Starker Rahmen aus Beton

Erweiterung Universität für angewandte Kunst, Wien/AT

Die Architekten Riepl Kaufmann Bammer und der Statiker Jürg Conzett verwandelten eine gründerzeitliche Beamtenburg in einen lichten Zubau der Wiener „Angewandten“. Zwei einstige Innenhöfe wurden zur großzügigen, zentralen Aula: Ein Rahmen mit Umgängen aus Stahlbeton, der mit den Stahlträgern des Oberlichts zusammenwirkt, übernimmt Aussteifung und Stabilisierung.

Die Universität für angewandte Kunst in Wien ist eine Institution. 1867 als k.k. Kunstgewerbeschule gegründet, wurde ihr Haupthaus in bester Lage 1875 – 77 direkt neben dem Museum für Angewandte Kunst (MAK) von Heinrich Ferstel geplant. 1962 – 65 erweiterte man es durch einen klaren, spätmodernen Riegel von Karl Schwanzer und Eugen Wörle. Damals zählte man 560 Studierende. Lehrende von internationaler Strahlkraft, wie Karl Lagerfeld, Paolo Piva, Zaha Hadid, Kazuyo Sejima, Greg Lynn und Hani Rashid, tragen zum exzellenten Ruf der „Angewandten“ bei. Sie hatte etwa 1 800 Studierende und platzte aus allen Nähten. 2014 schrieb die BIG (Bundes­immobiliengesellschaft) als Bauherr einen Wettbewerb zur Sanierung des Wörle-Schwanzer-Trakts und dem Umbau einer gründerzeitlichen Beamtenburg in der Vorderen Zollamtsstraße 7 aus. Besonders wichtig war es, eine große Aula für öffentliche Vorlesungen und Veranstaltungen zu schaffen.

Unterschiedliche, spezifische Raumqualitäten

Die Architekten Riepl Kaufmann Bammer überzeugten mit einem radikal pragmatischen, nutzungsoffenen, konstruktiv innovativen Ansatz, der den Bestand innen zu einer riesigen, offenen Aula aushöhlt, das Äußere, die Eingangssituation und den Ring außenliegender Büros aber unverändert belässt. Alt und neu werden so geschickt verknüpft und transformiert, um unterschiedliche, spezifische Raumqualitäten zu erzielen.

Rahmen für urbanes Leben mit Strahlkraft

„Ein wesentlicher Aspekt war für uns, einen Rahmen zu bieten, in dem sich urbanes Leben entfalten kann“, so die Architekten Peter Riepl und Daniel Bammer. „Die Struktur mit den drei Lichthöfen und den schmalen Gängen war sehr kleinteilig und wahnsinnig hermetisch.“ Das Haus steht unter Denkmalschutz. Riepl Kaufmann Bammer ließen die Eingangssituation mit Prachtstiege und die Fassaden unangetastet, entfernten aber die Querspangen und Flure vor den Büros: So wurden die einstigen Lichthöfe zum inneren, öffentlichen Raum. Statt des dritten Hofs setzten sie einen zweigeschossigen Hörsaal ins Erdgeschoss. „Wir wollten Masse aus dem Bestand ziehen, um zusätzlichen Raum zu schaffen.“ Riepl Kaufmann Bammer sind überzeugt, dass die Aktivitäten auf dem inneren Stadtplatz stark genug sein werden, um nach außen zu strahlen. „Auch auf dem Noli-Plan von Rom wird das Innere des Pantheons zum öffentlichen Platz.“

