Qualität planen und beurteilen

Die Qualität einer Fassade hängt von der kompetenten Planung und fachgerechten Ausführung ab. Die neue Leitlinie „Beurteilungsmethodik und Toleranzen von Vorgehängten Hinterlüfteten Fassaden (VHF)“ gibt BauherrInnen, PlanerInnen und Verarbeiter-Innen dabei wertvolle Hilfestellungen.

Fassaden sind nicht nur die technisch-funktionale Schnittstelle zwischen Innen- und Außenraum, sie prägen auch in optisch-ästhetischer Hinsicht maßgeblich die Wirkung des Gebäudes und seiner Architektur. Deshalb wird oft auch von der „Visitenkarte des Hauses“ gesprochen. Denn bei jedem Erleben des städtebaulichen Raums und bei jeder Annäherung an das Gebäude bestimmen die Optik, Materialität und Haptik der Außenflächen den ersten Eindruck und damit auch die ersten positiven oder negativen Emotionen. In solchen Momenten repräsentiert die Fassade für den Betrachter das ganze Haus.

Ausgereiftes handwerkliches System

Dem hohen Anspruch des ersten architektonischen Eindrucks können Vorgehängte Hinterlüftete Fassaden in besonderer Weise gerecht werden. Zwar ist ihr Hauptmerkmal  die trennende Luftschicht zwischen der gedämmten oder ungedämmten Außenwand und der äußeren Bekleidung, die als Witterungsschutz dient. Allerdings kann die Bauart der VHF durch die große Gestaltungsvielfalt bei der Bekleidung in hohem Maße individualisiert werden. So lässt sich die Materialität mit HPL-Platten, Tafeln aus Faserzement oder Glasfaserbeton, Keramik- oder Ziegel-Platten, Aluminium-Verbundplatten oder Aluminiumtafeln planen. Weitere Gestaltungselemente sind die Formate, Fugen und Farben der Bekleidungselemente sowie ihre sichtbare oder nicht sichtbare Befestigung.

Aus ihren Ursprüngen – den historischen Holzschindel- und Schieferbekleidungen – hat sich die VHF damit zu einem modernen, technisch ausgereiften System mit präzise aufeinander abgestimmten Komponenten und vielfältigen Schutzfunktionen entwickelt. Erhalten blieb dabei jedoch der besondere Charme des Handwerklichen, bei dem geschulte Mitarbeiter von spezialisierten Unternehmen die vorgefertigten Einzelkomponenten vor Ort und unter Baustellenbedingungen zusammenfügen. So ist jede VHF, trotz der Möglichkeiten zur seriellen Fertigung, ein Unikat.

Diese Einzigartigkeit stellt hohe Anforderungen an die Ausführungsqualität der Fassade sowie an die Beurteilung des fertigen Werks bei der Bauabnahme. Welche Toleranzen und Grenzabweichungen sind dabei vertretbar? Wie ist die Qualität zu bewerten und wann ist das Erscheinungsbild beeinträchtigt? Bei der Beantwortung dieser Fragen hilft eine neue Leitlinie des Fachverbands für vorgehängte hinterlüftete Fassaden (FVHF). Der 24-seitige praxisorientierte Handlungsleitfaden erleichtert BauherrInnen, PlanerInnen und VerarbeiterInnen die fachgerechte Beurteilung und Abnahme von Fassadenkonstruktionen. In übersichtlichen Tabellen, Matrizes und Detailzeichnungen werden die Grenzwerte der zulässigen Abweichungen veranschaulicht und der Rahmen für spezifische, teilweise nicht in Normen und Vorschriften geregelte Toleranzen festgelegt.

Eine Frage der Perspektive

Die FVHF-Leitlinie zu Qualität und Beurteilung bezieht sich auf die Bauart Vorgehängte Hinterlüftete Fassade (VHF) im Sinne der DIN 18516-1:2010-06, Außenwandbekleidungen, hinterlüftet – Teil 1: Anforderungen, Prüfgrundsätze. Sofern für ein Projekt die Anwendung der VOB/B vereinbart ist, gelten automatisch auch die Allgemeinen Technischen Vertragsbedingungen für Bauleistungen (ATV) der VOB/C. Damit ist speziell ATV DIN 18351:2019-09 Vorgehängte Hinterlüftete Fassaden (VHF) zu beachten.

Sowohl bei Werkverträgen nach BGB als auch nach VOB/B ist der Auftraggeber verpflichtet, die vertragsgemäß erstellte Bauleistung abzunehmen. Bei größeren Projekten und Ausführungszeiten oder längeren Unterbrechungen sind darüber hinaus Teilabnahmen zu empfehlen. Im Zusammenhang mit VHF ist die Beurteilung der Fassadenoberflächen ein wichtiger Bestandteil dieser Abnahmen. Die dabei verwendeten Methoden und Kriterien müssen berücksichtigen, dass eine unter Baustellenbedingungen handwerklich erstellte Bauleistung bewertet wird. Maßgeblich sind deshalb die gebrauchsüblichen Bedingungen, etwa beim Abstand und Blickwinkel der Betrachtung sowie bei der Beleuchtung oder auch der Temperatur.

