Gesund Planen
Materialkonzepte für
schadstoffarmes Bauen

Bauen soll Räume schaffen, in denen Menschen gut leben und arbeiten können. Der Schutz des Menschen vor schädlichen Um­welteinflüssen ist dabei ein wichtiges Ziel – wenn nicht sogar die zentrale Grundlage des Bauens. Bekannt ist hierzu zum Beispiel, dass Behaglichkeit und Raumhygiene die Leistungsfähigkeit des Menschen unterstützen. Gepaart mit großen wirtschaftlichen Vorteilen – etwa einem geringeren Krankenstand in schadstoffarmen Bürobauten.

Umso bemerkenswerter ist die Entwicklung, dass im Bauwesen in den zurückliegenden Jahrzehnten die gesundheitliche Unbedenklichkeit und der Baustoffeinsatz nur sehr schleppend in Einklang gebracht wurden. Meist stand die Reduktion von Arbeitsaufwand im Vordergrund, also eine ökonomische Optimierung, die teilweise auf Kosten von erhöhten Emissionen und Schadstoffen in Gebäuden „erkauft“ wurde (Abb. 1)

Mit der aktuell verfolgbaren Effizienzsteigerung im Gebäudebetrieb gewinnt nun die Materialverwendung im Bauwesen wieder an Bedeutung. Dabei sind sowohl baubiologische als auch bauökologische Überlegungen wirksam. Während die Baubiologie auf den Nutzen und die Nutzbarkeit für den Menschen fokussiert, greift die Bauökologie das Thema des effizienten Ressourceneinsatzes auf. Beide Überlegungen münden in dieselbe Vorstellung: Das Gebäude selbst wird zunehmend die zentrale Ressource mit den entsprechend höheren Anforderungen an Wertigkeit und Werthaltigkeit. Schadstofffreiheit sichert hierbei die langfristige Nutzbarkeit eines Objektes. Dies gilt in besonderem Maße bei Gebäuden mit erhöhten Hygieneanforderungen wie z. B. Wohnbauten, Kindertagesstätten, Schulen, Laboren oder Krankenhäusern.

Parallel forcieren Zertifizierungen wie BNB, DGNB oder Minergie-Eco, aber auch rechtliche Vorgaben wie die europäische Bauproduktenverordnung das Thema Schadstoff-freiheit als wichtigen Aspekt zeitgemäßer Planung. Dabei ist die Entwicklung von Bewertungskriterien und verschärften Zielwerten in den letzten Jahren in bemerkenswertem Tempo vorangeschritten. Heutige Anforderungskataloge (z. B. Bewertungssystem Nachhaltiges Bauen 1.1.6 und 1.1.7) haben eine weit größere Reichweite als noch vor wenigen Jahren (Tabelle 1).

Für diese Entwicklung ist neben den fachlichen Beteiligten auch die Baustoffindustrie selbst hervorzuheben. Gerade einschlägige Baustoffhersteller haben erkannt, dass sie im Bereich des schadstoffarmen Bauens eine besondere Möglichkeit des Qualitätsnachwei­ses ihrer Produkte haben. Zwar kann es beim Betrachtungsrahmen oder bei schad­stoff­be­zogenen Einzelkriterien in Zukunft noch zu Ände­rungen kommen; ein grund­legender Wan­del der Bewertungsmethodik ist zeitnah jedoch unwahrscheinlich. Für die Planung mit Bau­stoffen unter ökologischen Gesichtspunk­ten ist damit der Boden bereitet.

Entsprechend wird in immer mehr Planungen auch das Ziel eines schadstoffarmen Gebäudes definiert. Maßgeblich sind dazu detaillierte Materialkonzepte, die den Baustoffeinsatz aus unterschiedlichen Blickwinkeln beleuchten, um so für das Objekt die optimale Lösung zu finden.

Beschreibung von Materialkonzepten

Schon immer setzten sich Architekten und Fachplaner mit Baustoffen auseinan­der. Zunehmend werden dabei die beste­henden funktionalen und gestalterischen Kriterien durch  nachhaltigkeitsbezogene Faktoren ergänzt.

