Bitte nicht zu schön machen: Schubhaftzentrum, Vordernberg/A
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Was klingt schöner: „Polizeigefangenenhaus“ oder „Polizeianhaltezentrum“? Und wie kann man „Abschiebung“ meliorisieren? Durch den Schub? Kommt dabei aus Abschiebehaft die Schubhaft heraus, müssen wir in Deutschland dreimal hinsehen, um dieses Wort zu verstehen. Denn Schub ist im deutschen Sprachraum etwas nach vorne Gerichtetes, der Schub steht für positives Wachstum und Energie; Abschiebung dagegen für Bürokratismus und ängstliche Hilflosigkeit.
In Österreich gibt es die Abschiebung von Asylanten wie in allen europäischen Ländern, doch in Österreich nennt man das eben Schub. Und wer noch nicht geschoben werden kann, weil sein Verfahren noch nicht – bürokratisch – abgeschlossen ist, kommt in Schubhaft, eben in ein Schubhaftzentrum.
Von diesen gibt es eine Menge, aber mit Blick auf die sich verschärfenden Krisen in Afrika oder dem Nahen Osten scheint es so, dass die europäischen Staaten mehr von diesen Zwischenlagern brauchen werden. Und damit diese nicht wie Zwischenlager anmuten, werden Architekturwettbewerbe ausgelobt. So aktuell (2010) ein Wettbewerb für das Schubhaftzentrum Vordernberg, das nach Bauherrenverständnis ein „Europäisches Vorzeigeprojekt“ werden sollte.
Dem jungen Wiener Büro Sue Architekten war schnell klar, dass so ein Objekt „nicht nur von Leuten diskutiert werden [darf], die schon 30 Jahre lang im Krankenhaus-, Altersheim- und Gefängnisbereich arbeiten, die zu wissen glauben ‚wie’s funktioniert‘“. Mit Recht, wie man heute sieht. Denn auf den ersten Blick und von mittlerer Ferne aus gesehen erscheint der Neubau, der Mitte Januar 2014 bezogen wurde, wie eine luxuriöse, idyllisch gelegene Wohnanlage für die Gutverdiener – und eben nicht wie eine Haftanlage für unterpriviligierte Verlorene. Darf man so schön bauen? Verhilft eine solche Architektur am Ende nicht dazu, der Abschiebungspraxis ein kleidsames Mäntelchen umzuhängen? Oder gar, wie mancher stramm national denkender Mensch glaubt, dass solcher Luxus die Ausländer geradezu anzieht, weils dort viel schöner ist als unter dem freiem Himmel oder in Zwischenlagerbaracken mit überbelegten Zimmern.
Sue Architekten war klar, dass sie auch durch die beste, die kühnste Architektur das Problem der Abschiebung oder „wer ist drinnen und wer ist draussen“ (Michael Anhammer, Sue Architekten) nicht lösen können. Doch es war den Architekten „besonders wichtig, dass den betroffenen Personen in der Zeit, in denen der Staat für sie die Verantwortung übernimmt, ein Aufenthalt ermöglicht wird, der ihnen ihre Würde lässt.“
Zentrale Bausteine, eine solche Architektur im Rahmen der Ausschreibung zu ermöglichen, waren gute Materialien für alle Oberflächen und Einbauten, Schlafräume statt Zellen, offene Wohngruppen mit Zugangssteuerung statt geschlossene Haftbereiche, Gemeinschaftsräume wie die sich zu Bach und Berg öffnenden Höfe, oder die Küchen. Es gibt Rückzugsmöglichkeiten mit etwas Privatheit. Es gibt keine Vergitterung vor den großen Fenstern. Und vor allem: Abgesehen vom mauerähnlichen Verwaltungsriegel zur Straße und daran ansetzenden Mauern, die auch noch die beiden Schmalseiten markieren mit dahinterliegenden Sport- und anderen Verkehrsflächen, ist Transparenz das große Thema der Haftanlage: große Fenster, keine hohen Mauern mit Stacheldraht oben auf, keine hochgesetzen Fenster, aus denen man innen nur schauen kann, wenn man auf einen Stuhl steigt oder in die man von außen gar nicht sehen kann. So gibt es von innen die Anmutung des schönen Urlaubslands Österreichs, von außen die Zumutung eines Bildes unserer Gesellschaft, die seit Jahrhunderten auf Kosten anderer und bis heute ihren Wohlstand aufbaut. Die anderen sieht man jetzt hinter ausbruchsicheren Fassaden, aber man sieht sie jetzt. Sue Architekten: „Wir meinen, dass Menschen anders miteinander umgehen, wenn Dinge nicht im Geheimen passieren.“ In der Anlage gibt es neun Wohngruppen für jeweils etwas mehr als 20 Menschen, insgesamt können rund 200 Häftlinge untergebracht werden.
Dass trotz aller gestalterischer Suche nach den Möglichkeiten in der detaillierten Ausschreibung am Ende dann doch ein Gefängnisbau am Ortsrand herausgekommen ist zeigt wohl, dass Architektur tatsächlich nur lindern, aber nicht verändern kann. Von diesem Entwurf ausgehend könnte jetzt aber eine Diskussion darüber geführt werden, ob die erzwungene Illegalität von Migranten ohne Aufenthaltserlaubnis nicht gegen die UN-Charta verstoßen. Denn natürlich ist die Realisierung eines Schubhaftzentrums nichts weniger, als die gängige Praxis des Ausschließens und Zwischenlagerns von Menschen möglich zu machen; in allerdings einigermaßen menschenwürdigem Rahmen. Nicht den weggesperrten Illegalen sollten wir die Unterbringung schwer machen, schwer sollte es der Gesellschaft fallen, diese als Gefangene täglich zu erleben. Gibt es dafür aber eine architektonische Lösung? Be. K.