Serielle Individualität: Anspruchsvolle Architektur in Modulbauweise

Denken Sie beim Stichwort Modulbau noch immer an standardisierte Monotonie und an Gestaltung von der Stange? Nein? Das ist gut, denn mit der Realität hat das häufig nur noch wenig zu tun. Moderne Fertigungsmethoden und digitale Entwurfsstrategien lassen längst auch individuelle architektonische Konzepte zu. Beeindruckende Belege dafür sind das nach Entwürfen von Sauerbruch Hutton fertiggestellte StudentInnenwohnheim „Woodie“ in Hamburg-Wilhelmsburg oder das vom Büro SeARCH geplante Hotel Jakarta in Amsterdam, das optisch vor allem durch seine elegant zulaufende Gebäudespitze aus Glas überrascht. Beide Projekte wurden in Holz-Hybridbauweise mit vorgefertigten Raummodulen umgesetzt, überzeugen dabei aber durch ihre höchst individuelle Architektur, die sich deutlich von jeglicher Plattenbauästhetik abhebt.

Vielfältige gestalterische Möglichkeiten bietet auch der Stahlmodulbau. Ein gutes Beispiel dafür zeigt die nach Plänen von PLAN FORWARD Architekten und Ingenieure (Essen & Stuttgart) realisierte Erweiterung des Schulzentrums Broich in Mülheim an der Ruhr. Der
2 600 m2 große Rohbau konnte innerhalb von nur zwei Wochen aus insgesamt 46 Modulen montiert werden. Die Fassadengestaltung aus HPL-Platten orientiert sich dabei am neuen Farb- und Materialkonzept der Schule in Rot- und Grautönen.

Ähnlich hochwertig präsentiert sich auch der von Architekt Jakob Träger umgesetzte Neubau für die Kita Kappelbande und die Freie Duale Fachakademie für Pädagogik im schwäbischen Fellbach. Der Komplex setzt sich zusammen aus insgesamt 34 vorgefertigten Stahlmodulen, die auf drei Ebenen eine lichtdurchflutete Lern- und Bildungslandschaft schaffen. Eine besondere Rolle spielen dabei die kommunikativen „Marktplatzflächen“, die Dank des intelligenten Modulrasters weitgehend stützenfrei umgesetzt werden konnten.

Und auch das neue Verwaltungsgebäude für den Geschäftsbereich Real Estate der Flughafen München GmbH überzeugt durch seine charakteristische Architektursprache. Der nach Plänen von ZTR aus 106 Modulen errichtete Komplex integriert großzügige Büro-, Besprechungs- und Konferenzräume und widersetzt sich dabei erfolgreich überkommenen Vorstellungen von Standardisierung. Ein besonderes gestalterisches Detail ist dabei der Sonnenschutz in Tragflächenform an der vorgehängten Trespa-Fassade. Das Erdgeschoss des Neubaus wird optisch mit einer Pfosten-Riegel-Fassade abgesetzt.

Vom Kristallpalast zum Modulbau

So innovativ sich moderner Modulbau mittlerweile auch präsentiert, der Grundgedanke zur Erstellung von Gebäuden aus vorgefertigten Bauteilen, die auf der Baustelle ohne großen Aufwand nach dem Baukastenprinzip zusammengesetzt werden können, ist letztlich nicht neu. Als eigentlicher Vorläufer elementierten Bauens gilt der für die Weltausstellung 1851 in London entworfene Kristallpalast („Crystal Palace“) von Joseph Paxton. Das 560 m lange und 120 m breite, komplett aus vorgefertigten Glaselementen und Gusseisenträgern zusammengesetzte Gebäude wurde innerhalb von nur vier Monaten in der seinerzeit revolutionären Elementbauweise errichtet.

Im 20. Jahrhundert wurde das Bauen mit vorgefertigten Elementen konsequent weiterentwickelt. Neue Möglichkeiten zeigte insbesondere Walter Gropius auf. Um intelligente ­Lösungen für den sozialen Massenwohnbau zu ermöglichen, arbeitete er seit den 1910er-Jahren an der Typisierung von Bauelementen und förderte am Bauhaus die Idee der Fertigbauweise. Nach seiner Emigration in die USA entwickelte er dann in enger Zusammenarbeit mit dem Architekten Konrad Wachsmann das „Packaged House System“ als wegweisendes Baukastensystem für ein schlichtes Holzhaus, das sich aus einfachen Wand-, Boden- und Deckenplatten zusammensetzt.

