Die Ambivalenz des Betons

DBZ Heftpatner Bruno Fioretti Marquez, Berlin

Uns fasziniert an dem Material Beton seine unbequeme und überraschende Ambivalenz. Ein Stahlbetonbau taugt sowohl als Massivbau wie auch als Filigranbau, da das Ausgangsmaterial ganz Unterschiedliches zulässt: das feststehende, steinerne, umschlossene und sich abgrenzende „traditionelle“ Haus genau so wie das horizontal offene, auf Stützen im Gelände schwebende „moderne“ Haus. Als Abguss memoriert Beton die Gestalt eines provisorischen Bauwerks, seiner wie auch immer beschaffenen Schalung.

Zwischen Chemie und Alchemie können wir zudem Gestalt und Eigenschaft des Betons über die Rezeptur modifizieren, wir können ihn einfärben und über alle Arten von Zuschlägen das Ergebnis kontrollieren. Nach dem Ausschalen können wir die Oberfläche weiterbearbeiten, sie scharrieren, flammen, schleifen oder stocken und seine Oberfläche durch handwerkliche Arbeit nachträglich veredeln.

Eingesetzt als Fertigteil lässt sich der Beton nach dem Baukas-tenprinzip tektonisch fügen, was stets mit der Entwicklung neuer Lösungen für optimierte Knoten und Raster einhergeht.

Als entwerfende und bauende Architekten haben wir Beton in vielen Facetten betrachtet und ihn bei Bauvorhaben in Deutschland und in der Schweiz ganz unterschiedlich eingesetzt: Wir haben z. B. für die Kontrollzentrale des Gotthard-Basistunnels (hier S. 24ff.) die statischen Möglichkeiten des Betons ausgereizt und den rauen Charakter des Materials thematisiert. Bei der Bauhaus-Siedlung in Dessau wurden die Meisterhäuser – um die gesuchte Unmittelbarkeit und Reduktion der Details zu unterstützen – als monolithische, massive, homogene Hülle in Dämmbeton gegossen. Die Erweiterung des Landratsamts in Neustadt konzentriert sich ganz auf die Möglichkeiten der Hybridbauweise. Bezogen auf regionale, historische Vorbilder kombinieren wir Beton mit einer skelettartigen Holzkonstruktion und Holzbeton-Decken. Die massive Wand dient als Speichermasse, die leichte Holzkonstruktion aus vorgefertigten Elementen erlaubt eine extrem kurze Bauzeit.

Für dieses Heft haben wir Projekte ausgewählt, die unterschiedliche Deklinationen des Baustoffs Beton zeigen: archaisch und monolithisch wie bei der Casa 1413 in Girona von Harquitectes, als strenges und präzises Raumgerüst mit Bauteilaktivierung im Neuen Zentrum für Kultur- und Kreativschaffende in Karlsruhe von Birk Heilmeyer und Frenzel Architekten, als radikale Intervention in einem denkmalgeschützten Gebäude an der Universität für angewandte Kunst Wien von Riepl Kaufmann Bammer Architektur sowie als Verfremdung eines industriellen Fertigteilsystems beim Wohnhaus in Berlin-Moabit von FAR frohn&rojas.

Beton ist ein Material mit einer außergewöhnlichen Geschichte, das viele Transformationen durchlaufen hat: von den ikonischen Bauten der römischen Zeit bis zum bevorzugten und ideologisierten Baustoff der Moderne. Der Zwang zur Energieeinsparung brachte erneut einen historischen Bruch, nun sah man sich gezwungen – dem monolithischen Duktus des Materials zum Trotz – mehrschichtig zu konstruieren. Die Entwicklung der zweischaligen Sichtbetonwand dokumentiert den Aufwand, der im Kampf um das Monolithische in der Folge betrieben wurde. Parallel entwickelte sich die noch immer nicht abgeschlossene Erforschung des Leichtbetons.

Als neue Herausforderung zeichnet sich der Begriff der Nachhaltigkeit ab. Der CO₂-Abdruck von herkömmlichem Beton stellt seine Zukunftsfähigkeit in Frage. Neueste Forschungen gehen in Richtung Recyclingbeton, in einem Moment, in dem die Fähigkeiten des Materials mitnichten abschließend erforscht sind. Wird das Material Beton auch diese neueste Transformation seiner Materialeigenschaften meistern? Wir sind heute noch nicht in der Lage, diese Frage deutlich und abschließend zu beantworten.

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