Fliegende Bauten – temporär, mobil, modular

Was macht kleine Bauten nachhaltig? Das Ingenieurbüro formTL beschäftigt sich seit Jahren intensiv mit Konstruktionen für temporäre Bauten. Leichte Tragwerke und ressourcenschonendes Bauen sind für die IngenieurInnen ebenso ein Bestandteil ihrer Planungen wie das Ziel der Nachnutzung und Wiederverwendung, das schon in der Konstruktion angelegt sein muss.

Das Ingenieurbüro formTL hat sich mit zum Teil spektakulären Leichtbauprojekten einen inter­nationalen Namen erarbeitet. Die 26 Mitarbeiter-Innen arbeiten von Radolfzell am Bodensee aus weltweit an der technischen Umsetzung von architektonischen Entwürfen. Das Ziel der IngenieurInnen von formTL ist dabei immer, die Konstruktionsweise zu einem Teil der Architektur werden zu lassen. „Wenn ArchitektInnen und IngenieurInnen gut zusammengearbeitet haben, erkennt man das an einem guten Ergebnis und an der positiven Wirkung, die das Projekt auf die Öffentlichkeit hat,“ sagt ­Jürgen Trenkle, Projektleiter bei formTL. Es gehört zur Philosophie von formTL, seine KundInnen dahingehend zu beraten, die Bauten ressourcenschonend zu planen und eine Mehrfachnutzung in Betracht zu ziehen. Temporärbauten mit einer Nutzung von weniger als drei Monaten werden oft nur einmal verwendet und nach ihrer Nutzung entsorgt; das ist durch die Nachhaltigkeitsbrille betrachtet wenig befriedigend. Mit ihrem ganzheitlichen Anspruch setzen sich die PlanerInnen von formTL für eine sinnvolle Weiternutzung von Gebäuden ein. Die Lichtwolke der Raumwelten zum Beispiel ist inzwischen schon zum dritten Mal aufgebaut worden. Das Gebäude wird zwischengelagert wie ein Zelt für den nächsten Urlaub und dann am neuem Ort wiederaufgebaut. Es ist, wie auch der InfinityDome, nicht an eine bestimmte Nutzung gebunden; man kann Konzerte, Ausstellungen oder auch Vorlesungen darin abhalten. Der Meteorit von Audi, zunächst als temporäre Eventlocation ge­plant, wurde sogar als Permanentbau wiederaufgebaut; allerdings mit einer völlig anderen Funktion, nämlich als Elektrotankstelle.

Wenn man über Wiederverwendung nachdenkt, muss schon bei der Planung dafür gesorgt werden, dass die Gebäude auch an verschiedenen Standorten funktionieren können. Für eine Mehrfachnutzung ist daher vorab zu klären, wo das Gebäude möglicherweise wieder aufgestellt werden soll. In der Regel werden die Orte für die Aufstellung schon vorher mitgeplant. formTL erstellt in diesem Fall Wind- und Belastungsanalysen. Die Windbelastung wird in der Regel entsprechend der Normung für ganz Deutschland berechnet, abgesehen von Küsten und Höhenlagen. Auch die direkte Umgebung des Aufstellorts spielt eine große Rolle. Meist wird ein Maximalfall gewählt und dafür die Berechnungen angestellt. Bei Schneelasten sieht das ähnlich aus. Manchmal wird von den Baubehörden auch ein Nachweis für die Erdbebensicherheit verlangt. Da sind Membranbauten stark im Vorteil, da sie kaum Masse haben und eigentlich absolut erdbebensicher sind. Sollen die Gebäude auch im Ausland aufgestellt werden, müssen zusätzlich nationale Sonderregelungen und eventuelle Genehmigungsanforderungen berücksichtigt werden.

