Regional Bauen!

DBZ Heftpaten Matthias Reese und Stefan Woehrlin, rw+ Gesellschaft von Architekten mbH, Berlin

Die aktuell gebaute, plurale Architektur zeichnet sich durch ein hohes Maß an Austauschbarkeit aus. Unter dem Druck, global marktgängigen Stilvorstellungen zu entsprechen, bleibt in Architektur und Städtebau ein wichtiges Gestaltungsmittel auf der Strecke: das Anknüpfen an regionale Elemente. Lokale Besonderheiten in Bezug auf verwendete Materialien, Bautechnik, Nutzungsstruktur sowie Aspekte der Nachhaltigkeit werden selten betrachtet und noch weniger im Entwurf genutzt. Eine Integration baulicher Traditionen findet überwiegend nicht statt. Die Folge ist vielfach eine gestalterische Beliebigkeit, die Unbehagen weckt und die die Befreiung von vormals festgeschriebenen Stilvorlagen durch die Moderne in ihr Gegenteil verkehrt. Die Anonymität des Gebauten steht dem bleibenden Bedürfnis entgegen, sich regional zu verorten und eine Identifikation mit dem baulichen und landschaftlichen Umfeld zu ermöglichen.

Wie können Städtebau und Architektur auf dieses globale Gestaltungseinerlei bei gleichzeitigem Wunsch nach regionaler Verortung reagieren? Wie kann dem einhergehenden Identitätsverlust, der gestalterischen Verarmung unserer städtischen und ländlichen Regionen entgegengewirkt werden?

Ein wesentlicher Ansatz zur Beantwortung dieser Frage bietet die Nutzung und Weiterentwicklung tradierter baulicher Mus-ter im Entwurfsprozess. Genaues Hinschauen und die Analyse des Vorhandenen ist hierbei das erste Gebot des Handelns, also: Was sind die wesentlichen, strukturbildenden Bausteine des Bestands vor Ort, was können wir von ihnen für die anstehende Aufgabe lernen? Die gesuchten Merkmale können auf der Ebene des Städtebaus, des Programms, der Materialverwendung und der Gestaltung angesiedelt sein, verweisen jedoch immer auf die zugrundeliegende Entwicklungsgeschichte eines Ortes und seine sozialkulturelle Bedingtheit. Aber auch die aktuellen wirtschaftlichen, sozialen und technischen Grundlagen des Bauens sind mit einzubeziehen wenn es darum geht, tradierte Muster für neue Aufgaben zu aktivieren. Bauformen, -techniken und -inhalte, einmal erfasst und so verstanden, werden im Dialog mit heutigen Erkenntnissen zum kreativen Motivator im Entwurfsprozess.

Eine solcher Ansatz hilft, Architektur mit dem Bestand zu vernetzen und wirkt im Ergebnis identitätsstiftend. Als Steinbruch zur Gewinnung stilistischer Abziehfolien taugen tradierte Bauformen jedoch nicht, hier werden deren Bindung an die damit verknüpften Wertesysteme verkannt. Das Unbehagen vieler Menschen auf der Suche nach ‚Heimat’ lösen simple Stilimporte nicht auf.

Regionale Bautraditionen gehen mit aktuellen Anforderungen eine Verbindung ein – und werden so zeitgenössisch! Dieser Anspruch hat es nicht leicht unter dem wirtschaftlichen Druck, dem Architektur und Architekturproduktion ausgesetzt sind. Es gibt jedoch eine gesellschaftliche Entwicklung, die hoffen lässt: Lokale Initiativen, Baugruppen und Einzelbauherrn fordern mehr Einfluss auf Struktur und Gestaltung ihrer Umgebung. Ein Aspekt dieses Herangehens ist das bewusste Nutzen von vorhandenen oder tradierten Bauformen.

Der Bedarf an Identitätsstiftung durch Architektur ist nicht neu, verweist jedoch auf eine grundsätzliche Verunsicherung. Wie und in welcher Form wollen wir zukünftig leben? Eine gut mit den vorhandenen baulichen und sozialen Strukturen vernetzte Architektur – unter Berücksichtigung einer fortgeschriebenen Tradition – kann auf diese Frage eine starke Antwort geben.

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