Regenschirm mit bester Akustik

Die Festung Kufstein, einst an einem natürlichem Engpass am nördlichen Inntal auf einem steilen Dolomitenfelsen als Verteidigungsanlage errichtet, ist heute beliebter Anziehungspunkt zahlreicher Touristen. Nachdem Teile der historische Bausubstanz Mitte der 90er Jahre durch intensiven Bewuchs vom Verfall bedroht waren, wurde 1997 mit der Top City Kufstein eine privatrechtliche Gesellschaft zur „Belebung und Vermarktung“ der Festung gegründet. Neben der sukzessiven Restaurierung standen hierbei insbesondere der Gastronomiebetrieb und die Freiluftkonzerte in dem südlich vorgelagerten Festungshof der Josefsburg im Vordergrund. Mit der Entwicklung zu immer hochwertigeren Veranstaltungen kam dem Aspekt der Wettersicherheit zunehmende Bedeutung zu. Bei schlechtem Wetter fielen einzelne Konzerte buchstäblich ins Wasser, andere kamen wegen des Finanzrisikos gar nicht erst zu Stande. So entstand der Gedanke, durch ein temporär auffahrbares Schutzdach einen möglichst großen Teil des Festungshofes wettersicher zu machen. Dabei waren strenge Anforderungen des Denkmalschutzes zu beachten, die keine Verankerungen in der historischen Bausubstanz erlaubten. Auch durfte das Erscheinungsbild der Festungsanlage durch die neue Konstruktion nicht beeinträchtigt werden.

Um diesen Randbedingungen bestmöglich zu entsprechen entwickelten die Planer ein filigranes, zentrisches Seiltragwerk, von dessen Zentrum eine Membrane vergleichbar einem überdimensionalen Regenschirm aufgespannt werden kann. Diese wandelbare Überdachung ermöglicht es, bei schlechtem Wetter innerhalb von 4 Minuten eine 2.000 m² große Fläche über dem gesamten Festungshof und einem Teil der Kasematten zu überspannen. Bei gutem Wetter wird die Membrane im Zentrum kompakt zusammengefahren.

Das Tragwerk, an dem die Membrane aufgespannt bzw. zur Mitte gerafft werden kann, ähnelt einem liegendem Speichenrad von 52 m Durchmesser. Am äußeren Rand verläuft vergleichbar einer Felge auf 10 m Höhe über dem Festungshof ein aus 15 gleichen Segmenten zusammengesetzter, polygonförmiger Druckring. Der Druckring ist jeweils in den Polygonpunkten auf Stützen aufgelagert. Diese stehen am Rand vor den Kasematten der Josefsburg, bzw. vor den Festungsmauern. Innerhalb des Druckrings verlaufen in radialer Richtung 15 untere und 15 obere Speichenseile, die durch die Verspannung mittels vertikaler Hängern eine sichelförmige Form einnehmen. Die oberen Speichenseile sind an den Stützenköpfen angeschlossen, die unteren an den Druckringknoten. Im Zentrum bilden sie eine Nabe. Das „Speichenrad" ist ein effizientes, in sich geschlossenes, hoch vorgespanntes Tragsystem, das bis auf die einwirkenden Windlasten nur Vertikalkräfte in den Baugrund einleitet. Da aus Denkmalschutzgründen keine Stützen auf die Kasematten aufgelagert werden durften, sind 5 der 15 Stützen als Luftstützen ausgebildet und über 30 sich kreuzende, unterhalb des Druckrings verlaufende Diagonalseile abgefangen. Auf dem Niveau der Luftstützenfußpunkte verläuft außen umlaufend ein Ringseil, das die durch die oberen Speichenseile auf die Stützenköpfen wirkenden Zugkräfte über Ausleger kurzschließt. Das Erscheinungsbild der Konstruktion wird im wesentlichen von den Stützen und dem umlaufenden Druckring geprägt. Die dünnen Seile treten optisch wenig in Erscheinung. Dem Betrachter entsteht so das Bild, einer über dem Festungshof schwebenden „Krone".

Die Membrane ist mittels Gleitwagen punktuell mit den unteren Radialseilen verbunden. Die U-förmigen Gleitwagen umschließen die als Doppelseil ausgebildeten Radialseile von unten und sind über Gleiter aufgelagert. Die jeweils äußersten Wagen eines Membransegmentes sind fest mit einem Endlosseil verbunden, welches über Umlenkrollen entlang eines jeden Radialseiles verläuft. Sie werden deshalb als Fahrwagen bezeichnet. Die Membrane wird von 15 am äußeren Rand positionierten, synchron arbeitenden Antriebseinheiten elektromotorisch verfahren. Der Fahrvorgang wird hierbei durch eine zentrale Einheit vollautomatisch gesteuert. Berührungslos messende Sensoren überwachen die einzelnen Fahrsequenzen. Der Fahrvorgang lässt sich in zwei Abschnitte unterteilen, dem eigentliche Fahren und dem Spannen der Membrane. Der Vortrieb beim Fahren erfolgt über 15, für jeden Seilbinder getrennt steuerbare elektromotorische Seilwinden. Die Membranvorspannung wird durch das Spannen am Rand erzeugt. Hierzu drücken 15 Spanneinheiten die äußeren Fahrwagen nach außen. Die erforderliche Spannkraft wird über Hydraulikzylinder für jedes Membransegment weggesteuert, kraftkontrolliert aufgebracht.

Im aufgespanntem Zustand entwässert die Membrane zum äußeren Rand. Das anfallende Regenwasser wird über eine flexible, entlang des Membranrandes aufkonfektionierte Rinne aufgefangen und zu den Stützen geleitet. Über trichterförmige Einläufe aus Edelstahlblech und in den Stützen verlaufende, mit Unterdruck arbeitende Regenrohre gelangt es in das abführende Entwässerungssystem.

Die textile Dachhaut besteht aus einem innovativen, hochwertigen PTFE-Gewebe. Membranen aus PTFE-Geweben zeichnen sich durch eine Reihe hervorragender Eigenschaften gegenüber konventionellen Membranmaterialen aus. Hierzu gehören insbesondere eine lange Haltbarkeit von weit mehr als 15 Jahren, eine sehr gute Flexibilität und Knickbeständigkeit sowie eine hohe Lichtdurchlässigkeit von ca. 38%. PTFE ist UV-beständig, chemisch inert und somit resistenter gegen schädigende Umwelteinflüsse. Für die Wahl des Materials war auch das sehr gute Anschmutzverhalten durch die leicht zu reinigende Oberfläche von Bedeutung. Schmutzpartikel haften weit weniger. Ein Effekt der von Teflonbeschichtungen allgemein bekannt ist. Verbunden mit der hohen Lichtdurchlässigkeit bleibt so auch über Jahre hinweg eine ästhetisch ansprechende, textile Optik erhalten.

Das wandelbare Dach hatte zunächst primär seine Funktion als Witterungsschutz. Zwei Aspekte erweisen sich nun jedoch als wesentliche Bereicherung. Zum einen ist dies die verbesserte Akustik bei ausgefahrener Membrane. Zum anderen die Möglichkeit die textile Dachfläche durch farbiges Licht atmosphärisch in Szene zu setzen und so die Einzigartigkeit des Ortes neben der Musik und der Architektur auch mit Licht zu unterstreichen. So wird das perfekte Provisorium sicher öfter aufgefahren werden, als Wetterprognosen das vielleicht erfordern! Be. K.

www.festung.kufstein.at/festungsarena, www.kugel-rein.eu

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