Material der Wahl: Stahlbeton

Die Realisierung dieser Aushöhlung, die eine großzügige, über fünf Geschosse reichende zentrale Aula erzeugt, war komplex. Schließlich musste die Aussteifung nach Abriss der Querspangen wiederhergestellt werden, ohne die leere Mitte zu queren. Außerdem wollten die Architekten die Ecken stützenfrei lassen, um eine der Geometrie entsprechende dynamische Raumwirkung und weite Blickbeziehungen über die ganze Aula zu erzielen. „Lebendiger Austausch kann nun über mehrere Geschosse hinweg und mit genug Freiraum stattfinden.“ Dazu kam, dass jedes Geschoss unterschiedlich hoch und die geknickte Geometrie sehr unregelmäßig ist. Um die beste Konstruktion passgenau auszutüfteln, wurde der Schweizer Tragwerksplaner Jürg Conzett hinzugezogen: „Es war klar, dass wir der alten Masse des Mauerwerks etwas Modernes entgegensetzen mussten.“ Als Material der Wahl kam nur Stahlbeton in Frage. Conzett entwickelte eine massive, ringartige Struktur aus Unterzügen und damit kraftschlüssig verbundenen Platten, die 4 m breite, umlaufende Galerien ausbilden und bis zu den Bestandswänden reichen. „Diese Platten der Galerien bilden den Übergang zum Altbau und gewährleisten die horizontale Aussteifung. Sie sind gleichermaßen ein dreidimensionales, statisches System,“ sagt Tragwerksplaner Conzett. Außerdem sind sie natürlich auch Begegnungszonen.

Ring aus Stahlbeton

Der umlaufende Ring aus Stahlbeton steift das Atrium aus und stabilisiert die angrenzenden Bauteile. Das Zusammenwirken aus Galerie und Unterzug erzeugt einen biegesteifen T-Querschnitt, der es ermöglicht, stützenfreie Ecken auszubilden – und pro Geschoss für die ganze, umlaufende Galerie mit nur sechs Stützen von quadratischem Querschnitt (60 x 60 cm) auszukommen; die Spannweiten der so ertüchtigen Unterzüge  liegt bei  14 – 15 m. Die T-Querschnitte wurden teils vorfabriziert, die tragenden Stützen abschnittsweise vor Ort geschalt. Wesentlich war auch die Farbe: Der Beton sollte einen hellen Grauwert haben, der das von oben einfallende Licht reflektiert. „Durch den Knick hat das Gebäude eine Geometrie, die man früher nie gespürt hat. Die Arkadengänge waren nur in Stahlbeton möglich, weil sich damit Zug und Druck gut ausgleichen lassen. Allerdings mussten alle Schalpläne bewusst bedacht sein. Nun sieht es aus, wie mit leichter Hand erledigt. Aber hier konnte man keine Standardlösung anwenden.“

Horizontale Bewegung

Die Brüstungen der Galerien sind aus Glas, der abschließende Handlauf ist ein breites Metallprofil, auf dem auch Flyer, Broschüren, Gläser und mehr Platz finden: Das betont die horizontale Bewegung, ist haptisch angenehm und animiert dazu, sich an das Geländer zu lehnen und so den Raum zu beleben. Die Bodenoberfläche ist eine mineralische, zementöse Industriebeschichtung, die sehr robust und großflächig fugenfrei zu verlegen ist. Ihr Grauton harmoniert mit dem Beton und verstärkt den großzügig urbanen Charakter der Aula. Am hinteren Ende steht, von der darunter verlaufenden U-Bahn akustisch entkoppelt, ein riesiger Hörsaal als autarke, mit brüniertem Stahl verkleidete Box auf elastischen Lagern: Seine Eingangsfront lässt sich komplett öffnen, wodurch der Saal der Aula zugeschaltet werden kann. Statt der zweiten Querspange führten Riepl Kaufmann Bammer eine neue, beidseitig transparente Brücke über dem Hörsaal ein, deren Glasfassade sich auf das Flachdach des Hörsaals öffnet, dass hier einen Hof bildet.

