Layout der Integration

Die Hoffnungshäuser des Architekturbüros andOFFICE aus Stuttgart schaffen Wohn- und Lebensräume für Geflüchtete, Alte und sozial Schwache, denen so neue Möglichkeiten zur gesellschaftlichen Teilhabe gegeben werden. Dank der flexiblen Grundrisse passen sich
die seriellen Holzbauten dabei kostengünstig und hoch individuell den Bedürfnissen der jeweiligen Bewohnerschaft an. Thorsten Blatter von andOFFICE stellt vor, wie sozialer Wohnraum würdevoll und architektonisch anspruchsvoll gestaltet werden kann. 

Mitte 2015, zur Hochzeit der ersten Flüchtlingswelle, kam die Hoffnungsträger Stiftung auf uns zu mit dem Ziel, für ein integratives Wohnkonzept den entsprechenden Wohnraum zu schaffen. Dieser sollte an verschiedenen Standorten in Baden-Württemberg realisiert werden.

andOFFICE Architekten entwickelten daraufhin einen seriellen Baukasten in ökologisch nachhaltiger Holzkonstruktion, mit dem qualitativ hochwertiger Wohnraum gebaut werden kann; und das Ganze auch noch schnell, flexibel und kostengünstig.

Von Anfang an stand für uns fest, dass wir keine temporären Containerlösungen, sondern vollwertige Wohngebäude umsetzen wollten. Eine dauerhafte, langlebige und auch im Lebenszyklus einfach veränderbare Nutzung ist ein zentraler Baustein einer ökologischen Gesamtbetrachtung.

Weiter wollten wir auch gestalterisch einen Gegenentwurf zu nüchternen, rein funktionalen „Unterkünften“ schaffen und so einer gelebten Willkommenskultur architektonischen Ausdruck verleihen. Die charakteristischen, geschwungenen Balkone erzeugen eine spielerische, positive Aussage. Die horizontale Gliederung der Fassade als Fortsetzung der Balkonbrüstungen erzeugt in Verbindung mit den runden Ecken sehr ganzheitliche, harmonische und gleichzeitig prägnante Gebäude. Jedes einzelne Bauteil ordnet sich dabei dem Raster „4 cm Holzleiste plus 2 cm Fuge“ unter. Wir sind fest davon überzeugt, dass sich Bewohner und Nachbarschaft mit einem besonderen Gebäude deutlich stärker identifizieren, es dadurch mehr wertschätzen und auch pfleglicher damit umgehen.

Die Grundrisse wurden möglichst multifunktional und mit wenigen tragenden Elementen entwickelt, um zum einen in der Standortentwicklung, zum anderen aber auch im Lebenszyklus größtmögliche Flexibilität sicherzustellen. Lediglich eine Achse bildet das tragende Element. Im Wohnbereich und zu den Balkonen hin gibt es keinerlei tragende Elemente, sodass man Wände weglassen und ohne große Umplanungen eine andere Wohnungskategorie generieren könnte. Fixpunkte bilden nur die Sanitärräume und die Treppenkerne. Es gibt zwei bis drei Wohnungen pro Stock. Die Schlafräume haben mit ca. 13 m² eine Größe, die sowohl als Elternschlafzimmer wie auch als Kinderzimmer mit Stockbett genutzt werden kann. Gruppiert sind sie immer um einen Gemeinschaftsraum.

So können mit kleinen Anpassungen die unterschiedlichsten Wohnformen – von Wohngemeinschaften bis Familien – die gleichen Grundrisse nutzen. Dabei liegen für alle Wohnungen die Flächenobergrenzen des geförderten Wohnungsbaus zu Grunde. Zugunsten eines dennoch möglichst großzügigen offenen Wohnbereichs sind alle Verkehrsflächen sowie Entree oder Vorzone minimiert. Für den freien, gehobeneren Wohnungsmarkt lässt sich letzteres über Weglassen einzelner Innenwände und ergänzen weniger Möbeleinbauten sehr einfach umbauen.