In einem typischen Projekt fehlt zunächst häufig ein materialbezogenes Leitbild, das planungsbegleitend entstehen muss. Von Beginn an kann innerhalb des Materialkonzepts zwischen Tragwerk und Ausbau unterschieden werden. Bauwerke, die auf mineralischen Baustoffen und Konstruktionsmaterialien basieren, bieten dabei in der Regel eine gute Arbeitsgrundlage für eine schadstoffarme Umsetzung. Holzbauten haben aufgrund des Werkstoffs Holz ein grundlegend anderes Emissionsverhalten, bei dem besonders Form­aldehyd als Emission vermieden werden sollte. Durch den Einsatz emissionsreduzierter Holzwerkstoffe und den möglichst umfassen­den Einsatz von konstruktivem Holzschutz lassen sich auch bei Holzbauten hochwertige, schadstoffarme Gebäude umsetzen.

Da die schadstofftechnischen Frage- und Problemstellungen besonders aus den inneren Nutzoberflächen und dem äußeren Witterungsschutz entstehen, sollten innerhalb des Materialkonzepts frühzeitig die Regelbauteile definiert und auf ihre Relevanz für die Umsetzung des schadstoffarmen Bauens geprüft werden. Dabei ist es hilfreich, dass die höchste Gefährdung für einen potentiellen Schadstoff­eintrag in der Regel von auch gestalterisch relevanten Bauteilen ausgeht. So lassen sich an vielen Projekten bei gleichbleibender Materialleistung kostenneutrale Möglichkeiten zur schadstoffarmen Umsetzung aufdecken.

Mit der Vertiefung des Materialkonzepts können in der Folge auch Anschlussdetails und nicht gestalterische Bauteile, wie etwa die Ausführung von Kühltechnik im Gebäude, thematisiert werden. Im materialbezogenen Themenkanon sollten Schadstofffreiheit, Umweltwirkung, Materialleistung und Kosten möglichst gleichzeitig betrachtet und projektspezifisch untereinander gewichtet werden.

Schlussendlich bildet ein umfassender Bauteilkatalog für das Gebäude die Grundlage für die Verknüpfung energetischer, schadstofftechnischer und gestalterischer Zielsetzungen. Es entsteht eine Verzahnung des Entwurfs- und des Materialkonzepts, die den Ent­wurf letztlich umso schlüssiger erschei­nen lässt. Die dazu notwendigen Schritte lassen sich entlang des Planungsprozesses differenziert aufdecken (Tabelle 2).

Planungsprozess für schadstoffarme Gebäude
Grundlagenermittlung und Vorentwurf

Bei Bestandsbauten können durch stichproben­artige Überprüfung von Schadstoffgehalten der Bestandsmaterialien Risikopotentiale aufgedeckt werden. Für belastete Gebäude sind Altlastenkataster zu erstellen, aus denen Ziele der Sanierung projektspezifisch abgeleitet werden können.

Für alle Gebäude bietet die frühzeitige Festlegung von Qualitätsanforderungen ein hilfreiches Mittel, um den Ausschluss von schadstoffhaltigen Produkten sicherzustellen. Innerhalb von Kriterienkatalogen wird eine Vielzahl an Vorgaben zu Inhaltsstoffen thematisiert. Viele davon lassen sich ohne größeren Aufwand in der Ausschreibung festschreiben. Wenige jedoch haben auch eine konstruktive Relevanz: So wird z. B. die Verwendung von Montageschäumen in Innenräumen gänzlich ausgeschlossen. Ebenso ist eine frühzeitige Prüfung von möglichen Radonbelastungen am Standort sinnvoll, da sie starke Auswirkungen auf mögliche Kellerausbildungen haben.

Gerade bei hohen Anforderungen bezüglich der Schadstofffreiheit sollten die verfüg­baren Kompetenzen zum schadstoffarmen Bauen in das Planungsteam überprüft und ggf. spätestens bis zur Leistungsphase 3 ein Sachverständiger für schadstoffarmes Bauen hinzugezogen werden.

