen, z. B. des VDI (Verein Deutscher Ingenieure), DIN (Deutsches Institut für Normung) oder ISO (Internationales Institut für Normung) beachten. Wird dabei ein Detail vergessen, kann dies schnell zur Haftung des Fachplaners führen, wenn es sich um eine konkrete Vorgabe des Bauherrn – eine vereinbarte vertragliche Beschaffenheit – oder um eine allgemein anerkannte Regel der Technik handelt. Unter den allgemein anerkannten Regeln der Technik wird die Summe der in einem Fachgebiet anerkannten wissenschaftlichen, technischen und handwerklichen Erfahrungen verstanden, die durchweg bekannt sind und sich als richtig und brauchbar bewährt haben (Werner/Pastor – der Bauprozess). Ein Verstoß dagegen führt zu einem Planungsmangel. Der Planungsmangel kann erhebliche finanzielle Schäden verursachen, wenn nach der mangelhaften Planung die RLT-Anlage tatsächlich ausgeführt wurde. Die juristischen Themen im Bereich der RLT-Planung – ob in Krankenhäusern oder anderen Gebäuden mit anspruchsvollen Lastanforderungen – sind durchweg hochtechnisch und beschränken sich in der rechtlichen Ebene meist auf die Verantwortungsbereiche der an der Planung und Umsetzung involvierten Personen. Darüber hinaus spielt die konkrete technische und planerische Anforderung an die RLT-Anlage auch bei der Honorarberechnung nach der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (folgend nur: HOAI) eine wichtige Rolle.

Haftung des Fachplaners

Die Pflicht, eine funktionale RLT-Anlage herzustellen, überlagert die Vorgabe des Auftraggebers hinsichtlich einer bestimmten Ausführungsart:

In einem Fall, den das Oberlandesgericht (folgend nur: OLG) Zweibrücken, Urteil vom 03.12.2013 - 8 U 32/11 - entschieden hatte, ging es um eine Heizungs- und Lüftungsanlage in einem Geschäftshaus, in dem auch ein Fitnessstudio betrieben werden sollte. Der Auftragnehmer erstellte ein Planungskonzept, das er dem Auftraggeber vorschlug. Der Auftragnehmer wies den Auftrag­geber darauf hin, dass die RLT-Anlage eine Klimaanlage nicht ersetze. Der Auftraggeber beauftragte den Auftragnehmer entsprechend dieses Konzepts, eine funktionale RLT-Anlage zu planen und zu errichten. Im späteren Betrieb erhitzten sich die Räume des Fitnessstudios stark und konnten nicht angemessen heruntergekühlt werden. Das OLG Zweibrücken erkannte eine mangelhafte Planung und Ausführung, da nicht nur die Entscheidung des Auftraggebers für eine bestimmte Lüftungsanlage entscheidend für die Mangelfreiheit eines funktionalen Werkes ist, sondern auch insgesamt, dass das Werk sich für den vertraglich vorausgesetzten Gebrauch eignet. Der Auftragnehmer hatte schlichtweg die Raumluftanforderungen der unterschiedlich genutzten Räume in dem Gebäude nicht beachtet und für die Versorgung aller Räume nur ein Zentralgerät vorgesehen. Dem Auftraggeber wurde daraufhin ein erheblicher Schadensersatz zugesprochen.

Totalausfall durch Einfrieren

Haftung des Fachplaners bei Totalausfall einer RLT-Anlage in einem Labor aufgrund eines Planungsmangels:

In einem Fall vor dem Berliner Landgericht (nicht veröffentlicht; beendet durch Prozessvergleich) hatte ein Auftraggeber für den Bau eines Labors einen Fachplaner mit der Planung und Bauüberwachung beauftragt. Für das Labor hatte der Auftraggeber eine Absenkung der Luftversorgung in den Nachtstunden vorgegeben; eine vollständige Abschaltung der Lüftung war in dem Labor aufgrund der rechtlichen Vorschriften für die Belüftung nicht möglich. Nach der Ausführung führte die Nachtabsenkung in kalten Wintertagen zum Totalausfall der Lüftungsanlage. Ein vom Gericht bestellter Sachverständiger stellte fest, dass ein Planungsmangel vorlag. Demnach war die gesamte Lüftungsanlage fehlerhaft konstruiert, was im Ergebnis an kalten Tagen zu einem Einfrieren der Leitungen führte, wonach sich die Lüftungsanlage im Modus der Nachtabsenkung komplett ausschaltete. Ein denkbar schwerwiegender Mangel in einem hochsensiblen Bereich.

Produktberatung und die Konsequenzen

Haftung des Herstellers bei Produktberatung:

Interessant sind auch die Fälle, in denen sich der Fachplaner der Kompetenz der Hersteller von RLT-Anlagen bedient und diese bei der Auswahl der einzusetzenden Geräte in den Planungsprozess miteinbezieht. Kann der Fachplaner Regress bei dem Hersteller nehmen, wenn die RLT-Anlage nicht die erforderliche Leistung erbringt?

