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Karuisawa Japan

Karuizawa liegt knapp eineinhalb Zugstunden von Tokio entfernt in der nordwestlichen Präfektur Nagano. Aufgrund der klimatischen Besonderheit – im Sommer gilt Karuizawa als einer der kühlsten Orte Japans – und der beeindruckenden Naturkulisse hat sich bereits zu Ende des 19. Jahrhunderts eine ausgeprägte Freizeit- und Tourismuskultur entwickelt. Vornehmlich gut betuchte Bürger aus der Metropole Tokio haben sich in den schattigen Waldhainen Sommerresidenzen errichtet. Industrielle, Geschäftsleute und vor allem Kulturschaffende haben dem Ort seit damals eine noble Aura verliehen, die im Laufe der Zeit auch die Mittelklasse anzog.

Eine Vielzahl von Villen der frühen Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts bezeugen auch den starken Einfluss westlicher Architekturstile und des vor allem zu Zeiten der Meji Restauration ausgeprägten Hungers nach Internationalität im besten Sinne. Der Ort ist seit seiner Entwicklung von Weltoffenheit geprägt und hat eine Vielzahl experimenteller Architekturen hervorgebracht. Heutzutage ist Karuizawa noch immer sehr reizvoll, der ernorme wirtschaftliche Aufschwung Japans in den 70er und 80er Jahren des 20.Jahrhunderts hat allerdings auch zu einem Wildwuchs an Wochenendvillen geführt und das vormals elitäre Ambiente zunehmend abgeflacht. Die sehr starken klimatischen Gegensätze – strenge Winter stehen luftfeuchten, warmen Sommern gegenüber – und die nur sporadische Anwesenheit der Besitzer an den Zweitwohnsitzen nagen an der Bausubstanz der in die Jahre gekommenen Sommervillen. Den Ort, der zwar noch immer eine enorme Vitalität aufgrund der ungebrochenen Bautätigkeit ausstrahlt, überzieht zunehmend ein Bild des Verfalls. Dies wird in den nächsten Jahren eine große Herausforderung für eine nachhaltige Weiterentwicklung darstellen.

Der Tokioter Architekt Kotaro Ide und sein Team Artechnic Architects waren sich bei der Planung der großzügigen Sommervilla dieser Rahmenbedingungen sehr eindringlich bewusst. Die Abschottung vor den klimatischen Einflüssen, und eine intelligente Haustechnik, die den Wartungsaufwand des Gebäudes in den unbewohnten Zeiträumen minimieren soll, stellten die relativ pragmatisch orientierten Entwurfsvorgaben für das knapp 330 m² große Gebäude dar.

Das Einfordern dieser Qualitäten sieht man der gekurvten Betonschale auch sehr deutlich an. Das Gebäude hebt sich rund 140 cm vom Grund ab und bildet aufgrund der eigenständigen Form einen sehr starken Kontrapunkt zur umgehenden Natur. Der Architekt bemüht das Bild eines gelandeten Raumschiffes. In der Tat scheint das Gebäude den Architekturen eines John Lautner oder eines Ken Adam, der auch an einigen James Bond Filmsets mitgearbeitet hat, näher als den Typologien der traditionellen japanischen Architektur. Anstatt abgestufter, unscharfer Raumübergänge, die die Bedeutung der eigentlichen Form zu Gunsten struktureller Elemente in den Hintergrund drängen, zu thematisieren, setzt Ide auf eine starke organische Form und eine klare Trennung zwischen Innen und Außen. Die umliegende Natur wird zwar noch als Bild in das Rauminnere geholt, allerdings geschieht dies nicht in der mehrdeutigen Art und Weise, wie man dies in einer Vielzahl japanischer Architekturen ablesen kann. Die Vielzahl der Ausblicke verstärkt aufgrund der Sichtbarkeit der Raumkonturen vor allem den Eindruck einer organisch geformten Gebäudehülle. Die massive Betonschale reagiert zwar auf den Baumbestand und das Umfeld, bleibt allerdings aufgrund der Eigenständigkeit der Form in Distanz zu ihr.

