Stahl im Brandfall
Bemessungen für den konstruktiven Brandschutz

Die richtige Planung des konstruktiven Brandschutzes ist essentiell für die Sicherheit, Wirtschaftlichkeit und Nutzbarkeit von Stahlbautragwerken. Die Bauordnungen legen fest, welche Feuerwiderstandsklasse erreicht werden muss, und die DIN 4102 gibt tabellierte Vorschläge, wie diese erreicht werden kann. Dieses einfache Verfahren muss einerseits weit auf der sicheren Seite liegen, andererseits kann es nicht für alle Gebäude sicher genug sein. Dies bezieht sich vor allem auf komplexe und ungewöhnliche Tragwerke, die häufig in Stahl ausgeführt werden. In solchen Fällen sollte eine ingenieurmäßige Heißbemessung des Tragwerkes vorgenommen werden, um die gesetzlich geforderte Standsicherheit im Brandfall zu sichern. Für einfache Gebäude ist es sogar möglich, mit einer gewissenhaften Heißbemessung deutliche Einsparungen zu erreichen.

Bauordnung – was sagt das Gesetz?

Die Musterbauordnung (MBO) definiert die zu erreichenden Schutzziele: Entstehen eines Brandes und der Ausbreitung von Feuer und Rauch vorbeugen und die Rettung von Menschen und Tieren sowie wirksame Löscharbeiten ermöglichen. Diese Ziele werden in der MBO und weiteren Vorschriften umgesetzt. Außerdem werden die brandschutztechnischen Anforderungen an tragende Bauteile definiert. Die Anforderungen richten sich nach den in der MBO definierten Gebäudeklassen und den relevanten Sonderbauverordnungen. Vereinfacht kann man sagen, je höher und größer ein Gebäude ist und je mehr Menschen sich in dem Gebäude befinden, desto höher sind die Anforderungen an den konstruktiven Brandschutz. Eine gute Hilfestellung wird auf der Internetseite des Vereins bauforumstahl e.V. gegeben.

Allerdings erlaubt die MBO in Paragraph 3(3) auch die Anwendung von alternativen Ansätzen, solange die Einhaltung der Schutzziele gewährleistet bleibt.

Was sind die traditionellen Verfahren, um Stahltragwerke vor Feuer zu schützen?

Die Umsetzung des konstruktiven Brandschutzes basiert auf den in der DIN 4102 bzw.den Europäischen Normen DIN EN 1363 und DIN EN 13381 festgelegten experimentellen Prüfverfahren, denen die Einheitstemperaturzeitkurve (ETK) zugrunde liegt.  Als typische Brandschutzverfahren im Stahlbau sind folgende zu nennen:

– Brandschutzbekleidung mit zementgebundenen Silikat-Brandschutzplatten

– Dämmschichtbildner

– Kammerbetonierte I- und H-Profile

– Betongefüllte Hohlprofile

– Komplettes Ummanteln mit Beton

Die auf den oben genannten Normen basierenden Versuche geben einen grundsätzlichen Schutz für das einfache Tragwerk. In vielen Fällen führt das Befolgen der Vorgaben der Prüfnormen bei einer objektbezogenen Brandschutzplanung zu weit auf der sicheren Seite liegenden Ergebnissen. Im Fall von ungewöhnlichen Tragwerken können diese Vorgaben allerdings unter Umständen nicht sicher genug sein.

