Wenn ich nicht Architekt bin, bin ich Musiker
Ein Gespräch mit Stephan Braunfels in Gifhorn
www.braunfels-architekten.de

Zur Eröffnung eines Geldhauses in Gifhorn trafen wir den Architekten Stephan Braunfels zu einem kleinen Gespräch am Rande. Hier überraschte er mit der Feststellung, dass er chinesische Paläste einer Palladio-Villa mittlerweile vorziehe. Und was macht der engagierte, feinnervige Architekt, wenn er mal nicht Architekt ist?

Ein schönes, und, mit Blick auf Ihre anderen Bauten, auch übersichtliches Projekt. Sind Sie mit allem zufrieden?

Ja sehr. Es ist zwar das kleinste halböffentliche Gebäude, was ich bisher in Deutschland geplant habe … die Gebäude werden immer kleiner. Dadurch ist natürlich auch die Durcharbeitung des Details besonders intensiv. Es war, wie immer, ein gewonnener Wettbewerb … ich glaube, ich habe noch nie einen Direktauftrag bekommen!

Warum haben Sie gewonnen, was war der Grund?

Ich freue mich hier besonders, weil wir mit einem Vorschlag gewinnen konnten, der immer schon mein zentrales Thema war. Vielleicht waren wir die einzigen, die vom historischen Stadtgrundriss ausgegangen sind. Also von der historischen Typologie der Ackerbürgerhäuser, die wir sehr entschieden wiederaufgegriffen und zu einer sehr grundsätzlichen, modernen und glaubwürdigen Form gebracht haben. Es ist immer beglückend, wenn das von der Jury erkannt und honoriert wird … Das ist nicht immer so!

Ich sehe dieses Projekt als Fortsetzung unserer städtebaulich orientierten Arbeit, die wir mit der Neuen Mitte Ulm begonnen haben. Hier in Gifhorn konnten wir wieder zeigen, dass es keinen Widerspruch gibt zwischen historischem Stadtgrundriss, historischer Typologie und moderner, ich würde sagen, radikal moderner Architektur.

Ist das die Sehnsucht nach dem „Damals war alles besser“?

Vielleicht … Ich komme ja aus einer Kunsthistorikerfamilie, Le Corbusier war der Held meiner Kindheit, Ronchamp der Anlass, dass ich Architekt werden wollte, schon mit sechs Jahren. Ich wuchs in eine Zeit der Krise der Moderne hinein, und hatte selber lange Zeit schwer mit mir gerungen, ob die moderne Architektur nicht ein Fehlweg war. Aber nachdem wir die Krise längst überwunden haben und es fantastische zeitgenössische Architektur überall auf der Welt wieder gibt, hat sich auch in ernst zu nehmenden Architektur- und Intellektuellenkreisen die Auffassung durchgesetzt, dass der Wiederaufbau historischer Gebäude legitim, ja wünschenswert sei.

Auch beim Stadtschloss in Berlin?

Ja natürlich, das ist kein Streitthema mehr.

Haben Sie an dem Wettbewerb damals teilgenommen?

Ja natürlich. Ich gebe es zu, ich war vielleicht der erste Vertreter einer modernen Architekturtradition, der für den Wiederaufbau der historischen Schlossfassaden war. Aber ich war nie dafür, das Schloss insgesamt historisch wiederaufzubauen. Ich habe die Chance gesehen, durch eine Neuinterpretation der städtebaulich wichtigen Fassaden als völlig neu gedeuteter Rahmen einer ganz neuen städtebaulichen Gesamtidee mit einem ganz neuen Inneren eine viel tiefere Vernetzung zwischen Geschichte und Gegenwart zu schaffen. Ich betrachte heute noch meinen Entwurf als den grundsätzlich gegensätzlichsten zu dem von Franco Stella.

In Berlin Historienkleid, in Gifhorn die intelligente Interpretation von Geschichte?
Wie immer – und überall – wird ambitionierte, zeitgenössische Architektur von der Bevölkerung erstmal grundsätzlich abgelehnt, so auch hier in Gifhorn. Ich hatte hier eher schlichte Interpretationen von Geschichte vorgefunden, Bauten, Umbauten aus den Siebziger Jahren. Wenn hier historische Fassaden gestanden hätten, hätte ich selbstverständlich diese historischen Fassaden erhalten.

Als Ganzes?
Das hätte man dann sehen müssen, abhängig vielleicht von der Bausubstanz. Ich würde niemals ein historisches Gebäude zerstören, um ein zeitgenössisches an dessen Stelle zu setzen. Ich würde auch niemals das machen, was [Karljosef] Schattner oft gemacht hat, nämlich intakte historische Gebäude zu einer Ruine umwandeln, um daraus die Rechtfertigung einer modernen Umformung ableiten zu können. Ich würde immer den Kontrast zwischen Alt und Neu herausarbeiten, also hinter einer historischen Fassade zumindest die wichtigen Hauptraumgruppen erhalten und in das Moderne integrieren um dann einen spannenden Raumplan zu entwickeln. Adolf Loos hat Vergleichbares propagiert und entwickelt. Das erscheint mir die wahrhaftigere Auseinandersetzung im Konflikt Alt und Neu, Geschichte und Gegenwart zu sein.

