Multitalent für nachhaltige Gebäudehüllen
Vorgehängte hinterlüftete Fassaden

Nachhaltigkeit ist ein Handlungsprinzip, das mit dem wachsenden Bewusstsein über die Endlichkeit unserer Ressourcen immer bedeutender wird. In den vergangenen Jahren wurde das Nachhaltige Bauen mit der Lebenszyklusbetrachtung um einen weiteren wichtigen Aspekt ergänzt: Neben dem angestrebten Gleichgewicht von ökologischen, wirtschaftlichen und sozialen Faktoren in der Bau- und Nutzungsphase steht dabei die Frage im Vordergrund, was mit Gebäuden und den darin verbauten Rohstoffen am Ende ihrer Lebensdauer geschieht. Aufgrund der repräsentativen Wirkung von Fassaden sind nachhaltige Systeme an der Gebäudehülle besonders zukunftsweisend.

Lebenszyklusbetrachtung

Der Anspruch bei der Lebenszyklusbetrachtung ist es, bereits zu Beginn der Planung den vollständigen Lebensweg eines Gebäudes und seiner Bestandteile zu berücksichtigen – von der Herstellung der einzelnen Produkte über die Bau- und Nutzungsphase bis hin zum Rückbau und zur Verwertung der Reststoffe. Mittlerweile haben diese Aspekte auch Eingang in die Gesetzgebung gefunden: So enthält die Novellierung der Bauproduk-tenverordnung die Grundanforderung, dass Bauwerke dauerhaft und ihre einzelnen Bestandteile wiederverwendbar oder recyclingfähig sein sollen. Das Kreislaufwirtschaftsgesetz (KrWG) enthält dazu eine 5-stufige Abfallhierarchie: An erster Stelle steht die Vermeidung von Abfällen durch den Erhalt und die Revitalisierung alter Gebäude. Darauf folgen die Wiederverwendung und Weiternutzung von Bauteilen, anschließend das Recycling, also die Rückführung in den gleichen Wertstoffkreislauf. Auf der vorletzten Stufe steht die sonstige Verwertung, bspw. durch Verbrennung zum Gewinn von Wärme und Strom und als letzte Maßnahme schließlich die Entsorgung bzw. Deponie-

rung. Daher sind dauerhafte Systeme gefragt, deren einzelne Bestandteile am Ende der Lebensdauer wiederverwendet oder in den Wertstoffkreislauf zurückgeführt werden können.

Wie ein Baukasten funktioniert das System der vorgehängten hinterlüfteten Fassade (VHF), dessen einzelne Komponenten sich am Ende der Lebensdauer eines Gebäudes leicht lösen lassen und einen geordneten Rückbau mit sortenreiner Trennung ermöglichen. Zudem eignen sich VHF für die Sanierung von Bestandsgebäuden und tragen so zum Erhalt der Bausubstanz bei. Das dauerhafte System, dessen einzelne Bestandteile eine Nutzungsdauer von über 50 Jahren aufweisen, schützt die dahinterliegende Wand vor vielfältigen Umwelteinflüssen und hilft so, die Lebensdauer der gesamten Konstruktion zu verlängern.

Sozial, ökonomisch, ökologisch

Neben der hohen Lebenserwartung und ihrer Rückbaubarkeit tragen VHF zur Erfüllung der Anforderungen des Nachhaltigen Bauens bei: Zu den sozialen Faktoren zählen Sicherheitsfunktionen, wie der zuverlässige Brandschutz durch nichtbrennbare Dämmstoffe und der Blitzschutz mit elektrisch leitenden Unterkonstruktionen. Für das Wohlbefinden der Nutzer ist durch den hohen Schallschutz sowie die guten bauphysikalischen Eigenschaften der VHF gesorgt: Der Luftstrom im Hinterlüftungsraum führt Bau- und Nutzungsfeuchte stetig ab und sorgt so für ein gesundes Innenraumklima. Nicht zuletzt zählt auch die große Gestaltungsvielfalt zu den sozial nachhaltigen Eigenschaften von VHF, da das große Spektrum an Bekleidungsmaterialien ein einprägsames und identitätsstiftendes Stadtbild schafft. Die Revitalisierung von Bestandsgebäuden durch energetische Sanierungen mit VHF erfüllt somit sowohl soziale und ökologische als auch ökonomische Anforderungen. Aus wirtschaftlicher Sicht macht sich außerdem der geringe Reinigungs- und Instandhaltungsaufwand von VHF rasch bezahlt und bietet zusammen mit der hohen Nutzungsdauer und Energieeffizienz langfristige finanzielle Sicherheit.

