Schmuttertal-Gymnasium, Diedorf

Sinnfällige Räume, natürlich erstellt
SchmuttertalGymnasium, Diedorf

In Diedorf wurde ein Gymnasium in einem Land­schafts­schutzgebiet errichtet. Um das große Bauvolumen möglichst landschaftsverträglich in die Umgebung einzubinden, passten die Architekten die Kubatur topografisch ein und wählten Holz als Baustoff. Tatsächlich entstand ein Modellprojekt und nicht nur ein neues Gymnasium. Neu ist dabei die für einen Holzbau immense Komplexität sowie die Zusammensetzung der beteiligten Architekten und Fachplaner.

Für das Werden eines Bauwerks zählt Hermann Kaufmann folgende Feststellung zu seinen Maximen: „Architekten sollten als engagierte Fachleute Mehrwert in die Planung einbringen können.“ Zur Realisierung dieses Mehrwerts gehört, dass ein Planer mit Blick auf die Vorstellungen des Bauherrn und dessen Erwartungen diesem die Einbindung gleichgesinnter Kollegen in das erweiterte Planungsteam empfiehlt. Das als Bauteam bekannt gewordene Prinzip der Kooperation nach Vorarlberger Vorbild von gleichermaßen im Holzbau bewanderten Planern und Ausführenden ist bei dem Neubauvorhaben des Schmuttertal-Gymnasiums für Diedorf der Schlüssel zum Erfolg gewesen. Mit dem Neubau des Schmuttertal-Gymnasiums wurde einer der innovativsten Schulbauten der Republik realisiert. Der Bauherr machte die Vorgabe, mit dem Neubau einen Lernort der Zukunft zu schaffen. Ein Modellprojekt sollte entstehen, nicht nur einfach ein neues Gymnasium. Mit der in Diedorf umgesetzten Vorgehensweise einer nach VOB durchgeführten zweistufigen Ausschreibung ist der Empfehlung der ‚Reformkommission Bau von Großprojekten – Komplexität beherrschen – kostengerecht, termintreu und effizient‘ des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur vorgegriffen worden, „den Bauherrn frühzeitig in ein interdisziplinäres Planungsteam einzusetzen“. Die anspruchsvolle Kombination zur Entwicklung einer pädagogisch wirksamen Architektur mit Plusenergiekonzept und in Holzbauweise verlangte von Anfang an ein interdisziplinär besetztes Team, das sich für einen integralen Planungsansatz entschied.

Relativierung der Baumasse

Das Gebäudeensemble steht in einem Landschaftsschutzgebiet. Daher widmeten die Planer einer landschaftsverträglichen Einbindung des großen Bauvolumens in die Umgebung besondere Aufmerksamkeit. Mit der Kubatur des Baus ist sorgsam umgegangen worden, eine Herausforderung, die den in Arbeitsgemeinschaft wirkenden Architekten Hermann Kaufmann und Florian Nagler nicht fremd ist. Der Schwarzplan verdeutlicht das Risiko, das mit dem Neubau des Schmuttertal-Gymnasiums für Diedorf verbunden war. Flächenmäßig größer sind in Diedorf nur einige wenige Gebäude im Gewerbegebiet. Die Relativierung der Baumasse gelingt durch das Einfügen der an große Scheunen erinnernden Baukörper in die Topografie, ohne die Landschaft aufwändig zu verändern.

Die vier Bauteile des Gymnasiums gruppieren sich um einen Hof. Der Gesamtkomplex besteht aus zwei Klassenhäusern, einem Multifunktionsgebäude und einer Dreifachsporthalle sowie weitläufigen Außenanlagen, die rund 900 Schülern Platz und Raum bieten. In den beiden Klassenhäusern sind die Klassen- und Fachräume mit der naturwissenschaftlichen Sammlung, Werk- und Kunsträume unter­gebracht. Hier gruppieren sich die Klassenräume in den oberen Geschossen jeweils um einen in der Mitte liegenden Lichthof, der Tageslicht ins Gebäude bringt und wie ein Marktplatz funktioniert. Das Multifunktionsgebäude nimmt die über drei Geschosse offene Aula, Mensa, Bibliothek und Musikräume auf. Das vierte Gebäude bietet Raum für eine Dreifachsporthalle mit zugehörigen Nebenräumen.

Sichtbare Holzkonstruktion

Oberhalb der Gründungsbauteile sind alle Bauteile in Holzbauweise errichtet. Lediglich die Flachgründung mit partiell verstärkten Bodenplatten bzw. die unterkellerten Bereiche und die Nebenräume der Sporthalle sind als Stahlbetonkonstruktionen geplant. Der Materialwahl Holz liegen die Kriterien der Nachhaltigkeit sowie die Berücksichtigung des Lebenszyklus zugrunde – sowie die Erfahrungen und Kompetenzen der beteiligten Architekten und Ingenieure angesichts der gestellten Aufgabe. Die Tragstruktur folgt den Prinzipien der Skelettbauweise mit entsprechenden ingenieurtechnischen Anschlüssen. Die Stützen wurden aus Brettschichtholz und die Geschossdecken in Holz-Beton-Verbundbauweise ausgeführt. Letztere sorgen für den optimalen Schallschutz in allen Nutzungsbereichen und eine ausreichende Wärmekapazität. Dabei bleiben die Balken der Geschoss-
decken wie die Sparren sichtbar, wie überhaupt die atmosphärischen und ästhetischen Qualitäten eines in Holz ausgeführten Gebäudes sicht- und erlebbar bleiben.

