Skulpturale Fassaden

Die Komplexität von Fassaden nimmt zu - sowohl bei der Funktion, als auch beim gestalterischen Anspruch. Individuell designte 3D-Fassaden sind oft projektspezifische Sonderlösungen und bedienen exklusive Anforderungen. Systemlösungen zeigen sich als planerische und wirtschaftliche Alternative.

Im Idealfall sind 3D-Fassaden nicht nur ein Hingucker. Denn sie können auch funktionale Probleme im oder am Gebäude lösen, die sonst nur mit hohem technischen Aufwand und der Adaption von zusätzlichen Maßnahmen zu beheben wären. Das betrifft die Aufteilung der Fassade in opake und transparente Flächen ebenso wie die Erweiterung der Fassadengeometrie in die dritte Dimension. Denn dreidimensionale Fassaden nutzen die entstehenden Fassadenflächen und unterstützen damit elementare Funktionen wie Sonnenschutz und Lichtausbeute; sie helfen den Schallschutz im innerstädtischen Raum zu optimieren und schaffen zusätzliche Optionen für Gebäudeilluminationen und Effektbeleuchtungen.

Funktionsorientiertes Design

Der Anspruch an die Funktionalität und Flexibilität von Fassaden wächst gerade bei funktionalen Bauten wie Bürogebäuden und Hochhäusern. Umso wichtiger ist, dass ArchitektInnen und PlanerInnen hier kreative Impulse setzen können. Hochhausbauten zum Beispiel sind großen Umweltbelas­tungen ausgesetzt. Windlasten und regionales Klima stellen hier hohe Anforderungen an die Gestaltung der Fassade. In den Großstädten steigt das Bedürfnis nach verbessertem Schallschutz und klimagerechten Fassaden, die eine unnötige Aufheizung verhindern und dennoch volle Transparenz gewähren. Eine auf diese Faktoren abgestimmte Formfindung wird planerisch schnell anspruchsvoll.

Damit die Vision einer dreidimensionalen Gebäudehülle nicht im Keim erstickt, muss der Planungsaufwand überschaubar bleiben, auch aus wirtschaftlicher Sicht. Denn je nach Art der dreidimensionalen Ausprägung können die planerischen Anforderungen sehr groß werden. Zum einen entstehen durch die Vergrößerung der Fassadenoberfläche bauphysikalische Herausforderungen für die Dichtheit und die Wärmedämmung. Zum anderen werden durch auskragende Bereiche mehr Ecken, Kanten und Knotenpunkte erzeugt. Auskragende Elemente bilden eine größere Angriffsfläche für den Wind, sodass Querkräfte auf die Konstruktion wirken, die bei flächigen Fassaden nicht herrschen. Dies muss bei der statischen Vorbemessung und Auslegung berücksichtigt werden. Beim Einsatz von Öffnungselementen im Schrägbereich können die Öffnungs- und Schließkräfte erheblich vom vertikalen Einbau abweichen und motorisierte Öffnungsflügel erforderlich machen. Und nicht zuletzt muss bei schräg gestellten Profilen die Entwässerung ebenso gut funktionieren wie bei konventionellen Fassaden.

Digitale Planung und Produktion

Mit den modernen digitalen Planungswerkzeugen wird die Gestaltung von komplexen Formen zunehmend vereinfacht. Je individueller die Gebäudegeometrie allerdings sein soll, desto aufwendiger ist der Entwurfs-, Planungs- und Umsetzungsprozess. Durch wiederkehrende Muster in der geometrischen Gestaltung können diese Aufwände reduziert werden; mit steigender Anzahl singulärer Fassadenelemente erhöhen sich dagegen Aufwand und Schwierigkeitsgrad. Durch Parametrisierung, also die Festlegung von Abhängigkeiten und Gesetzmäßigkeiten zwischen den Entwurfselementen, lassen sich Bedingungen verknüpfen und die Auswirkungen auf die Planung im 3D-Modell automatisiert darstellen.

Die Vereinfachung des Planungsprozesses und die Reduzierung des Umsetzungsaufwands wirken sich positiv auf die Erstellungskosten aus. Allerdings ist zusätzlich eine enge Abstimmung zwischen allen Beteiligten anzuraten. Nur eine technisch gut abgestimmte Planung führt letztlich zu einer qualitativ hohen und wirtschaftlich optimalen Umsetzung. Wichtig sind hier die Schnittstellen in den Phasenübergängen der digitalen Prozesskette. Bei dreidimensionalen Fassadenkonstruktionen liegen die besonderen Herausforderungen in den Verbindungspunkten und den Schifterschnitten am Profilsystem. Hier kommt es besonders darauf an, dass die Schnittstellen bei der Übergabe der Modelldaten an den Verarbeiter – für die Maschinenansteuerung zur Herstellung und zum Zuschnitt der Profile – optimal ausgearbeitet sind.