Vom Bauwagen zum modernen Modulbau

Der Schritt hin zum modernen Modulbau, bei dem vollständig vorgefertigte Kuben auf der Baustelle aneinandergereiht und übereinandergestapelt werden, erfolgte dann weitgehend nach dem Zweiten Weltkrieg. Unternehmen wie ALHO, Cadolto oder KLEUSBERG avancierten hier zu wichtigen Pionieren, indem sie komplett vorgefertigte Holzbaracken, Bau-, Büro-, Schlaf- und Toilettenwagen für die Bauindustrie auf den Markt brachten. Es folgte die Produktion von standardisierten Raumzellen, die zunehmend auch übereinander gestapelt und zu temporär oder dauerhaft nutzbaren Gebäuden erweitert wurden. Der Vorteil dabei: Aufgrund der variablen Abmessungen der dreidimensionalen Raummodule in Breite, Länge und Höhe lassen sich die Module perfekt an die Erfordernisse des jeweiligen Gebäudegrundrisses anpassen.

Ein wichtiges Vorzeigeprojekt moderner Modulbauweise war seinerzeit das Dorf der Frauen für die Olympischen Spiele 1972 in München. Ausgehend von der Frage, wie sich auf eng begrenzter Grundstücksfläche optimal wohnen lässt, entwarf Architekt Werner Wirsing eine dicht bebaute Siedlung mit insgesamt 800 doppelgeschossigen Bungalow-Wohnkuben, die allesamt als komplett vorgefertigte Module auf die Baustelle geliefert wurden. Jede einzelne der kompakten Wohnungen bot eine Fläche von 23 m², integriert war außerdem eine luftige Dachterrasse im Obergeschoss. Nach Abschluss der Olympischen Spiele entwickelte sich die Anlage zur beliebtesten Studentenwohnanlage der Stadt. 2008 wurden die Häuser rückgebaut und denkmalgerecht nach heutigen Energiestandards neu aufgebaut.

Einige Jahrzehnte später hat sich der Modulbau als Standard etabliert. Durch moderne Fertigungsmethoden und digitale Entwurfsstrategien ist es dabei möglich, auch komplexe und höchst individuelle Entwürfe mit komplett vorgefertigten Modulen umzusetzen. Selbst bei komplexen bis zu sechsgeschossigen Modulgebäuden erinnert dank vorgesetzter Fassaden äußerlich nichts an die dahinterliegende Gebäudestruktur. Die klassischen Vorteile des Modulbaus, die reduzierte Bauzeit, die hohe Termin- und Kostensicherheit, die gleichbleibend hohe Qualität und die hohe Flexibilität bleiben bestehen, müssen aber nicht länger durch Einschränkungen bei Gestaltung und Funktion „erkauft“ werden.↓

Moderner Modulbau mit Stahl

Weit verbreitet, bei Schulen oder Krankenhäusern ebenso wie bei Hotels oder Bürogebäuden, ist vor allem das Bauen mit Raummodulen aus Stahl. Die dabei eingesetzten Stahlrahmensysteme ermöglichen eine sehr schlanke, verwindungssteife Konstruktion und integrieren ab Werk zumeist bereits Wärmedämmung, Dampfsperre und Innenbekleidung. Durch die Reihung oder Stapelung einzelner Raummodule können dabei unterschiedlichste Raumfolgen geschaffen werden, nach außen lässt sich je nach Gestaltungsabsicht eine individuell gestaltete Vorhangfassade vorsetzen.