NutzerInnen bestimmen Grenzen selbst

Für jeden Standort prüfen wir im ersten Schritt verschiedene städtebauliche Ansätze mit unterschiedlichen Erschließungs- und Verkehrskonzepten. Tiefgaragen sprengen sehr schnell den Kos-tenrahmen für bezahlbaren Wohnraum, weshalb wir in erster Linie versuchen, qualitätvolle Außenbereiche mit dem ruhenden Verkehr in Einklang zu bringen. Eine stimmige Komposition von Bausteinen aus dem Baukastensystem mit 15 bis 24 m Länge schafft somit das Grundgerüst für die folgende Feinabstimmung innerhalb der Gebäude. Hier können wir über unterschiedliche Konfigurationen den Wohnungsmix des gesamten Projekts steuern und verschiedenen Bedarfen gerecht werden. Dafür stehen zum Beispiel die drei Grundrisse des 7-Felder-Bautyps zur Verfügung, die zudem noch Anpassungen wie offene Wohnküchen oder zusätzliche Individualräume erlauben.

Ursprünglich waren die Gebäude für das integrative Wohnkonzept von Geflüchteten und Einheimischen der Hoffnungsträger Stiftung konzipiert. Die Gebäudezugänge liegen ganz bewusst auf der gleichen Seite wie die privaten Freibereiche und Balkone, um Kommunikation und Nachbarschaft in Alltagssituationen zu fördern. Die Balkone erstrecken sich offen über die gesamte Gebäudelänge und sind zusätzlich in jedem Stock direkt aus dem Treppenhaus für alle erreichbar. Die Bewohner steuern nach Bezug durch Sitz- und Pflanzelemente den Grad der Privatheit innerhalb der Hausgemeinschaft und zonieren entweder freier oder grenzen stärker ab.

Der große Erfolg der Hoffnungshäuser, der sich auch in einer Vielzahl von Auszeichnungen für Architektur, Konstruktion und inhaltliche Konzeption widerspiegelt, macht die Gebäude auch für Kommunen, Stadtbaugesellschaften und kirchliche Träger interessant. Mittlerweile kann prinzipiell jeder ein Hoffnungshaus von der Hoffnungsträger Projektentwickler GmbH als GU-Projekt erwerben. Wir von andOFFICE Architekten übernehmen dann die planerische und bauliche Begleitung durch alle Leistungsphasen inklusive Objektüberwachung bis zur Fertigstellung.

Kostenvorteil der Serie

Im geförderten Wohnungsbau unterliegt jedes Projekt einem hohen Kostendruck. Durch das serielle Bauen besteht aber ein immenser Vorteil gegenüber frei geplanten Projekten: Die Planungs- und Baunebenkosten können aufgrund der Wiederholung deutlich reduziert werden, die Baukosten selbst sind aufgrund des großen Gesamtvolumens und projektübergreifender Rahmenvertragspartner ebenfalls niedriger. Hinzu kommt ein stetiger Optimierungsprozess über alle Projekte hinweg, die Gebäude werden immer besser und – abgesehen von den allgemeinen Kostensteigerungsraten – auch noch günstiger.

Die ortsübliche Neubaumiete bestimmt den Mietertrag eines geförderten Wohnungsbauprojekts. Ein Abschlag von 33 % führt in ländlichen Regio­nen schnell zu einer Miete von unter 6 Euro. Die Baukosten hingegen unterscheiden sich zwischen Stadt und Land kaum, zudem sind sie im letzten Jahr überall deutlich gestiegen. So lässt sich in manchen Regionen geförderter Wohnungsbau oft nicht mehr wirtschaftlich umsetzen.

KfW- und Wohnraumförderprogramme sind essenzielle Kalkulationsbausteine. Durch den unerwarteten und unkoordinierten Wegfall im Januar 2022 fehlen Planungssicherheit, Vertrauen und auch die fest eingerechneten Zuschüsse. Es liegt an der Politik, verlässliche Rahmenbedingungen für bezahlbaren Wohnraum in allen Regionen zu schaffen und auf mögliche strukturelle Kalkula­tionsunterschiede zu reagieren.

