Charakterisierung des
urbanen Raums durch Licht
Die Stadtsanierung der Marktgemeinde Obernzell

Die kleine Marktgemeinde Obernzell, an der Donau zwischen Passau und der Grenze zu Oberösterreich gelegen, hat sich herausgeputzt. Der Marktplatz, ein kunsthistorisches Kleinod von internationaler Bedeutung, wurde umfassend saniert. Das Beleuchtungskonzept war zentraler Bestandteil der zweijährigen Sanierung. Nun zeigen sich die denkmalgeschützten Gebäude in einem ganz neuen Licht. Ein Projekt, das in Deutschland bislang einzigartig sein dürfte, aber durchaus Nachahmungscharakter hat.

Mit dem neuen Beleuchtungskonzept wertet die Marktgemeinde Obernzell ihren 400 m langen Marktplatz auf – energieeffizient. Statt Mastleuchten setzen die Planer Wandleuchten ein, trotz Vorgaben des Denkmalschutzes.    
Ein 400 m langer Marktplatz hat der Gemeinde seine Bedeutung und sein charakteristisches Aussehen verliehen. Der Platz ist in seinen Grundzügen zusammen mit der Burganlage im 15. Jahrhundert entstanden. Er ist von zwei Häuserfluchten in geschlossener Bauweise ­gesäumt. Die nördliche Häuserreihe hat eine große Tiefe und wird im Norden durch eine Allee begrenzt, die Häuserflucht wird vom hofartigen Vorplatz der Kirche geteilt. Die südliche Häuserreihe, die parallel zur Donau verläuft, wird unterbrochen durch sieben schmale Gassen, die den Marktplatz mit der Uferprome­nade verbinden. Der Markt­­platz beginnt im ­Westen mit dem Ortsbrunnen, im Osten wird er durch das Schloss begrenzt, einer spätgotischen Anlage aus dem 16. Jahrhundert.

Der Obernzeller Marktplatz ist ein besonderes kulturelles Juwel und als Denkmal-
Ensemble in die internationale Haager Liste eingetragen. Über 100 Bau- und Kunstdenkmäler verfügt die kleine Marktgemeinde, davon liegen 45 am Marktplatz. 2- bis 3-geschossige Fassaden aus der Biedermeierzeit, der Spätgotik und dem Klassizismus wechseln sich mit Fachwerkhäusern ab. Die meisten der Häuser sind historische Kostbarkeiten, bei den ältesten Gebäuden reicht die Geschichte bis ins 16. Jahrhundert zurück. In den vergangenen Jahrzehnten hat mehr und mehr der Autoverkehr den Markt dominiert, es verläuft hier die Bundesstraße 388. Neonröhren aus den 1970er-Jahren, an Stahlseilen quer über den Markt gespannt, beleuchteten die Fahrbahn. Wie es heute vielerorts der Fall ist, machten Neubaugebiete dem historischen Kern Konkurrenz, das eine oder andere Geschäft machte dicht, Gebäude verwaisten. Vor mehr als fünf Jahren haben sich die Verantwortlichen dem Kleinod im Ortskern von Obernzell zugewandt und ein Sa­nierungsprojekt gestartet. Die Maßnahmen ­haben den Markt in architektonischer und licht­technischer Hinsicht aufgewertet und ­sollen nun seine Attraktivität stärken.

Das Maß der Sanierung ist der Mensch

Der Gemeinderat unter der Leitung von Bürgermeister Josef Würzinger hat den Stadtplaner Alexander Feßl mit Plan und Umsetzung zur Sanierung des Marktplatzes beauftragt. Da Licht eine zentrale Rolle spielen sollte, wurde außerdem der Lichtplaner Hans Lichtl hinzugezogen, um ein Konzept zu erarbeiten.

