Über die Chancen der Energiewende
Ein Gespräch mit BDA Architekt und Stadtplaner Michael Ziller, www.zillerplus.de

DBZ: Herr Ziller, was hat Sie und Ihr Büro dazu bewogen, sich an dem Wettbewerb für die Case Study Houses auf der IBA in Hamburg zu beteiligen? Welche Ziele hatten Sie sich gesteckt und konnten alle Ihre Vorstellungen umgesetzt werden?

Michael Ziller: Bei der Entwicklung von „Case Study Houses“ konnten wir selbst unseren Fokus auf die Erreichung von Zielen legen und nicht nur den oft sehr stark von außen vorgegebenen Weg erfüllen. So war unser Ziel, ein möglichst energieautarkes Haus – im Sinne einer Energiewende von zentraler Energieerzeugung zu dezentraler Energieernte – mit einer entsprechenden Ästhetik zu versehen. Da nach meiner Ansicht ein gutes Haus auch mehrere Geschichten erzählen sollte, hat sich uns parallel die Frage nach einer Wohnstruktur der Zukunft gestellt. Unsere Vorstellungen waren hier in vieler Hinsicht weitgehender, hier haben uns die Finanzierung der Umsetzung und die vielen Protagonisten Grenzen aufgezeigt.

Mit Ihrem Entwurf haben Sie gleich zwei wichtige Themen in eine architektonische Form gegossen, die als Leitthemen unserer Tage eine neue Architektur des Wohnens definieren. Häuser, die sich den wandelnden Bedürfnissen ihrer Bewohner anpassen und nachhaltig mehr Energie produzieren als sie verbrauchen, können zu einem Modell für den nachhaltigen Wohnungsbau werden. Wird es auch ohne Fördermaßnahmen und Bauausstellungen eine realistische Zukunft für zukunftsorientierte Wohnprojekte geben?

Wir stehen gerade vor einer historischen Chance: Der Wohnungsbau ist wieder zu einem politisch zentralen Thema geworden. Gleichzeitig werden immer neue Anforderungen gestellt, die oft nur mit steigenden Planungs- und Erstellungskosten zu erfüllen sind. An dieser Stelle könnte sich der Wohnungsbau von einem zu eng gewordenen Korsett aus Vorschriften und Förderbedingungen und den immer noch in den Köpfen verankerten Ideen der Moderne zur Funktionstrennung befreien und selbstbewusst eine gemischte und lebendige Stadtstruktur fördern. Hier stellt sich nun die Frage nach dem gesellschaftlichen Wert des Wohnungsbaus für die Allgemeinheit. Ohne Förderungen sind die gestiegenen Anforderungen nicht zu erfüllen. Um zukunftsorientiert arbeiten zu können, würden wir uns als Planer hier Zielvereinbarungen im Zusammenhang mit den Fördergeldern wünschen, die Wege dahin sollten offen bleiben. Schlussendlich muss uns immer bewusst sein, dass die Energiethematik nur ein Teil des Bauens und der Baukultur darstellt und wir darüber nicht die anderen Themen vernachlässigen. Hier sind Projekte im Rahmen von Ausstellun-gen oder Großveranstaltungen mit Musterbeispielen für uns hilfreich, um Über­setzungen in den Alltag finden zu können.

Das „Smart ist grün“ Projekt steht auch für einen frischen und ungewohnten Umgang mit neuen Materialien. Welchen Stellenwert haben die Themen Materialien und Technologie in ihrer täglichen Arbeit?

Die Arbeit im Rahmen der IBA hat uns in der täglichen Arbeit intensiv beeinflusst. Wir haben festgestellt, dass viel mehr umsetzbar ist und dabei eine größere Sicherheit entwickelt. Auch in der Hinsicht, für jeden Weg den richtigen Partner zu suchen und fast spielerisch jede Aufgabe auf das Ziel zu definieren und zu fokussieren – und auch, von manchen Dingen realistisch gesehen die Finger zu lassen, wenn die Voraussetzungen nicht stimmig sind.

Fassaden sollten mehr können als nur das Gebäude zu umhüllen. Wir erwarten heute von einer Hülle mehr als einfach nur  Wetterschutz. Die Fassade von „Smart ist grün“ z.  B. nennt sich energie-intelligent und produziert Strom und Wärme. Welche Be­deutung hat für Sie die Gestaltung von solaraktiven Fassaden?

Energie an der Stelle zu ernten oder zu erzeugen, wo sie benötigt wird, ist eine zukunftsfähige Strategie, die gerade wieder neu entdeckt wird. Die gestalterischen und strukturellen Konsequenzen für den Städtebau und die Gebäude sind DIE Herausforderung an unsere Generation der Architekten und Planer. Diese Aufgabe in eine baukulturell relevante Form zu bringen, ist für unser Büro die Herausforderung. Dabei versuchen wir in der Zukunft auch vermehrt Low-Tech-Lösun­gen zu erarbeiten und bewährte Baustoffe neu zu interpretieren.

Wir sprechen oft davon, dass die Energiewende auch eine neue Architektur hervorbringen wird. Was können Architekten tun, um die nachhaltige Nutzung von Wohngebäuden voranzutreiben? Welches Potential haben Architekten bei der Entwicklung neuer urbaner und klimaaktiver Bautypologien?  Wo sehen Sie in diesem Kontext die Aufgabe und Verantwortung von Architekten?

Wir dürfen nicht nachlassen darauf hinzuweisen, das kein anderer Beruf so sehr die tägliche Lebensqualität der Menschen beeinflusst wie der des Architekten. Den gebauten Ergebnissen aus dem Weg zu gehen, ist fast unmöglich – probieren Sie das Gedankenspiel einmal! Unsere tägliche Arbeit ist da nur zum Teil die Entwicklungsarbeit im Büro, sondern auch die Aufklärung und Überzeugungsarbeit und gleichzeitig der Umgang mit der Realität. Sonst wären wir nur von allen verführbare Überzeugungstäter und damit eine zu vernachlässigende Randgruppe. Nachhaltigkeit im Bauen beginnt eben weit vor und neben dem gebauten Objekt. Den Kontext und den gesamten Lebenszyklus der Gebäude zu betrachten, von der Materialerstellung über die strukturelle Entwicklungsmöglichkeit bis zum Rückbau, dafür den Weitblick zu entwickeln: Das können Architekten!

Herr Ziller, wir bedanken uns für das Gespräch!

Das Interview führte Inga Schaefer für die DBZ

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