Bleiben und Begegnen unter einem Dach

DBZ Heftpatnerin Prof. Dr.-Ing. Agnes Weilandt, Bollinger + Grohmann, Frankfurt a. M.

„Ein Dach über dem Kopf“ gehört zu den Grundbedürfnissen eines jeden Menschen. In der aktuell schwierigen Situation rückt dieser fundamentale Anspruch in unserer Gesellschaft wieder stärker in den Vordergrund. Vor diesem Hintergrund erscheint die Auswahl der Bauten, die in diesem Heft vorgestellt werden, fast ein wenig surreal zu sein. Hierzu muss gesagt werden, dass die Auswahl der gezeigten Projekte vor der Corona-Krise getroffen wurde und zu jenem Zeitpunkt absolut richtig erschien.

Die vorgestellten Projekte bieten öffentliche, halböffentliche und private Räume an, die uns bewusst dazu einladen, länger zu bleiben. Es sind Orte, an denen sich viele Menschen persönlich begegnen und austauschen können, eine Qualität, die aktuell weltweit in den Hintergrund gedrängt wird.

Gleichzeitig rückt in der gegenwärtigen Nachhaltigkeitsdebatte zur Schonung der globalen Ressourcen auch die Dauerhaftigkeit unserer Bauten in den Fokus. Dies nicht nur im Hinblick auf ihre Standhaftigkeit, sondern auch hinsichtlich einer dauerhaften evtl. flexiblen Nutzung für die nächsten hundert oder mehr Jahre. Demzufolge gilt für die vorgestellten Bauten also auch, dass die aktuelle Krise in Hinblick auf deren Lebens­zyklus nur als kleiner Abschnitt zu betrachten ist und ihre Existenz entsprechend nicht in Frage zu stellen ist.

Dächer prägen nicht nur seit der neuen Nationalgalerie in Berlin oder den Bauten zu Olympia in München das äußere Erscheinungsbild vieler Gebäude und damit deren Architektur, sondern spiegeln auch immer wieder eindrucksvoll die Bedeutung der Zusammenarbeit zwischen Architekten und Tragwerksplanern wider. So entstehen durch neue Entwicklungen, aber auch durch die Neuinterpretation bereits bekannter Tragwerksformen oder Architekturelemente immer wieder neue faszinierende Dachstrukturen, von denen wir einige in diesem Heft für Sie ausgesucht haben.

Die Entwicklung solcher in den meisten Fällen weitspannenden Tragstrukturen gehört zu den spannendsten Aufgaben der Tragwerksplanung. Gemeinsam mit den Architekten aus einer ersten Vision eine effiziente und im Rahmen von Kosten und Zeit erstellbare Konstruktion zu entwickeln und umzusetzen, macht, einfach gesagt, viel Spaß. 

Alle diesen Tragwerken gemeinsam ist die Auseinandersetzung der Planer mit der Frage, wie sie die erforderlichen weiten Spannweiten mit endlich langen zur Verfügung stehenden, möglichst transportierbaren Elementen überbrücken können. Dies zeigt sich im Ergebnis vor allem in der Vielfalt möglicher Holzkonstruktionen, von denen nur eine kleine Auswahl in diesem Heft vorgestellt werden kann. Ob in Form von klassischen Fachwerkträgern, wie bei der Halle von Studio Botter und Studio Bressan in Agordo, in Form einer Gitterschale, wie beim Swatch Omega Campus von Shigeru Ban in Biel oder einer Neuinterpretation der Zollinger Bauweise in Form von optimierten reziproken Rahmen wie beim Frans Masereel Center in Kasterlee, die Fügung der Elemente spielt immer eine wesentliche Rolle für das Tragwerkssystem bzw. ist zum Teil sogar Ausgangspunkt der Tragwerksentwicklung.

Natürlich sind die aktuellen Projekte zusätzlich geprägt von der Debatte zur Nachhaltigkeit. Neben der Flexibilität und Dauerhaftigkeit ist auch hier der Holzbau im Sinne der Ressourcenschonung immer mehr in unseren Fokus gerückt und entsprechend überwiegen bei der Auswahl der Projekte in diesem Heft die Holzkonstruktionen.

Aber selbstverständlich werden auch weiterhin eindrucksvolle Dächer aus Stahl und Stahlbeton gebaut. Wichtig ist hier der effiziente und intelligente Einsatz der jeweiligen Materialien, wie zum Beispiel bei den sehr schlanken Stahlbetonfertigteilträgern für das Dach der Adidas Kantine von COBE in Herzogenaurach oder die aus Standardprofilen zusammengesetzte, elegante Stahlstruktur der neuen Überdachungen am Bahnhof in Ostende.

Bei allen vorgestellten Dächern ist unabhängig vom gewählten Material oder der Konstruktion in sehr schöner Weise die enge Zusammenarbeit der Architekten und der Tragwerksplaner erkennbar. Und es sind somit Räume entstanden, die zum Verweilen und Begegnen einladen. Dass das bald wieder in gewünschter Art und Weise geschehen kann, wünsche ich uns allen sehr!

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