Für Alexander Feßl waren drei Ziele vorrangig. Erstens: Das Auto muss in den Hintergrund rücken, stattdessen wird der Mensch in den Fokus genommen. Zweitens: Das historische Ensemble wird betont, vor allem bei Dunkelheit. Drittens: Der lange Marktplatz soll seine Raumwirkung entfalten. Gerade die geschlossene Bauweise der Markthäuser hat den Stadtplaner inspiriert. Das Ensemble gibt dem Betrachter das Gefühl, man sei „drinnen“.  Trotz der ungewöhnlichen Länge von 400 m ist der Markt als historisches Zentrum, als Einheit und Ortskern wahrnehmbar.

Die Breite der Fahrbahn wurde von 9 m auf 7 m reduziert, die Gehwege konnten verbreitert werden. Sie sind nun behindertengerecht ausgestaltet, d. h., zur Fahrbahn hin gibt es keinen Hochbordstein mehr. Strom-, Wasser- und Gasleitungen wurden im Untergrund verlegt, der Kanal wurde teilweise erneuert. Für den Gehweg- und Parkflächenbelag wurden die historischen „Gredplatten“ und die Kleinsteinpflaster aus Granit ausgebaut, zwischengelagert und wieder verwendet, so wollte es die Denkmalschutzbehörde. Wandleuchten wurden an den Fassaden montiert, übrigens Sonderanfertigungen, von denen jede einzelne Leuchte einer anderen geometrischen Voraussetzung entsprechen muss. Sie beleuchten in erster ­Linie Fassaden und Fußgängerbereiche und nur nachrangig die Straße.

Etwa 2,6 Mio.  € hat die Umbaumaßnahme in Obernzell gekostet. Die Marktgemeinde hat dafür Fördermittel in Höhe von etwas mehr als 50 % der förderfähigen Kosten aus dem Programm Stadtumbau West erhalten. 2014 wurde der sanierte Marktplatz mit einem großen Fest eingeweiht.