Besonders relevant ist das Vorgehen bei Nichtwohngebäuden mit Lüftungsanlage. Gelingt es, die Anforderungen an die Schadstofffreiheit des Gesamtgebäudes gem. DIN EN 15251 „Lüftung von Nichtwohngebäuden“ in Form der Definition eines nicht schadstoffarmen, schadstoffarmen oder sehr schadstoffarmen Gebäudes in die Auslegung der Lüftungsanlage zu implementieren, so kann die Anlage deutlich kleiner ausgelegt werden und somit für das Gebäude insgesamt eine Kos­tensenkung herbeigeführt werden (Abb. 2).

Entwurfsplanung

Nachträgliche Maßnahmen zur Beseitigung bereits eingebrachter Schadstoffe ins Gebäude sind umfangreich und kostenintensiv. Für den Planer muss daher das Hauptziel in der Entwurfsplanung darin bestehen, einen Schadstoffeintrag in das Bauwerk möglichst von vornherein zu ver­meiden. Natürlich sollte schon in dieser Phase die Verwendung möglichst emissionsarmer Materialien insbesondere im Bereich Oberflächenbeschichtungen (Farben, Lacke, Lasuren, Klebstoffe/ Verlegewerkstoffe, Bodenbeläge, Holzwerkstoffe, Dichtstoffe) angestrebt werden. Dabei sollten Konstruktionen und Materialien – insbesondere die von Regelbauteilen sowie gestaltungsrelevanten Baustoffen – auf die Eignung zum Erreichen der gestellten Ziele überprüft werden. Wichtiger ist jedoch die generelle Favorisierung von mechanischen Befestigungen statt Verklebungen, die neben der schadstofftechnischen Relevanz auch die Recyclingfähigkeit des Bauwerks erhöht. Für den Holzbau sollte z. B. die Möglichkeiten zum Einsatz konstruktiven Holzschutzes überprüft werden.

Auch Bedarfe in der TGA sollten überprüft werden. Hauptsächlicher Planungsaspekt ist das angestrebte Kühlmittel einer möglichen Kühltechnik. Soll es halogenfrei ausgeführt werden, muss eine solche Planungsgrundlage frühzeitig an den TGA-Planer weitergegeben werden. Bei großflächigem Einsatz von Metalloberflächen in der Gebäudehülle muss ebenso frühzeitig eine Prüfung von Bedarfen zur Metallabscheidung im Abwassersystem erfolgen.

Ausführungsplanung

In der Ausführungsplanung sollten die in der Entwurfsplanung gelegten Grundlagen weiter vertieft werden. Soweit möglich sollten Bauhilfs- und Bauzusatzstoffe, die insgesamt nur etwa 5 m.-% des heutigen Baustoffeinsatzes ausmachen und in denen sich die überwiegende Mehrzahl der aktu­ell bekannten Problemstoffe finden lassen, vermieden werden. Besonders einfach umsetzbar ist dabei der Rostschutz von Stahl­bauteilen mittels Verzinken statt durch eine Beschichtung. Kunstharzprodukte, insbesondere flüssig aufgebrachter EP- oder PU-Beschichtungen, können teilweise durch mineralische Abdichtungen ersetzt werden. Mechanische Befestigung von Türrahmen, Bodenbelägen und Sockelleisten ermöglichen die Vermeidung von Montageschäumen. Darüber befördert der vorrangige Einsatz mineralischer Wandbeschichtungen im Innenraum, die Vermeidung von Polierungen und Imprägnierungen bei Naturstein, die Verwendung von unlackiertem Metall (z. B. Edelstahl oder eloxiertes Aluminium) sowie der Einsatz von lösemittelarmen werkseitigen Beschichtungen (z. B. Pulverbeschichtungen) die Schadstoffarmut des Gebäudes. Bei der Gebäudetechnik bietet der vorrangige Einsatz von Mineralfaserdämmungen (Verklebung von Leitungen über Aluminiumband) in der Leitungsführung ebenso eine schadstoffarme Umsetzung.

