Modulares Bauen mit digitalen Planungs­methoden

Modulare Fertigung steht für eine hohe Qualität in der Bauausführung und basiert schon seit Jahren auf digitalisierter Planung und automatisierter Fertigungstechnik. Neu sind aber auch hier modellbasierte Planung und digitales Planungsmanagement. Das junge Architekturbüro Behm.Maasberg Architekten aus München setzt genau dort an und verknüpft BIM-Modellierung mit moderner Fertigungsplanung bis zum Warenwirtschaftssystem. ­Unser Autor Tim Westphal stellt die Arbeitsweise vor.

Eine kurze Meldung des Amts für Statistik Berlin-Brandenburg macht im Februar 2021 auf einen ungewöhnlichen Trend aufmerksam: Nachdem die Bundeshauptstadt Berlin zwischen 2009 und 2019 um insgesamt 400 000 EinwohnerInnen gewachsen ist, stagniert die Zahl seit 2020 bei rund 3,7 Mio. Menschen. Wesentliche Gründe für den Zuzugsstop in die Metropole liegen nicht in der Pandemie-Situation, sondern im wachsenden Wohnungsmangel und den seit Jahren steigenden Mieten begründet. Hinzu kommen generationenübergreifende Anforderungen an den bestehenden Wohnraum (Barrierefreiheit, flexible Wohnungsgrundrisse, Patchwork-Wohnen etc.) und teils astronomische Grundstückspreise für Neubauprojekte. Das ist bei weitem kein Berlin-Phänomen. In Frankfurt, München, Düsseldorf, Bielefeld oder Rostock sieht es genauso aus: In den attraktiven Lagen der Mittelzentren ziehen die Preise an, in den Großstädten sowieso. Grund und Boden ist teuer wie nie zuvor.

Das Bauen muss auf solche Entwicklungen reagieren. Sinnvolle und subtile Nachverdichtung und der Einsatz zeitgemäßer Bauweisen, wie das Modulare Bauen, haben das Zeug dazu, den Wohnungsmarkt nicht nur in den vorgenannten Städten auf Dauer zu entspannen. Modulare Fertigungsmethoden schaffen überdies eine hohe Qualität in der Bauausführung, setzen seit Jahrzehnten CAD-Planung und (teil-)automatisierte Fertigungstechnik ein und bedeuten dank großer Planungstiefe weniger Fehlerpotential – wenn denn modellbasiert geplant wird.

Modellbasiert Planen erfordert Teamwork

Der Verweis zur modellbasierten Planung ist wichtig, weil er der wesentliche Anknüpfungspunkt für das Architekturbüro Behm.Maasberg Architekten ist. Mehr noch: Es ist das Alleinstellungmerkmal, ihr USP. Julia Behm und Markus Maasberg gründeten ihr Architekturbüro mitten in der Corona-Krise 2020, am 1. August 2020. Beide kennen sich seit Jahren und sind bekennende BIM-Enthusiasten. Julia Behm war über Jahre hinweg für die Implementierung der BIM-Methode bei Allmann Sattler Wappner Architekten verantwortlich. Sie erarbeitete beispielsweise die internen Modellierungsstandards und Qualitätsnormen für das Büro. Bei der Umsetzung dieser Aufgabe wurde schnell deutlich, dass die bisherige CAD-Planungslösung vor allem bei der geforderten Teamarbeit in den Projekten ungenügend war. An diesem Punkt fanden Julia Behm und ihr heutiger Geschäftspartner Markus Maasberg zusammen. Selbst Architekt, war er damals beim Münchner Graphisoft-Partner Schnitzer& mit seinen Kolleg-Innen für Integration und Support der BIM-Software Archicad zuständig – und damit ebenso für das Architekturbüro Allmann Sattler Wappner. Er überzeugte die Geschäftsführung und Mit­arbeiterInnen von der Softwarelösung und setzte den Archicad-Umstieg um. Beide Architekten arbeiteten eng bei der BIM-Implementierung zusammen. Markus Maasberg wechselte schließlich sogar zu Allmann Sattler Wappner Architekten.

Schnell und wendig durch überschaubare Strukturen

Die Lust auf Veränderung und die große Agilität kleiner Büros bei der Einführung eines digitalen Planungsmanagements sowie digitaler Planungsmethoden bewogen die beiden Architekten zur Selbstständigkeit. Markus Maasberg sieht hierin ihre große Chance: „Wir sind noch klein und können sehr schnell sein, neue Tools testen und sofort implementieren, wenn sie zu unseren Prozessen passen. Wir gestalten unsere Abläufe schlanker und effizienter, als es viele große Büros aktuell können. Und wir gehen wichtige Themen in der Planung und Realisierung von vornherein digital an, sozusagen als eigenes Reallabor“.

