Städtisches neben der grünen Wiese
Einkaufszentrum Stücki, Basel/CH

Ein urbanes Einkaufszentrum? Klingt wie ein contradictio in ajecto, wie ein Widerspruch in sich. Und doch, mit einem überzeugenden Konzept, mit gelungener Gestaltung kann auch eine Shopping Mall durchaus städtisch sein.

Kleinhüningen ist nicht unbedingt das, was man einen eleganten Vorort nennt. Die Bauten der Chemie- und Pharmariesen, ein Containerhafen, Silos, Werkhallen sowie Geschossbauten eher niedrigen Standards prägen den nördlichsten Stadtteil Basels, einem typischen Industrie- und Arbeiterquartier mit einem hohen Anteil von Migranten. Von 1918 bis 1984 hatte auch die Basler Stückfärberei in Kleinhüningen ihren Sitz, Mitte der 1960er Jahre brachte man es mit bis zu 700 Beschäftigten zum zweitgrößten Textilveredler der Schweiz. Doch bedingt durch den industriellen Strukturwandel wurde der Standort 1984 aufgegeben. Der Name „Stücki“ blieb. Er hatte vor allem bei der Jugend, die aus dem Dreiländerdreieck auf die Industriebrache strömte, einen guten Klang. Denn das Stücki erlebte als Party-, Kunst- und Konzertgelände einen wahren Boom. Die kulturelle Zwischennutzung dauerte bis 1997, die Sprengung eines 55 m hohen Backsteinkamins am 2. Septem­ber 1997 markierte ihr Ende. Genau zwölf Jahre danach wurde mit der Eröffnung der „Stücki Shopping“ genannten Einkaufsmall im September 2009 ein neues Kapitel geschrieben, wobei Bauherr und die beteiligten Planer eine ganze Reihe von Widerständen, die in einer Volksabstimmung mündeten, zu durchstehen hatten. Die Gegner befürchteten die Zunahme des Auto- und Anlieferverkehrs, dennoch stimmten rund 60 Prozent der Wähler für das Einkaufszentrum.

Wer sich heute dem Stücki nähert, ist überrascht. Es gibt keine weiten Parkplatzflächen, die es wie Ringe umgürten. Keine Verkehrsschneisen und Restflächen, keine gestapelten Autos, sondern ein dreimal versetzt rückspringender Baukörper an der Straße mit einem Vorplatz, auf den Restaurants und Bars mit ihren Sitzgelegenheiten die Anwohner und Kunden – auch nach Ladenschluss - zum Verweilen einladen. Menschen statt Blech.
Und diese Menschen sitzen im Grünen. Die südlichen und westlichen Gebäudehüllen haben die Architekten um Roger Diener in Zusammenarbeit mit den Basler Landschaftsarchitekten Fahrni und Breitenfeld als korrespondierendes Element zu der Auenlandschaft des Flusses „Wiese“ gestaltet, die dem Stücki gegenüber liegt. Kontrastierend zur schlichten, sich sehr zurückhaltenden Architektur des Gebäudes, sind an der Südfassade wie auf einem Regal große Pflanztröge aneinandergereiht, in denen eine Mischung aus hängen­den, stehenden und schlingenden Gehölzen ein ebenso geordnetes wie vielfältiges Blüten- ­­und Blätterkleid bilden. Das im Jahresablauf darüber hinaus ständig wechselt. Die vier Ebenen der Südfassade – zwei sind es bei der Westfassade – nehmen als städtisches Element die Maßstäblichkeit der umliegenden Geschosswohnungsbauten auf.

Promeniert man an der Wiese, sind die enormen Dimensionen des Stücki – 367 m Länge, 110 m Breite, eine Bruttogeschossfläche von 98 000 m², eine über zwei Geschosse und zwei Achsen verteilte Verkaufsfläche von 32 000 m² mit 120 Läden – kaum wahrzunehmen. Lediglich der 38 m hohe, mit LED-Streifen geschmückte Eingangsturm verweist wie seine drei nörd­lich gelegenen Kollegen auf das Gebäudevolumen. Roger Diener versteht das Gebäude als Scharnier zwischen Industrie- und Wohnquartier, er konnte zudem seine Bauherrn überzeugen, es nicht mono-, sondern multifunktional, also städtisch ­zu nutzen: Zum Stücki gehören ein elegantes Hotel mit 144 Zimmern, insgesamt 5 000 m² Bürofläche und diverse Restaurants und Cafés, die auch die Angestellten der Umgebung mittags gerne besuchen. Besagte Vielfalt an der Fassade ist demzufolge nicht nur Zierde, sondern hat auch eine inhaltliche Entsprechung – und das nicht nur im Warenangebot.

