Heftpate Herwig Spiegl, Wien
„Die gute (Wohn)Idee“

Die Leute wollen es so

Am liebsten wohnen wir angeblich im Einfamilienhaus – mit Garten, Ausblick und Garage. Wer nicht kann, wohnt meist anonym mit anderen im Geschosswohnungsbau – Zimmer, Küche, Kabinett. Zwei Wohnmodelle des urbanen Raums, die uns seit Generationen mehr oder weniger genügten. Mehr gab es nicht, mehr brauchte es nicht.

Im Gegensatz zum Bürobau mit seinen vielfältigen Arbeitsideologien und entsprechenden Arbeitswelten hat der Wohnungsbau wenig Neues vorzuweisen. Warum soll das, was einmal gut war, nicht auch in Zukunft gut sein? Heute planen wir jedoch sogar weniger als gestern und das dafür immer gleich. Typologien wie Maisonette und Stadthaus sterben aus. Unser Anspruch an den Fortschritt definiert sich verstärkt über Optimierung bekannter Ideen und gesteigerter Effizienz. Wohnen wird morgen bestenfalls smarter, kaum aber innovativer.

In Zeiten steigender Wohnraumnachfrage bei zu wenig Angebot ist das Risiko für das Experiment so gering wie nie zuvor. Neues Wohnen – wenn nicht jetzt, wann dann? Aber sind wir Architekten dafür zu langweilig? Haben wir keine Ideen mehr?

Sicher nicht! Doch gilt es heute vorrangig, eng definierte Auslobungen oder Aufgabenstellungen möglichst treffsicher zu übersetzen. Der Architekt kann vielfach nur so kreativ und innovativ sein, wie die Aufgabe es zulässt – die Wandlung von Wasser zu Wein mit der guten Idee ist tatsächlich immer seltener erwünscht. Fragt man jene, die unsere Auslobungen und Aufgaben erstellen, warum sich Anforderungen seit Jahrzehnten kaum verändern – Zimmer, Küche, Kabinett – so hören wir: „Die Leute wollen es so“.

Es sind also die Nutzer, die uns Architekten in unserer Kreativität einschränken ...

Wer nichts weiß, muss alles glauben

Der gesellschaftliche Wandel prägt unseren Alltag weit mehr als jede technologische Errungenschaft. Soziale Modelle von einst werden ersetzt durch neue Formen des Miteinanders, verändertes Denken beeinflusst unsere Werte. Was einmal war, ist nicht mehr. Vor diesem Hintergrund fällt es schwer zu glauben, der Bedarf am Wohnungsmarkt sei die einzige Konstante im Universum.

Wie es scheint, glauben wir Architekten dennoch. In unserer Warteposition verharrend hoffen wir weiter auf die visionäre Auslobung für das „Wohnen von morgen“. Dabei übersehen wir, dass die Auslobung zur Barriere wird zwischen uns und jenen, für die wir eigentlich arbeiten. Obwohl wir täglich für Nutzer planen, verlieren wir mehr und mehr den Kontakt zum Menschen selbst. Wir messen uns in Wettbewerben, deren Bewertungskriterien vielfach profitorientiert sind, anstatt für den Menschen ideenorientiert zu entscheiden. Wir erdenken Produkte, ohne jemals mit unserer Zielgruppe darüber gesprochen, ohne Feedback eingeholt zu haben.

Richtig wäre es, immer wieder selbst die Frage zu stellen, „was die Leute wollen“. Bereits realisierte Projekte könnten gemeinsam mit den Bewohnern evaluiert werden (Lph 10) – neue Projekte würden mit der Erhebung von tatsächlichem Bedarf und einer Beschreibung der Aufgabe starten (Lph 0). Auf diese Weise würden wir vom Nutzer selbst Argumente für Innovation einholen. Wir müssten nicht mehr glauben, wir wüssten.

Auslobungen sähen dann anders aus. Doch aufgepasst. Manchmal scheint es, als könnten wir Menschen nur wünschen, was wir schon kennen. Der Markt aber kann nur liefern, was vom Konsumenten gefordert wird. Die Aufklärung der Nutzer über Mögliches und Unmögliches ist essentielle Voraussetzung für sinnstiftende Antworten auf unsere Fragen. So finden wir gemeinsam die neuen Aufgaben für unsere guten Ideen. Andernfalls bleiben wir in immer gleichen Denkweisen verhaftet und bestätigen jene, die uns glauben machen: „Die Leute wollen es so (wie eh und jeh)“.

Es sind also die Nutzer, die uns Architekten unsere Kreativität ermöglichen!

Der Architekt

1973 geb. in Innsbruck, 1992 Architekturstudium TU Wien, McGill University, Montreal und Bartlett School of Architecture, London. Diplom 2003. 1993–1999 Mitarbeit in diversen Architekturbüros in Österreich, Deutschland und den Niederlanden.
1999 Gründung AllesWirdGut GnbR, Wien mit A. Marth, F. Passler, C. Waldner und I. Hora. 2002 Gründung AllesWirdGut Architektur ZT GmbH, Wien mit A. Marth, F. Passler und C. Waldner.
2000–2010 Studientutor Architektur an der TU Wien, 2014 Gastprofessur am Inst. f. Wohnbau, TU Wien. 2015 Gründung Betriebsstätte AllesWirdGut München.
2017 Mitglied d. Gestaltungsbeirats der LH Stuttgart
www.awg.at

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