Dabei ist zu beachten, dass die häufig getroffene Annahme, dass ein Gebäude mit einer Feuerwiderstandsklasse F30, F60 oder F90 auch nach genau 30, 60 oder 90 Minuten versagt, so nicht richtig ist. Diese Zeiten beziehen sich auf die Ergebnisse von Brandversuchen, deren Versagenskriterien sich entweder auf das Erreichen einer gewissen Bauteilverformung oder einer angenommenen Versagenstemperatur von 500° C beziehen. Der tatsächliche Brandverlauf hängt allerdings von einer Vielzahl von Parametern ab, von denen die tatsächliche Menge und die Verteilung der Brandlast, die Luftventilation und das Volumen des Brandraumes die wichtigsten sind. Insbesondere für die im Stahlbau typischen Gebäudetypen, wie Hallen, Stadien und transparente Bürogebäude mit großem Stützenraster, sollte die dem genormten konstruktiven Brandschutz zu Grunde liegende ETK in Frage gestellt werden. Außerdem werden in Normbrandversuchen nur einzelne Tragelemente von vergleichsweise geringen Abmessungen und weder Gesamttragwerke mit großen Spannweiten noch ungewöhnliche bzw. architektonisch anspruchsvolle Tragwerke geprüft. Deshalb sollte zunächst eine Risikobetrachtung gemacht und typische Brandszenarien betrachtet werden. Erst dann können die verschiedenen Effekte untersucht werden, die ein unterschiedlich schnelles Aufheizen und Abkühlen der Tragwerke sowie eine ungleichmäßige Brandausbreitung verursachen.

Ein ingenieurmäßiger Ansatz zum konstruktiven Brandschutz

Weltweit haben realistische Brandversuche gezeigt, dass die Duktilität von Stahl- und Ver­bundtragwerken eine Umlagerung der Lasten bewirken kann, die es ermög­licht, den konstruktiven Brandschutz gegenüber den Vorgaben der Normung zu optimieren. Die ganzheitliche Betrachtung von Tragwerken im Brandfall zeigt, dass deutlich höhe Stahltemperaturen als die allgemein bekannten 500° C möglich sind, ohne dass es zu einem Versagen des Gesamttragwerkes kommt. Heute ist es technisch machbar, die möglichen Verläufe von Bränden realistischer vorherzusagen. Das erlaubt dem Ingenieur, den konstruktiven Brandschutz tatsächlich ingenieurmäßig zu planen, anstatt sich auf teilweise nicht zeitgemäße Ergebnisse von katalogisierten Brandversuchen verlassen zu müssen.

Mit der Einführung der „heißen“ Teile der Eurocodes (DIN EN 1991-1.2 und DIN EN 1993-1.2) und der Novellierung der Landesbauordnungen ist es auch in Deutschland möglich, konstruktiven Brandschutz nicht mehr nur als Nachschlageübung, sondern als aktiv geplanten und berechneten Lastfall Brand zu behandeln. Allerdings erfordert eine solche Berechnung in der Regel eine ganzheitliche Betrachtung von Gebäude und Tragwerk in enger Zusammenarbeit mit Architekten, Brandschutzplanern und  Tragwerksplanern und muss so früh wie möglich in die Planung eines Gebäudes eingebunden werden. Zur Genehmigung von ingenieurmäßigen Berechnungsmethoden, die über die einfachen Nachweise der Eurocodes hinausgehen, ist eine Abweichung im Sinne von § 67 der MBO  zu beantragen und der Nachweis zu erbringen, dass die Schutzziele erreicht werden. Daher empfiehlt sich eine frühzeitige Absprache des geplanten Vorgehens mit der Bauaufsicht und den Prüfingenieuren für Statik und Brandschutz, die für die Prüfung und Genehmigung der ganzheitlichen Brandschutzbemessung zuständig sind. Die Eurocodes erkennen auch die geringe Wahrscheinlichkeit an, dass im Falle eines intensiven Bran-

des gleichzeitig maximale Verkehrs-, Schnee- und Windlasten auftreten, indem die Teilsicherheitsbeiwerte für diese Lasten bei einer Heißbemessung deutlich abgemindert werden dürfen. Das führt zu einer geringeren Auslastung der Tragwerke im Brandfall und damit zu einer höheren Versagenstemperatur und der Möglichkeit, Lasten umzulagern.

Der größte Vorteil einer ingenieurmäßigen Planung des konstruktiven Brandschutzes ist die Möglichkeit, die tatsächlichen Sicherheitsreserven eines Tragwerkes im Brand­fall zu bestimmen, und auf besondere Risiken gezielt eingehen zu können bzw. den konstruktiven Brandschutz für die tatsächlich notwendigen Sicherheitsreserven zu optimieren.

Für den architektonischen Stahlbau ist eine Heißbemessung besonders interessant, wenn bei sichtbaren Stahlbauteilen auf konstrukti-ven Brandschutz verzichtet werden soll. Unter Umständen können deutliche Kosteneinsparungen beim konstruktiven Brandschutz erreicht werden sowie die Nachhaltigkeit des Gebäudes verbessert und die Wartungsanforderun-gen verringert werden.