Eine wichtige Aufgabenstellung bei der Konstruktion ist die Entwicklung von Bauteilen, die man immer wieder zusammenbauen kann. Oft handelt es sich dabei um Neuentwicklungen, manchmal aber auch um Lösungen, die bisher im Bauwesen noch keine Anwendung gefunden haben. Ein Beispiel dafür ist der Ballastring für den InfinityDome, der nur aus Gewebe und Verbindungsmitteln besteht und erst vor Ort mit Wasser gefüllt wird. Besonders geeignet für die Wiederverwendung sind vor allem elementierte oder modulare Konstruktionen. Bauweisen mit einem hohen Vorfertigungsgrad ermöglichen kurze Bauzeiten und optimierte Herstellungs- und Transportkosten. Diese Konstruktionsweisen bieten auch die Möglichkeit, beim Wiederaufbau oder für eine neue Nutzung Veränderungen am Bauwerk vorzunehmen.

Zum Thema Ressourcenschonung ist die Mate­rialwahl ein entscheidender Punkt. Durch die Leichtbauweise wird jeglicher Materialverbrauch reduziert, besonders wenig Material aber wird bei Membranbauten benötigt. Wie passt hier die Verwendung von Hightech-Baustoffen ins Bild? Die Membran ist ein Kunststoff und vom Material her nicht sehr nachhaltig. Aber man braucht sehr wenig und verbraucht entsprechend wenig Ressourcen. Mit einer sehr geringen Masse kann man einen sehr großen Raum erschaffen. Eine Steigerung in Sachen Nachhaltigkeit bieten hier die pneumatischen Konstruktionen. Für die Stabilität wird entweder ein Aggregat benötigt, das den Luftdruck aufrechterhält, oder die Konstruktion ist zweischalig wie beim Modern Teahouse. Die Konstruktionsweise eignet sich für alle Nutzungen und ist extrem haltbar. Bei formTL geht man davon aus, dass es sich in jedem Fall lohnt, mehr Zeit und Geld bei der Planung zu investieren, um dann später weniger Ressourcen zu verbrauchen und damit auch die Kosten gering zu halten. Mit seinen Projekten kann das Büro demonstrieren, dass sich der Einsatz lohnt. Es folgt eine Auswahl kleinerer Projekte:

01 Begehbare Stahl-Membrankonstruktion – Kreuzweg: Installation für Europa

Anlässlich des 100-jährigen Jubiläums des Versailler Friedensvertrags schuf die Künstlerin Mia Florentine Weiss eine Installation, die das Berliner Stadtmuseum Nikolaikirche in einen Kreuzweg transformiert. Dieser steht für das Bekenntnis zu Europa: das ca. 28 m lange Stahlkreuz ruht auf einem symbolischen Hügel aus der Erde von allen 47 europäischen Ländern.

Die begehbare Struktur sollte im Innenraum der Berliner Kirche, bei geplanten späteren Ausstellungen in den Unterzeichnerländern des Versailler Vertrags aber auch in Außenräumen statisch funktionieren. Daraus ergaben sich unterschiedliche Anforderungen an Gewicht und Stabilität für die konstruktive Umsetzung: Die maximale Bodenbelastung im Kirchenraum beschränkte das mögliche Gewicht, während im Außenraum Wind und Witterung auf die Konstruktion einwirken; andererseits sollte die Struktur für den Transport und Wiederaufbau leicht zu händeln sein. Die Konstruktion wurde als Stahlfachwerk geplant und mit einer lichtdurchlässigen Membran umspannt. Das modular aufgebaute Tragwerk besteht aus quadratischen Rahmen, die an den Stößen zusammengefügt und durch Zugstäbe auf einer Rostkonstruktion gehalten werden. Die glatte Membran-Hülle entsteht aus passgenau zugeschnittenen Einzelteilen und wird nach unten abgespannt. Den Abschluss an den Stirnseiten der Kreuzarme und am Kopfende bilden Kissen aus ECTFE-Folie. Für den Transport werden die Elemente zerlegt und die Membrane möglichst faltenfrei verpackt.