Die klassische Architektur steht dem seriellen Bauen häufig noch skeptisch gegenüber, befürchtet zum Beispiel mangelnde Auseinandersetzung mit dem Ort. Unserer Meinung nach passt ein serieller Baustein nicht in jeden Kontext, durch die Möglichkeiten der Anpassung aber in viele Umgebungen.

Individualisierung am Standort

Am Standort Riesenbergweg in Konstanz stand uns zum Beispiel ein sehr langgestrecktes Grundstück in größerer Entfernung zur öffentlichen Erschließung zur Verfügung. Nach umfangreichen Abstimmungen mit der Stadtverwaltung und der direkten Nachbarschaft wurden hier vier Gebäude linear in Reihe realisiert. Dazu sind sie nur 2-, und nicht wie sonst üblich, 3-geschossig, um auch die nachbarschaftlichen Belange im Sinne eines guten Zusammenlebens bestmöglich zu berücksichtigen. In Konstanz ist das aufgrund des hohen Mietniveaus wirtschaftlich möglich, obwohl sich die Baukosten pro Quadratmeter Wohnfläche durch den Wegfall eines Geschosses um mehr als 10 % erhöhen. In Calw wurden ebenfalls vier Gebäude realisiert, diese sind allerdings um einen gemeinschaftlichen Innenhof gruppiert und bilden durch die zueinander orientierten Balkone eine Szenerie ähnlich eines Amphitheaters. Die Verknüpfung von Außenraum und Gebäude wird dadurch noch einmal verstärkt. Und durch den bauartbedingten Kostenvorteil bleibt mehr Spielraum für gute Architektur.

Für uns bietet das serielle Bauen ein Reallabor für den Wohnungsbau in Holzkonstruktion. Eine gesunde Mischung aus Serie und freier Planung stellt für uns das Optimum dar: Beide Teilbereiche können voneinander profitieren. In der Serie haben wir die Zeit, jedes Bauteil in einer ganz anderen Tiefe auf Alternativen zu untersuchen, denn ­diese Entwicklungskosten verteilen sich auf viele ­Gebäude. Die Außenwände sind sicherlich das komplexeste Bauteil mit dem höchsten Vorfertigungsgrad. Hier lassen wir zum Beispiel neben konkreten Änderungen im Aufbau oder auch beim Dämmstoff zusätzlich noch Fügetechniken und Teilungen der Holzleistenfassaden prüfen, was in der Folge allen weiteren Projekten zugutekommen wird. Und wir können Veränderungen an den Gebäuden in der Realisierung und im Betrieb vergleichen und evaluieren. So entstehen wertvolle Erfahrungen als Ausgangspunkt für alle frei geplanten Bauvorhaben. Umgekehrt können wir über Einzelprojekte neue Themen einfacher implementieren und freier an grundsätzliche Entscheidungen herangehen. Im Erfolgsfall finden sie dann auch Berücksichtigung in der Serie.

Serie schafft Freiheiten

Wir sehen auch eine hohe Verantwortung und große Chance für unsere Profession, die Sparte des seriellen Bauens zu besetzen. Ansonsten besteht die Gefahr, dass die Gebäude zu einem rein industriell gefertigten Produkt ohne ganzheitliche Einbindung in den städtebaulichen Kontext und ohne ausreichende Analyse sozialer Nutzerstrukturen werden. Jedoch gerade dann, wenn es um die Integration der BewohnerInnen in die Stadtgesellschaft geht, braucht es diesen hohen Grad an Individualisierung und Abstimmung auf das jeweilige Umfeld. Das modulare, serielle und flexible Bauen mit bereits erprobten Grundrisstypen schafft hier die Freiheit, im konkreten Einzelprojekt stärker auf die jeweiligen Bedürfnisse der NutzerInnen zu achten. Die Rechnung ist einfach: Je mehr Gebäude wir bauen, desto mehr Menschen finden bezahlbaren Wohnraum.

