Mehr Energie planen

Energiekonzepte simulieren

Je mehr Verbraucher und Erzeuger in einem System gekoppelt sind, desto schwerer ist es, sie effizient aufeinander abzustimmen. Digitale Simulationen können PlanerInnen dabei helfen, die Wärme-, Kälte- und Stromversorgung von Quartieren zu optimieren.

Bei der Planung von Energiesystemen für Gebäude und Quartiere reichten bisher Normwerte und ein Tabellenkalkulationsprogramm aus. Das verändert sich derzeit grundlegend. Nachgefragt werden zunehmend Energiesysteme, die bezüglich Nachhaltigkeit und Effizienz einem höheren Standard entsprechen. Die Planung anspruchsvollerer Energiesysteme bedingt aber auch verbesserte Prozesse und Werkzeuge. Dynamisch simulierte Energiesysteme sind wirtschaftlicher und zuverlässiger als konventionell geplante Systeme. Bauherren tun gut daran, nur zu bauen, was simuliert wurde.

Der Markt für Gebäudetechnik befindet sich derzeit in einem starken Wandel. Konventionelle Systeme der Energieversorgung büßen deutlich an Nachfrage ein. Dazu gehören Systeme, die im Heiz- und Warmwasserbereich als einzige dezentrale Wärmeerzeuger Gas- oder Ölkessel einbinden und die zusätzlich benötigte Wärme und Strom aus dem Netz beziehen. Verbaut werden in steigendem Maße anspruchsvollere Systeme, die verschiedene Wärmeerzeuger intelligent verknüpfen oder über Sektorgrenzen hinweg die Strom- und Wärmeerzeugung verbinden. Zudem werden bei der Planung von heutigen Energiesystemen nicht nur einzelne Gebäude, sondern vermehrt ganze Areale berücksichtigt – im Sinne einer Quartiersentwicklung.

Hinter diesem Wandel stecken zwei wesentliche Treiber. Zum einen nehmen die regulatorischen Anreize zu, die CO₂-Emissionen des Gebäudeparks im Sinne der Energiewende zu begrenzen. Ein Beispiel hierfür ist die Bundesförderung für effiziente Wärmenetze (Wärmenetzsysteme 4.0/ www.bafa.de). Bezuschusst werden Wärmenetze mit bis zu 60 % der Investitionen, die einen Anteil erneuerbarer Energien an der jährlichen Wärmeeinspeisung von mindestens 50 % und einen Höchstanteil von 10 % für fossile Energie (aus nicht-KWK-Anlagen) aufweisen. Auch die Bundesförderung für effiziente Gebäude (BEG), die den KfW-Effizienzhaus-Standard ab 01.07.2021 ablöst und Energieeffizienz und erneuerbare Energien noch stärker gewichtet, steht für diese Entwicklung. Bei Neubauten werden bis zu 37 000 Euro Tilgungszuschüsse pro Wohneinheit gewährt. Um die Förderkriterien zu erfüllen, muss ein gesamtheitliches Energiekonzept vorgelegt werden, das neben anderen Faktoren auf die Einbindung dezentraler, erneuerbarer Energiesys­teme setzt, wie beispielsweise PV in Kombination mit einer Wärmepumpe. 

Der zweite Treiber ist die hohe Entwicklungsrate am Markt. Innovative Systemkomponenten kommen in immer kürzeren Abständen auf den Markt und bieten neue verbesserte Möglichkeiten – von leistungsfähigeren PV-Modulen bis hin zu immer effizienter arbeitenden Wärmepumpensystemen.  Eine Auslegung nach Norm und eine Dimensionierung nach statischer Berechnung führt jedoch zu überdimensionierten Energiesystemen mit überhöhten Investitions- und Betriebskosten.

