Das Narrative hat mich immer schon fasziniert

Im Gespräch mit Tobias Wallisser, LAVA

Im Winter 2020/21 wird in Dubai mit der Expo eine Weltmesse in der Wüste aufgebaut. Vor einem Monat gewann die „Arbeitsgemeinschaft Deutscher Pavillon EXPO 2020 Dubai“, das sind „facts and fiction GmbH“ aus Köln und die ADUNIC AG, Frauenfeld/CH, die Auslobung. Architektur und räumliches Konzept kommen von LAVA – Laboratory for Visionary Architecture, Berlin. Zur Präsentation des deutschen Pavillons lud die Messe Köln, die die Organisation und den Betrieb des Pavillons verantwortet, ins Messehochhaus. Wir nahmen die Gelegenheit wahr und sprachen mit Tobias Wallisser, Mitgründer von LAVA, über das vielleicht Neue in der deutschen Expo-Architektur, aber auch darüber, wie nachhaltiges Planen mit geplantem Abriss zusammen geht. Oder auch nicht.

Herr Wallisser, versteht sich LAVA als ein Design- oder eher als ein Architekturbüro?

Tobias Wallisser: Zuerst sind wir ganz klar Vollblutarchitekten mit dem Ziel, dass das, was wir entwickeln, auch gebaut werden kann. Weshalb wir uns bei diesem Projekt sehr stark mit technischen Aspekten beschäftigt haben.

Es waren auch mal Markenstrategen mit Storytellingkompetenz, die den deutschen Pavillon verantworteten, jetzt sind wieder Architekten dran: Wie kam es dazu?

Wir arbeiten zusammen mit „facts and fiction“ an Räumen im Berliner Humboldtforum und passen da hervorragend zusammen. Als sie uns fragten, ob wir mit denen im Wettbewerb für den Expo-Pavillon 2020 antreten wollen, haben wir sofort zugesagt − wohl wissend, dass das eine große Investition in unsere Ressourcen ist.

„Wir wurden gefragt und haben mitgemacht.“ Gab es keinen Wettbewerb?

Es gab einen öffentlichen Wettbewerb, an dem sich Agenturen zusammen mit ausführenden Unternehmen bewerben. In diesem Fall also „facts and fiction“ mit der Adunic AG. Diese Arge steht als Generalübernehmer an einer haftungsrechtlichen Stelle, die wir als Architekten gar nicht einnehmen können. LAVA ist im Team verantwortlich für die Architektur und das räumliche Konzept.

Das Image der Expo-Beiträge Deutschlands hatte in der Vergangenheit auch unter dem Vorwurf gelitten, der Pavillon sei nicht mehr als ein größerer Messestand. Gibt es jetzt den reinen architektonischen Entwurf?

Dafür steht LAVA doch. Wir wenden die technischen Möglichkeiten, die uns heute zur Verfügung stehen, so an, dass sie gestalterisch direkt wirksam werden.

Bei einer solchen Bauaufgabe ist die zentrale Herausforderung, das Raumkonzept auf die Inhalte abzustimmen. Deutschland ist ein föderal strukturiertes Land mit einer riesigen Themenbreite, mit sehr vielen, unterschiedlichen Gremien, die alle ein Mitspracherecht am Ganzen haben. So stehen wir vor der Herausforderung, starke Bilder zu schaffen und gleichzeitig der Vielfalt Ausdruck zu geben.

Welche „starken Bilder“ werden in Dubai für Deutschland stehen?

Nun, man könnte die starken Bilder über sehr einfache Geometrien suchen und finden. Eine Pyramide zum Beispiel, eine Kugel wie der Cenotaph von Boullée. Aber das können wir nicht mit Diversität und Pluralismus zusammenbringen! Architektonisch ist es schwieriger. Wir haben es zunächst über das Inhaltskonzept gelöst: Das Leitmotiv des „Campus“ vereinigt Gebäude mit durchaus unterschiedlichen Qualitäten, dennoch wird die Vielzahl am Ende als etwas Zusammenhängendes, als städtebauliches Element wahrgenommen.

Wir haben einzelne Bauteile, die so zueinander geordnet sind, dass sie einen Rundgang möglich machen und unterschiedliche Situationen schaffen; jeweils einen Raum für ein Thema, Terrassen mit interaktiven Objekten und ein großes, offenes Atrium. Gleichzeitig sind sie so organisiert, dass alles optimal verschattet ist.

Nun soll der Deutsche Pavillon demonstrieren, wie deutsches Know-how auf zurzeit noch eher pessimistische Zukunftsszenarien zu reagieren in der Lage ist. Stichwort „Umwelttechnologien“. Gleichzeitig ist heute schon klar, dass der Pavillon kein Nachnutzungskonzept hat, er muss abgerissen werden. Passt das zusammen?

Da sprechen Sie ganz sicher das Dilemma sämtlicher temporärer Bauten an. Ob das nun ein Messestand oder ein Expo-Pavillon ist ...

… Messestand und hausgroßer Pavillon mit solidem Fundament? Kann ich die gleichsetzen?