Zu den ökologischen Nachhaltigkeitskriterien zählt außer der Recyclingfähigkeit auch die beliebig wählbare Dämmstoffdicke, die jeden gewünschten Energiestandard bis hin zum Passivhaus ermöglicht. Ferner können VHF, bspw. durch den Einsatz von Photovoltaikpaneelen, sogar als Energieproduzenten eingesetzt werden. Die Umweltproduktdeklarationen (EPDs) der VHF-Komponenten liefern Architekten und Bauherren wichtige Daten für eine Bewertung von Bauten, z. B. im Rahmen von Nachhaltigkeitszertifizierungen oder Gebäudeökobilanzen.

Ökobilanz als Gradmesser

Ökobilanzen für Bauwerke dokumentieren und prognostizieren die Umweltwirkungen durch Herstellung, Nutzung und Rückbau eines Gebäudes und die Verwertung der einzelnen Bauprodukte. Dabei wird der Energieverbrauch für die Herstellung der einzelnen Stoffe ebenso berücksichtigt wie die laufenden Aufwendungen im Betrieb von Gebäuden, die voraussichtliche Nutzungsdauer sowie die Frage, was nach der Nutzung mit den verbauten Rohstoffen passiert. Für vorgehängte hinterlüftete Fassaden ist der Energieeinsatz aus nicht erneuerbaren Ressourcen und das entstehende Treibhauspotential in der Broschüre „VHF im Fokus – Nachhaltigkeit“ dokumentiert. Dabei werden zwei Mus-terfassaden mit Unterkonstruktionen aus Holz und aus Aluminium dargestellt. Besonders positiv sind die sehr geringen Aufwendungen in der Nutzungsphase und die hohe Energieeinsparung durch gute Wärmedämm-eigenschaften. Zur positiven Ökobilanz der VHF trägt auch die lange Lebensdauer bei. Beim Rückbau erhalten VHF im Modul „Wiederverwendung, Recycling und sonstige Verwertung“ hohe Gutschriften. So ergeben sich insgesamt geringe Umweltwirkungen für die VHF. (Für die genauen Daten der Ökobilanz sowie für weiterführende Informationen kann die Publikation unter angefordert werden.)

Aus der Praxis: Referenzen

Wie sich die berechnete Nachhaltigkeit des Fassadensystems in der Praxis äußerst vielfältig umsetzen lässt, zeigen die Neubauten und Sanierungen von öffentlichen Gebäu-

den sowie Wohn- und Bürobauten:

Die bestehende Berufsschule im Süden von Dachau wurde von Diezinger & Kramer Architekten zu einem Campus erweitert: An der Fassade wurden großformatige Faser-

zementtafeln nicht sichtbar mit Hinterschnitt-

dübeln auf der Aluminium-Unterkonstruktion montiert. Dahinter sorgt eine Dämmung von

30 cm für einen U-Wert der Außenwand von 0,12 W/(m²K) – das Schulgebäude erreicht damit Passivhaus-Standard. Die Außenfassade ist mit den anthrazitfarbenen Fassadentafeln und pastellfarbenen Passepartouts um die großformatigen Fenster gestaltet. Die nichtbrennbare, energieeffiziente und robuste

Gebäudehülle hält auch der Wucht anprallender Bälle verlässlich stand und ist so

Garant für eine langanhaltend frische Optik der Schule.

Häuser als Kraftwerke

Am Puls der Zeit ist die energetische Modernisierung des Walther-Hempel-Baus der TU Dresden. Für die Gebäudehülle planten AWB Architekten und tönies+schroeter+jansen freie architekten eine VHF mit einer Kombination von nicht sichtbar befestigten Glastafeln und solaraktiven Photovoltaik-Paneelen. Die Farbe der passiven Glaselemente changiert zwischen Anthrazit und Dunkelblau und ähnelt damit den Oberflächen der Solarmodule. So wird die Photovoltaik sowohl technisch als auch gestalterisch in die Fassade integriert.

Ein Neubau, der ebenfalls Energie produziert, ist das „Studentenkraftwerk“ in Bamberg mit seiner hocheffizienten Gebäudehülle: Da die ursprünglich vorgesehene Pfosten-Riegel-Konstruktion die energetischen Anforderungen nicht erfüllte, entwarf das Architekturbüro Plan & Vision für die Gebäudehülle mit dem Fassadenbauunternehmen Thiel Montage GmbH eine VHF mit einer speziell dafür entwickelten Unterkonstruktion. Durch den Einsatz recyclingfähiger Materialien wurde der Lebenszyklus des Studentenkraftwerkes bereits im Entwurf berücksichtigt.

