DBZ Heftpaten Dr. Stefan Nixdorf und Bernhard Busch, agn, Ibbenbüren

 

 
Nachhaltiger Industriebau heißt Architektur neu denken

Der „Strich des Architekten“ steht seit jeher für das Schöne, das Technische und das Funktionale. Dabei bediente er auch die Dimension von Kosten und Terminen. Heute sind die Belange der Architektur darüber hinaus untrennbar mit denen der Nachhaltigkeit und Energie verbunden. Dies gilt selbstverständlich auch für den Industriebau.

Doch wie kann ein Industriebau diesen komplexen Themen gerecht werden, dabei finanzierbar bleiben und dennoch als ästhetische Architektur wahrgenommen werden? Industriebauten der Neuzeit waren Ausdruck der Leistungsfähigkeit jener Produkte, die dort hergestellt wurden. Aber auch der wirtschaftliche Erfolg des Unternehmens wurde durch die Gebäudegestaltung ausgedrückt. Noch heute wird die Corporate Identity durch die Architektursprache unterstützt.

Termin- und Budgetvorgaben provozieren oftmals Innovationen
in Bauweise und Konstruktion. Die Vorfertigung ermöglicht hohe Ausführungsqualität und kurze Bauzeiten. Es haben sich Stahlbeton-Fertigteile und Stahlbau-Konstruktionen in reiner oder hybrider Bauweise durchgesetzt. Zunehmend finden auch Holzbauteile Einsatz im Industriebau. Ein wesentlicher Impuls auf die Industrie ist heute die Digitalisierung und ihre Übertragung auf Produktion und Gebäude. Unter dem oft zitierten Schlagwort „Industrie 4.0“ verändert sie nicht nur vernetzte Arbeitsprozesse, sondern auch die Bauwerke selbst.

Flexibilität, Umnutzungsfähigkeit und produktionsneutrales Flächenmanagement sind elementare Planungsvorgaben. Hierbei wird die Wandlungsfähigkeit selbstverständlich von den Besonderheiten der Produktion begrenzt. Lichte Raumhöhe, Lastangaben und zu bewegende Traglasten, Schwingungsfreiheit der Produktion sowie Brandlasten in Lagerbereichen sind die Parameter. Die Visionen der Produktionstechniker gehen hier viel weiter. Sie denken in Dimensionen, die den unabhängig produzierenden Roboter nicht mehr in einen gezwungenen Workflow setzen. Stattdessen wird er zukünftig über eine intelligente Produktionssteuerung flexibel versorgt.

Doch egal, wie flächenneutral produziert werden kann, bestimmte logistische Prozesse bleiben notwendig und haben Auswirkungen auf die Gebäudegeometrie. Hohe automatisierte Kleinteile-Lager im Materialeingang unterscheiden sich von ebenerdigen Produktionshallen ebenso wie die Auslieferungs- oder Warenlogistik. Darüber hinaus bedingt die Digitalisierung häufig ein Rechenzentrum, welches wiederum eigene bauliche Sicherheitsauflagen erfüllen muss. Ergänzt man nun die Verwaltung und den Flächenanspruch des ruhenden Verkehrs, entstehen komplexe Liegenschaften, die ein flächendeckendes, integrales Energie- und Gebäudewirtschaftsmanagement benötigen.

Die Aufgabe der Vernetzung erfordert jedoch ein frühzeitiges und reibungsloses Zusammenspiel aus Nutzerbedarfsentwicklung auf Seiten des Bauherrn sowie der Arbeit der entwerfenden Architekten und Ingenieure. Die Planungsbestandteile müssen ebenso ineinandergreifen, wie die Bauteile eines Bauwerks. In diesem Prozess hat die Methode Generalplanung viele Vorteile, da weitreichende Erfahrungen mit interdisziplinärer Zusammenarbeit eine schnittstellengerechte Kommunikation ermöglichen und damit Planungsrisiken minimieren.

Ein Bauwerk ist für uns dann „gut“, wenn es in allen Belangen die gesetzten Ansprüche erfüllt: gestalterisch, funktional, technisch, terminlich und natürlich auch hinsichtlich der Kosten. Diesen Ansprüchen gerecht zu werden, erfordert eine umfassende und übergeordnete Auseinandersetzung mit allen Aspekten des Bauens. Dabei geht es nicht um einen gebauten Kompromiss als „kleinstem gemeinsamem Nenner“, sondern im Gegenteil, es geht um das Ausloten von Qualitäten im Zusammenspiel aller Beteiligten.

Für die agn Niederberghaus & Partner GmbH war es bereits in der 1960er-Jahren ein logischer Schritt, ganz im Sinne alter Baumeister, interdisziplinär an die Bauprojekte heranzugehen. Nur wenn sich Architekten und Ingenieure an einen Tisch setzen und von Anfang an gemeinsam nach Lösungen suchen, kann etwas Neues und Unerwartetes entstehen, in jedem Fall jedoch etwas Nachhaltiges! Architektur im Sinne der Baumeister bleibt eine Haltungsfrage und beginnt mit dem ersten Strich. Doch um neue Wege gehen zu können, müssen Perspektiven hinterfragt und neu gedacht werden. Auf diese Weise denken wir Architektur neu.

Die Heftpaten

Bernhard Busch, Dipl.-Ing. Architekt, ist Geschäftsführender Gesellschafter der agn Niederberghaus & Partner GmbH, einer Unternehmensgruppe mit über 500 Mitarbeitern. Er ist seit 1991 Mitglied der agn-Geschäftsleitung und verantwortlich für den Geschäftsbereich Architektur.
Dr. Stefan Nixdorf, Dr.-Ing. Architekt, wurde 2017 in die Geschäftsführung der agn-Gruppe berufen (Geschäftsbereich Generalplanung / agn international GmbH) und arbeitet seit 2007 als Projektpartner für den Bereich Sport- und Sonderbauten.

www.agn.de

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