„Spiegel menschlicher Gebrauchsmuster“


Thomas Werner zum Thema „Bauen im Bestand“

Bauen im Bestand bedeutet nicht immer nur die energetische Sanie­rung von Wohnbauten. Es gibt auch Spezialfälle, mit denen umgegangen werden muss. Ein Beispiel dafür ist Berlins älteste und größte Investitionsruine, Aldo Rossis Rohbau eines Einkaufszen­trums an der Landsberger Allee/Ecke Storkower Straße. Thomas Werner entwarf ein Umnutzungsszenario der Ruine in ein Hotel – sehr aktuell, denn im März dieses Jahres eröffnete dort wirklich ein Hotel seine Pforten.


Sie haben Aldo Rossis Entwurf für ein Einkaufszentrum umgenutzt für ein Hotel. Bitte erläutern Sie Ihr Konzept.

Das Hotel ist nur ein Teil eines größeren Szenarios, die Bauruine mit einer nachhaltigen und erweiterbaren Infrastruktur zu versehen. Angesichts der lokalen Gegebenheiten erscheint mir ein Sporthotel als Hauptnutzer in einer Art „Joint Venture“ mit verschiedenen öffentlichen Nutzungen, wie u. a. Bibliothek, Gastronomie oder diversen Sport- und Erholungseinrichtungen, nur als sinnvoller Ansatz. Es herrscht ein erheblicher Sporttourismus in dieser Gegend Berlins aufgrund der großen Sportevents im gegenüberliegenden Europasportpark mit Velodrom und Schwimmsporthalle von Dominique Perrault. Die unmittelbare Nähe zur City hat unterdessen viele „Urban Sports“ angezogen wie z. B. Parkour, dem akrobatischen Überwinden von Gebäuden und Stadtmöbeln. Dieser dynamische Umgang mit Gebautem stand meiner Idee der Umnutzung von Anfang an Pate. Beeindruckt von der Monumentalität und Haptik dieser sinnlichen Heterotopie schlichen viele heimlich in die eingezäunte, kulissenartige Betonskulp­tur zum Fotografieren, Klettern oder, um spontan Party zu feiern. Die fast surreale Atmosphäre der Ruine kann in meinem Szenario jedem über unterschiedlichste Räume erfahrbar gemacht werden. Als komplexes Zusammenwirken vieler Raum- und Sinneseindrücke möchte ich aber keinesfalls diese Atmosphäre konservieren, sondern lediglich die unveränderte Haptik des Rohbaus als Ausgangspunkt nehmen, um Räume hineinzustellen, daraus Zwischenräume entstehen zu lassen, aber auch Leerräume zu akzeptieren, die wiederum temporär bespielt werden können und das Ganze im permanenten Zustand des Wachsens und Schrumpfens zu einem in sich veränderlichen Konglomerat machen.


Nach welchen Kriterien, außer statischen, sollte über Umnutzung oder Abriss entschieden werden?

Da wäre zum einen der denkmalpflegerische Aspekt, welche Bedeutung Orte im geschichtlichen, politischen und kulturellen Kontext für unser kollektives Gedächtnis besitzen. Dabei spielen Kriterien wie
Alter, Nutzung und Popularität sicherlich eine große Rolle. Am „Wiederabbau“ des Palasts der Republik wird aber deutlich, dass diese nicht zwingend ausreichende Kriterien sind und womöglich ästhetische, politische oder wirtschaftliche Interessen überwiegen. Ent­gegen der breiten Investitions-Monokultur, die allzu oft bestehende
Gebäudestrukturen schnellfertig mit Neubauten aufgrund Kriterien wie Amortisierungszeit, Flexibilität und Baueffizienz ersetzt, sollten verstärkt auch ökonomisch nachhaltige Kriterien eine Rolle spielen. Kaum (um)nutzbare und nur schwer wieder trennbare Bauverbundstoffe füllen einen Großteil unserer Mülldeponien, nicht zu sprechen vom enormen Energieaufwand bei Gebäudeabriss und Baustoffrecycling. Bestehende Gebäudesubstanz sollte daher auch auf seine ökologischen und ökonomischen Potentiale gegenüber einem konventionellen Neubau untersucht werden, anhand dessen man dann sinnfällige Raumprogramme entwickelt kann. Darüber hinaus entstünde im Zusammenwirken von Bestehendem mit Neuem für unser Stadtbild idealerweise ein größerer Mehrwert. Abgenutzt, verwittert oder beschmutzt werden Bestandsstrukturen zum sinnlichen „Erlebnisbereich in einer Welt der perfekten Oberflächen“ – als Bindeglied zur alten Stadtsubstanz, als Spiegel menschlicher Gebrauchsmuster. Schlimmstenfalls verlieren jedoch gerade diese letzten Spuren durch fehlambitioniertes Kaputtreparieren und Übertünchen ihre fühlbare Haptik und damit auch ihre Authentizität


Was ist Ihre Meinung zur Steigerungsform des „Bauen im Bestands“: dem Wiederaufbau nicht mehr existierender historischer Bauten, wie z. B. dem Berliner Stadtschloss?

Im Fall des Berliner Stadtschlosses halte ich es für absurd, ein vorgegebenes, umfangreiches Raumprogramm in die aufgesetzte Form des alten Stadtschlosses zu zwängen. Das Nutzungskonzept des Siegerentwurfs von Franco Stella weist demnach auch viele räumliche Kompromisse auf, die mit einem eigenständigen Neubau sicherlich besser und nachhaltiger hätten gelöst werden können. Sollten genug Gelder und Fassadenfragmente zusammenkommen, wird man wohl zukünftig das Imitat der äußeren Schlossfassaden in einer befremdlichen Haptik erleben müssen, die dem Gebäudeinneren bis auf den Schlüterhof sowieso verborgen bleibt. Da verhält es sich mit dem Neuen Museum von David Chipperfield anders. Seine Restaurierungs-Philosophie der Brüche, der Flecken- und Ruinenhaftigkeit kontrastiert Friedrich August Stülers opulente Innenraumschöpfungen und vermittelt damit gleitend und diskret zwischen den Zeiten.


Sehen Sie für sich persönlich eine berufliche Zukunft im Bereich „Bauen im Bestand“?

Wenn man sich kritisch mit einer Bauaufgabe im Kontext bestehender Gebäude auseinandersetzen will, kommt man nicht umhin, sich zu fragen, ob der Umbau oder ein Neubau die adäquate Lösung darstellt. Insofern hoffe ich, in solch einem Fall auf einen ebenso kompromissbereiten Bauherrn zu treffen.

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