Dreidimensionale Schichten

„Unser Grundkonzept war, dreidimensional wirksame Schichten zu bilden“, so die Architekten. Die neue Aula wird von Oberlichtbändern natürlich erhellt. Die Wand des Treppenhauses, die einst den ersten Lichthof begrenzte, wird zur historischen Kulisse, durch deren Fenster man bis auf die Straße hinaussieht. Die Grenzen der neuen Aula sind die einstigen Innenwände der Büroflure, davor führten die Architekten den neuen, umlaufenden Rahmen aus breiten Stahlbetongalerien ein, der im obersten Stock – wo die Bibliothek ist – von einem Kranz aus Scheiben abgeschlossen wird: Diese bilden seitlich schräge Schotten aus, zwischen denen sich Studierende in absperrbaren Carrels (Einzelarbeitsplätzen) konzentriert ihrer Lektüre widmen und diese auch dort liegen lassen können. Sehr elegant nehmen diese Schotten wieder den schrägen Winkel des Hauses auf und führen ihn in den Stahlträgern zwischen den Oberlichten weiter. Ein Rahmen schließt sich.

⇥Isabella Marboe, Wien/AT

Baudaten

Objekt: Erweiterung Universität für angewandte Kunst – Umbau und Sanierung

Standort: Vordere Zollamtsstraße 7, Wien/AT

Typologie: Universität

Bauherr: Bundesimmobiliengesellschaft mbH

Nutzer: Universität für angewandte Kunst

Architekt: Riepl Kaufmann Bammer Architektur, Wien/AT,

www.rieplkaufmannbammer.at

Mitarbeiter (Team): Daniel Bammer, Alexander Jaklitsch, Debby Haepers, Cristina Lorente Cabello, Stefan Hoser

Bauleitung: ARGE Raster – Atelier23 – Pallanich, Wien/AT, www.atelier23.at, www.arch-ap.at

Bauzeit: August 2016 – September 2018

Fachplaner

Tragwerksplaner: Conzett Bronzini Partner AG, Chur/CH, www.cbp.ch; PCD ZT-GmbH, Wien/AT,

www.pcd-zt.at

TGA-Planer: Wagner & Partner Ingenieure GmbH, Linz/AT, www.ztz.at

Energieplaner, Akustikplaner: TAS Bauphysik GmbH, Leonding/AT,

www.tas-bauphysik.com

Brandschutzplaner: IBS – Technisches Büro GmbH, Linz/AT,

www.ibs-tb.at

Kostenmanagement/GP-Koordination: L-BAU Engineering GmbH,

Linz/AT, www.lbauengineering.at

Projektdaten

Grundstücksgröße: 3 775 m²

Grundflächenzahl: 0,90

Geschossflächenzahl: 4,44

Nutzfläche gesamt: 15 120 m²

Nutzfläche: 9 566 m²

Technikfläche: 621 m²

Verkehrsfläche: 4 933 m²

Brutto-Grundfläche: 16 684 m²

Brutto-Rauminhalt: 86 940 m³

Baukosten (nach DIN 276)

Netto ohne Einrichtung: ca. 39 Mio. €

Energiebedarf

Primärenergiebedarf:

173,5 kWh/m²a nach OIB RL6

Endenergiebedarf: 1

42,5 kWh/m²a nach OIB RL 6

Jahresheizwärmebedarf:

56,8 kWh/m²a nach OIB RL6

Hersteller

Decke Stahlbeton: Peikko Deutschland GmbH, www.peikko.de; Franz Oberndorfer GmbH & Co. KG,

www.oberndorfer.at;

Gerb, www.gerb.com

Dach: Eternit GmbH, www.eternit.de; Schüco International KG,

www.schueco.com

Sonnenschutz: WAREMA Renkhoff SE,

www.warema.de; Silent Gliss International,

www.silentgliss.ch

Türen/Tore: Jansen AG,

www.jansen.com; TorTec GmbH, www.tortec.at; DORMA-Hüppe Raumtrennsysteme GmbH & Co. KG, www.dorma-hueppe.com

Die Qualität dieses Projekts liegt in der radikalen, doch begründeten Umwandlung eines Gründerzeitgebäudes. Ein erhabenes tektonisches Meisterwerk aus gegossenem Sichtbeton, das einen großzügigen, identitätsstiftenden Treffpunkt inmitten Wiens schafft.«

⇥DBZ Heftpartner Bruno Fioretti Marquez, Berlin

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