Raumplan und Betonbrückenbauten … ich war überrascht, Stephan Braunfels auch als Brückenbauer zu sehen. Und dann noch von Brücken, die sehr technisch, sehr trocken daher kommen.
Also nein! Ich bilde mir ein, dass ich besonders schöne Brücken gemacht habe … Sie sprechen jetzt von den Brücken, die ich für Saarbrücken gemacht habe. Das ist eine längere Geschichte, die auf einen Städtebauentwurf für die Neue Mitte Saarbrücken zurückgeht. Hier habe ich als einziger im Wettbewerb versucht, die historischen Stadtstrukturen wieder an den Fluss heranzuführen. Ich hatte leider nicht erkannt, dass das eher ein Landschaftswettbewerb war und nicht ein städtebaulicher! Man wollte wohl einen großen Park, ich aber wollte die Stadt am Flussufer … Als Trostpreis, so nenne ich das mal, hatte man mir die drei Brücken überlassen, die ein Bestandteil meines Städtebauentwurfs waren.

Mit Saarbrücken verbindet Sie aber noch etwas anderes?
Ja, die Philharmonie meinen Sie sicher. Das Saarland ist sehr arm, Saarbrücken ist sehr arm. Die Stadt hat aber mit ihren Rundfunk-Sinfonikern ein hervorragendes Orchester, das, wie die meisten Orchester vergleichbarer Güte in Deutschland, keinen eigenen Konzertsaal hat … Saarbrücken braucht einen Konzertsaal, hat aber kein Geld. Aber ein altes E-Werk, eine riesige Industriehalle, inzwischen im Inneren entkernt. Der ehemalige Chefdirigent der Rundfunk-Sinfoniker, Christoph Poppen, hatte nun die Idee, diesen Raum für sein Orchester zu nutzen. Meine Idee war damals, einen „Meteor“ da rein zu setzen; aber wie es im Augenblick aussieht, sieht es nicht gut aus!

Wie kommen Sie aber nach Saarbrücken?
Eigentlich, weil Christoph Poppen das Konzert zur Eröffnung der Pinakothek der Moderne in München dirigiert hatte. Er war so begeistert von der Akustik der Rotunde, dass er mich auf das Projekt in Saarbrücken ansprach. Für die Rotundenakustik bin allerdings weniger ich sondern Karl Heinz Müller von Müller BBM verantwortlich, mit dem ich alles plane, sodass jede Hundehütte eine überdurchschnittliche Akustik hat.

Sie hatten gerade glänzende Augen, als Sie vor diesem Gespräch auf Ihren China-Besuch zu sprechen kamen; warum?
Weil in China die Dinge wirklich passieren; und schnell. Ich war vor einem Jahr zum ersten Mal in China, ich habe jetzt schon meinen ersten großen Auftrag. Mein Bauherr kannte die Pinakothek der Moderne, die Bundestagsbauten, er wurde mir – zufällig muss ich sagen – vorgestellt, wir kamen natürlich auf Architektur zu sprechen … Nach einer Woche gab es das zweite Gespräch und ich hatte den Auftrag, das erste Gebäude einer neuen Stadt zu bauen!

Sehen Sie damit Ihre geschäftliche wie kreative Zukunft eher in China oder doch in Europa?
Weder noch. Endlich wird in Luxemburg das riesige Projekt für die europäische Kommission fertig, sie ist dort aber nur Mieter, der Bauherr ein privater Investor. In Berlin wird irgendwann das Bundesarchiv fertig, obwohl das leider mit dem ursprünglichen Entwurf nichts mehr zu tun hat. Positiv ist, dass nun endlich der 3. Bauabschnitt, die Vollendung des Marie-Elisabeth-Lüders-Hauses ansteht. Es gibt andere Projekte, über die ich jetzt noch nicht reden kann. Ich reise zurzeit viel, ich möchte noch viel mehr reisen, und so lange ich noch lebe die Welt besser kennen lernen. Ich habe erste Projekte in Mexiko … da kann man Sachen bauen, die man in Deutschland nie bauen kann. Und China … ich hätte nie gedacht, dass mich dieses Land so faszinieren würde. Ich ärgere mich heute sehr, dass ich nicht schon vor 20 Jahren dorthin gefahren bin. Ich habe mich völlig verguckt in die chinesische Architektur, ich finde sie unglaublich schön! Und viele chinesische Paläste gefallen mir heute besser als die in Italien, Palladio-Villen … das hätte ich noch vor zwei Jahren nicht gedacht. Vielleicht bin ich deshalb erst so spät nach China gekommen, weil mir als großem Musikliebhaber die Konzertkultur dort gefehlt hätte. Das jedenfalls glaubte ich damals.

Was machen Sie eigentlich, wenn Sie nicht Architekt sind?
Wenn ich nicht Architekt bin, bin ich Musiker. Leider inzwischen nur noch passiv, weil ich vor zehn Jahren Arthrose in den Fingern bekam und mein großer Fazioli-Flügel seither von anderen gespielt werden muss. Früher habe ich jede freie Minuten Klavier gespielt, heute gehe ich jede freie Minuten in die Oper oder in ein Konzert.

Das Gespräch führte DBZ-Redakteur Benedikt Kraft am 19. Januar 2012 in der Volksbank Gifhorn.

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