02 Beplanktes Stahlfachkonstruktion – Audi Meteorit

Für die Vorstellung des neuen Audi e-tron wurde am Flughafen München ein temporäres Gebäude errichtet. Im Inneren des sogenannten Meteoriten befanden sich auf drei Ebenen Informationsräume mit Ausstellungen zum Thema Elektromobilität, im Außenbereich lockte ein Parcours mit einer steilen Rampe zum Probefahren. Der Meteorit musste innerhalb von nur drei Monaten geplant und gebaut werden und wurde mit einer Stahlkonstruktion umgesetzt. Der aus verzerrten Dreieckspyramiden entwickelte Baukörper ist mit großformatigen, anthrazitfarbenen OSB-Platten beplankt. Der fliegende Bau wurde nach nur vierwöchiger Standzeit abgebaut und eingelagert. Heute wird der inzwischen wiederaufgebaute Meteorit als Elektrotankstelle genutzt.

03 Pneumatische Membran-Kuppel mit Wasserballast-System – InfinityDome

Eine anspruchsvolle Idee steht hinter dem Infinity­Dome: eine Projektionsfläche in einem mobilen Gebäude, das sich in kurzer Zeit auf- und abbauen lässt und im Innenraum flexibel bespielbar ist. Der Kuppelraum sollte 200 Personen fassen und sich gut verpacken und transportieren lassen. Im Rahmen der Berliner Programmreihe „The New Infinity“ bot der „Mobile Dome“ der Berliner Festspiele und des Planetariums Hamburg Künstler-Innen einen einzigartigen Raum für ihre Projekte; weitere Standorte folgen.

Form und Konstruktion wurden von der Auftraggeberin, der tat Team GbR, entwickelt; für Statik und Zuschnittsberechnungen kam formTL ins Boot. In enger Zusammenarbeit entstand die pneumatische Kuppel aus tranzluzentem Membranmaterial. Alle Konstruktionselemente der pneumatischen Membran-Konstruktion sind über Reißverschlüsse miteinander verbunden. Auf diese Weise ist ein schneller Auf- und Abbau gewährleistet, die einzelnen Elemente sind leicht zu verpacken und zu transportieren. Die Reißverschluss-Verbindungen wurden in einem Bruchversuch getestet und entsprechend ihrer Festigkeit geplant. Die Kuppelkonstruktion wird über ein sogenanntes Wasser-Ballast-System auf dem Boden fixiert. Dafür verläuft an der Basis der Kuppel ein Schlauch, dessen 12 Einzel­elemente beim Aufbau unter Druck mit Wasser befüllt werden. Ein Sicherheitssystem detektiert und meldet Störungen oder Leckagen. Im Falle einer Beschädigung wird die Konstruktion von den anderen Schlauch­elementen stabilisiert; das beschädigte Element kann einfach ausgetauscht werden. Für die Außenhülle wurden einzelne Membransegmente miteinander verschweißt, sodass das Gewölbe am Ende aus nur einem Element besteht. Die innere Projektionskuppel ist separat zugeschnitten und verläuft parallel zur tragenden Außenhülle. Beide Membrane werden über Unter- bzw. Überdruck pneumatisch mit einem Zwischenraum von 50 cm aufgespannt.

04 Leichte Hülle mit Fundierung aus Kies – Lichtwolke für Raumwelten

Raumwelten ist ein Branchenevent für Szenografie, Architektur und Medien. Die Veranstaltung wurde 2015 erstmalig in dem pneumatisch gestützten Pavillon durchgeführt; geplant war eine dreijährige Nutzung. Die Lichtwolke erinnert in ihrer Form an einen Donut und wurde von Studierenden der Hochschule für Technik (HfT Stuttgart, Klasse Pro. Thomas Hundt) und von Studierenden der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste (ABK Stuttgart, unter Leitung von Prof. Tobias Walliser und Sebastian Schott) entworfen. formTL überführte das Design in eine luftgestützte Membranstruktur.