Mehr Farbe ins Leben!

Auch im Geschosswohnungsbau lassen sich mit VHF nachhaltige Gestaltungskonzepte

realisieren: Bei der Sanierung eines Mehr-

familienhauses in Hannover aus den 1950er-Jahren entschieden sich Architektin Larisa

Kozjak und die Wohnungsgenossenschaft für eine VHF mit diffusionsoffener Steinwolle-Dämmung und besonders witterungsbeständigen Fassadentafeln aus Basaltgestein. Um das Gebäude nicht nur energetisch auf den neuesten Stand zu bringen, sondern auch

gestalterisch ein kräftiges Zeichen zu setzen, entwarf die Planerin für die Fassade ein ausdrucksstarkes „Strickmuster“ aus sechs intensiven Farbtönen.

Bei der Planung eines 200-Betten-Hotels auf dem Campus der University Nottingham/ GB stand für RHWL Architects der respektvolle Umgang mit der umgebenden Natur im Vordergrund. Umweltverträgliche Baustoffe, wie ein Lärchenholztragwerk für das zentrale Atrium und eine hocheffiziente VHF mit keramischer Fassadenbekleidung, ergänzen das nachhaltige Entwurfskonzept. Die individuellen Brauntöne der umweltfreundlich produzierten Keramikplatten sind eine Referenz an die geologischen Schichtungen der von Sandsteinfelsen geprägten Umgebung. Neben Photovoltaik, Erdwärmepumpen und Kraft-Wärme-

Kopplung trugen auch die Fassadenkonstruktion und die eingesetzten Materialien dazu bei, dass das Hotel ein BREEAM-Zertifikat der Note excellent erhielt.

Fassaden als Visitenkarte

Für die Sanierung des Europahauses im Tiroler Ort Mayrhofen wählten die Architekten von Architekturhalle, Telfs, eine dauerhafte und witterungsbeständige Gestaltung mit großformatigen, durchgefärbten Faserzementtafeln und einer mineralischen Dämmung. Holzkonstruktion und Bekleidung bilden zusammen mit der Dämmung eine neue Wetterschicht, die den Bestandsbau nachhaltig schützt.

Auch bei Gewerbebauten sind ein repräsentatives Äußeres und das angemessene Einfügen in den Stadtraum ebenso wichtig wie der kosteneffiziente Betrieb und eine Gebäude­hülle mit erstklassigen Energiewerten. Das NuOffice in München erfüllt all diese Anforderungen und ist als erstes Gebäude in Deutschland mit dem LEED-Platin-Zertifikat ausgezeichnet. Ziel der Zusammenarbeit von Architekt Falk von Tettenborn mit dem Fraunhofer-Institut für Bauphysik (IBP) war es, ein Gebäude mit minimalem Energiebedarf zu realisieren. Dafür wurde die Fassade komplett vorgehängt und hinterlüftet umgesetzt. Sie besteht aus weißem Putz und wird durch Bänder aus Aluminiumverbundplatten gegliedert. Dank der abwechslungsreichen Fassadengestaltung nimmt der Neubau den Maßstab seiner Umgebung auf und wirkt so trotz seiner bis zu sechs Geschosse kleinteilig.

Als erstes Null-Energie-Haus in Frankreich setzt das 7-stöckige

Bürogebäude Mediacom 3 der Architektin Françoise-Hélène Jourda neue Standards. Das Gebäude produziert so viel Energie, wie es verbraucht – durch eine kompakte Form, natürliche Belichtung, sicheren Wärmeschutz und ein ressourcenschonendes Konzept für Heizung und Lüftung. Für die effiziente und recycelbare Gebäudehülle wählte die Architektin eine VHF mit einer Unterkonstruktion aus Holz und einer Bekleidung aus vorbewittertem Titanzink, das ressourcenschonend produziert wird, langlebig und widerstandsfähig ist. Die eingesetzte, selbstragende Holzunterkonstruktion ist ebenfalls energiesparend
in Produktion und Anwendung und – ebenso wie das Titanzink – zu 100 % recycelbar.

In der Vielfalt der Entwürfe, Bauaufgaben und eingesetzten Materialien beweist jedes einzelne VHF-Projekt durch seine lange Haltbarkeit und Demontierbarkeit, wie sich Gedanken zum Lebenszyklus bereits am Beginn eines Projektes rechnen. Wie die vorgestellten Bauten im Jahr 2100 aussehen werden, lässt sich nicht vorhersehen – sicher ist aber, dass die Planer bei der Gestaltung der Fassaden bereits die Zukunft im Blick hatten.

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