Optimierte Fertigung dank modellbasierter Planung

Die Themen und Projekte, die Behm.Maasberg Architekten bearbeiten, sind breit gefächert. Die Genauigkeit, mit der sie alle Aufgaben datenbasiert und in großer Tiefe ab der ersten Minute strukturieren, beeindruckt. Neben zwei Ausführungsplanungen arbeiten Julia Behm und Markus Maasberg bereits volldigitalisiert im Bereich Holzmodulbau. Sie befassen sich aktuell mit der Entwicklung der modellbasierten Planung für ein Holzmodulsystem bis hin zu dessen digital unterstützter Fertigung. Julia Behm und Markus Maas-berg kooperieren mit dem jungen Joint Venture Timber Homes von Holzbauspezialist Huber & Sohn und Immobilienentwickler Robert Decker aus Dorfen/Oberbayern. Die Zusammenarbeit bietet ihnen die Möglichkeit, Planung, Fertigung, Warenwirtschaft und mittelfristig das Facility-Management komplett digital umzusetzen. Julia Behm: „Bevor ein neues System in den Markt ging, wurden vorher bis zu drei 1 : 1-Modelle gebaut, um daran Konstruktion und Fertigungstechnik zu optimieren. Timber Homes erkannte schnell, dass sie bei dieser manuellen, zeit- und kostenintensiven Arbeitsweise die avisierte Produktionsmenge ihres Holzmodulsystems nicht schaffen können. Hier helfen ihnen nun sehr detaillierte BIM-Modelle, die Planungstiefe und Umsetzungsqualität so zu skalieren, dass bereits ab dem ers­ten Modul der Verkauf möglich ist.“

Interdisziplinäre Zusammenarbeit in der Systementwicklung

Bei dem System handelt es sich um ein Einzelmodul, das sich horizontal wie vertikal modifizieren und koppeln lässt. Die gesamte Konstruktion, inkl. der Treppenhäuser und Aufzugsschächte, ist als Holzrahmenbau in Holzmodulbauweise erstellt. Stahlbeton wird nur für die Bodenplatte und die Untergeschosse benötigt. Die Holzmodule lassen sich viergeschossig stapeln und wurden für den Wohnungsbau entwickelt. Ein modifiziertes, ergänzendes System für den Gewerbebau ist bereits in der Umsetzung. Die eingebundenen TragwerksplanerInnen von shortlist arbeiten hier eng mit Behm.Maasberg zusammen. Sie kolla­borieren über Graphisofts BIMCloud as a Service-Lösung. Der Vorteil: Sowohl Tragwerkspla­nerInnen wie ArchitektInnen haben gemeinsam Zugriff auf die Projektdatei und das daraus entwickelte Tragwerksanalysemodell in Archicad. Das minimiert einerseits das Fehlerpotential und erhöht andererseits das beiderseitige Verständnis: ArchitektInnen und IngenieurInnen sprechen in diesem Prozess lösungsorientiert miteinander am virtuellen Modell und verstehen die Entscheidungswege der PlanungspartnerInnen schneller.

Durchgängige Prozesskette ohne analoge Brüche

Die exakte Modellierung ist eine wichtige Komponente innerhalb einer durchgängig digitalen Prozesskette, an deren Ende ein fertiges Modulhaus stehen soll. Die Konfektionierung, maßgenaue Herstellung, Lieferung und Montage auf der Baustelle werden jedoch genauso über den Erfolg des neuen Holzmodulbausystems entscheiden. Mit den daraus erwachsenden Aufgaben setzen sich Julia Behm und Markus Maasberg sehr intensiv auseinander. Vor allem die Verknüpfung von Modellierung mit den Fertigungssystemen – gleichsam bis zur letzten Schraube – ist hier die Herausforderung. Für den Modulhersteller ist es elementar, zu jedem Zeitpunkt der Projektbearbeitung den genauen Überblick über den Material- und Warenbestand zu haben. Ohne diesen kann nur grob kalkuliert werden und Kapital wird unnötig gebunden. Darüber hinaus könnten wichtige Bauelemente wie Schrauben, Winkel, ­Konstruktionsholz oder spezielle Bauelemente im ­Lagerbestand fehlen.

