Klima-Reaktor
„FAZ Sommer-Pavillon“, Frankfurt a. M.

Der FAZ Pavillon ging aus einer Initiative der Frankfurter Allgemeinen Zeitung mit dem Ziel hervor, Ideen von Frankfurter Büros für die architektonische Bereicherung der Frankfurter Innenstadt zusammenzutragen und einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Noch wartet er auf seine Realisierung.

Eigentlich ist das Prinzip ganz einfach, und wie immer erscheint das Einfachste auch das Beste zu sein (wenn alles funktioniert): Man nehme ein uraltes und in seiner Materialität scheinbar ausgeforschtes Baumaterial, das lokal zu gewinnen und leicht zu verarbeiten ist, das nachwachsend und CO2-neutral Umweltanforderungen leicht erfüllt, und mute ihm zweierlei zu (mindestens): konstruktiv zu wirken und zugleich mechanische Arbeit zu verrichten, ohne hierbei Energie aus einem Sekundärspeicher zu beziehen (aufbereitete Naturstoffe). Die Rede ist von dem schönen und zur menschlichen Kulturgeschichte gehörenden Material Holz. Keine einfachen Bretter oder Balken, die Rede ist von hygroskopisch aktuierten Furnierverbundelementen. Also „voreingestellten“ Holzkompositen, die auf äußere Einflüsse so reagieren, wie man das braucht. Bei Fassaden beispielsweise, die sich öffnen und schließen, je nach dem, wie die Witterung es erfordert.

Reaktive Fassadenelemente

Und dann ist das Ganze doch ganz schön kompliziert, auch weil die reaktiven Holzelemente nicht für sich allein stehen, sondern in einem Verbund funktionieren müssen, und hier so beweglich sollen, dass sie im Einklang mit ihren Nachbarn arbeiten. Doch von vorne. Aus der Zusammenarbeit von Achim Menges, Scheffler+Partner und Steffen Reichert entstand das – bis heute nichtrealisierte – Projekt eines Sommerpavillons für das Frankfurter Mainufer in Nähe der Weseler Werft. Der Entwurf des Pavillons, so Menges, basiert auf der mehrjährigen Forschung an biomimetischen, wandelbaren Flächenstrukturen, die auf lokale Wetteränderungen durch Öffnen und Schließen reagieren, ohne dass dafür zusätzliche elektronische oder mechanische Hilfssysteme eingesetzt werden oder Energie benötigt wird. Die Forscher/Architekten haben das Bewegungsprinzip den Koniferenzapfen entlehnt, hier stellt sich die Öffnungs-/Schließbewegung der Zapfenstruktur durch die Wechselwirkung der umgebenden, relativen Luftfeuchte und dem Material ein. Ein speziell entwickelter und in zahlreichen Experimenten getesteter Furnierverbundwerkstoff ermöglicht es, das durch Adsorption beziehungsweise Desorption des auf molekularer Ebene chemisch gebundenen Wasser ausgelöste feuchtigkeitsabhängige Schwinden oder Schwellen des Materials in eine Formveränderung zu transformieren. Die Pavillonstruktur/-haut kann so in feinsten Abstufungen auf Wetterveränderungen reagieren. An sonnigen Tagen mit entsprechend geringer Luftfeuchte ist die Hülle geöffnet. Nimmt die Luftfeuchte schon mit dem Aufzug von Regen zu, schließt sich der Pavillon selbstständig und formt eine wetterfeste Hülle aus. Die Bewegungen der Holzteile haben auch in Langzeittest kaum Ermüdungs­erscheinungen gezeigt, sie zeichnen die ihnen zugemuteten (aktuierten) Bewegungsverläufe exakt nach.

Hinnahmeprinzip

Der Entwurf basiert neben genauer Naturbeobachtung und biomimetischen Interpretationsmustern aber auch auf einem, ich nenne es, Hinnahmeprinzip. Denn tatsächlich hat die Beherrschbarkeit des natürlichen und äußerst agilen Baumaterials Holz eine lange, eigentlich eine viel zu lange Geschichte. Das Verleimen, Verschrauben, imprägnieren, Vorspannen oder Biegen etc. geht immer entgegen den natürlichen Kräften, die das Holz anbietet und in der Natur effizient und höchst effektiv umsetzt. Chaotisch allerdings, unseren auf Mathematik, also höchster Künstlichkeit und weitestgehender Ökonomisierung basierenden Gewohnheiten und Ansprüchen widersprechend. Das Team um Achim Menges nun setzt genau auf dieses dem Material inhärente Verhalten, das zwar noch gesteuert, im Wesentlichen aber in seinem natürlichen Bewegungs- oder Energiepotential weitest möglich ausgeschöpft wird.

Die Natur programmieren?

Doch noch einmal: Das Einfache ist auch meist das Komplizierte. Die Verformbarkeit des reaktiven Materials muss in einer Ausdehnung auf einen Nullpunkt eingestellt sein. Menges nennt das „Programmierung“. Wenn die Pavillonhaut montiert wird, müssen die Schindelelemente den Öffnungsgrad besitzen, der dem örtlichen Klima zum Zeitpunkt des Aufbaus entspricht. Das erfordert eine im Experiment gewonnene Kennzahl über die optimale Zusammensetzung der Holzschichten und der synthetischen Zwischenlagen im Zusammenspiel mit dem Fasersättigungspunkt, die zusammen in der Lage sind, Öffnungswinkel auf die lokalen und zeitlichen Bedingungen einzustellen. Im Versuch wurden hier Reaktionszeiten von unter 20 Sekunden (Schliessen) und 10 Minuten (Öffnen) erreicht. Jetzt sollte der Pavillon endlich umgesetzt werden; oder sein Konzept in einem größeren Fassadenprototyp umgesetzt und für die Massenanwendung (Klimatisierungselemente zum Beispiel) weiterentwickelt werden. Be. K.

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