Die optische Beurteilung muss von einer im Normalfall begehbaren Fläche und von einem Standort, an dem möglichst das gesamte Bauwerk sichtbar ist, vorgenommen werden. Der ideale Betrachtungsabstand liegt zwischen 3 und 10 m, beträgt jedoch mindestens die Hälfte der Fassadenhöhe (H/2). Für Details wie Anschlüsse und Ähnliches kann der Abstand auf minimal 1,5 m reduziert werden. Der Betrachtungswinkel sollte möglichst 90° betragen, sodass rechtwinklig auf die Fassadenfläche geschaut wird.

Eine so festgelegte Position entspricht der normalen Betrachtung, aus der heraus Passanten die Fassade im Alltag erleben. Von hier aus lassen sich die Gesamtwirkung der Fassadenansicht, die Farbwirkung, die Struktur der Oberfläche sowie die Anordnung der Gestaltungselemente realistisch und praxisgerecht beurteilen. Diskussionswürdige Unregelmäßigkeiten oder Beeinträchtigungen müssen aus mindestens zwei Betrachtungsrichtungen sichtbar sein.

Neben der Position, aus der betrachtet wird, sollten auch andere Rahmenbedingungen dem Üblichen entsprechen. So dürfen etwa keine Hilfsmittel benutzt werden. Außerdem ist der Termin bei diffusem Tageslicht und keinesfalls unter Streiflicht oder direktem Sonnenlicht anzusetzen. Unter diesen Bedingungen herrscht dann meist auch die anzustrebende Materialtemperatur der Bekleidung von 5 - 25°C.

Die in der Leitlinie sehr genau beschriebene Beurteilungssituation soll helfen, kleine und kleinste Unregelmäßigkeiten, die die Gebrauchstauglichkeit nicht einschränken und optisch im Alltag nicht ins Gewicht fallen, nicht überzubewerten. Gleichzeitig soll aber auch sichergestellt werden, dass der Auftraggeber eine Fassade in praxisgerechter handwerklicher Qualität erhält. Es geht also um ein faires Verhältnis und eine vernünftige Verständigung zwischen den Vertragspartnern.

Realistische Maßstäbe der Bewertung

Werden bei der Beurteilung im Rahmen der Bauabnahme Unregelmäßigkeiten festgestellt, müssen diese sachkundig bewertet und gewichtet werden. Die FVHF-Leitlinie Qualität und Beurteilung schlägt hierfür die Bewertungsmatrix nach R. Oswald (sog. Oswald-Matrix, s. Tabelle S. 58) mit den Erläuterungen von W. Prestinari vor. Mit ihrer Hilfe kann festgelegt werden, ob im Zusammenhang mit einer Unregelmäßigkeit überhaupt eine Minderung diskutiert werden sollte.

Der Grenzbereich zwischen hinzunehmender Beeinträchtigung und nachzubesserndem Mangel wird dabei in drei Abstufungen beschrieben. Die Bagatelle: Eine unbedeutend winzige, hinzunehmende Beeinträchtigung, die weder eine Nachbesserung noch einen Preisabzug begründet. Die hinnehmbare Beeinträchtigung: Ein geringfügiger Mangel, der nachzubessern oder durch Minderung abzugelten ist. Der Normalfall sollte die Nachbesserung sein. Die Minderung erfordert ein gegenseitiges Einverständnis und/oder einen unverhältnismäßig hohen Nachbesserungsaufwand. Und schließlich die nicht hinnehmbare Beeinträchtigung: Eine deutliche Abweichung vom Sollzustand mit negativer Auswirkung, die durch Nacharbeit oder Wandlung restlos zu beseitigen ist. Für diese drei Abstufungen enthält die Leitlinie eine Oswald-Matrix, die den Grad der optischen Beeinträchtigung mit seinem Gewicht für das optische Erscheinungsbild in jeweils vier Stufen kombiniert.

Die Matrix gibt den Parteien eine Hilfestellung, um hinnehmbare und nicht hinnehmbare Beeinträchtigungen zu unterscheiden und sich einvernehmlich über eine eventuelle Nachbesserung oder Minderung zu verständigen. Gelingt dies nicht, muss ein unabhängiger Sachverständiger eine ausgewogene Einstufung und Bewertung vornehmen. Dies verursacht meist Kosten und Zeitverzug und sollte nach Möglichkeit in einem partnerschaftlichen Verhältnis vermieden werden. Zumal der Sachverständige seiner Stellungnahme auch nur ähnliche Bewertungssysteme zugrunde legen kann wie die Beteiligten. Die Leitlinie nennt hier beispielhaft die „Kardinalsskala“ nach Pres-tinari.

Farben und Oberflächen

In die Beurteilung der Fassade im Rahmen der Bauabnahme fließen nicht nur die Leistungen des Montageunternehmens ein, sondern auch Vorleis-tungen der Zulieferer, speziell des Herstellers der Bekleidung. Dessen zulässige Farbtoleranzen sind Grundlage für die Abnahme, ebenso seine technischen Angaben zu eventuellen farbigen Beschichtungen.