Exakte Attribuierung nach der Eisbergmethode

Das Zusammenspiel von Warenwirtschaftssystem und modellbasierter Planung ist entscheidend, wie Markus Maasberg deutlich macht: „Wir schaffen das mit einer speziellen Methode bei der BIM-Modellierung. Wir nennen sie die Eisbergme­thode. Bei einem Eisberg liegt ja viel unter der Wasseroberfläche, was wir nicht sehen. So ähnlich ist unsere Archicad-Plandatei aufgebaut. Alle Grundelemente, die wir für die Herstellung benötigen, werden in den Minusgeschossen modelliert. Die darüber liegenden Etagen hotlinken wir lediglich. Das heißt, wir referenzieren aus den Minusgeschossen, kopieren aber nicht alle Elemente in die anderen Etagen. Das erfolgt in nur einer Datei und hält sie trotz der Fülle an Bauteilen und Informationen kompakt. Wichtig ist das, weil wir allen Bauteilen spezifische Bauteilattribute verleihen. Würden wir mit verschiedenen Dateien arbeiten, müssten wir alle Attribute in die anderen Dateien überführen, was hohes Fehlerpotential birgt. Bei unserer Arbeitsweise gibt es also nur eine Datei, die quasi ihr eigener Hotlink ist.“ Julia Behm ergänzt: „Damit haben wir es schnell geschafft, sehr unkompliziert gleiche Attribute zu vergeben. Die Geometrieabbildung ist der eine Schwerpunkt. Doch darum geht es nicht allein. Dahinter stehen Datenmodelle, die mit dem Warenwirtschaftssystem verknüpft werden. Wir haben im Modell jede einzelne Schraube und Platte sowie jeden Winkel erfasst und verortet. Sie alle sind parametrisiert und Bauteile, die mit Artikelnummer, Lieferant, Dimensionen, Mengennummer etc. versehen wurden. Das ist die Basis für ein exaktes Warenwirtschaftssystem beim Hersteller. Das Modell wird damit zum Mittelpunkt der kompletten anschließenden Fertigung.“

Stets korrekte Massen und Mengen

In der praktischen Anwendung bedeutet das: Die modellbasierte Planung lässt beim Hersteller keine Frage nach Mengen und Massen der verbauten Materialien oder Bauelemente offen. Sollen Einzelmodule für ein neues Projekt angepasst werden, kann dies in der Fertigungsplanung, direkt in der Archicad-Datei, erfolgen. Eine geänderte Anzahl an Winkeln oder Verbindungselementen, andere Schraubenmodelle oder -größen und Korrekturen im Holzabbund sind sofort im Modell sowie im Warenwirtschaftssystem erfasst. Darüber hinaus erfolgt die Weiterentwicklung des Holzmodul-Systems, sozusagen von Version 1.0 auf Version 2.0, auf der Basis der Ursprungsplanung. Anpassungen von Dimensionen oder ­Materialien (statt Vollholz zum Beispiel Brettschichtholz), ihre Auswirkungen auf Tragwerk, Statik oder Haustechnik lassen sich damit schnell und kostengünstig darstellen.

Modulares Bauen mit kreativem Freiraum

Julia Behm und Markus Maasberg stecken viel Arbeit in die Übersetzung modellbasierter Planung in die Realisierung und wissen, dass kaum ein Architektenkollege/eine Architektenkollegin die gleiche Zeit für diese Prozessaufgaben aufwenden würde.  Sie selbst sehen sich „in erster Linie als Architekten. Und dann als BIM-Enthusiasten und Nerds“. Gleichwohl gehen beide pragmatisch an ihre Aufgaben heran: Was sie genau aus dem Modell in Zahlen und Codes übertragen, muss niemand außer ihnen verstehen. Ihr Ziel ist es, das Planen einfacher werden zu lassen, damit ArchitektInnen eigene Ideen im Modularen Bauen mit dem nötigen Selbstverständnis umsetzen können. Julia Behm: „Wenn die Parameter in der BIM-Planung passen, die Verknüpfungen und Schnittstellen funktionieren, bleibt mehr Raum für Individualität und krea­tive Entwurfsleistung. Das ist die Grundvoraussetzung dafür, dass modulares Bauen nicht uniform wird. Flexible Bausysteme, tiefgreifende Planungsunterstützung und die passende Fertigungstechnik schaffen Freiraum, gute Architektur zu entwerfen.“

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