Neben der funktionalen Eignung sollte dabei im Rahmen der Ausführungsplanung auch die Umsetzung im Bauprozess überprüft werden. Dabei sind vor allem Verarbeitungstemperaturen (z. B. bei emissionsreduzierten Klebstoffen, bei kautschukbasierten Dämmungen, Kleber von Dachabdichtungen) sowie die Geschwindigkeit einer materialtechnischen Festigkeit (z. B. Befahrbarkeit von Parkettversiegelungen, Kratzfestigkeit von Türlacken) zu überprüfen. Falls sich hierbei Zwänge bei der Umsetzung ergeben, sollte dabei schon bei der Ausschreibung eine Alternativposition aufgenommen werden, die eine zeitgerechte Umsetzung ermöglicht.

Integration der Anforderungen in die Ausschreibung

Zur Sicherstellung der zielführenden Materialwahl ist die Integration der Produktanforderungen in die Ausschreibung unabdingbar. Es ist dabei empfehlenswert, die schadstofftechnischen Produktanforderungen sowie die Deklarationspflicht der jeweiligen Auftragnehmer über zusätzliche technische Vertragsbedingungen (ZTVs) festzuschreiben. Eine positionsweise Prüfung von widersprüchlichen Formulierungen (z. B. durch den Sachverständigen für schadstoffarmes Bauen) ist aus rechtlichen Gründen zu empfehlen. Da­rüber hinaus können bspw. Eignungsnachwei­se hinsichtlich Zuverlässigkeit, Fachkunde und Leistungsfähigkeit zum schadstoffarmen Bauen gemäß § 6 der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen, Teil A (VOB/A) im Rahmen der Ausschreibung verlangt werden.

Qualitätssicherung und Kontrolle

Die Baufirmen sollten mit Abgabe ihrer Angebote die ökologischen Anforderungen zur Kenntnis nehmen und akzeptieren. Es empfiehlt sich dabei eine schriftliche Protokollierung.

In der Folge sind die für den Bau geplanten Produkte durch eine fachkundige Person zu prüfen. Durch die Erstellung gewerkeweiser Listen entsteht dabei eine Kommunikationsplattform zwischen ausführenden Firmen und Bauleitung, die eine Kontrolle auf der Baustelle zulässt. Schulungen der Handwerker zum schadstoffarmen Bauen sensibilisieren und unterstützen die schadstoffarme Umsetzung des Gebäudes.

Zur Vorbereitung der Nutzungsphase sollten dabei bei einem folgenden Mieterausbau die Schadstoffanforderungen in den Mietverträgen verankert werden. Darüber hinaus können auch für die Möblierung oder die technische Ausstattung schadstofftechnische Anforderungen formuliert werden.

Unsichtbares Hervorheben

Schadstoffarmes Bauen ist eine Grundqualität nachhaltiger Gebäude. Nicht umsonst ist im Rahmen einer Nachhaltigkeitszertifizierung nach BNB/DGNB das Thema Schadstoffe eines der wenigen grundsätzlichen Ausschlusskriterien für ein Zertifikat. Aber die besondere Qualität eines schadstoffarmen Gebäudes ist nicht auf den ersten Blick sichtbar (Abb. 3). Durch eine Messung kann schlussendlich der Erfolg des gerade bei hohen Anforderungen durchaus aufwendigen Vorgehens zur schadstoffarmen Umsetzung belegt werden. Übliches Vorgehen ist dabei die Messung der Konzentration an flüchtigen organischen Verbindungen (VOCs) und Formaldehyd (Abb. 4).

Mit der entsprechenden Aufbereitung kann die Messung nicht nur als Beleg der Pla­nungs­qualität dienen, sondern auch bei den zukünftigen Nutzern des Gebäudes Ver­trau­en in die Bauqualität schaffen. Damit sie in unserer Architektur gut leben und arbeiten können.

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