Der Pavillon besteht aus einer leichten, frei geformten, transparenten Hülle. Die eingeblasene Luft schafft einen tags und nachts geheimnisvoll schimmernden Baukörper. Der Pavillon bietet viel Freiheit für die Innenraumnutzung und kann für Vorträge und Workshops, für Catering oder Musikkonzerte genutzt werden. Die einzigartige Form und Gestalt des Pavillons hat ihm den Namen Lichtwolke eingebracht. Da der Pavillon mit seiner Fläche von über 200 m² und einer Höhe von 6 m über einer Tiefgarage aufgestellt werden sollte, musste eine Fundierung gefunden werden, die den Baugrund und die darunterliegende Parkhausabdichtung nicht verletzt. Daher wurde die spezielle Verankerung mit Kiessäcken entwickelt, die im Innenraum der Lichtwolke gelagert werden und die pneumatische Konstruktion am Boden halten.

05  Erdnussform mit Golfball-Shape – Modern Teahouse

Das Modern Teahouse ist ein Gastgeschenk japanischer Firmen an die Stadt Frankfurt. Aufgrund seiner erdnussartigen Form trug das Teahouse den Arbeitstitel „Peanut“. Der temporäre Pavillon wird im zweijährigen Wechsel immer für vier Wochen aufgebaut. Für diesen Zweck wurden die selbsttragende Stahlkonstruktion und die zweischalige Hülle demontabel geplant und gefertigt. Das Modern Teahouse ist eines der kleinsten Projekte des Büros formTL, das hier von der Beratung im Entwurf bis zur Werkplanung beteiligt war.

Die Hüllen bestehen aus einem hochwertigen Membranmaterial, das sehr lichtdurchlässig und in beide Richtungen extrem belastbar ist. Die äußere Hülle umschließt eine kleinere Innenhülle. Beide werden luftdicht miteinander verschweißt und wie eine Luftmatratze aufgeblasen. Der Abstand der Hüllen variiert zwischen 40 und 100 cm. Beide Hüllen sind durch 306 Seile miteinander verbunden, die sich als Golfball-Shape innen wie außen abbilden. Trotz Luftstützung werden bei dieser Konstruktion keine Schleusen benötigt, da im Pavillon ein normaler Luftdruck herrscht. Die Größe der Aufstandsfläche und der Innendruck bestimmen maßgeblich die Stabilität. Durch den Innendruck entsteht eine biegeweiche Schale, die Lasten in zwei Achsen abträgt. Ab 1 000 Pascal steht das Peanut, bei 1 500 Pascal ist die „weiche“ Schale so stabil, dass sie sogar einem Sturm standhält. Beim Aufbau im Außenraum wird das Modern Teahouse mit innen und außen umlaufenden Hochlast-Reißverschlüssen auf seiner ­Fundamentplatte verankert. In Innenräumen benötigt es weder Verankerung noch Führung.

06 Kuppeltragwerk mit hauchdünner Folienbespannung – Bundestagsarena

Die Kuppel der Bundestagsarena ist der Kuppel des Reichstagsgebäudes von Norman Foster nachempfunden und mit einer Höhe von 21 m fast so groß wie ihr Vorbild. Nach einer achtwöchigen Standzeit in Berlin während der Fußballweltmeis­terschaft 2006 ist die Bundestagsarena für verschiedene Events wiederaufgebaut worden.

Das von formTL entwickelte Kuppeltragwerk ­besteht aus 20 polygonalen Fachwerkträgern mit je sieben Systemträgerelementen. 21 Felder mit einer Größe von ca. 69 m² wurden mit ETFE-Folie bespannt. Die einlagige, schnitzförmige Folienbespannung erhält durch die aufgelegten Windsogseile die Form einer Sternfrucht. Die Herausforderung bestand darin, die hauchdünne Folie so zu spannen, dass sie den Witterungseinflüssen standhalten konnte. Dies gelang durch eine linea­re Profilbefestigung entlang der tragenden Binder sowie mit Klemmprofilen am unteren Rand. Um den Blendeffekt sowie die Aufheizung des Innenraums durch Sonnenstrahlung zu reduzieren, wurde die Folie in den oberen Bereichen mit einer reflektierenden Silberfarbe bedruckt. Auf den 1 500 m² gibt es vier verschiedene Bedruckungsgrade zwischen 0 und 70 %.

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