Um den aufwendigen und langwierigen Planungs- und Umsetzungsprozess schnell und effizient zu ermöglichen, entwickelte Schüco verschiedene Konstruktionsvarianten für die Gestaltung von dreidimensionalen Fassaden.

Parametric System Fassade

Mit der Parametric System Fassade lassen sich geometrisch frei gestaltete 3D-Fassaden als leicht planbare Systemlösungen umsetzen. Dabei bildet der Schüco Systembaukasten die Basis für den individuellen Entwurf der Fassadenmodule sowie für ihre wirtschaftliche, kosten- und qualitäts­sichere Herstellung. Dank des Parametric Systems läuft die Detailplanung und Fertigung komplett automatisiert ab: Sägezuschnitt, Fräs- und Bohrarbeiten der Aluminium-Rohrrahmen nimmt der Metallbaubetrieb im CNC-Bearbeitungszentrum von Schüco vor. Zentraler Baustein ist die durchgehende Digitalisierung der Prozesskette in allen Entwurfs-, Ausschreibungs- und Fertigungsstufen. Dadurch werden Schnittstellenprobleme vermieden, da ein konsistentes Datenmodell mit dem Input aller am Prozess Beteiligten jederzeit gewährleistet ist.

Mit einem kostenlosen Software-Plug-in können ArchitektInnen das Parametric System als Werkzeugkasten mit Modulbibliothek in ihre eigene Planungsumgebung einbinden. Durch die hinterlegten parametrischen Datenmodelle werden alle erforderlichen Systembauteile, Bauteilgeometrien und Bearbeitungen vollständig und automatisiert generiert. Eine systematische Plausibilitätskontrolle sichert dabei die Qualität des erstellten Modells. Das 3D-Detailmodell bildet die Basis für alle weiteren Prozessschritte. Kalkulation, Bestellung, Fertigungs- und Montageplanung sowie die maschinelle CNC-Bearbeitung können ohne Schnittstellenprobleme und Datenverlust erfolgen.

Zum Einsatz kam das System zum Beispiel beim Frankfurter Wohn- und Geschäftshaus „Zeil 111“.  Dessen markanten dreidimensionalen Fassadenportale hat das Architekturbüro TEK TO NIK entworfen. Die schräggestellten Prallscheiben der bis zu 2,40 x 2,50 m großen Fenster ragen 35 cm in den Straßenraum hinein. Neben gestalterischen Aspekten nannten die Architekten auch funktionale Gründe für die Wahl der prismatischen Form: Die Schrägstellungen wurden so gewählt, dass sich Tauben nicht auf den Kanten niederlassen können und durch die Schallbrechung ein zusätzlicher Schallschutz bewirkt wird.

Bei der Ausführung zeigte das Parametric System seine Stärken: Die Plandaten wurden mit dem System-Plug-in in das digitale Planungsmodell des Architekturbüros eingespielt. So konnten Machbarkeit und Systemgrenzen für die Prismenfenster direkt in der Planung geprüft werden. Normalerweise werden bei dem Parametric System komplett verglaste Flächen miteinander zu Prismen verbunden. Bei den Fassadenportalen sollte jedoch nur die Prallscheibe mit dem 3D-System umgesetzt werden. Zusammen mit Schüco wurde also eine projektspezifische Sonderlösung entwickelt, bei der die Systemprofile auf die Einzelverglasung adaptiert und ein Sonderprofil zur Abbildung der Rahmenlösung eingesetzt wurde. Die Zuschnittsdateien für die Sonderanfertigungen wurden, wie auch die der konfektionierten Systembauteile, aus dem digitalen Modell generiert.

