Architekt Hans-Joachim Ewert

Schlichtwohnbauten in Bremerhaven

In den letzten Jahren hat die Wohnungsgesellschaft STÄWOG in Bremerhaven Schlichtwohnbauten aus den 1950er-Jahren in zwei Vierteln modernisiert und zum Teil auch barrierefrei erschlossen. Dabei ging sie ungewöhnliche Wege – um günstigen Wohnraum zu erhalten und um das Miteinander der Mieter zu fördern.

Wie in vielen Städten Deutschlands fehlt auch in Bremerhaven preisgünstiger und moderner Wohnraum. Viele Gebäude Bremerhavens stammen aus der Nachkriegszeit, vor allem aus den 1950er-Jahren, denn im Krieg wurde die Stadt stark zerstört. Auch etwa die Hälfte der 5.000 Mietwohnungen der Wohnungsgesellschaft der Stadt Bremerhaven STÄWOG befinden sich in Wohnblocks aus dieser Zeit.

Altes weiterbauen
Diese sogenannten Schlichtwohnbauten gehören zu den Überresten jener Zeit, in der nach dem Krieg schnell und günstig neuer Wohnraum geschaffen werden musste. Die STÄWOG gemeinsam mit Architekt Hans-Joachim Ewert, der diese Bauten als baukulturelles Erbe bezeichnet, möchten diese Bauten erhalten. „In diesen Bauten steckt viel Energie, sie sind solide gebaut mit Wänden aus Kalksandstein und Decken aus Beton aus heimischen Baumaterialien“, erklärt Ewert und fügt hinzu, der große Vorteil sei, dass die Bauten nahezu schadstofffrei seien. „Warum also abreißen? Je mehr man von dem vorhandenen Bau nutzt, desto mehr kann man einsparen und desto mehr bezahlbaren Wohnraum kann man anbieten. Unser Ansatz ist es, die gestalterisch noch nicht zu Ende gedachten Gebäude weiter zu entwickeln.“ Außerdem seien ein Abriss und eine Aufbereitung von Flächen für den Neubau viel teurer als Bauen im Bestand. Gefordert war ebenfalls, mit einfachen Wohnanlagen die heutigen Ansprüche an Barrierefreiheit und Energieverbrauch zu erfüllen. – Um das zu realisieren, ging die Wohnungsgesellschaft neue Wege.

Neue Wege wagen
Die STÄWOG verwandelte das einstige Bremerhavener Problemviertel Wulsdorf, in dem diverse Nationalitäten und Flüchtlinge wohnen, in den letzten 20 Jahren in ein modernes Wohngebiet mit viel Grün. Dabei bekamen die unansehnlichen Mietskasernen aus den 1950/60er-Jahren nicht nur neue Balkone zur Gartenseite, die Pappdächer wurden mit einer Hartbedachung mit Dämmung versehen, die Treppenhäuser renoviert, die Haustüren erneuert und der Grünraum mit Bäumen und Hecken gestaltet. „Grün ist dabei ein beruhigendes und heilendes Mittel und trägt zum Wohlfühlen der Bewohner bei“, erklärt Ewert.

Der mit 55 Meter längste Häuserblock in der Ringstraße, ein Haus mit drei Eingängen, erhielt an der hinteren Seite Holzbalkone, die mit einer innovativen Rampenkonstruktion aus Stahl und Glas verbunden sind. Ewert erläutert die Details: „Die Rampen sind normgerecht mit maximal sechs Prozent Längsneigung und in Abständen von sechs Metern mit Zwischenpodesten ausgeführt. Die Mieter gelangen barrierefrei bis ins zweite Obergeschoss in ihre Wohnungen und in die Gartenanlage hinterm Haus – ohne Fahrstuhl.“ Im Vergleich zu Aufzügen sei die Rampe nahezu wartungsfrei und stelle somit einen Baustein für modernen aber bezahlbaren Wohnraum dar. „Es muss in unserer Gesellschaft Quartiere geben, in denen Menschen zu einem günstigen Preis ein Obdach finden. Und mit einem Mietpreis von 4,19 Euro pro Quadratmeter wie bei diesem Objekt, dem sogenannten Spiralhaus, ist das möglich“, fügt der Architekt stolz hinzu.

