Parkerweiterung, Stuttgart

Spiel mit Perspektiven
Parkerweiterung, Stuttgart

Nach der Eröffnung im Sommer 2012 wurde Stuttgarts neuer Park am Killesberg, die „Grüne Fuge“, von den Bürgern kontrovers diskutiert. Konnten einige der künstlich geschaffenen Hügellandschaft (noch) wenig abgewinnen, lobten andere die gelungene Gestaltung als „wohltuende Abwechslung im herkömmlichen Allerlei bundesdeutscher Gartenbaukunst“. Die Grüne Fuge polarisiert. Ein Jahr später ist der Konflikt bei den meisten beigelegt. Die Grüne Fuge wird gut angenommen und ihre Qualität, die zu neuen kollektiven Raumerlebnissen führt, geschätzt.

Mit der Verlegung der Stuttgarter Messe auf die Fildern, in unmittelbare Nähe zum Flughafen, wurde im Jahr 2009 das alte Messegelände am Killesberg für eine neue städtebauliche Entwicklung frei. Bereits im Jahr 2004 hatte die Stadt Stuttgart hierfür einen städtebaulichen und landschaftsplanerischen Ideenwettbewerb ausgelobt, der vom Stuttgarter Büro Pesch Partner Architekten Stadtplaner in Arbeitsgemeinschaft mit dem Landschaftsarchitekten Frank Lohrberg gewonnen wurde. Diese Planung bildet das Grundgerüst der heutigen planerischen Weiterentwicklung für das insgesamt etwa 18 ha große Gelände des ehemaligen Messeareals.

Unweit der Weißenhof-Siedlung und der Akademie der Bildenden Künste und in direkter Nachbarschaft zum bestehenden Killesberg Höhenpark ist das neue Stadtquartier Killesberghöhe entstanden, ein Gemeinschaftsprojekt der Büros Ortner und Ortner, KCAP Architects, Baumschlager Eberle Lochau, David Chipperfield Architects sowie Höhler und Partner.

Die rund 10 ha große angrenzende Parkerweiterung wurde auf ehemals baulich genutzten Flächen und als Ausgleich für die Bebauung von Teilen des Messegeländes angelegt. Als Grüne Fuge bildet sie das grüne Herz des neuen Quartiers. Darüber hinaus setzt sie das „Grüne U“ fort, ein heute 8 km langer Grünzug, der sich von den Schlossgartenanlagen im Stuttgarter Talkessel über den Park der Villa Berg, den Rosensteinpark und die Wilhelma, den Leibfriedschen Garten und den Wartberg bis hin zum Höhenpark Killesberg zieht.

Die Historie des Ortes erfahren

Für die Gestaltung und die Umsetzung vor Ort beauftragte die Stadt Stuttgart im Jahr 2008 die Arge Zukunft Killesberg Park, bestehend aus den Landschaftsarchitekten Rainer Schmidt, München und Pfrommer und Roeder, Stuttgart. Das Parkkonzept nimmt Bezug auf die Geschichte des Ortes und verbindet zwei Themen, die den Killesberg prägen: Weiche naturnahe Landschaft sowie Steinbrüche als harte Topografie. „Es entsteht eine Landschaft, die eine eigene Geschichte neu erzählt“, sagt Rainer Schmidt, „harte karstige Formen einer Steinbruch-Topografie, wie mit dem Meißel herausgebrochen, verändern sich im Laufe der Jahre. Aus gebrochenem Material entwickeln sich abgerundete Formen zu einer weichen Landschaft, die mit Erde und Grün überzogen wird.“

Bis in die 1930er-Jahre war der Killesberg-Park ein SteinbruchGelände für Schildsandstein. Der intensive Abbau des sogenannten Stuttgarter Werksteins hinterließ deutliche Spuren – eine schroffe, künstliche Topografie wie eine offene Wunde in der Landschaft. Als „heilende“ Geste legen sich nun weiche Rasenflächen über das Areal, fügen es harmonisch zusammen und interpretieren die Vergangenheit dieses Ortes neu.