Elementfassaden

Dreidimensionale Elementfassaden stehen durch ihren hohen Vorfertigungsgrad für eine sehr wirtschaftliche Fertigung und Montage. Schüco bietet parallel zu den unterschiedlichsten Konstruk­tionsprinzipien und Sonderfassadenlösungen die AF UDC 80 Elementfassadenplattform an, die hochflexible Gestaltungsmöglichkeiten mit allen Vorzügen einer Systemlösung vereint. Die geprüften Baugruppen wurden explizit dafür entwickelt, auch bei Sonderlösungen mit exklusiven Gestaltungsansprüchen zum Einsatz zu kommen. Dadurch ergeben sich vielfältige Einsatzmöglichkeiten als System oder Sonderlösung mit einer rationellen Planung und Verarbeitung für projektbezogene Elementfassadenkonstruktionen.

Viele dieser Vorzüge spiegelt das Projekt „Hauptsitz der RCC“ wieder: Das von Foster + Partners entworfene Hochhaus in Jekaterinburg ist das neue Hauptquartier der Russischen Kupfergesellschaft (RCC). Dreidimensionale Gitterstrukturen prägen die Fassade des Büroturms, die mit ihrer Gestaltung Bezug auf den chemischen Aufbau von Kupfermolekülen nimmt. Trotz der markenaffinen Kupferoptik besteht die 12 500 m² große Elementfassade nicht aus Kupfer. Die Edelstahl-Paneele und Fassadenprofile aus Aluminium wurden mit einem PVD-Verfahren (Physical Vapour Deposition) getönt. Die opaken Flächen wurden zusätzlich mit einer „Nadelstreifen-Optik“ ver­edelt, die ihnen einen edelsteinartigen Schimmer verleiht. Der Entwurfsprozess der 3D-Fassade war bestimmt von dem Anliegen, den Wärmeverlust zu minimieren. Die Temperaturen am Ural schwanken zwischen +30 °C und -30 °C. Jedes Fassadenmodul ist deshalb so geformt, dass von der hochstehenden Sommersonne wenig Solareintrag und von der tiefstehenden Wintersonne viel Wärme- und Lichtgewinne zu erwarten sind. Aus der Fassadengeometrie ergaben sich sechs Grundtypen für die 12 m breiten Fassadenelemente. Ihre Höhe variiert zwischen 12 und 8 m. Die Konstruktion der bis zu 8 t schweren Fassadenelemente wurde gemeinsam mit den Fassadeningenieuren von Priedemann und Schüco entwickelt. Das Besondere ist die Verbindung von zwei Konstruktionsprinzipien: Die nach der Logik von Pfosten-Riegel-Fassaden erstellten Elemente sind untereinander nach dem Prinzip von Elementfassaden gekoppelt. Allein 155 unterschiedliche Sonderprofile wurden für die Verkleidung der Stahl-Unterkonstruktion und den Abdeckungen der Glashalterungen entwickelt.

Textilfassadensystem FACID

Mit dem Textilfassadensystem FACID lassen sich ästhetische und konstruktive Fassadenkonzepte mit nahezu unbegrenzten Gestaltungsmöglichkeiten umsetzen. Dank seiner patentierten Systemtechnik sind mit FACID auch Fassadenstrukturen mit einer dreidimensionalen Ausgestaltung als Rechteck, Quadrat, Vieleck oder Trapez möglich. Durch die Verdrehung einzelner Teilflächen können leicht zwei- und dreidimensional formbare Flächen erzeugt werden.

Eine 3D-Textilfassade umspannt auch das schlichte Stahl-Korsett des Parkhauses auf dem Schüco Campus. Das außergewöhnliche Fassadenkonzept wurde von Schlattmeier Architekten in Kooperation mit dem Architekturbüro 3XN umgesetzt. Über dem offenen Sockelgeschoss werden die Parkdecks wie ein Kokon von einer Textilfassade umhüllt, die sich an der Straßenansicht in wellenförmigen Amplituden aufschwingt. Die Plastizität wird über eine Unterkonstruktion aus Stahl und Aluminium erzeugt und durch den dynamischen Wechsel der Hoch- und Tiefpunkte ihrer Stahlknoten erreicht. Vom Entwurf bis zur Konstruktionszeichnung und der Fertigung wurde das gesamte Projekt in einer digitalen Prozesskette in 3D umgesetzt. Im Werk wurden schließlich die Rahmen für die 165 Teilflächen, von denen sich nur wenige gleichen, in unterschiedlichen Geo­metrien vorgefertigt. Die Flächen sind einzeln bespannt, sodass jedes Element später ausgetauscht und repariert werden kann.