Im Viertel Klushof mitten in der Bremerhavener Innenstadt war der Modernisierungsaufwand der Schlichtwohnbauten aus den 1950er Jahren der STAWÖG etwas größer: Die L-förmige Wohnanlage in der Neuelandstraße erhielt Metalldächer, die Grundrisse der 54 Wohnungen wurden teilweise zusammengelegt und barrierefrei ausgelegt. Die Anlage wurde mit neuer Haustechnik, Schalldämmung und eigenem Blockheizkraftwerk sowie einer Photovoltaikanlage auf dem neuesten Stand ausgestattet. Durch die sehr hohe Wärmedämmung entstanden KfW70 Häuser. Hier entschied sich die STÄWOG für eine andere Variante der barrierefreien Erschließung: Ein im Innenbereich an der Fassade fixiertes und vorgestelltes gläsernes Laubengangsystem ersetzt die Lösung mit sieben Treppenhäusern in der Wohnanlage. So mussten nur zwei Aufzüge eingebaut werden. „Für rund zwei Drittel der Kosten eines Neubaus erfüllen wir alle Anforderungen an einen Neubau“, fasst Architekt Ewert zusammen. „Wir haben den Rohbau genutzt und nicht abgerissen, das wirkt sich wirtschaftlich aus und macht sich bei einem durchschnittlichen Mietpreis von 5,50 bis 6,00 Euro pro Quadratmeter für die Mieter bemerkbar.“

Der richtige Anstrich mit freundlichen Farbtupfern
Die unsanierten Nachkriegsbauten boten in verwitterten Grau- und „Bundeswehrgrüntönen“ einen unattraktiven Anblick. Mit entsprechenden Farbkonzepten fügen sich die modernisierten Bauten nun jedoch hervorragend in die Umgebung ein: Der Gebäudekomplex im Klushof ist umgeben von historischen Backsteinbauten. „Den roten Klinkerton der historischen Gebäude haben wir deshalb an der Außenfassade zur Straße aufgenommen. Im Innenhof sind die Fassaden weiß gehalten, was gut mit dem Grün der Bewachsung korrespondiert. Außerdem geben unterschiedlich farbige Riegel an den Laubengängen den Bewohnern Orientierung“, erläutert Ewert.

Im Viertel Wulsdorf fällt nicht nur die ungewöhnliche Holzverkleidung und das neue Flugdach des Spiralhauses sofort auf, auch die gewählte hellblaue Fassade trägt zum freundlicheren Eindruck bei, gleichzeitig bildet sie einen Kontrast zum warmen Holzton. In diesem Viertel wünschten sich die Bewohner generell mehr Farbigkeit. Und so sind viele Fassaden und auch die Treppenhäuser der Gebäude farbig gestaltet.

Der Architekt erläutert die Bedeutung von Farbe: „Farbe ist ein einfaches und kostengünstiges, aber ebenso hochwirksames Gestaltungselement – auch für die städtebauliche Raumbildung – und löst positive Emotionen bei den Bewohnern aus.“

Treffpunkte und Aufgaben schaffen
In den beiden Quartieren Wulsdorf und Klushof war nicht nur die Modernisierung der Bauten ein Ziel, sondern auch Nachbarschaften zu fördern und den sozialen Zusammenhalt zu stärken. Dies ist eine Voraussetzung, um über das Städtebauförderungsprogramm „Soziale Stadt“ vom Bund Gelder zu erhalten, wie im Stadtteil Wulsdorf. Die Rampenkonstruktion des Spiralhauses schafft überdachte Wege zwischen den Wohnungen und erleichtert so den Kontakt zwischen den Mietern. Gleichzeitig führt sie zu einem Urban-Gardening Projekt im Hof, das insbesondere zur Integration der zahlreichen Flüchtlingsfamilien – denn gemeinsames Gärtnern fördert die Kommunikation und die soziale Bindung – und zur Selbstversorgung dient.

Auch im Laubengangsystem an dem Gebäudekomplex im Quartier Klushof wird durch neue kleine Wege Anonymität überwunden und in zusätzlich geschaffenen Gemeinschaftsräumen können auch mal größere Geburtstagsfeiern stattfinden. „Die neuen Wege sind nicht nur Erschließungs- und Gemeinschafts-, sondern auch Wohnerweiterungsfläche und sehr kommunikationsfördernd. Das hat sich in der Praxis schon bewiesen,“ bestätigt Architekt Ewert.

Projektdaten

Bauherr: STÄWOG Städtische Wohnungsgesellschaft Bremerhaven mbH, Bremerhaven
Architekt:
Dipl.-Ing. Hans-Joachim Ewert (mit der Planungsabteilung der STÄWOG)
Produkte:
KEIMFARBEN GmbH, Diedorf

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