Ein gutes Beispiel hierfür bietet das 2019 nach einem Entwurf von hirschmuellerschmidt architektur von ALHO realisierte Bürogebäude für das Pharmaunternehmen Merck in Darmstadt. Mithilfe von 40 Stahl-Raummodulen konnte der viergeschossige Baukörper in einer Bauzeit von nur 16 Wochen schnell und qualitativ hochwertig umgesetzt werden. Alle vier Ebenen sind als Open Spaces mit unterschiedlichen Arbeitslandschaften organisiert, um so die hohen Anforderungen des Unternehmens an transparentes Arbeiten und kommunikatives Miteinander umzusetzen. Markanter Blickfang des Neubaus nach außen ist die hinterlüftete Vorhangfassade aus glatten, unterschiedlich breiten Aluminiumkassetten in edlen, dunklen Anthrazit-Tönen. Das Dach wurde als Gründach ausgebildet und bietet so einen ökologischen Ausgleich für die versiegelte Bodenfläche. Und sollte in Zukunft der Platzbedarf steigen, dann sind sämtliche Anschlüsse dafür bereits vorbereitet.

Moderner Modulbau punktet nicht nur durch geringe Kosten und hohe Flexibilität, sondern auch durch eine deutlich schnellere Fertigungszeit. Vollauf zum Tragen gekommen ist dieser Aspekt beim Bau der Corona-Isolier-Intensiv-Station des Universitätsklinikums in Düsseldorf, die auf Seite 96/97 näher vorgestellt wird. Der dreigeschossige, nach Plänen des Berliner Architekturbüros Maßwerk in Kooperation mit der Cadolto Modulbau GmbH umgesetzte realisierte Bau wurde innerhalb von nur fünf Monaten aus insgesamt 97 Stahl-Raummodulen errichtet. Im Erdgeschoss steht eine Aufnahmestation mit 18 Isolier-Einzelzimmern zur Verfügung, die durch vorgeschaltete Schleusen zu erreichen sind. Im ersten und zweiten OG finden sich eine Intermediate-Care-Station sowie Umkleide- und Bereitschaftsräume. Komplettiert wird das Projekt durch die ebenfalls mitgelieferten haustechnischen Anlagen, die eine komplett autarke Versorgung des Klinikgebäudes zulassen.

Moderner Holzmodulbau

Neben Stahl spielt auch Holz eine wichtige Rolle beim modernen Modulbau. Ein gelungenes Beispiel dazu ist die auf Seite 90/91 näher vorgestellte, nach Plänen von Nemesis Architekten in Kooperation mit KLEUSBERG umgesetzte Hausburg-Grundschule in Berlin. Ausgehend vom Wunsch des Bauherrn nach hoher Nachhaltigkeit, kurzer Bauzeit und einer möglichen Versetzbarkeit wurde das Gebäude aus 75 Holzmodulen zusammengestellt, die innerhalb von vier Wochen aus einzelnen Brettschichtholztafeln gefertigt wurden und bereits Fenster und Türen sowie die Abhangdecke integrieren. Auch die Vorbereitungen für die Elektroinstallationen erfolgten bereits im Werk, sodass die Ausbauzeit am Bauort auf ein Minimum reduziert wurde. Die Vorteile der gewählten Bauweise liegen auf der Hand, denn Holz ist ein nachwachsender Rohstoff, der zudem vollständig recycelbar ist und ein gesundes Raumklima sowie eine optimale Luftfeuchtigkeit verspricht. Die horizontale und vertikale Anordnung der außen liegenden Holzlattung sorgt gleichzeitig dafür, dass der Neubau auch optisch überzeugt.

Moderne Architektur in Holz-Hybrid-Bauweise

Eine vergleichsweise neue Entwicklung ist der Holzhybridbau, bei dem Holzmodule im Verbund mit tragenden Elementen aus Stahlbeton zum Bau von mehrstöckigen Gebäuden bzw. Hochhäusern eingesetzt werden. Neue Maßstäbe hat hier das 2015 nach Plänen von Artec Arkitekter fertiggestellte Wohnhochhaus „Treet“ im norwegischen Bergen gesetzt, das mit seinen 14 Stockwerken bis auf eine Höhe von 50 m aufsteigt. Die Grundidee der Gebäudestruktur besteht dabei aus vorgefertigten, stapelbaren Holzmodulen in Holzrahmenbauweise und einem fassadenseitigen Brettschichtholz-Gerüst, das dem Gebäude seine Steifigkeit und Stabilität verleiht.