Die Textilfassade gilt aufgrund ihres Materials als konstruktiver Brandschutz und ist gleichzeitig Witterungsschutz und Sonnenblende. Das mit Teflon beschichtete Glasfasergewebe in Brandschutzklasse A2 garantiert den für ein Parkhaus mit Stahl der Feuerwiderstandsklasse F0 notwendigen Brandschutznachweis. Zusätzlich sorgt das durchlässige Gewebe für eine gute Belüftung der Parkebenen bei gleichzeitig uneingeschränkter Durchsicht von innen nach außen. Sobald es dunkel wird, sorgen die Akzentbeleuchtung der Fassade und eine bewegungsabhängige Innenbeleuchtung für kreative Lichteffekte.

Grid2Shell

Grid2Shell (G2S) ist eine neue, freitragende Knotenkonstruktion, mit der auch gewölbte Geometrien von Lichtdach- bzw. Fassadenkubaturen mit Structural Glazing objektspezifisch realisierbar sind. Durch eine speziell entwickelte Profil- und Knotensystematik ist die Aluminium-Glas-Konstruktion frei skalierbar und erlaubt maximale Gestaltungsfreiheit. Die Intelligenz der Konstruktion liegt in den G2S-Knotenelementen, welche die Aluminium-Tragwerksprofile verbinden. Sie bestimmen die winkelabhängige Formgebung der Gesamtkonstruktion und werden objektspezifisch CNC-gefräst hergestellt. Die Schraubverbindungen und die Einfachheit in der Profilbearbeitung machen die Umsetzung besonders rationell. Da die Knotenelemente die Winkel aufnehmen, müssen die Profile nur einfach abgelängt werden; komplizierte Schifterschnitte sind nicht notwendig.

Mit den beschriebenen Konstruktionsvarianten lässt sich eine Vielzahl von dreidimensionalen Fassadenentwürfen wirtschaftlich und rationell planen und umsetzen. Bei den Systemlösungen genießen ArchitektInnen alle Vorteile einer erprobten und bis in die Tiefe der Prozesskette durchdachten Konstruktion. Auch objektspezifische Sonderkonstruktionen lassen sich häufig mit einem Rückgriff auf die Systembauteile schneller und mit höherer Qualität umsetzen – inklusive der digitalen Tools für die geschlossene digitale Prozesskette. Und nicht zuletzt kommen die Erfahrungen aus beiden Konstruktionsweisen der Entwicklung von neuartigen Sonderlösungen zugute, die für spezielle Anforderungen benötigt werden. Diese Praxis bietet ArchitektInnen maximale Gestaltungsfreiheit und höchste Systemsicherheit bei der Umsetzung ihrer Entwürfe.

Auch diese Lösung hat sich bereits in der Praxis bewährt: In der russischen Stadt Perm wurde im Frühjahr 2021 ein Einkaufszentrum namens „Planeta“eröffnet. Das vom Apex-Projektbüro entworfene Objekt ist mit über 80 000 m² vermietbarer Fläche das größte Einkaufszentrum der Region. Die strengen klimatischen Bedingungen der Ural-Region mit kurzem Sommer und einer Schneedecke von Ende Oktober bis Mitte April veranlassten die ArchitektInnen, mehr Oberlichter und Atrien im Projekt umzusetzen. Diese vermitteln den BesucherInnen einen maximalen Außenbezug, schützen Sie aber gleichzeitig vor den unangenehmen Wetterkonditionen. Der Wunsch der ArchitektInnen war es, eine Freiform-Lichtdachkonstruktion mit künstlerischen Anspruch zu realisieren. Als geeignete Lösung für die Oberlichter wurde das G2S-System, das aus einer hochfesten Aluminiumlegierung besteht, gewählt. Das System mit seinen selbsttragenden Eigenschaften eignete sich besonders gut für die filigrane Struktur mit ihrer freien Formgebung. Für die 15 500 m² große Freiform-Glaskonstruktionen kam ein Dreiecksraster zur Anwendung, mit dem die gewünschte Kuppelform der Lichtdachbereiche dargestellt und gleichzeitig die wirkenden Kräfte bestmöglich in die Aluminium-Schalenstruktur verteilt werden konnten.

Was alle Beispiele für die unterschiedlichen 3D-Lösungen eint: Sie sind nicht nur optisch ein deutlicher Gewinn. Auch aus wirtschaftlicher, planerischer und bauphysikalischer Sicht bieten sie oftmals Vorteile. Gute Gründe für ArchitektInnen, vor der Planung ihres Projekts einmal hinter die Fassade zu schauen und zu überlegen, ob es von einer dritten Dimension profitieren würde.   

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