Die sichtbare Holzkonstruktion und deren gleichmäßiger Rhythmus von Stützen, Trägern, Deckenbalken und Sparren bestimmt die Wahrnehmung des Gebäudes im Inneren. Die Wahrnehmung des Äußeren ist geprägt von der hinterlüfteten Fassadenbekleidung aus grauen, sägerauen Brettern, in welcher die Öffnungen klar definiert und nach Außen die Nutzungen ablesbar sind. Nicht zuletzt wird dadurch dem Zitat schlichter, scheunenartiger Baukörper entsprochen.

Die Außenwandkonstruktion ist in Holzrahmenbauweise im Passivhausstandard ausgeführt und daher wärmebrückenfrei. Die Fensterelemente sind entsprechend qualifiziert und wurden im Zuge der Vorfertigung in die Wandbauteile integriert. Überhaupt war nach Aussage aller Beteiligten die im Holzbau übliche Vorfertigung einer der Garanten zur Erfüllung der technischen, zeitlichen, qualitativen und logistischen Vorgaben. Beispielhaft für das iterative Vorgehen ist der Umgang mit den vorgefertigten Dachbauteilen für die Dreifachturnhalle. Elemente mit einer Größe von 3 x 7 m waren bereits beschlossene Sache, als die Planung unter dem Aspekt der Wirtschaftlichkeit nochmals umgeworfen und 3 × 14 m große Elemente gefertigt wurden.

Dazu stellt Michael Kriegner, Projektleiter beim ausführenden Holzbauunternehmen Kaufmann Bausysteme, fest: „Daher ist es unbedingt notwendig, dass die hinzugezogenen und beteiligten Fachplaner während der integralen Planung auch wirklich praxisbezogenes Fachwissen mitbringen.“ Schließlich ist das gegenseitige Verständnis der Vorstellungen auf der einen und den tatsächlichen baustoff- und produktionsbezogenen Möglichkeiten auf der anderen Seite im Interesse des Bau­herrn. Für das Dachtragwerk der Sporthalle wurden 2 m hohe und 28 m lange Brettschichtholzbinder als klassisches Tragwerk in Ingenieurholzbauweise verwendet. Die Außenwandkonstruktion ist ebenfalls in Holzrahmenbauweise ausgeführt worden.

Franz Hölzl, Projektleiter bei Merk Timber, empfand das dreiwöchige Montagefenster als eng. Um die Holzkonstruktion während der Montage optimal schützen zu können, wurde ein Montageablauf entwickelt, bei dem man die einzelnen Häuser jeweils in drei Abschnitten errichtete. Dabei wurden innerhalb eines Abschnitts die Wand- und Deckenelemente skuzessive unter zusätzlichen Schutzdächern montiert.

Brandschutz – direkte Zugänge

Für das Brandschutzkonzept wurde ergänzend zur Bayerischen Bauordnung (BayBO) die Muster-Schulbau-Richtlinie orientierend herangezogen. Herausforderung war, dass offene Lernlandschaften weder in den Bauordnungen der Länder noch in den Schulbaurichtlinien bislang geregelt sind und daher einen Sonderfall darstellen. Abweichungen von der bayerischen, aber auch den übrigen Landesbauordnungen sind möglich, wenn diese unter Berücksichtigung des Zwecks der jeweiligen Anforderung und bei Würdigung der öffentlich-rechtlich geschützten Belange, insbesondere der öffentlichen, mit Sicherheit und Ordnung, Leben und Gesundheit vereinbar sind und die natürlichen Lebensgrund-
lagen nicht gefährdet werden. Solche Schutzziele sind: Vorbeugen eines Brandes, Verhinderung der Feuer- und Rauchausbreitung, die Menschen und Tierrettung sowie Löschmaßnahmen zu ermöglichen. Erfahrungsgemäß ist der Nachweis gleichwertiger Lösungen nicht zwangsläufig mit Mehrkosten, aber mit einem erhöhten Kommunikationsaufwand verbunden.


Aufgrund der offenen Lernlandschaften führen in Diedorf die Rettungswege aus den Klassenräumen nicht über einen Flur zu den Treppen. Die Unterrichtsräume erhielten jeweils einen direkten Zugang zum notwendigen Treppenraum. Dieser wurde entsprechend der BayBO ausgebildet. Als weitere wesentliche Maßnahme ist eine automatische Brandmeldung installiert, die im Brandfall gewährleistet, dass das Alarmsignal an jeder Stelle im betreffenden Gebäudeteil deutlich gehört werden und in der Folge die umgehende Evakuierung durch das Lehrpersonal eingeleitet und durchgeführt werden kann. Gleichermaßen individuell ist die Ausführung der Lüftungsanlage in feuerhemmenden Schächten realisiert worden.

Weiterhin ist im Rahmen des Konzepts für Rettungswegführung über brandlastfreie, notwendige Flure in den Obergeschossen der Klassenhäuser jeweils ein zusätzlicher dritter Rettungsweg vorhanden, der über Verbindungstüren zwischen den Unterrichtsräumen unabhängig vom offenen Bereich zu einer notwendigen Treppe führt.
Ludger Dederich, Rottenburg am Neckar

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