Noch höher hinaus ragen mittlerweile der von Rüdiger Lainer entwickelte und 2018 fertiggestellte Wohnturm „Hoho Wien“ sowie das vom Büro Voll Arkitekter ohne Betonkern entworfene Wohnhochhaus „Mjøstårnet“ im norwegischen Brumunddal, die mit einer Höhe von 84 bzw. 85 m die aktuell höchsten Holzhochhäuser weltweit sind. Und ein Ende der Höhenentwicklung ist gegenwärtig noch nicht absehbar. Denn analog zum konventionellen Hochhausbau kursieren auch beim Hochhausbau aus Holz immer neue Planungen mit immer neuen Höhenrekorden. Zu den kühnsten Visionen zählen dabei der 100 m hohe Wohnblock WoHo on Berlin-Kreuzberg (Mad Arkitekter), der 105 m hohe, insgesamt 34 Geschosse aufsteigende Wohnturm „Västerbroplan“ in Stockholm (C.F. Møller) sowie das U-förmig aufsteigende, maximal 38-geschossige Holzhochhaus „Dutch Mountains“ im niederländischen Eindhoven, dessen beiden Türme 100 bzw. 120 m hoch aufragen sollen (Studio Marco
Vermeulen). Alle drei Projekte überraschen durch ihre dynamisch-asymmetrische Formgebung und belegen damit eindrucksvoll den gewachsenen Spielraum von modernem Holz-Hybridbau.

Zwei weitere individuell gestaltete Holz-Hybridbauten sind das 2017 bezogene, nach außen mit einem bewegten ­Fassadenraster gestaltete Studentenwohnheim „Woodie“ in Hamburg-Wilhelmsburg sowie das derzeit fertigge­stellte neue Bürogebäude „Luisenblock“ für den Deutschen Bundestag in Berlin, beide umgesetzt nach Entwürfen von Sauerbruch Hutton Architekten (s. auch Interview Seite 86/87). Das Hamburger Studentenwohnheim integriert 371 kostengünstig realisierte Wohneinheiten, die jeweils als fertig montierte Raummodule inklusive Fassade, Innenausbau, sämtlichen Installationen, kompletter Nasszelle und Kompaktküche auf die Baustelle geliefert wurden. Für den siebengeschossigen Luisenblock in Berlin kamen sogar 470 Module zum Einsatz, die werkseitig jeweils mit Fensterelementen und einem Holzrahmen mit Wärmedämmung ausgestattet wurden. Lediglich die Bodenplatte, die Technikräume im Erdgeschoss und das zentrale Atrium wurden in Stahlbetonfertigteilbauweise errichtet. Als markanter Blickfang nach außen wurde abschließend eine Fassadenbekleidung aus farbigem Glas vorgesetzt.

Parallel zu diesen Hybridgebäuden aus Holz und Beton arbeiten einige Hersteller mittlerweile auch an Konzepten für Hybrid-Module aus Holz und Stahl, um so die Nachhaltigkeit des Werkstoffs Holz mit den konstruktiven Vorteilen des Stahls zu verbinden. Die dabei integrierte Tragkonstruktion aus Stahl wird schlankere Querschnitte ermöglichen als der reine Holzmodulbau und eine höhere Steifigkeit der Konstruktion, größere Spannweiten und letztlich größere stützenfreie Räume erlauben.

Ausblick

Ob mit Stahl, Beton, Holz oder in Hybridbauweise: Durch neue Fertigungsmethoden und digitale Entwurfsstrategien hat sich moderner Modulbau längst von alten Klischees gelöst und bietet mittlerweile deutlich mehr gestalterische Freiheit bei der Planung unterschiedlichster Bauaufgaben. Im Verbund mit einer deutlich reduzierten Bauzeit, einer höheren Termin- und Kostensicherheit, einer gestiegenen Flexibilität sowie Vorteilen im Hinblick auf Nachhaltigkeit steht also zu erwarten, dass sich die Bauweise in den kommenden Jahren weiter durchsetzen wird. Und auch bei der Altbausanierung eröffnet die industrielle Vorfertigung von Bauteilen oder ganzen Fassaden völlig neue Perspektiven. In den kommenden Jahren werden sich durch neue Technologien und Entwurfsmethoden wie 3D-Druck oder BIM weitere Möglichkeiten ergeben. Die Grenzen des Modulbaus sind also noch längst nicht ausgelotet.⇥Robert Uhde

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