Soviel Tageslicht wie möglich

DBZ-HeftpartnerInnen Jule Sophie Leu und Peter Andres, ANDRES + PARTNER Unabhängige Lichtplanung, Hamburg

Sonnenlicht ist das hochwertigste, wirksamste, gesündeste Licht, das uns auf der Erde zur Verfügung steht. Für uns Menschen ist es ein essenzielles Gut. Wir brauchen es, um ausgeglichen und widerstandsfähig zu bleiben und die für die moderne Gesellschaft so wichtig gewordene Leistungsfähigkeit zu erhalten. Doch obwohl Tageslicht ein naturgegebenes Phänomen ist, das wir kostenlos erhalten, gibt es einen Mangel an ausreichender Versorgung – jedenfalls für Menschen, die in großen Städten leben. Und die werden immer mehr. Etwa alle zwei Sekunden wird auf der Welt ein neuer Mensch geboren. Die Städte reagieren auf die steigenden EinwohnerInnenzahlen und den Bedarf an Wohnraum mit städtebaulicher Nachverdichtung: Auf einer fast gleichbleibend großen Fläche müssen immer mehr und immer höhere Gebäude Platz finden.

Die Folge: Es entstehen Innenräume, die kaum eine ausreichende Versorgung mit dem so notwendigen Tageslicht bieten können und somit in keiner Weise den in der aktuellen DIN EN 17037 geforderten Standards gerecht werden. Je weiter unten die Geschosse liegen, desto schwächer wird dort das Tageslicht. Damit wird es zu einem immer knapper werdenden und damit teuren Gut. Erreichbar nur für die, die es sich leisten können, ganz oben, über den Dächern der Nachbarschaft zu wohnen.

Setzt sich diese Entwicklung weiterhin so fort, fürchten wir, dass viele Menschen einer im wahrsten Sinne des Wortes dunk­len Zukunft entgegenblicken. Das ist bedenklich – und wir erachten es für umso wichtiger, dem Licht, das uns die Natur schenkt und uns so viel Gutes tut, gebührend Beachtung zu schenken.

Es gab noch nie umfangreicheres Wissen über die positive Wirkung des Tageslichts auf die körperliche und emotionale Gesundheit des Menschen. Dazu kommt die Vielzahl an baulichen Möglichkeiten der heutigen Zeit. Darum wundert es uns, dass Tageslicht leider noch zu selten eine hohe Priorität hat. Dabei ließe sich dadurch viel gewinnen. Das sehen wir immer wieder bei unserer engen Zusammenarbeit mit denjenigen Architekturbüros, deren Projekte wir von Beginn an gemeinsam planen. Denn in unserem interdisziplinär aufgestellten, sechsköpfigem PartnerInnenteam herrscht Einigkeit: Die Miteinbeziehung des Tageslichts bei der Planung kommt nicht nur der Gesundheit zugute, sondern hilft sowohl Energie als auch Ressourcen zu sparen. Beides wichtige Aspekte für zeitgemäße Entwürfe.

Es ist unserer Ansicht nach keine Lösung, das immer knapper werdende Tageslicht mit Kunstlicht zu kompensieren, ohne die vorhandenen Tageslichtpotenziale vorab zu überprüfen und auszuschöpfen. Durch die Herstellung von Leuchtmitteln werden Rohstoffe und Energie verbraucht. Haben die Leuchtmittel das Ende ihrer Betriebsdauer erreicht, werden sie zu Abfall, der entsorgt werden muss. Tageslicht hingegen kostet gar nichts. Es verbraucht nichts, muss weder beschafft, hergestellt, noch entsorgt werden.

Unser Ansatz gegen düstere Aussichten: Indem wir zum Teil einfache Volumenmodelle unter unserem „Künstlichen Himmel“ testen oder das Tageslicht computergestützt berechnen, können wir Potenziale und Defizite frühzeitig ausmachen und bei Bedarf nachbessern. Unser Ansatz für eine helle Zukunft: Drei unser PartnerInnen, Prof. Peter Andres, Prof. Katja Schiebler und Arne Hülsmann, unterrichten Tageslicht- und Kunstlichtplanung an Hochschulen. So wird das wichtige Wissen rund um die Tageslichtplanung weitergegeben und der Nachwuchs für die anstehenden Aufgaben sensibilisiert. Arne Hülsmann ist zudem stellvertretender Obmann im DIN Ausschuss Tageslicht im Innenraum und arbeitet an den entsprechenden Verordnungen mit.

Trotz aller Bemühungen wird es Räume geben, die nicht mit ausreichend Tageslicht versorgt werden können. Auch hier gilt es, Kunstlicht sorgfältig und verantwortungsvoll zu planen. Der Mensch steht für uns bei der Lichtplanung immer im Mittelpunkt. Das heißt aber nicht, dass Klimaschutz und Nachhaltigkeit ausgeblendet werden dürfen.

Tageslichtersatzmaßnahmen, die dank intelligenter LED-Technologien heute erstaunliche Möglichkeiten bieten, werden am wirksamsten eingesetzt, indem sie in Qualität und Vielfalt dem Tageslicht angeglichen und in der Steuerung diesem untergeordnet werden.

Wenn das vorhandene Tageslicht optimal genutzt und Kunstlicht bewusst nur dort, wo es gebraucht wird, hinzugesteuert wird, können authentische Räume geschaffen werden. Räume, die den Menschen bestmöglich dienen und dafür alle zur Verfügung stehenden Energien nutzen, ohne etwas zu verschwenden. Denn die gegenwärtigen Entwicklungen schaffen nicht nur neue Herausforderungen, sondern auch neue Möglichkeiten.

Arbeiten hier viele unterschiedliche Professionen, gut koordiniert und mit gegenseitigem Respekt, gemeinschaftlich an einem Projekt, können beeindruckende Lösungsansätze entstehen.

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