Diese Entwicklungen bedeuten für die Branche eine große Herausforderung – mit grundlegenden Auswirkungen auf den Planungsprozess. Bei der Planung konventioneller Energiesysteme für Gebäude war es bisher ausreichend, auf die bewährte Vorgehensweise zu setzen. Dabei wurde der Energiebedarf eines Gebäudes im Heizbereich nach Normvorgaben hergeleitet und der Heizkessel zur Bedarfsdeckung durch erprobte Excel-Berechnungen dimensioniert. Diese Methoden greifen aber bei der Auslegung vermehrt nachgefragter erneuerbarer oder bivalenter Energiesysteme zu kurz.

Zentrale Fragen können nicht zuverlässig oder nur mit hohem Zeitaufwand beantwortet werden, zum Beispiel: Wie hoch ist der Anteil erneuerbar erzeugter elektrischer Energie, der direkt im Gebäude verbraucht wird in einer Jahresverlaufsbetrachtung? Wie werden verschiedene Wärmeerzeuger und -speicher optimal aufeinander abgestimmt und wirtschaftlich dimensioniert? Welches Steuerungskonzept erlaubt einen effizienten und damit wirtschaftlichen Einsatz der Wärmeerzeuger, wie etwa der Wärmepumpe?

Für die Beantwortung obiger beispielhafter Fragen müssen die Wechselwirkungen zwischen allen Anlagenkomponenten dynamisch betrachtet werden. Dazu gehören standortspezifische Wetterdaten, möglichst genaue Verbrauchsdaten für Strom, Wärme und Kälte sowie die modellhafte Abbildung der Funktionsweise der einzelnen Systemkomponenten und das Zusammenspiel des Gesamtsystems in Bezug auf die Hydraulik. Da die herkömmlichen statischen Berechnungsmethoden nicht ausreichen, obige Fragestellungen mit vernünftigem Zeitaufwand und Genauigkeit zu beantworten, müssen Sicherheiten in der Planung eingebaut werden. Schließlich ist es das oberste Ziel aller Beteiligten, dass das Energiesystem im Betrieb funktioniert und keine Energiedefizite auftauchen. Es ist in der Branche eine bekannte Tatsache, dass die Gebäudetechnik deshalb häufig stark überdimensioniert geplant und verbaut wird.

Überdimensionierte Energiesystemkomponenten bedeuten aber höhere Investitions- und Betriebskosten. Als besonders sensitiver Bereich sind hier Erdsondenfelder zu nennen, wo die Anzahl und Tiefe der Bohrlöcher einen hohen Einfluss auf die Investitionen hat. Aber auch überdimensionierte Pufferspeicher kosten Geld und Platz, der viel werthaltiger genutzt werden könnte. Schwierig ist hierbei natürlich auch der Aspekt, dass die HOAI wenig Spielraum gibt, viel Planungszeit in eine optimierte Auslegung der Gebäudetechnik zu investieren. Es sind also neue Prozesse und innovativere Werkzeuge gefordert, die die Planung zukunfts­sicherer Energiesysteme – wie bisher funktionstüchtig, aber auch zeitsparend – ermöglichen.

Simulation für Energiesysteme: Einsatz heute

Um in der Planung zuverlässige Antworten zu finden, setzen Planerinnen und Planer zunehmend auf Simulationswerkzeuge. Diese ermöglichen eine realitätsnahe Abbildung der geplanten Energiesysteme für Neubauten oder Sanierungen vom einzelnen Gebäude bis zum Areal. Auf diese Weise liefern sie damit wichtige Erkenntnisse zur optimalen Auslegung. Bei der Auslegung der Gebäudetechnik ist es zentral, dass die Datengrundlage möglichst gut ist – sprich die Verbrauchsprofile für Strom, Heiz- und Kältebedarf realitätsnah und in möglichst hoher zeitlicher Auflösung als Zeitreihe verfügbar sind. Bei komplexeren Projekten empfiehlt es sich, mit mehreren Verbrauchszenarien zu rechnen, um das Energiesys-tem auch unter extremen Bedingungen zu testen. Auf dieser Basis können dann verschiedene ­Energiesystemvarianten quasi per Knopfdruck simuliert und verglichen werden. Die Simulation erfolgt dabei in dynamischen Zeitschritten bis auf Sekundenbasis. So kann beispielsweise durch ­Simulation der Nachweis erbracht werden, ob auch bei einer Halbierung des Speichervolumens der Energiebedarf jederzeit im Jahresverlauf gedeckt ist oder welchen Einfluss die Batteriegröße auf die Eigenverbrauchsquote erneuerbarer Energie hat. Innovative Ideen, beispielsweise bei der Einbindung unterschiedlicher Wärme- und Kältequellen – vom Eisspeicher bis zur Erdwärme – können dabei frühzeitig und kostengünstig getestet werden.