Betritt man den Bau durch den Eingangsturm – das tun rund die Hälfte aller Besucher, was heißt, dass nur 50 Prozent der Stücki-Kunden mit dem Auto kommen, der Rest zu Fuß, mit dem Fahrrad oder öffentlichen Verkehrsmitteln -, überrascht die Mall mit einem sehr noblen, sehr eleganten, vor allem aber ungewöhnlich hellem Raum. Fassadenhohe Fenster nach Westen, insgesamt ­19 im Durchschnitt fünf Meter runde Oberlichter, die über der Hauptachse verteilt sind, bringen Tageslicht bis in die Garage im Untergeschoss. Im Gegensatz zu den üblichen Shopping Malls, in denen jedes Eindringen der Außenwelt, jeder Blick in die Umgebung konsequent verhindert wird, ­ist dies im Stücki gewollt. Ebenfalls gewollt ist das durchgängige Erscheinungsbild der Ladenfronten: ein Lichtband mit hinterleuchtetem Firmennamen und –logo, Pilaster zwischen den Läden in einem einheitlichen, schwarz durchgefärbten Kunststein, wobei der schwarze Fries zwischen Lichtband und Decke von einem Denkmalpfleger bemalt wurde, der im Hauptberuf barocke Kirchen restauriert. Der Fertigteilstützen der Tragkonstruktion wurden übrigens dunkel pigmentiert und anschließend geschliffen, so dass sie nun ähnlich edel wie die Pilaster zwischen den Läden wirken.



Überraschend auch die abgehängten Decken. Üblicherweise mit wenig Aufmerksamkeit bedacht, ist die aus silbrig glänzenden Aluminiumzylindern bestehende Decke als visueller Blickfang gedacht. Kleine LEDs hellen die Zylinder auf und inszenieren ein spektakuläres Spiel aus Lichtkreisen und –ringen verschiedener Größe. Formgebend waren die kreisrunde Oberlichter, die von PTFE-Kissen gedeckt werden. Das Zusammenwirken von künstlichem und natürlichem Licht, die vier großen Lichthöfe und die zahlreichen Durchblicke haben als Ergebnis jenen urbanen Effekt, den schon Victor Gruen, in den frühen 1950er Jahren ,der Erfinder des Typus Shopping Mall, bei seinen Bauten erreichen wollte. Dass die Räume klar und übersichtlich gegliedert sind, dass die Bewegung der Kunden ruhig und sicher gelenkt wird, dass die Details – etwa die sehr eleganten Orientierungselemente, etwa der distinguierte Bodenbelag aus einheimischem grauen Granit – perfekt ausgeführt wurden, braucht man bei einem Architekten wie Roger Diener kaum zu erwähnen.

Dass das gesamte Gebäude einschließlich Hotel CO2-neutral gekühlt bzw. beheizt wird, dann doch. Ebenso die grüne Oase auf dem in Region fast einmaligen Flachdach mit unterschiedlichen Substraten und Schichthöhen, die nicht nur für ein ausgeglichenes Hausklima, sondern für einen ökologischen Ersatz der verloren gegangenen Bodenflächen sorgen.

Das Stücki ist derzeit das größte Einkaufszentrum der Nordschweiz, das größte auch im Dreiländerdreieck. Allerdings ist in den nächsten Jahren der Bau oder die Erweiterung von einem halben Dutzend Shopping Malls geplant. Im Weil am Rhein beispielsweise die „Rhein Arkaden“ mit 27 000 Quadratmetern Verkaufsfläche, am EuroAirport im elsässischen Muhlhouse ist von einem Projekt die Rede, das erheblich größer als das Pendant in Kleinhünigen sein soll. Während die Lokalpresse vor einem drohenden „Shoppingcenter-Overkill“ warnt, hat das Stücki Maßstäbe gesetzt. Die deutsche Elektromarkt-Kette „Saturn Hansa“ tritt im Stücki zum erstenmal in der Schweiz auf, eben­so feiert die deutsche ECE in der Eidgenossenschaft als Einkaufszentrum-Betreiber eine Premiere. Noch bei der Eröffnungs­feier des Stücki sprachen Vertreter des Unternehmens, dass diese Mall etlichen firmen­eigenen Gestaltungsprinzipien eigentlich widerspreche. Dennoch wage die ECE dieses Experiment. Wenn also das Stücki Einfluss auf die Gestaltung künftiger Einkaufsflächen in Deutschland hätte, wäre das sicherlich seine größte Leistung.
Enrico Santifaller, Frankfurt am Main

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