Damit hat sich z. B. das OLG Düsseldorf – Urteil vom 12.04.2018 - 5 U 50/16 – auseinandergesetzt. Ein Fachplaner hatte eine Kälte-Wärme-Kopplungsanlage (KWK-Anlage) für ein Forschungslabor zu planen. In der Planungsphase fragte er einen Hersteller von Raumbelüftungsanlagen an, der ihm u. a. einen Konzeptvorschlag zusammen mit den Leistungsdaten der Geräte sowie Formulierungstexten für die Ausschreibungsunterlagen und ein Leistungsverzeichnis übermittelte. Der Planer übernahm diese Angaben, die KWK-Anlage wurde entsprechend der Planung gebaut. Im Betrieb des Labors zeigte sich dann, dass die KWK-Anlage nicht voll funktionsfähig war. Der Fachplaner wurde erfolgreich auf Schadensersatz (in Millionenhöhe) verklagt und wollte nun bei dem von ihm kontaktierten Hersteller Freistellung von den Schadensersatzansprüchen bzw. Regress wegen falscher Beratung verlangen. Ohne Erfolg. Problem war hier nicht ein spezifisches mangelhaftes Produkt, sondern ein Fehler bei der Sys­tem­auswahl. Der Fehler in der Systemauswahl war allein dem Fachplaner anzulasten. Der Hersteller haftet aber nur für die Funktionsfähigkeit seines Produktes, jedenfalls solange ihm keine konkrete Planungsaufgabe zugekommen ist.

Krankheitsrisiko bleibt bestehen

Abgrenzung des typischen, in Kauf zu nehmenden Krankheitsrisikos bei der Behandlung in einem Operationssaal von einer mangelhaft geplanten RLT-Anlage:

Das OLG Hamm - Urteil vom 30. November 2005 – 3 U 61/05 – hatte einen Fall zu entscheiden, in dem ein Patient einen Krankenhausträger nach einer Infektion im Krankenhaus auf Schadensersatz und Schmerzensgeld in Anspruch nahm. Der Patient warf dem Krankenhausträger u. a. vor, dass der Operationssaal in Bezug auf die RLT-Anlage nicht den bei Bau geltenden Richtlinien und Normen entspreche und sich der Patient so infizieren konnte. Dies konnte nicht zur Überzeugung des Gerichts festgestellt werden. Die RLT-Anlage war nicht allein deswegen mangelhaft, weil die RLT-Anlage nicht zu 100 % eine Keim­übertragung verhindern konnte. Das Gericht führte aus, dass eine absolute Keimfreiheit im Operationssaal nicht erreichbar ist und daher Keimübertragungen, die trotz der Einhaltung der gebotenen hygienischen Vorkehrungen auftreten, zum entschädigungslos hinzunehmenden Krankheitsrisiko des Patienten gehören.

Honorarberechnung nach HOAI

Sofern das Fachplanerhonorar für die Planung einer RLT-Anlage nach der HOAI bestimmt werden soll, sind für die Honorarberechnung die §§ 53 – 56 HOAI (Leistungsbild Technische Ausrüstung) sowie die dazugehörige Anlage 15 zu beachten. In der Objektliste der Anlage 15.2 finden sich die RLT-Anlagen in der Anlagengruppe 3. Dort kann das Planungsprojekt der jeweiligen Honorarzone (I bis III) nach den technischen und planerischen Anforderungen zugeordnet werden. Streit zwischen Auftraggeber und Fachplaner gab und gibt es regelmäßig in der korrekten Einstufung der Honorarzone. Operationssäle sind in der Honorarzone III noch beispielhaft genannt. Bei anderen Raumanforderungen kann es dann schon wieder schwieriger mit der Einordnung werden. Sofern ein Streitfall vor Gericht endet, hilft nur ein Sachverständigengutachten. Besser ist es daher, das Honorar nach der aktuell geltenden HOAI 2021 frei zu vereinbaren. Zwingend zu beach­tende Mindest- und Höchsthonorarsätze gibt es nicht mehr.

Im Ergebnis ist die Raumluftqualität - ob in Krankenhäusern, Laboren oder generell in gemischt genutzten Gebäuden - ein spezielles, hochsen­sibles und technisiertes Thema, das sich stetig weiterentwickelt. Was heute noch gilt, kann morgen schon wieder ganz anders sein. Dies macht eine besonders große Sorgfalt der agierenden Fachplaner, Bauüberwacher und ausführenden Fachfirmen notwendig. Ohne die Hilfe von Sachverständigen können juristische Streitfälle nicht gelöst werden, was diese teuer und langwierig macht.

Autor: Jochen Mittenzwey, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht
Gesellschafter bei MO45LEGAL Rechtsanwälte und Notare
www.mo45.de
mittenzwey@mo45.de
Foto: Privat

Autor: Jochen Mittenzwey, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht
Gesellschafter bei MO45LEGAL Rechtsanwälte und Notare
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mittenzwey@mo45.de
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