Wie verhalten sich Stahltragwerke im Brandfall wirklich?

Mit ansteigenden Temperaturen verliert Stahl seine Festigkeit und Steifigkeit. Zudem ver­ändert sich die Form der Spannungs-Dehnungs- Kurve und der linear-elastische wechselt in einen gekrümmten Bereich mit kontinuierlich abnehmender Steifigkeit. Stahl dehnt sich, wie fast alle anderen Materialien, bei ansteigenden Temperaturen aus. Eine Behinderung dieser thermischen Dehnung kann zu sehr großen, zusätzlichen Kräften im Tragwerk führen, die bei einer klassischen Bemessung nicht berücksichtigt werden. Das Materialverhalten von normalen Baustählen ist deutlich besser erforscht und beschrieben als das der meisten anderen Baumaterialien, was dem Ingenieur die Heißbemessung erleichtert.

Wann macht es Sinn, sich an einen Experten für Heißbemessung zu wenden?

Internationale Erfahrungen zeigen, dass sich in der Regel die ingenieurmäßige Planung konstruktiven Brandschutzes erst ab einer gewissen Größe und Komplexität von Gebäuden und Tragwerken rechnet. Eine detaillierte Bemessung für den Brandfall ist andererseits von besonderer Bedeutung bei allen Gebäuden, deren Versagen eine überregionale Gefährdung von Leben und Wirtschaft darstellt. Deshalb sollte für alle mittleren und großen Projekte, aber auch für besonders komplexe Bauvorhaben stets eine Risiko-Nutzen Betrachtung einer ingenieurmäßigen Planung des konstruktiven Brandschutzes verlangt und durchgeführt werden. Wenn konstruktiver Brandschutz ingenieurmäßig entworfen wird, sollte immer in Koordination mit dem Brandschutzkonzept sichergestellt werden, dass die gewählten Heißbemessungsansätze mit dem Entfluchtungs- und Feuerwehrangriffskonzept verträglich sind.

Internationale Fallbeispiele Médiacité, Lüttich/BE

Ron Arad hat für Wilhelm and Co. ein komplexes Stahldachtragwerk für das Einkaufszentrum Médiacité in Lüttich entworfen. Buro Happold war mit der Tragwerksplanung und Heißbemessung des Daches beauftragt. Die geforderte Feuerwiderstandsklasse R 30 für das Dachtragwerk konnte durch eine Heißbemessung des gesamten Tragwerks ohne zusätzliche konstruktive Brandschutzmaßnahmen verwirklicht werden. Die ETFE Folienkissen in der Dachhaut wurden als Wärmeabzug berücksichtigt, um das Bilden einer sehr heißen Rauchschicht zu verhindern. Die komplexe Dachkonstruktion erforderte jedoch trotzdem eine Untersuchung des  Tragverhaltens im Brandfall, um die Standsicherheit nachzuweisen. Nach der Festlegung und Genehmigung eines Lokalbrandszenarios wurde die Wärmestrahlung und Konvektion von Feuer zu Dachtragwerk zur Berechnung der Zeit-Temperatur-Verläufe der Stahlelemente durchgeführt, basierend auf ihrer Entfernung vom Feuer. Die Bauteiltemperaturen wurden dann für verschiedene Zeitpunkte mit den entsprechenden Materialeigenschaften in das Tragwerksmodell eingebracht. Für diesen Lastfall wurden die Spannungen und Verformungen des Tragwerks berechnet und das Stahltragwerk so bemessen, dass kein zusätzlicher konstruktiver Brandschutz notwendig wurde.