Betonung des weiten Raums
Mastleuchten, die klassische Straßenbeleuch­tung, fielen schnell aus dem Katalog der Möglichkeiten. Sie hätten in dieser Situation, mit dem langen Markt, einen ungünstigen Tunnelcharakter erzeugt, sagt der Lichtplaner Hans Lichtl. Zudem bestünde bei Mastleuchten auch immer die Gefahr der Blendung in den unteren Wohnungen. So kam er auf die Idee, Wandleuchten einzusetzen. Widerstände dagegen gab es zunächst aus Gründen des Denkmalschutzes. Da aber die Leitungen entlang der Dachrinnen und Vorsprünge geführt wurden, konnte die historische Bausubstanz weitgehend unberührt bleiben. Planer, Bürgermeister bzw. Mitarbeiter der Stadtverwaltung besuchten jedes Haus am Marktplatz, redeten mit den Hausbesitzern, klärten auf, brachten Prototypen an und simulierten die Idee. Man erhielt schließlich die Zustimmung der Bürger. Die erste Hürde war genommen.
Danach ging es an die ästhetische Umsetzung. Entsprechend der Fassadenvielfalt hat sich der Architekt Alexander Feßl entschieden, die Lichtkegel nicht durchgängig gleich zu machen. Man plante, je nach Fassadenstruktur, die Wandleuchte an jedem Haus in einer anderen Höhe anzubringen. Die Vielfalt, die daraus entstanden ist, war durchaus gewollt, denn Feßl hatte die Absicht, einen wechselnden und sehr lebendigen Charakter der Lichtkegel zu schaffen: So erzeugt die Beleuchtung hellere und dunklere Bereiche an den Fassaden. Die Lichtkegel verlaufen in unterschiedlichen Neigungswinkeln, abhängig von der Höhe der ­Gebäude und erzeugen dennoch eine relativ gleichmäßige Ausleuchtung von Gehweg und Fahrbahn. Dies bedeutet eine hellere Atmosphäre im Fußgängerbereich mit derzeit ca. 20 lx im Mittel und eine nach DIN 13201 ausgeleuchtete Straße (gemessen mit einer Beleuchtungsstärke von 12 lx im Mittel).
Die beiden denkmalgeschützten Brunnen wurden in ihrem Raum architektonisch aufgeweitet und sind nun von innen beleuchtet. Die neu gepflanzten Bäume mit den Sitzbänken werden von unten angestrahlt. Grundsätzlich hat man jedoch die Möblierung und auch die Bepflanzung auf ein Minimum reduziert, um die Ensemblewirkung nicht zu stören.
Der Markt ist nun deutlich heller als zuvor, und er ist großzügiger und einladender. Der Raumcharakter kommt spürbar zum Ausdruck. Wen immer man fragt, der beschreibt den Platz heute als „heimelig“. Dem Architekten und dem Lichtplaner ist es gelungen, der Raumstruktur Ausdruck zu verleihen, die unterschiedlichen Traufhöhen optisch hervorzuheben und die Fassade zu akzentuieren. Das Licht lenkt den Blick des Betrachters.
LED überholt die Planung
Die Planer und auch der Marktgemeinderat wurden während der vierjährigen Planungsphase regelrecht von den Ereignissen überholt. Der erste Plan sah eine technische Lö­-
sung auf der Basis von Quecksilberdampflampen vor. LEDs waren zu diesem Zeitpunkt noch nicht diskutabel, „zu wenig ausgereift“, so lautete die Einschätzung des Lichtplaners. Nach einem Jahr Planungsphase hatte Lichtl Kontakt mit einem Hersteller, der eine gut entwickelte LED-Technologie anbieten konnte. So wurde die Planung schließlich auf LED-Technologie umgestellt. Zur herkömmlichen Lichttechnologie hat die LED-Techno­logie viele Vorteile. Der energiesparende Betrieb ist nur einer davon. Die jetzt eingesetzten LED-Leuchten sind auf 10 % dimmbar und haben gegenüber einem Leuchtmittel CDMT eine etwa sechsmal höhere Lebensdauer. Die drei in der Leuchte eingebauten LED-Module sind einzeln abschaltbar und können zudem einzeln gedimmt werden – für Wand, Gehweg oder Straße.
Außerdem entfallen Reflektoren und Lichtfallen, die das Licht in die gewünschte Richtung lenken und den starken Lichtkegel an der Wand reduzieren. Der Lichtplaner entwickelte ein Modell, mit dem er unterschiedliche Szenerien beleuchten konnte: D.h. für die Wand wurde ein breitstrahlendes Modul um 180° gedreht zur Fassade leuchtend eingebaut. Die Linsen sind wegen der höheren Homogenität satiniert. Das Modul für den Gehweg ist breitstrahlend und das Modul für die Straße breit- und tiefstrahlend. Je nach Höhe der Leuchten wurden unterschiedliche Neigungswinkel verwendet.
Attraktivität durch Individualität
Im Fall Obernzell gab es eine Bemusterung, um die geplante Lichtwirkung vor Ort zu überprüfen. Nachdem die Verantwortlichen zufrieden waren, wurden die knapp 50 Leuchten gebaut: Ein schlichtes Gehäuse mit einer ebenso schlichten Wandanbindung, beides hält sich optisch zurück, um nicht mit der Fassade zu konkurrieren. Außerdem ist vorgesehen, dass die Weihnachtsbeleuchtung dort zusätzlich ­angebracht und mit Strom versorgt werden kann.
In Obernzell hat sich bereits ein Effekt eingestellt: Bürger, die ursprünglich keine Wandleuchte wünschten, lassen nun nachrüsten. Und der eine oder andere Hausbesitzer hat sich entschieden, die Fassade zu renovieren. Dazu gibt es von der Marktgemeinde ein Fassadenprogramm, das eine finanzielle Unterstützung vorsieht. Nun hofft man in Obernzell darauf, dass sich neue Geschäfte ansiedeln, vielleicht mit einem Sortiment, das so individuell ist, wie die Gemeinde selbst, wünscht sich der Bürgermeister Josef Würzinger.
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