Im Laufe der vergangenen fünf Jahre hat sich herauskristallisiert, dass Einzelgebäude zwar baulich gut funktionieren – sie aber für einen sozialen Mehrwert für die Bewohner sowie das direkte Umfeld zu klein sind. Optimal sind zwei, besser drei oder vier Hoffnungshäuser in einer städtebaulichen Gruppe. Für noch größere Standorte prüfen wir Möglichkeiten von sinnvollen Nutzungsergänzungen, um durch eine noch größere Durch­mischung die Grundvoraussetzungen für eine ­lebendige Nachbarschaft zu schaffen.

Oftmals kommen diese Bedarfe aber auch schon von der Bauherrenschaft selbst. Beispielsweise werden in Schwäbisch Gmünd vier Hoffnungshäuser durch zwei Gebäude für seniorengerechtes Wohnen ergänzt. Der ursprüngliche Wunsch der Stadt war die Erweiterung des integrativen Wohnens durch ein Youth Hostel. Das hätte zudem Synergien für die Ausbildung und Integration von Geflüchteten in den Arbeitsmarkt erzeugt, stieß in der Nachbarschaft aber auf wenig Gegenliebe. In einem gemeinsamen, offenen Workshop über fünf Sitzungen wurde daraufhin die finale Nutzungskonfiguration erarbeitet und so eine große Akzeptanz für das Projekt erzielt, die zum Beispiel seniorengerechtes Wohnen vorsieht.

Integration weiterer Bedarfe

Die individuellen Baukörper des seniorengerechten Wohnens haben ganz andere Grundrisse. Sie sind komplett rollstuhlgerecht um einen zentralen Sani­tärkern organisiert und ermöglichen sehr offene, fließende Wohnungen. Ein breites Angebot an Gemeinschaftsfunktionen wie ein Cafe, Seminar- und Werkstatträume sowie gemeinschaftliche Aufenthaltsbereiche im Innen- und Außenraum steht allen Bewohnern dieses soziokulturellen Mehrgenera­tionenwohnens innerhalb eines eigenen kleinen Quartiers zur Verfügung.

Für die nächsten größeren Projekte ergänzen wir Hoffnungshäuser zum Beispiel durch barrierefreies Wohnen sowie eine Berufsschule mit Werkstattgebäude. Weitere Bausteine, wie Wohngruppen, Kindergarten und Grundschule, sind hier bereits im Bestand vorhanden. An anderer Stelle entsteht ein Quartier nach dem Vorbild Schwäbisch Gmünd: Bezahlbares, integratives Wohnen wird durch eine Sozialstation, Verwaltung und Gemeinschaftsfunktionen erweitert.

Konstruktiv kann man an den Weiterentwicklungen sehr gut die gesetzlichen Randbedingungen für bezahlbaren Wohnraum ablesen: Vom Mindeststandard EnEV über KfW 55 bis KfW40 erfüllen sie jeweils die Mindestanforderung der L-Bank Förderprogramme. Eine politische Steuerung im positiven Sinne ist also auf jeden Fall möglich.

Das Beispiel der neuen Muster-Holzbaurichtlinie zeigt allerdings auch, dass es nicht immer nur nach vorne geht. Gerade in Gebäudeklasse 4 ist es deutlich schwieriger geworden, konstruktive Sichtholzkonstruktion weiterhin zu zeigen anstatt zu kapseln. Eine widersprüchliche und wenig innovative Entwicklung, der aber verständlicherweise viele Brandschutzsachverständige und Entscheider erst einmal folgen. Hier bedarf es dringend einer Nachbesserung. Allgemein obliegt dem geförderten Wohnungsbau immer der Grundsatz der Einfachheit. In Tragwerk, Konstruktion und Haustechnik. Weniger an den richtigen Stellen lässt an wenigen wichtigen Punkten dann wieder Spielraum für etwas mehr: mehr Flexibilität, mehr Integration und mehr soziale Teilhabe.

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