5 Broadgate, London/GB

Make Architects haben im Auftrag von British Land und Blackstone für UBS einen 13-stöckigen „Groundscraper“ in der City von London entworfen mit einer Nettofläche von ca. 65 000 m².  Das Gebäude ist für bis zu 3 000 „traders“ auf den vier „trading floors“ und weiteren Büros und Aufenthaltsflächen auf den restlichen Stockwerken als Stahlverbundkonstruktion mit einem Stützenraster von 12,5 x 13,5 m geplant. Buro Happold wurde bei diesem Projekt u. a. für die Tragwerks-, Brandschutz-, Sicherheits- und Fassadenplanung beauftragt.  Wie in London mittlerweile üblich, wurden die Verbunddecken so bemessen, dass im Brandfall die Mem-branwirkung der Decke ausgenutzt werden kann. Bei diesem Verfahren sind nur die Träger eines Deckenfeldes brandgeschützt, die direkt an Stützen anschließen. Im Brandfall biegt sich jedes Feld 2-fach gekrümmt durch und die Bewehrung in der Verbundplatte hängt sich über Membrankräfte in einem

horizontalen Betondruckring über den brandgeschützten Trägern ein. Auf diese Weise werden die Lasten von der Feldmitte in die brandgeschützten Randträger geleitet, ohne dass die ungeschützten Sekundärträger benötigt werden. Die Bemessung auf Mem-branwirkung erfolgte mit dem auf diese

Anwendung spezialisierten Finiten-Elemente- Programm Vulcan. Außerdem wurde aufgrund der erhöhten Sicherheitsanforderungen des Mieters eine Progressive-Kollaps-Bemessung vorgenommen und mit der Heißbemessung kombiniert. Als Ergebnis wurden duktile Stirnplattenverbindungen entwickelt, zusätzliche Bewehrung in die Verbunddecke eingelegt und die Trag­fähigkeit der geschützten Sekundärträger erhöht. Auf diese Weise wurde ein hochmodernes Bürogebäude entworfen, das dem aktuellen Sicherheitsbedürfnis der Mieter entspricht und zusätzlich noch
die Vorteile einer Heißbemessung nutzen konnte.

Yale School of Management, New Haven, Connecticut/US

Foster + Partners haben für die Yale University ein neues Gebäude für die School of Management als Stahlverbundtragwerk geplant.Der Großteil der Ingenieurleistungen wurden von Buro Happold erbracht. Als Teil der tragwerksplanerischen Leistungen wurden ins-gesamt 39 externe, 20 m lange Stahlstützen ingenieurmäßig für den Lastfall Brand bemessen und konnten weitestgehend ohne Brandschutz ausgeführt werden. Durch die ausgesprochen transparente Bauweise und eine automatische Sprinkleranlage wird die Möglichkeit eines Vollbrandes minimiert. Viel wahrscheinlicher sind lokale Brände, wie z. B. der Brand einer Workstation, der auch als Bemessungsbrand angesetzt wurde. Von diesem Brandszenario ausgehend wurde die Wärmestrahlung und die Konvektion auf die Stützen ermittelt und mit Hilfe des Finiten- Elemente-Programms TASEF die Temperaturverteilung im Stützenquerschnitt berechnet. Diese Verteilung wurde dann genutzt, um mit dem nicht-linearen Finiten-Elemente-Programm Vulcan das Verhalten des Tragwerkes zu berechnen. Besonders wichtig war hier die Beachtung der zusätzlichen Krümmung, die durch die ungleichmäßige Temperaturverteilung im Querschnitt der schlanken Stützen entsteht und deren Tragfähigkeit deutlich verringert.

Zusammenfassung und Ausblick

Unter Umständen liegen die genormten Brandversuche für moderne Stahltragwerke entweder unnötig weit auf der sicheren Seite oder sind nicht sicher genug, weil die realistischen Dimensionen und Zwängungen in Bauwerken nicht abgebildet werden. Deshalb empfiehlt sich gerade im modernen architektonischen Stahlbau bzw. im Stahl-Verbundbau eine ingenieurmäßige Bemessung des konstruktiven Brandschutzes. Die Landesbauordnungen erlauben die Anwendung von solchen alternativen Bemessungsverfahren, solange eine vergleichbare oder höhere Sicherheit nachgewiesen werden kann. Die neu eingeführten „heißen“ Eurocodes und die nationale bzw. internationale Forschung geben den Ingenieuren das notwendige Handwerkszeug, um sichere und architektonisch wertvolle Stahlbauten mit einem optimierten Brandschutz umzusetzen.

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