Ein Leuchtturmprojekt für eine moderne Quartiersplanung mit dem Einsatz von Simulation ist das neu entstehende Stadtquartier „die Überseeinsel“ in Bremen.

Das Projekt „die Überseeinsel“ setzt auf
Simulation in der energetischen Planung

Zwischen Europahafen und Weser liegt „die Überseeinsel“, eines der größten Stadtentwicklungsprojekte Europas. Hier entsteht auf 41 ha Land ein neuer Stadtteil mit Gewerbe, Wohnungen und Hotels. Auf einer Teilfläche der Überseeinsel, dem ehemaligen Kellogg-Produktionsgelände, soll durch die Überseeinsel GmbH ein möglichst CO2-neutrales Energiekonzept realisiert werden. Die Überseeinsel GmbH hat das Planungsbüro PBS Energiesysteme GmbH beauftragt, das Energiekonzept von der Machbarkeit bis zur Ausführungsplanung auszuarbeiten. Das Projekt wird als Wärmenetz 4.0 geplant, mit entsprechend klaren Zielvorgaben der BAFA bezüglich eines hohen Anteils der Energieversorgung aus erneuerbaren Quellen. Herzstück des Energiekonzepts sind zentrale Wärmepumpen mit einer thermischen Leis­tung von 3 000 kW, die mehr als 2/3 ihrer Wärme aus dem Weserwasser beziehen und zugleich zur sommerlichen Kälteerzeugung eingesetzt werden können. Die Besonderheit dieser Wärmepumpen ist, dass ihr Betrieb sich nach den Wetterprognosen und damit verbundenen Erzeugungsprofilen der 7 km entfernten Windkraftanlagen und der Photovoltaikdachanlagen im Quartier richtet. Des Weiteren ermöglicht das Konzept, im Energiekreislauf entstandene Abwärme (z. B. bei der sommerlichen Kälteerzeugung oder dem winterlichen Betrieb der Eislaufbahn), zur Brauchwassererwärmung zu „recyceln“, wodurch die Effizienz des gesam­ten Systems gesteigert wird.

Erste Energiekonzeptvarianten wurden bereits in der Machbarkeitsphase der dynamischen Simulationssoftware Polysun abgebildet und die favorisierte Auslegung laufend bis in die Ausführungsplanung optimiert. Dabei konnte der Mehrwert einer dynamischen Simulation optimal genutzt werden:

Während des gesamten Projektverlaufs blieben die Förderkriterien im Blick. Es konnte jederzeit simuliert werden, ob Änderungen am Energiesys-tem immer noch kompatibel mit der Zielsetzung bezüglich der ganzjährigen Einspeisung sind. Der entsprechende Förderantrag wurde so auch erfolgreich durch die BAFA bestätigt.

Das Regelkonzept des Energiesystems wurde laufend verfeinert und mittels Simulation der Funktionsnachweis zuverlässig erbracht. Dabei wurde auch untersucht, ob das System den „Stresstest“ besteht und bei einem außergewöhnlich kalten Winter und entsprechend tiefen Temperaturen bei gleichzeitig höherer Heizlast den Bedarf deckt. Zusätzlich wurde auch eine Betrachtung mit normierten Werten für ein „normales“ Jahr vorgenommen.