Schauen Sie sich mal die Müllberge an, die die IAA mit ihren Messeständen produziert! Die temporäre Nutzung war gesetzt. Also haben wir uns sehr bewusst auf wenige Materialien beschränkt und diese so eingesetzt, dass man sie leicht trennen kann. Ich glaube aber, dass wir „Nachhaltigkeit“ anders definieren müssen. Wenn drei Millionen Besucher einen Eindruck vermittelt bekommen, warum es sinnvoll ist, Energie zu sparen, haben wir wohl mehr gewonnen, als wenn wir nichts bauen würden und die drei Millionen nicht erreichen.

Aber „nicht bauen“ muss ja nicht die einzige Alternative sein. Sparsamer bauen, langlebiger, nachnutzbar …

Ich glaube nicht, dass wir wesentlich sparsamer bauen könnten bei den Vorgaben, die wir zu erfüllen haben. Wir bauen in Dubai 4 500 m² Fläche mit extrem wenig Material. Wir haben vier große, tragende Stützen, wir brauchen Fluchttreppenhäuser … Der Brandschutz ist hier sehr aufwendig. Wir haben auf die Klimatisierung weiter Teile des Gebäudes verzichtet und so ein Gebäude geplant, das graduell konditionierte Räume bietet. Mit dem Dach, mit den verschattenden Kuben und der konsequenten Ausrichtung des Gebäudes zum Sonnenstand haben wir wohl das Meis-te gemacht. Mit weniger Material wäre das nicht zu leisten.

Stichwort „Brandschutz“: Gilt in der Wüste Dubais der deutsche Brandschutz?

Beim Bau des Nationenpavillons gelten inter-essanterweise beide nationale Vorschriften. Zum Zuge kommt am Ende die anspruchsvollere … Welche das ist, müssen wir noch klären!

Das Dach erscheint mir – mit der Ausbildung der Erdgeschosszone – das architektonisch Anspruchsvolle. Können Sie hierzu etwas sagen?

Wir haben jahrzehntelange Erfahrung mit dieser Klimaregion. Seit unserem Projekt für Masdar wissen wir, dass man ein Dach zum Verschatten und im besten Fall für die Energieerzeugung braucht. Trotzdem wird es darunter bis zu 36 ° C warm. In der Dachfläche sind Öffnungen – ca. 10 Prozent der Fläche insgesamt –, die das Atrium mit Tageslicht versorgen. Ob es Photovoltaikflächen auf dem Dach geben wird? – Vielleicht ist es nachhaltiger ohne.

Die Dachhaut ist ein gedämmtes Trapezblech. Getragen wird sie von einer Konstruktion aus Stahlrohren mit einem Durchmesser von 35 mm in unterschiedlichen Längen. Die Rohrkonstruktion – die nicht verschweissten und über Kugelgelenke verbundenen Rohre sind „von der Stange“ – verstehen wir als temporäre Skulptur, deren Bauteile nach dem Abbau ohne jeden Aufwand wiederverwendbar sind.

Von der fünften zur gemeinen Fassade: Was muss die Hülle leisten?

Hier haben wir eine reagible Haut, die teils gläsern ist mit Öffnungen für eine natürliche Klimatisierung. Ansonsten haben wir eine Membranfassade, die einlagig ausgeführt wird … Ressourcen sparen! Diese Hüllflächen sind in der Herstellung energetisch deutlich günstiger als Glasflächen, aber auch wegen ihres geringeren Gewichts, das eine sparsamere, leichtere Struktur zulässt.

Ist das Temporäre zugleich auf Verschleiß geplant oder: Wie robust müssen die Oberflächen sein?

Was die Oberflächen, was deren Materialität angeht ist der Prozess noch nicht abgeschlossen. Wir suchen nicht nach Materialien, die vielleicht das halbe Jahr durchhalten und dann Sondermüll sind. Nein, wir wollen Materialien, die wenigstens recyclebar sein müssen.

Welche Expo-Erfahrungen haben Sie?

Als Student habe ich mich mit der Expo in Montreal 1967 beschäftigt und habe die als Vorläufer der Olympiabauten 1972 gelesen. Dann gab es den Entwurf für den deutschen Pavillon für Sevilla 1992 von Auer + Weber, der auch ein weites Dach mit darunterliegender Landschaft hatte und uns für Dubai inspiriert hat. Insgesamt hat mich an vielen Weltausstellungen aber das narrative Gebäude fasziniert, das auch großen Erzählungen ein Zuhause geben kann.

Wollten Sie Ihre Arbeit an diesem Projekt zusammenfassen, wie würden Sie das formulieren?

Unser Motto insgesamt ist „Mehr mit weniger“. Das meint mehr Architektur, mehr Erlebnisse für den Nutzer und ganz sicher mehr Lebensfreude mit geringst nötigem Ressourcenverbrauch. Das kostet sicher mehr Anstrengung, aber hier können Architekten eben ihren Beitrag leisten.

Gab es im Projektverlauf bisher etwas, das Sie überrascht hat?

Ja, da gab es einiges. Vor allem aber waren wir überrascht über die Offenheit des Auslobers unseren Vorschlägen gegenüber. Wir haben das Gefühl, dass die Zeit reif ist, dass Deutschland sich wieder mutiger präsentiert, als es in der Vergangenheit ab und zu der Fall war.

Mit Prof. Tobias Wallisser unterhielt sich DBZ-Redakteur Benedikt Kraft am 4. September 2018 in der 13. Etage des Messehochhauses der Köln Messe.

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