Es ist sinnvoll, Referenzmuster für die Farbe und Oberfläche zu bestimmen. Aus material- und fertigungsspezifischen Gründen kann es jedoch immer zu Abweichungen von diesen Referenzen kommen. Bei sehr hochwertigen Fassaden legt man eventuell zusätzlich Grenzmuster fest, die den Rahmen für zulässige Abweichungen in Farbe und Glanz setzen. Für Bekleidungen aus blanken und patinierten Metallen (z.B. Zink) können keine Grenzmuster erstellt werden.

Generell ist zu beachten, dass eine akzeptable Farbtoleranz einen durchaus wahrnehmbaren Farbunterschied bedeuten kann. Gegebenenfalls wird als technisches Beurteilungskriterium das CIE-L*a*b* Farbenraummessverfahren gemäß DIN EN ISO 11664-4:2012-06 herangezogen.

Eventuelle Kratzer, Dellen oder irreversiblen Verschmutzungen, die auch bei einer einwandfreien Bearbeitung und Montage nicht vollständig auszuschließen sind, werden nach der oben beschriebenen Beurteilungsmethodik gewichtet und bewertet.

Zulässige Toleranzen

Bestimmte Maßabweichungen einer unter Baustellenbedingungen erbrachten Werkleistung gegenüber der idealen Planzeichnung lassen sich in der Praxis grundsätzlich nicht vermeiden. Das zulässige Maß der Abweichung definiert DIN 18202:2019-07 Toleranzen im Hochbau – Bauwerke, die auch für die Vorgehängte Hinterlüftete Fassaden (VHF) gilt.

Die FVHF-Leitlinie Qualität und Beurteilung hat für die Projektbeteiligten den großen Vorteil, dass sie alle relevanten Begriffe und Definitionen der Norm erklärt sowie die zulässigen Grenzabweichungen der Maße, der Winkel und der Ebenheit als schnell auffindbare Zahlenwerte in Tabellenform enthält. Diese Konzentration allein auf die für VHF zutreffenden Toleranzen und ihre Interpretation vereinfacht das Arbeiten mit der Leitlinie – etwa im Vergleich zur kompletten Norm DIN 18202. Zumal zusätzlich VHF-spezifische und nicht an anderer Stelle geregelte Toleranzen festgelegt werden.

Dabei geht es um die Fugenbreite und den Fugenversatz sowie um den Versatz und die Maßabweichung der sichtbaren Befestigungselemente. Sowohl bei den Fugen als auch bei den sichtbaren Befestigungen handelt es sich um wichtige Gestaltungsmittel der VHF, die den architektonischen Eindruck wesentlich mitbestimmen. Darum werden an ihr optisches Erscheinungsbild hohe Ansprüche gestellt, bei denen jedoch bestimmte Abweichungen in einem vorher festzulegenden Rahmen unvermeidlich und nach Maßgabe der Leitlinie auch zulässig sind.

Die sehr umfassende Darstellung der Toleranzen bei VHF bildet nicht nur eine Beurteilungsgrundlage im Rahmen der Abnahme des fertigen Werks, sondern muss bereits Teil der Planung sein. Denn Toleranzen sind in der Ausführungsplanung zu berücksichtigen und dabei die Grenzen der Ausgleichsmöglichkeiten in der Konstruktion zu beachten. Auch dazu gibt die Leitlinie praxisnahe Hinweise.

Eine Auflistung der wichtigen Normen rund um Vorgehängte Hinterlüftete Fassade sowie ein Literaturverzeichnis vervollständigen die Leitlinie „Beurteilungsmethodik und Toleranzen von Vorgehängten Hinterlüfteten Fassaden (VHF)“. Sie erweitert die Leitlinienreihe des FVHF, in der bereits Handlungsleitfäden zur Planung und Ausführung sowie zum Brandschutz erschienen sind. Mit VHF und Schallschutz sowie VHF und Gerüste werden zwei weitere Titel in diesem Jahr veröffentlicht.

Toleranzen im Fokus

Geringfügige Abweichungen in der fertigen Werkleistung lassen sich bei VHF aus verschiedenen Gründen nicht vermeiden. Bei der Planung und Ausführung von VHF sind daher folgende Toleranzen zu berücksichtigen:

– Rohbautoleranzen

– Toleranzen der Vorgewerke

– Herstelltoleranzen der verwendeten Systemkomponenten

– Toleranzen aus Fertigung und Montage

– Längen und Breitenänderungen aufgrund bauphysikalischer Einflüsse

 

Zu folgenden Punkten müssen die zulässigen Toleranzen und deren Messmethode an der fertiggestellten Leistung berücksichtigt werden:

– Längen und Breiten der Bekleidungselemente

– Ebenheit der Fassade

– Abweichung von angegebenen Fluchten und Höhen

– Fugenbreite und Fugenversatz

– Versatz und Maßabweichungen sichtbarer Befestigungselemente

Bei der Vereinbarung von zulässigen Toleranzen der fertiggestellten Oberflächen sind Untergrund-, Produkt-, Fertigungs- und Montagetoleranzen in Summe zu berücksichtigen. Dabei sind die Ausgleichsmöglichkeiten in der Konstruktion zu beachten.

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