Kenngrößen?

Bei der Dimensionierung der einzelnen Systemkomponenten konnte mittels Simulation verschiedene Optimierungen geprüft und realisiert werden. So konnte die PV-Anlagengröße und die Pufferspeicher optimal und wirtschaftlich auf­einander abgestimmt werden. Mithilfe der Simulation stellte sich sogar heraus, dass der Pufferspeicher 80 % kleiner als geplant ausgeführt werden konnte – das sparte dringend benötigten Platz in der Heizzentrale. Die Simulation bildete auch die Basis für die Wirtschaftlichkeitsbetrachtung und lieferte zu jedem Zeitpunkt der Planung die relevanten Kenngrößen, wie etwa ein aus­sagekräftiges Energieflussschema inklusive Brennstoffeinsatz. Auf neue Erkenntnisse im Projektverlauf konnte schnell und flexibel reagiert werden. Beispielsweise konnte bei der Evaluation eines passenden Wärmepumpenherstellers die entsprechenden innovativen Möglichkeiten der Einbindung in die Hydraulik und der Steuerung simulativ nachvollzogen und bewertet werden. Die aktuell geplante Bauphase der Überseeinsel befindet sich nun kurz vor Abschluss der Ausführungsplanung. Bald werden die neuen Bauphasen in Angriff genommen und Simulation bildet auch hier ein zentrales Planungswerkzeug.

Bauherren bestimmen, ob simuliert wird

Bei Bauprojekten liegt die Bestellerkompetenz beim Bauherrn. Bezüglich der Gebäudetechnik steht dabei neben der Nachhaltigkeit ganz klar die Wirtschaftlichkeit im Fokus. Um überdimen­sionierte und damit teure Energiesysteme für Gebäude und Quartiere zu vermeiden, sollten auch PlanerInnen den BauherrInnen Simulationen nahelegen und so einen Wettbewerbsvorteil geltend machen. Immer dann, wenn Energiesysteme ganz oder teilweise aus erneuerbaren Quellen betrieben werden oder mehr als ein Wärmeerzeuger vorhanden ist, können Simulationen sinnvoll zur Anwendung kommen. Die Größe des Bauvorhabens ist für den notwendigen Detailierungsgrad in der Planung natürlich ausschlaggebend. Simulation wird heute bereits für Mehrfamilienhäuser lohnend eingesetzt.

Die gute Nachricht ist: Die Kompetenz und die Tools, Energiesysteme zu simulieren, stehen schon heute immer häufiger zur Verfügung!

Was ist ein dynamisch simuliertes Energiesystem?

– Standortgenaue Wetterdaten (z. B. Sonneneinstrahlung, Temperatur, Wind) sowie Lastgänge für den Strom-, Wärme- und Kältebedarf sind als Zeitreihen hinterlegt und bilden wichtige
Inputgrößen für die Simulation

– Die einzelnen Komponenten des Energiesystems (z. B. Wärmepumpe, Erdsonde oder Batterie) sind als physikalisches Modell in der Simulation abgebildet, wobei deren Eigenschaften durch entsprechende Eingabefelder vom Anwender spezifiziert wird.

– Zu jedem Zeitpunkt kann bis auf Sekundenbasis berechnet werden, welche Wechselwirkungen sich im Energiesystem ergeben. Abhängigkeiten werden dabei modellbasiert berücksichtigt.

– Die Simulation liefert für den gewählten Zeitraum (Sekunden, Monate und bis zu zwanzig
Jahre) relevante Ergebnisse zum Gesamtsystem, wie z. B. zum Eigenverbrauch, Netzeinspeisung und -bezug oder Energiedefizit. Zudem liefert die Simulation auch Kennzahlen zu einzelnen Komponenten, wie die Betriebsstunden der Wärmepumpe oder die Temperaturverläufe je Speicherschicht.

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