Verfremdete Wahrnehmung

70 000 m³ Erde wurden für die neue Topografie von Rasenkissen mit engmaschigem Wegenetz bewegt; 400 Bäume – Obstbäume und heimische Gehölze – wurden gepflanzt. Die künstlich geschaffenen, knapp 1 m hohen Rasenhügel dehnen sich auf das komplette Areal aus und fügen die Feuerbacher Heide, die Grüne Fuge und den Park vor der „Roten Wand“ harmonisch zusammen. Dabei überbrücken sie optisch auch die mehrspurige Straße Am Kochenhof. Aus der Ferne wirken die erhöhten Rasenfelder wie eine große Grünfläche. Erst beim Spaziergang durch das Gelände erschließt sich die kleinteilige Wegeführung, die zum Erleben und Wahrnehmen einlädt – eine schnelle Verbindung von A nach B sucht man vergeblich. „Die Rasenkissen liegen mit Wiesenoberkannte etwa knie- bis hüfthoch über den Wegen“, erklärt Ulf Roeder. Stehe ein Besucher auf einem Querweg, könne er zwar jeden anderen Spaziergänger sehen, nicht aber die Wege selbst.

Die Anhebung der Topografie bzw. das Versenken der Wege bedingt ein „Eintauchen“ in die Umgebung, verändert vertraute Perspektiven. Ungewohnte Sichtweisen überraschen mit neuen Blickbeziehungen und sensibilisieren dafür, Bekanntes neu zu entdecken. Je nach Standpunkt sind Besucher und Wege in der Rasenlandschaft versteckt und Entfernungen erscheinen optisch verkleinert. „Die Gestaltung lebt von der Verfremdung der Wahrnehmung menschlicher Körpermaße durch die Anhebung der Topografie und dazwischen gelegte Wege, die eine neue Raumwahrnehmung als ‚Mensch in Landschaft’, hervorrufen“, erläutert Rainer Schmidt.

Nachhaltige Entwicklung

Die Stabilität der Erdanschüttungen der Rasenkissen, die Hangsicherung der Roten Wand und die Renaturierung des Sees stellten die Planer vor technische Herausforderungen. Ebenso die exakte Einfassung der Rasenkissen: Viele Granitsteine wurden nach Schablonen einzeln angefertigt und auf insgesamt 7 000 m Rasenkante eingebaut. Besonderes Augenmerk galt dem Wassermanagement. Das Dach- und Oberflächenwasser der Grünen Fuge und des angrenzenden Quartierzentrums Killesberghöhe wird gesammelt und für die Bewässerung des Parks genutzt. Als Zisterne dient ein Relikt des alten Messegeländes, das Untergeschoss der früheren Messehalle 5. Der Kellerraum wurde statisch ertüchtigt und abgedichtet und fasst nun 3 600 m³. Das so gewonnene Wasser spart Trinkwasserressourcen und der Landeshauptstadt zukünftig Betriebskosten für den Unterhalt der Grünen Fuge und der Wasserfontänen im Höhenpark. Bestandteil dieser Brauchwasseranlage ist auch der neue, naturnahe See am Fuß der Grünen Fuge. Er setzt nicht nur einen gestalterischen Akzent, sondern übernimmt auch Aufgaben im System der ökologischen Brauchwasserreinigung. Aus diesem System wird auch der zentrale Bachlauf der Grünen Fuge gespeist, der wiederum in den See mündet.

Naturdenkmal aus Sandstein

Weithin sichtbar leuchtet die Rote Wand im Süden der Grünen Fuge. Durch den Abriss eines Parkhauses wieder freigelegt, steht die Wand im wirkungsvollen Kontrast zur ihr vorgelagerten weichen Grashügellandschaft und legt Zeugnis der Vergangenheit ab. Mit ihrer sichtbaren Abbruchkante erinnert sie an die ehemalige Nutzung des Areals als Steinbruch. Vor der Roten Wand zieht sich ein Band entlang mit verschiedenen Stauden, Sträuchern und Gräsern und bildet einen zusätzlichen, farbigen Blickfang als Hintergrund für das gesamte Parkgelände. Obstbäume und heimische Gehölze dienen auch hier als Rahmenbepflanzungen und einzelne Blickpunkte.

