Klimakapseln. Flucht nach vorn
Eine Ausstellung in Hamburg zeigt Rettungswege auf

Der Sommer in Deutschland war heiß. In Russland, unweit Moskaus, brennen die Wälder wie noch nie, Wasserfluten gefährden Siedlungsräume, Menschenleben. Kaum vorstellbar, dass das nicht mit einem globalen Klimawandel verbunden ist. Millionen, vielleicht sogar Milliarden von Menschen sind allein in den Küstenregionen von Überflutungen bedroht, der Rest von einer ungehemmten Wanderungs-/Verdrängungsbewegung. Wohin können wir Bedrängte uns noch wenden, wohin fliehen?

Was wäre hier die Aufgabe der Architekten, Ingenieure, der Designer? Weiter an den Stellschrauben des Energieverbrauchs zu drehen, um irgendwann in die „Low (nicht Zero!) Carbon Culture“ einzutauchen? Nein, das viel zu enge Gesichtsfeld der Klimaretter, das immer auch die eigenen Interessen/Geschäfte fest im Auge hat, wird nicht ausreichen. Den dazu notwendigen globalen Konsens in dieser Frage erreichen wir nicht einmal auf kommunaler Ebene. Interessant in diesem Zusammenhang sind die Projekte R128 und R129 des Herrn Sobek: Mit der Glaskiste R128 hatte er noch den Spagat technoider Vernunft versucht, mit R129 bereits die Fluchtbewegung angedeutet: In die Höhe, zum Sternenhimmel über der Kapsel, der uns eine Zukunftsprojektion jenseits allen irdischen Jammertälern ist.

Wir werden uns also anpassen müssen, wir werden Fluchtburgen, Zufluchten entwickeln gegen Überschwemmung und Überhitzung, gegen Stürme und die Begehrlichkeiten derjenigen, die draußen bleiben müssen. Die Ausstellung „Klimakapseln. Überlebensbedingungen in der Katastrophe“ kommt da wie gelegen, sie faltet mit ihrer Präsentation unterschiedlichster, anwendungsorientierter Projekte für klimatologische Kapseln ein weites Spektrum von Möglichkeiten auf; deren gesellschaftliche (politisch, kulturell, sozialräumlich) Konsequenzen mittels zeitgenössischer künstlerischer Positionen und avantgardistischer Konzepte des 20. Jahrhunderts reflektiert werden. Dabei wiesen die Ausstellungsmacher den schon historischen Projekten neue Bedeutung zu. Gezeigt werden Exponate aus fünf Kategorien: Körperkapseln, Wohnkapseln, urbane Kapseln, Naturkapseln und atmosphärische Kapseln.

Der Gang durch die Ausstellung wird vielen viele alte Bekannte vor Augen führen, deren Neukontextuierung ihnen jedoch ihre Zeitgebundenheit nimmt und sie aus dem Sechziger- und Siebzigerjahreverbund herauslöst. Dem Besucher möchte man den Katalog zur Ausstellung empfehlen (Friedrich von Borries, Klimakapseln. Überlebensbedingungen in der Katastrophe. Frankfurt a. M.), mit welchem die Neuinterpretation des längst Gesehenen besser gelingt. Be. K.

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