Labor oder Produktion? Potsdam holt sich selbst ein

Unser Krieg ist lange vorbei. Was aber wieder beginnt, ist das Ringen um einen Wiederanfang nach allen Anfängen, die ab der Stunde Null im Jahr 1945 gemacht worden sind. Wobei es eine Stunde Null ja nur in der Propaganda des Wiederaufbaus und seiner zahlreich kolportierten Wunder gegeben hat.

Exakt 70 Jahre nach dem Verlust auch
von Stadt, Orten und ihren Zuständen, die größtenteils, so scheint es uns Heutigen, ungebrochen und also direkt aus dem Mittelalter gekommen waren, wollen wir das alles wiederhaben: die engen gekurvten Straßen, die schmucken Marktplätze, die heimeligen Fachwerk- und Sandsteinfassaden, den Bratenduft in der Gasse und das Geklingel der Pferdekutschen, die über uraltes Kopfsteinpflaster rumpeln ... eben das schöne gute alte Gestern. In Frankfurt a. M., in Berlin, in Dresden, Stralsund, Mannheim oder Wiesbaden engagieren sich Bürger und Architekten, Abgeordnete und Geschäftsleute für die Wiedergewinnung von Lebensqualität in der Stadt. Die Bilder, an welcher diese Qualität festgemacht wird, kommen aus der oben angesprochenen Zeit, dem guten Gestern.

Potsdam, ein wichtiges Zentrum in der bundesweiten Bewegung rückwärts ins 18. Jahrhundert, spielt hier schon lange mit. Die Sanierung und Restaurierung des Holländischen Viertels ab dem Anfang der 1980er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts war das Hinguckerprojekt in Sachen Rückgewinnung von Geschichte, das mit der Privatisierung der Parzellen nach der Wiedervereinigung rasant Fahrt aufgenommen hatte.

Wenn Langeweile herrscht

Potsdam wurde bevorzugte Schlafstadt der in Berlin arbeitenden akademischen Berufsgruppen, Potsdam wurde Landeshauptstadt. Und hat eigentlich alle Trümpfe einer Stadt auf ihrer Seite: anhaltender Zuzug, gesunder Haushalt, Industrie und Verwaltung, Universitäten und Institute und Museen. Und prominente Fürsprecher, finanzstarke Mäzene. Was alles auch ein Nachteil sein kann, denn wenn es kaum Konflikte gibt, herrscht schnell Langeweile. Die ist in unseren schnell arbeitenden Zeiten ziemlich unbeliebt und kaum noch jemand, der sie einfach so aushalten könnte. Also werden Visionen formuliert, Visionen von einem „Mitte schön“-Potsdam.

Dessen prominentestes Projekt war die Wiederherstellung des Potsdamer Schlosses, einem Barockbau des Georg Wenzeslaus von Knobelsdorff. Weil hier der Landtag einziehen sollte, konnte dieser die Rekonstruktion selbst bestimmen (Architekt: Peter Kulka). Auch, weil mit der Finanzierung der historischen Fassaden durch SAP-Gründer Hugo Plattner eine seriöse Finanzierung möglich gemacht wurde. Nun steht das Schloss da, die wie Spolien eingesetzten wenigen Originalbauteile deuten auf die Schwäche der Wiedergeburt, die kein Schloss ist, sondern ein formaler Baustein für eine wieder schöne Mitte.

Der Alte Markt wurde neu aufgepflastert, das Alte Rathaus und das anliegende Knobelsdorffhaus waren schon zu DDR-Zeiten saniert und restauriert. Entlang der Humboldt-Straße, auf der Ostseite des Schlosses, werden die alten Bürgerhäuser und kleinen Stadtpaläste rekonstruiert beziehungsweise à la Ges-tern nachempfunden. Auch hier hat Hugo Plattner mit Geld für die Rekonstruktion des Palastes Barberini (zum Museum Barberini für die Kunstsammlung Plattners; Architekten: Hilmer & Sattler und Albrecht) den Stein ins Rollen gebracht.

Doch wenn man schon dabei ist: Warum nicht gleich die ganze historische Mitte in ihren Originalanschein zurückversetzen? (Was ist eigentlich die historische Mitte einer Stadt, wenn nicht ihre Mitte?!) Die nördlich dem Schloss anliegende FH, ein Kind der DDR-Planung und ursprünglich ein Institut für Lehrerbildung mit dem schönen Namen „Rosa Luxemburg“ soll gemäß dem von der Verwaltung 2009 verabschiedeten „Integrierten Leitbautenkonzept“ spätestens 2018 abgerissen werden; was einen erheblichen Baukulturverlust darstellen würden. Ebenso ein Plattenbauklassiker am Staudenhof vis-a-vis der FH und nördlich der St. Nicolaikirche.

Auch in Gefahr eine wesentliche Stadtbilddominante: das Mercure Hotel dem Landtag im Schloss gegenüber, das vom Schlosshof gesehen störend dorthin zurückschaut. Und das, so das Hauptargument der „Planungswerkstatt Lustgarten“, brutal die Verbindung Schloss – Garten unterbricht. Was nicht ganz stimmt, denn tatsächlich kann man um Podiumsbau und Turm herumschauen. Brutaler wirkt hier die Breite Straße, für die Tempo 30 im Gespräch ist. Und nicht mehr.

Es gibt Widerstand

Doch seit Februar 2015 setzt sich eine „offene und vernetzte Initiative von Potsdamer Bewohnerinnen und Bewohnern unterschiedlicher Herkunft und Profession“ für eine Stadt ein, die aus „ihren gegenwärtigen vielfältigen sozialen und kulturellen Bedürfnissen heraus“ weiterentwickelt werden soll. Weiterbauen statt Abreißen. Und: „Mängel der Vergangenheit müssen nicht zwangsläufig durch den Rückgriff auf vergangene Strukturen behoben werden.“

Wie in Potsdam mit Stadt umgegangen wird könnte allen am Stadtum- und -weiterbau Beteiligten lehrreich sein. Dass wir es hier mit einem Labor zu tun haben, ist allerdings fraglich. Eher arbeitet dort eine Produktionsanlage, die Stadt macht, wie sie gar nicht mehr ist. Aber ist denn für solcherart Fiktionales nicht eigentlich das Potdamer Studio Babelsberg zuständig? Be. K.

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