Rechtsprechung

Gerüstnutzung in verlängerter Standzeit

OLG Düsseldorf, Beschluss vom 18.01.2022 – 24 U 347/20

Es ist unerheblich, ob die Nutzung eines Gerüsts stattgefunden hat, denn maßgebend ist die Gebrauchsüberlassung und die daraus resultierende Nutzungsmöglichkeit. Soweit nichts anderes vereinbart ist, schuldet der Gerüstbauer die Vorhaltung des Gerüsts so lange, wie es für die Bauarbeiten benötigt wird, entschied das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf im Januar 2022.

Der Fall: Fehlende Freimeldung
 
Der Auftraggeber und der Auftragnehmer schlossen unter Einbeziehung der VOB/B einen sogenannten selbstständigen Gerüstbauvertrag über den Aufbau, die Vorhaltung und den Abbau eines Gerüsts. Die Parteien vereinbarten eine Vorhaltezeit bzw. Grundstandzeit vom 09.10.2018 bis zum 06.07.2019. Der Auftragnehmer überließ dem Auftraggeber das Gerüst auch über das Datum des 05.07.2019 hinaus weiter zur Nutzung. Für den Zeitraum nach dem 05.07.2019 verlangt der Auftragnehmer vom Auftraggeber die vereinbarte Vergütung für die Vorhaltung des Gerüsts. Der Auftraggeber wendet ein, dass er das Gerüst nach dem 05.07.2019 nicht mehr genutzt habe.
 
Das Urteil: Ohne Erfolg!
 
Ein Vertragsverhältnis hinsichtlich der Nutzung eines Gerüsts in der verlängerten Standzeit beurteile sich im Grundsatz nach dem Mietrecht. Dabei könne offenbleiben, ob eine mietvertragliche Vereinbarung bei der die Vereinbarung der VOB/B nicht erforderlich sei angenommen werden kann, denn nach beiden Ansichten sei der Vergütungsanspruch der Klägerin begründet.  
Gehe man vom Erfordernis einer mietvertraglichen Vereinbarung aus, stehe der Klägerin der Anspruch auf Mietzins gemäß §§ 535 ff. BGB zu, denn unstreitig sei der Beklagten das Gerüst auch nach Ablauf der Grundstandzeit am 09.10.2018 bis zum 05.07.2019 weiter zur Nutzung überlassen worden. Ohne Belang sei, dass die Beklagte das Gerüst nicht genutzt haben will, denn maßgeblich sei die Gebrauchsüberlassung durch die Klägerin und die daraus resultierende Nutzungsmöglichkeit für die Beklagte. Gehe man davon aus, dass bei Geltung der VOB/B eine gesonderte Vereinbarung zur verlängerten Nutzung eines Gerüsts über die Grundstandzeit hinaus zur Begründung eines Vergütungsanspruchs nicht erforderlich sei, so lägen auch diese Voraussetzungen vor. Zwischen den Parteien stehe im Übrigen nicht im Streit, dass die Geltung der VOB/B vereinbart worden sei. Haben die Parteien die Geltung der VOBB vereinbart, dann würden dazu auch die allgemeinen technischen Bestimmungen für Bauleistungen der VOB/C gehören. Damit hätten die Parteien vereinbart, wie die Standzeiten der Gerüste über die Grundstandzeit hinaus berechnet werden sollten.  
Auf die Fortsetzung der Benutzung, welche die Beklagte abstreitet, komme es nicht an. Maßgebend sei allein die Nutzungsmöglichkeit des Auftraggebers. Denn es falle regelmäßig nicht in den Einfluss- und Verantwortungsbereich des Auftragnehmers, ob tatsächlich eine Nutzung erfolge oder nicht. So werde beispielsweise bei Bauunterbrechungen oder Verzögerungen keine Nutzung erfolgen, obwohl eine solche möglich sei. Darüber hinaus schulde ein Gerüstbauer die Vorhaltung des Gerüsts so lange, wie es für die Ausführung der Bauarbeiten benötigt werde, was wiederum bedeute, dass ihm ein anderweitiger Einsatz in dieser Zeit verwehrt sei. Die Kenntnis, ob das Gerüst benötigt werde oder nicht, unterläge aber regelmäßig allein der Wahrnehmung des Auftraggebers. Es sei deshalb sachgerecht, wenn die Klägerin darauf hinweise, es entspräche der Üblichkeit, dass der Auftraggeber ausdrücklich darauf hinweist, wenn ein Abbau erfolgen solle.  
Praxishinweis
 
Selbstständige Gerüstbauverträge enthalten sowohl werk- als auch mietvertragliche Elemente. Bei Anwendung der VOB/B darf der Auftragnehmer beispielsweise das Gerüst nach Ablauf der vereinbarten Vorhalte- bzw. Grundstandzeit nicht ohne weiteres abbauen. Ist die VOB/B vereinbart, muss der Gerüstbauer das Gerüst solange vorhalten, wie es der Auftraggeber für die Ausführungen der Bauarbeiten am Bauwerk benötigt. Bei der Vereinbarung der VOB/B für einen Gerüstbauvorhaltevertrag ist § 2 Absatz 3 Nr. 2 VOB/B anwendbar. Offengelassen hat das Gericht jedoch die Frage, warum keine Anpassung des Einheitspreises gemäß § 2 Absatz 3 Nr. 2 VOB/B geltend gemacht wurde. Danach besteht die Möglichkeit, eine Preisanpassung zu verlangen, wenn der vereinbarte Mengenansatz der zeitabhängigen Vorhalteposition um mehr als 10 % überschritten ist. Allerdings regelt § 2 Absatz 3 Nr. 2 VOB/B nicht, wie die Vergütung vorzunehmen ist. Die VOB/B legt die Verantwortung für die neue Preisbestimmung in die Hände der Vertragsparteien. Danach ist entscheidend, was die Vertragsparteien bei angemessener Abwägung ihrer Interessen nach Treu und Glauben als redliche Vertragspartner vereinbart hätten, wenn sie den nicht geregelten Fall bedacht hätten. Unter Abwägung dieser beiderseitigen Interessen ist die Preisanpassung nach den tatsächlich erforderlichen Kosten zuzüglich angemessener Zuschläge zu bemessen. In der Praxis dürften bei der Vorhaltung eines Gerüsts im Einzelfall die tatsächlich erforderlichen Kosten eher gering ausfallen bzw. für den Auftragnehmer unter Umständen nur schwer nachweisbar sein. Anderes dürfte jedoch gelten, wenn die Parteien in dem zugrunde liegenden Vertrag die „Mietkosten“ zeitunabhängig festgelegt hätten, also bspw. „Kosten pro Woche Standzeit“ vereinbart hatten.

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