In exquisiter Lage an einem Höhenrücken gelegen, war das Gelände am Killesberg in Teilflächen als Bauland ungeeignet auf Grund seiner vorherigen Nutzung. So bewarb sich die Stadt Stuttgart im Jahr 1939 mit einem ausgeklügelten Konzept erfolgreich für die Reichsgartenschau. Bis heute gilt der damals von Hermann Mattern konzipierte Park als einziges gut erhaltenes Beispiel für die Gartenbaukunst der 1930er-Jahre. Beliebt als familienfreundlicher Naherholungsort bietet der 50 ha große, abwechslungsreiche Höhenpark seitdem Kinderspielplätze, Cafés und Ruhebereiche, ein Freibad, eine Tierwiese und viele Blumenrabatte.

Zeitgemäße Zäsur

Die Grüne Fuge ergänzt den Höhenpark um eine neue Erfahrungswelt, die mit Muße erschlossen werden will. Statt sorgfältig komponiertem Blütenmeer kunterbunte Wildblumenwiesen, die je nach Jahreszeit unterschiedlich blühen. Statt fest definierter Spielflächen ein einziger großer Spielplatz, der zu Erkundungstouren einlädt. Statt Beobachtung aus der Distanz Eintauchen in die Landschaft. Statt direkter Wege verschlungene Pfade, die zur Entdeckung der Langsamkeit anregen. Nischen mit integrierten Bänken zum Verweilen und Besinnen, Wasserrinnen zum Anfassen, ein See als Wasserspeicher und als Erholungsort mit Ausblick-Terrasse. Qualitäten, die nicht nur die Anrainer und Stuttgarter, sondern auch Besucher aus anderen Städten zu schätzen wissen bzw. lernen.

Baudaten

Objekt: Parkerweiterung Killesberg

Standort: Am Kochenhof/Stresemannstraße, Stuttgart

Bauherr: Landeshauptstadt Stuttgart; Stuttgart Garten-, Friedhofs- und Forstamt

Nutzer: Einwohner und Besucher

Projektteam: Arge „Zukunft Killesberg Park“: Rainer Schmidt Landschaftsarchitekten + Stadt-planer GmbH, München, www.rainerschmidt.com, und Pfrommer + Roeder Landschaftsarchitekten, Stuttgart, www.pfrommer-roeder.de

Bauleitung: Pfrommer + Roeder Landschaftsarchitekten, Stuttgart, www.pfrommer-roeder.de

Landschaftsarchitekt: Rainer Schmidt Landschaftsarchitekten + Stadtplaner GmbH, München, www.rainerschmidt.com

Mitarbeiter: Prof. Rainer Schmidt, Dipl.-Ing. Franziska Krüger

Planungs- und Bauzeit: 2008–2012

Fachplaner

Energetische Planung/ Wasserrückhaltung: Arge „Zukunft Killesberg Park“: Rainer Schmidt Landschaftsarchitekten + Stadt-planer GmbH, München, www.rainerschmidt.com, und Pfrommer + Roeder Landschaftsarchitekten, Stuttgart, www.pfrommer-roeder.de

Materialien: Arge „Zukunft Killesberg Park“: Rainer Schmidt Landschaftsarchitekten + Stadt-planer GmbH, München, www.rainerschmidt.com, und Pfrommer + Roeder Landschaftsarchitekten, Stuttgart, www.pfrommer-roeder.de

Projektdaten

Grundstücksgröße: 10 ha

Nutzfläche: 10 ha

Baukosten: 7 Mio. €/m (gesamt)

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