Architektur aus Betonschalen

Das ursprüngliche Konzept einer dreidimensional gekrümmten Betonschale wurde im Laufe des Planungsprozesses schließlich aus Kostengründen auf eine zweidimensional gekrümmte Schale mit elliptischen Leitkurven unterschiedlicher Radien reduziert. Der tunnelförmige Bau erweitert sich so zu einem zweigeschossigen Hauptteil, der neben den Schlafräumen auch das organisch geformte Bad beherbergt. Ultimativer Komfort in Kombination mit einer zentralen Haustechniksteuerung bildet sich auch adäquat in der architektonischen Innenraumgestaltung ab. Fließende Raumübergänge und loungeähnliche Sitzgelegenheiten bilden ein durchgängiges Motiv der Innenraumgestaltung. Dunkle Holzböden und eine 6 cm starke aufgeschäumte Urethananschicht an den Innenseiten der Betonschalen weichen in Verbindung mit den indirekten Beleuchtungselementen die Kälte der Betonoberflächen auf und dienen als thermische Isolierung. Skulptural gestaltetes Mobiliar und Wandvertäfelungen aus Teak akzentuieren die geschwungenen Linien der Gebäudehülle. Die Betonschale des größeren Teils misst am obersten Scheitelpunkt 40 cm und verdickt sich auf 75 cm an den seitlichen Scheitelpunkten.

Kühlung, Heizung, Entfeuchtung

Die Außenfläche der Gebäudehülle ist mit einem hitzeabweisenden Anstrich versehen, der vor allem in den Sommermonaten die Innenraumkühlung deutlich entlasten soll. Aufgrund der Gebäudeform ergibt sich unter der Fußbodenebene ein relativ großer Hohlraum. Ein zentrales wassergefülltes Rohr erwärmt die Luft die durch Auslässe entlang der Glasflächen wie auch an anderen Orten des Fußbodens in das Rauminnere einströmt. Das erwärmte Luftpolster unter dem Fußboden soll auch diesen Bauteil aktivieren, was sich aufgrund der Materialstärke des Fußbodens und der relativ niedrigen Temperatur der einzublasenden Luft als nicht praktikable Lösung herausstellt. Ein elektrisch betriebenes Kühlungssystem unter dem Fußboden soll im Sommer eine ausreichende Kühlung gewährleisten. Die eingeblasene Luft wird durch ein automatisches Entfeuchtungssystem in das Gebäude eingeblasen und entzieht auch der Rauminnenluft Feuchtigkeit. Dieses Entfeuchtungssystem schaltet wie die Heizung automatisch in den unbewohnten Zeiträumen zu, sobald ein bestimmter Grenzwert erreicht ist und schützt so das Rauminnere vor übertriebenen klimatischen Abnutzungserscheinungen. Ein zusätzlicher mittig positionierter Holzofen unterstützt das zentrale Heizsystem in den bewohnten kalten Monaten.

Besitzsicherung

Um das Sicherheitsbedürfnis der Bewohner abzudecken ist das Gebäude mit einem biometrischen Zugangssystem ausgestattet – erneut drängen sich Assoziationen zu James Bond auf – das in Verbindung mit einem komplexen Überwachungssystem den Besitz vor allem in der unbewohnten Zeit vor Eindringlingen schützen soll. Das gesamte Alarmsystem fügt sich unaufdringlich in die Gebäudekonzeption. Der ernorme Aufwand zeigt einen weiteren Aspekt, der vor allem im sehr sicherheitsbewussten Japan von hoher Bedeutung ist -die Besitzsicherung.

Das Gebäude bedient mit seiner Konzeption, die vor allem auf ein sehr im Trend liegendes urbanes lounge- artiges Innenraumkonzept abzielt, perfekt die japanische Lifestyleindustrie. Eine umfassende Medienpräsenz in den japanischen Leitmedien hat den bisher relativ unbekannten Architekten unmittelbar ins Rampenlicht katapultiert. Der globalisierte Stil, wenngleich auf hohem Niveau mit hoher handwerklicher Perfektion umgesetzt, löscht jegliche Facetten einer lokalen Baukultur aus. Elemente japanischer Architektur sind nicht einmal mehr in Zitaten vorzufinden. Formaler Ausdruck gewinnt über feinnuancierte mehrdeutige Raumbildung. So ausdrucksstark das Gebäude sich auch zeigt, so austauschbar wird es durch diesen Ansatz. Man könnte es glatt dem über hundertjährigem Niemeyer abnehmen, für diese Villa verantwortlich zu zeichnen und diese könnte ebenso gut an den Rändern des Amazonas stehen wie im japanischen Karuizawa.

Kurt Handlbauer,Tokio

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